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1. August 2019 DIE ZEIT No 32

»Mit Honig und Mandelblättern«

Was macht ein gutes Eis aus? und können die Deutschen das auch? Dario Fontanella, der Erfinder des spaghetti-Eises, weiß Rat

ZEIT: Herr Fontanella, was sind für sie die Eissor-
ten dieses sommers?
Dario Fontanella: sensationell finde ich selber
unsere sorte goldene Milch. Die bereichern wir
mit Kurkuma, Muskatnuss, etwas Vanille, Para-
dieskörnern und Ingwer. Das ist ein beliebtes und
sehr gesundes Eis. Dann machen wir neuerdings
ein Nuss-sorbet; das können wir Laktose-Intole-
ranten und Veganern anbieten. Der absolute Ren-
ner ist aber Bienenstich: Das ist ein schlichtes
Milch-sahne-Eis mit Honig und frisch gerösteten
Mandelblättern. Da zeigt sich, dass Einfachheit
immer noch Maßstäbe setzt.
ZEIT: Das klingt gar nicht so einfach. Eher so, als
sei die Kundschaft anspruchsvoll geworden.
Fontanella: Man muss ständig neue Ideen haben,
wenn man als gelatiere im geschäft bleiben will.
Als ich vor fünfzig Jahren bei meinem Vater an-
fing, da hatte eine gut bestückte Eisdiele vielleicht
sieben sorten Milcheis und nochmal fünf Frucht-
eis. Auswahl war den Kunden nicht so wichtig,
Hauptsache, es war kalt. Heute haben wir über
sechzig sorten. und es wird erwartet, dass die vor-
rätig sind. Da kommt jemand zu uns, weil er Lust
hat auf Papaya-Eis. und wenn das ausverkauft ist,
macht er wieder kehrt.
ZEIT: Der geschmack von Eis versetzt Menschen
in ihre Kindheit zurück. und komischerweise er-
innern sich alle, was in ihren Kindertagen eine
Kugel »beim Italiener« gekostet hat.
Fontanella: Ja, und wissen sie, woran das liegt? Es
ist das erste geld, das ein Kind bekommt, um sich
selber was zu kaufen.
ZEIT: Ich erinnere mich noch dunkel an die
Zehn-Pfennig-Kugel. Man trug seinen groschen
zum Bimmelwagen und bekam dafür eine Waffel
Erdbeer auf die Hand. Dann zogen die Preise an.
20, 30, 50 Pfennig ... Was kostet inzwischen eine
Kugel in Ihren Mannheimer Cafés?
Fontanella: 1,50 Euro.
ZEIT: Das heißt, grob gerechnet, dreißigmal so
viel wie vor einem halben Jahrhundert. schmeckt
es denn so viel besser?
Fontanella: Es konnte auch damals schon gut sein,
war aber in der Zubereitung viel einfacher. Nicht
so cremig wie heute, eher körnig, und manchmal

fehlerhaft. Damals gab es ja in der Eisküche keine

schockfroster. Die Industrie hat auch unser

Handwerk sehr verändert.

ZEIT: Als Kind habe ich manchmal zehn Kugeln

bestellt, weil es mir so gut schmeckte.

Fontanella: Die waren aber viel kleiner. Die Por-

tionierer, mit denen wir die Kugeln ausstechen,

tragen Nummern auf der Innenseite. Daran kann

man ablesen, wie viel genau hineinpasst. Früher

machte man aus einem Liter Eis dreißig oder

mehr Kugeln. Heute sind es bei uns nur noch 14.

ZEIT: Wieso?

Fontanella: Weil alles größer wird. Vorangetrieben

hat das die Industrie. Früher verkaufte sie kleine

Eislollis am stiel. Dann kam das Magnum. Wir

handwerklichen Eishersteller haben da bloß nach-

gezogen. Das half uns, wenn Kunden sagten: Eure

Kugeln sind ja schon wieder teurer geworden. Da

konnten wir antworten: größer aber auch.

