Die Zeit - 01.08.2019

(Kiana) #1

  1. August 2019 DIE ZEIT No 32


Das Ergebnis: Die geselligen Esserinnen
fühlten sich entspannter, ihre kognitive Kon-
trolle ließ nach, ebenso ihre Fähigkeit, Fehler zu
entdecken. und dieser Effekt ging über die
simple Entspannung dank vollem Bauch hinaus.
Nicht was die Probandinnen gegessen hatten,
machte den unterschied – sondern ob sie es allein
oder mit anderen gemeinsam getan hatten. »Für
exaktes Arbeiten ist die gesellige Mittagspause
mit Kollegen nicht das Beste«, sagt sommer.
»Aber Exaktheit ist natürlich auch manchmal
kontraproduktiv, wenn man zu kritisch, zu pinge-
lig ist.« Wenn statt Fehlersuche soziale Harmonie
oder Kreativität bei der Arbeit gefragt ist, sei der
Lunch mit Kollegen überaus förderlich. sommers
studie zeigte aber auch, dass die geselligen Esse-
rinnen später sensibler auf drohende gesichts-
ausdrücke reagierten. »Wenn die kognitive Kon-
trolle abnimmt, ist man schutzloser gegenüber
Aggressionen«, erklärt der Psychologe. gemein-
sames Essen kann wehrlos machen.
um diese zweischneidigen Wirkungen müs-
sen natürlich auch Politiker wissen. 1955 reiste
Bundeskanzler Konrad Adenauer zu einem offi-
ziellen staatsbesuch in die sowjetunion, dem
ersten seit Ende des Krieges. Die Verhandlungen
hatten es in sich: Es ging um die fast zehntausend
deutschen Kriegsgefangenen und Internierten,
die ein Jahrzehnt nach Kriegsende noch immer
in der sowjetunion ausharrten. Deren Mütter
und Ehefrauen hatten Adenauer unter tränen
angefleht, die Männer nach Hause zu holen.
Doch die gespräche zwischen den sowjets und
den Deutschen stockten tagelang. Erst bei einem
ausgedehnten Abendessen, bei dem prächtig ge-
speist und noch mehr getrunken wurde, kamen
die Verhandlungen in gang – und die gefange-
nen letztlich frei. Womöglich auch wegen eines
tricks, der später als »Olivenöl-Diplomatie« in
die geschichte einging. Adenauer und seine
Leute sollen sich vor dem Essen löffelweise Öl
eingeflößt haben, als innere schutzschicht gegen
die Wirkung des Wodkas.
Der Esstisch ist eben nicht nur ein Ort für
geselligkeit, sondern auch Verhandlungsraum
und Bühne der Macht – im großen wie im
kleinen Kreis. »Die Leute essen ja nicht immer
wunderbar zusammen, auch in der Vergangen-
heit war das nicht so«, sagt der Kulturwissen-
schaftler gunther Hirschfelder von der univer-
sität Regensburg. Er hat eine geschichte der
Ernährung von der steinzeit bis heute geschrie-
ben, unter dem titel Europäische Esskultur. sein
Fazit: »Der Esstisch kann auch ein Ort des
grauens sein.«
Da klagten im 17. Jahrhundert alte Bauers-
leute gegen die eigenen Kinder um einen Platz
am tisch oder ein stück Butter, die ihnen laut
der bäuerlichen Altersversorgung zustanden.
»und im Deutschland der Fünfziger- und sech-
zigerjahre war die tischgemeinschaft oft auch
Zwangsgemeinschaft«, sagt Hirschfelder. Das
gemeinsame Essen wurde zum Druckmittel:
solange du die Füße unter meinen tisch stellst!
»Ich kann mich gut erinnern, dass es früher
den Katzentisch gab, an dem die Kinder saßen«,
erzählt auch die soziologin Eva Barlösius. »und
die durften sich nicht ins tischgespräch einbrin-
gen.« Barlösius ist eine Pionierin, ihre Soziologie
des Essens
erkundete im deutschen sprachraum
erstmals die soziale Dimension der Mahlzeit –
für die studien ging die Forscherin nach Paris.


»Das thema ist in Frankreich angesehener, aus
kulturellen gründen«, sagt sie. »Kein Wunder,
dass Pierre Bourdieu sein Werk Die feinen Unter-
schiede mit dem Essen beginnt«.
In seiner berühmten gesellschaftsstudie zeigt
der französische soziologe, wie sich verschiedene
schichten anhand kleinster Details voneinander
abgrenzen. Das Essen bietet dafür ein weites spiel-
feld. Was und wie jemand isst, zeigt, wer er ist:
Austern- oder Currywurst-Klasse? Wer in den
1990ern ins Kino ging, erinnert sich wohl an
diese szene: Eine schöne Frau schaut bei tisch
rätselnd auf ein Zangenwerkzeug, ihr Begleiter gibt
diskrete Winke. sie rückt mit dem gerät einer
Weinbergschnecke zu Leibe, die sie dann quer
durch den Raum katapultiert. Peinlich berührtes
schweigen der älteren Herrschaften am tisch.
Julia Roberts gehört als Pretty Woman eindeutig
nicht zur Weinbergschnecken-society.

»Beim gemeinsamen Essen geht es auch da-
rum, wer zu mir gehört und wer nicht«, sagt
Barlösius. tafelrunden sind also durchaus zwie-
spältige Veranstaltungen. sie stiften gemein-
schaft, vermitteln das gefühl von Zugehörigkeit
und Aufgehobensein – aber sie grenzen auch
knallhart aus. Das gilt für die Familie am Abend-
brottisch ebenso wie für staatsgäste im schloss
Bellevue. Wer am hintersten tischende platziert
wird, hat nichts zu melden. und wer gar nicht
mit am tisch sitzt, ist auch politisch draußen.
Kein Wunder, dass gästeliste und sitzord-
nung zu den heikelsten Angelegenheiten eines
Banketts gehören. In wochenlanger Vorberei-
tung würden die sitzpläne akribisch ausgeklü-
gelt, erzählt Konrad von Arz aus dem Auswärti-
gen Amt. Wer hat das höhere Dienstalter? Wer

das höhere Amt? Wer kann wen nicht riechen?
»In der Natur nennt man das Hackordnung«,
sagt von Arz. »In extremis können solche Place-
ment-Fragen zu Protest führen.« und er erzählt,
dass manche gäste sich einfach umsetzen, wenn
sie den Eindruck haben, ihr Platz sei zu weit ent-
fernt vom Machtzentrum, also dem gastgeber.
Ein graus für die Kellner, denn die gäste haben
ja Extrawünsche – etwa wegen Allergien und
religiöser speisevorschriften. und plötzlich landet
das schweinesteak auf dem teller des muslimi-
schen Regierungschefs, das Weizenbaguette vor
der glutensensiblen Botschafterin. um Chaos zu
vermeiden, hat sich in der Welt der Diplomatie
daher ein subtilerer Weg etabliert, ernsthaftes
unbehagen über die sitzordnung zu signalisieren:
Man setzt sich an seinen Platz und dreht den
leeren teller um.
Wenn beim Abendessen im Familienkreis
nicht alles nach Plan verläuft, führt das im
schlimmsten Fall zu Zank. Beim offiziellen Ban-
kett kann es staatskrisen auslösen – oder die
Abkehr eines Verbündeten deutlich machen. Im
Oktober 1989 saß Michail gorbatschow zur
Feier des 40. Jahrestags der DDR im Palast der
Republik in Berlin zu tisch. Drinnen servierten
die Kellner Wachtelbrüste auf Maispüree, drau-
ßen marschierten wütende Demonstranten. Mit
der DDR ging es zu Ende. gorbatschow, der
das sinkende schiff so rasch wie möglich verlas-
sen wollte, erhob sich noch vor dem Dessert
und ließ sich zum Flughafen fahren – ein abso-
luter Affront. Konrad von Arz sagt: »In der
sprache der Diplomatie heißt das: Freunde, das
war’s.« Einen Monat später fiel die Berliner
Mauer.
Für die soziologin Eva Barlösius geht es beim
gemeinsamen Essen daher letztlich immer um
die Frage: »Möchten Menschen, die zusammen
am tisch sitzen, sich untereinander wirklich
austauschen?« Fehlt dieser Wille, kann auch das
schönste gericht an der sprachlosigkeit wenig
ändern. Doch ist die Bereitschaft da, bietet eine
gemeinsame tafel den besten Rahmen, soziale
Nähe herzustellen.
Welche Blüten die sehnsucht nach dem ge-
meinsamen Mahl treiben kann, lässt sich in
südkorea beobachten. Dort schlemmen und
schmatzen Youtube-Blogger vor ihrer Webcam –
und tausende, manchmal Zehntausende schau-
en ihnen per Live-schalte zu, jeden tag. »Mok-
Bang« heißt das Phänomen. Die Vor-Esser un-
terhalten sich mit dem Publikum per Chat,
manche verdienen damit sogar geld; viele Zu-
schauer zahlen dafür, ihnen beim Essen zusehen
zu dürfen.
»In südkorea hat die gemeinsame Mahlzeit
einen hohen stellenwert«, erklärt der Kultur-
wissenschaftler gunther Hirschfelder. Das ge-
meinsame Kim-Chi-Essen zum Beispiel sei ein
wichtiges Ritual. Doch als er das Land besuchte,
sei ihm aufgefallen, wie vereinzelt viele Koreaner
lebten und wie viele allein essen müssten, vor
allem in der Hauptstadt seoul. Das könnte die
Beliebtheit von Mok-Bang erklären, meint
Hirschfelder: »Da werden die sozialen Medien
erweitert um die digitale tischgemeinschaft.«
Das Videospiel-Portal twitch hat versucht, das
Modell für den Westen zu kopieren – ohne Er-
folg: selten schalten sich mehr als zehn Voyeure
zu. Für eine tischgemeinschaft braucht es hier
wohl doch noch einen gemeinsamen tisch.