ZEIT: Eine Antimogelpackung. sehr nobel, aber

wie rechnet sich das?

Fontanella: Die Rohstoffpreise waren in unserer

Branche nie ein großes Problem. Die folgen der

normalen Entwicklung – mit wenigen Ausnah-

men wie Pistazien oder Vanille. Was teurer wird,

ist die Ladenmiete, technik, das Wasser, der

strom. Früher hat mancher gelatiere das Eis in

seiner Wohnung gemacht, mit einem gaskocher

zum Pasteurisieren. so etwas wäre heute undenk-

bar. und natürlich war die Personalsituation eine

völlig andere.

ZEIT: Weil man die Familie einspannen konnte?

Fontanella: Es waren alle beteiligt. Der Vater mach-

te morgens das Eis, die Mutter kehrte den Laden

aus. Ich ging damals wie die meisten von uns Eis-

macherkindern in Norditalien zur schule und

wohnte bei Verwandten. Da gab es lange sommer-

ferien, von Mitte Juni bis Oktober. Für unsere El-

tern war das ein segen. Zwei tage nach schulschluss

stand ich hier hinter der theke. Dann waren da

noch die Italiener, die wegen der Wirtschaftskrise

nach Deutschland kamen. Die wollten etwas lernen

und möglichst viel geld mit nach Hause bringen.

ZEIT: War das geschäft damals leichter?

Fontanella: Ja. Da gab es in Deutschland die Bier-

kneipe, die Konditorei, die Eisdiele und wenig

dazwischen. Jedes Lokal machte seine sache. Wer

in der sonne sitzen und Espresso trinken wollte,

der kam zu uns. Heute hat selbst der Bäcker

stühle vor der tür. und den Espresso bekom-

men sie gratis beim Optiker, während der Ihre

Brille richtet.

ZEIT: : Haben die gelatieri immer noch das Mo-

nopol auf gutes Eis? Die interessanten Eisdielen in

Hamburg werden alle von Deutschen betrieben.

Fontanella: Ich beobachte auch, dass Deutsche

gerade dabei sind, neue Wege zu gehen. Aber sind

die nicht auch sehr teuer?

ZEIT: In München gibt es einen, der Eis aus Jahr-

gangschampagner herstellt. 30 Euro kostet die

Kugel, angeblich verkauft es sich gut.

Fontanella: Ja, ich kenne den Kollegen. so was

kann man natürlich probieren. Champagnereis

haben wir auch, mit Erdbeer und Papaya. Das

kostet 1,50 Euro, wie alle anderen auch.

ZEIT: Kann man reich werden mit einem Eiscafé?

Fontanella: Die Zeit gab es mal. Heute ist sie,

glaube ich, vorbei. Was ich an gewinn mache, in-

vestiere ich ins geschäft.

ZEIT: sie waren ja nahe dran, sehr früh schon aus-

gesorgt zu haben. Vor fünfzig Jahren haben sie

beim Experimentieren das spaghetti-Eis erfun-

den, das man inzwischen auf der halben Welt

kennt. und sie kamen sogar auf die Idee, es pa-

tentieren zu lassen.

Fontanella: Da ging es mir aber gar nicht ums

geld. Ich war ja erst 17 Jahre alt und suchte die

Anerkennung. Mein Vater hielt das für Quatsch.

Mittlerweile glaube ich, er hat recht behalten. Die-

ser Eisbecher wäre nie so bekannt geworden, wenn

ich ihn mir hätte schützen lassen. Es hat eine Weile

gedauert, aber inzwischen bestreitet keiner mehr,

dass ich ihn erfunden habe. und ich bekomme

den Respekt, um den es mir damals ging.

Das gespräch führte Michael Allmaier

Eiskugeln waren früher billiger, aber auch viel kleiner

Dario Fontanella (67) arbeitet

in dritter generation als

gelatiere, also als handwerklicher

Eishersteller in Mannheim

WIRTSCHAFT 25

Fotos: Westend61; imago (u.)