WISSEN 29


Am Anfang


war das Feuer


Die Herdstelle schuf in der steinzeit eine soziale Mitte – und erst
das Kochen machte uns zu Menschen VON URS WILLMANN

B


evor der Frühmensch zum Koch wurde,
ähnelte sein Essensrhythmus dem
snacken von heute: Der Vorläufer des
Homo erectus lief durch die steinzeit-
liche savanne, pflückte hier eine Beere
und dort eine schnecke. Oder er nagte einen Kno-
chen ab, an dem ein Raubtier noch einen Fetzen
verwesendes Fleisch vergessen hatte. Mit Finger-
food aß er sich durch den tag – so wie wir im ge-
hen eine Currywurst vertilgen, auf Vernissagen
Häppchen naschen oder zum Kühlschrank eilen,
um etwas zu schnabulieren.
Erst das Feuer änderte die paläolithischen Ess-
gewohnheiten. Als Buschfeuer dem Frühmenschen
mehrmals die Nahrung angekokelt hatten, bemerkte
er, dass dieser Zustand der Mahlzeit seiner Verdauung
zuträglich war. Das Erhitzen machte schwer ver-
dauliche, ungenießbare oder gar giftige tiere und
Pflanzen bekömmlich. Vor etwa 1,9 Millionen Jahren
lernte der Vorfahr, die Flammen zum Kochen zu
nutzen. Von da an gab es die Herdstelle, um die
herum sich alle Hordenmitglieder zu Mahlzeiten
versammelten – eine neue soziale Mitte.
Der Anthropologe Richard Wrangham von der
Harvard university hält den gebrauch des Feuers
für die zentrale Errungenschaft der menschlichen
Entwicklung: »Wir Menschen sind die kochenden
Affen, geschöpfe des Feuers.« Das grillen, garen
und Rösten von Fleisch und Wurzeln katapultierte
die gattung Homo in die Moderne. Denn so
optimierte er die Energieversorgung seines Körpers:
Das gehirn wuchs, der technische Fortschritt kam
in die Welt. schließlich bildete der Homo sapiens
sogar komplexe gesellschaften. Die Herdstelle war
die Keimzelle der Menschwerdung.
Es war ein weiter Weg vom Barbecue des Früh-
menschen bis zum siebengängigen Festmahl der
Neuzeit. Aber Auswirkungen der gemeinsamen
Nahrungsaufnahme zeigten sich wohl schon früh.
Zum ersten Mal in der geschichte bestand bei der
tafelrunde die Möglichkeit, »zu einer bestimmten
Zeit an einem bestimmten Ort gemeinsam zu
essen«, schreibt der Berkeley-Professor Michael
Pollan im Buch Kochen – eine Naturgeschichte der
Transformation. Zuvor war der Mensch, wie alle
anderen Lebewesen, mit der suche nach roher Kost
beschäftigt. Erst das Herdfeuer provozierte ein
neues Verhalten. Dort, vermutet der Anthropologe
Wrangham, lernte der Mensch nicht nur, die Beute
(die zuvor gemeinsam erlegt worden war) zu teilen,
es geschah noch mehr: Ruhig kauend, stellten die
Frühmenschen Augenkontakt her und übten
selbstbeherrschung – »wir wurden zahmer«.
so trug das gemeinsame speisen zur Harmonisie-
rung in der gruppe bei. solche Verhaltensänderungen
stellen Forscher nicht nur an den menschlichen
spezies fest, auch bei schimpansen geht die Liebe
durch den Magen. Forscher des Max-Planck-Instituts
für evolutionäre Anthropologie stellten fest: Wenn
tiere ihr Futter teilen, steigt im Blut der Oxytocin-
spiegel an – massiv. Dieses »Kuschelhormon« spielt
die zentrale Rolle im Beziehungsleben. Es fördert
soziale Nähe und inspiriert zu Körperlichkeit. Ver-
glichen mit Artgenossen, die ihr Essen nicht teilten,
stieg der Oxytocingehalt im Blut wild lebender
schimpansen auf den fünffachen Wert, nachdem sie
etwa einen stummelaffen gefangen und gemeinsam
verzehrt hatten. Dabei spielte keine Rolle, wer Essen
abgab und wer es empfing; alle am schmaus Betei-
ligten ergötzten sich am Hormonrausch.
Andere nahe Verwandte wissen ebenfalls um
den Wert des teilens. Bonobos etwa lassen lieber
Artgenossen am Essen teilhaben, als alles selbst zu
verputzen. Dies beobachteten Biologen aus North
Carolina im Experiment. sie gaben den Zwerg-
schimpansen Futter – und diese öffneten freiwillig
eine tür, sofern sie wussten, dass dahinter ein Art-
genosse steckt. Danach dinierte man gemeinsam.
solche »Praktiken der alimentären gabe und
gastfreundschaft« zählen für Iris Därmann, Pro-
fessorin für Kulturwissenschaftliche Ästhetik an
der Berliner Humboldt-universität, zu den »äl-
testen, vielleicht unverwüstlichsten und weltweit
verbreitetsten Institutionen, gelegenheiten und
Riten«. sie bewährten sich aufgrund eines beson-
deren Effekts: sie sind »sozialitätsstiftend«.
Besonders emotional, vermutet Michael Pollan,
ging es zu, wenn Menschen sich trafen, um »ein

großes tier zu töten und über dem Feuer zu braten«.
Das Kochen wurde zum »spirituell aufgeladenen
Akt«. Eine beeindruckende Beute taugte zu mehr als
zur sättigung – sie wurde zugleich zum Opfer für eine
gottheit. Religiöse Festessen halten sich bis in unsere
tage, denn sie wirken doppelt identitätsstiftend:
durch Kult plus geteilte Nahrung. Das christliche
Abendmahl hat eine lange Vorgeschichte.
Archäologische Belege für derlei traditionen
finden sich zuhauf. Von der ältesten bekannten
tempelanlage im südostanatolischen göbekli tepe
kennt man vor allem die gigantischen t-förmigen
Pfeiler, bis zu sechs Meter hoch und 16 tonnen
schwer. Doch zu den steinzeitlichen Überresten
gehört auch der Müll gigantischer gelage. Kno-
chen von Rotwild, Auerochsen und Wildeseln ver-
raten, dass dort viel mehr Menschen zu religiösen
Partys zusammenkamen, als in der gegend gelebt
haben können. Mahlsteine, Mörser, steinerne
Kochtöpfe und Braukessel für die Bierproduktion
erzählen von einer Infrastruktur, die vor 11.500
Jahren gewaltige Festgesellschaften verköstigte.
Mehr als 38.000 Knochen von mindestens tau-
send tieren gruben Archäologen auch im bekann-
testen Wallfahrtsort des Altertums aus, in stone-
henge. Vor allem das schwein mundete den Pilgern.
Die größe der abgenagten Knochen verriet den
Wissenschaftlern, welches Fest da mit kollektivem
schlemmen zelebriert wurde: die Wintersonnen-
wende. Denn die meisten tiere waren etwa neun
Monate alt, als sie auf den grill kamen – Ferkel
werden im Frühjahr geboren.
sucht man nach dem Zeitpunkt, an dem das
gemeinsame Essen den Kreis der Verwandtschaft
überschritt, gelangt man zum Beginn der sess-
haftigkeit. Etwa zeitgleich mit den göbekli-tepe-
Feiern fanden sich auch in der Levante Anlässe, bei
denen die Mahlzeiten den familiären Rahmen
sprengten: 71 schildkröten und drei Auerochsen
wurden geschlachtet, als sich vor etwa 12.000 Jah-
ren im heutigen Israel eine Menschengruppe zum
Festmahl in einer Höhle traf. Natalie Munro von
der universität von Connecticut hat die Ereignisse
rekonstruiert. Offenbar waren die tiere gekocht
und dann auseinandergerissen worden. grund war
ein rituelles trauermahl, denn nach dem Fest-
schmaus drapierten die etwa 35 Beteiligten die
Überreste des Mahls rund um die Leiche im grab.
Der grund, warum Menschen damals anfingen,
Fremde zu tisch zu bitten, könnte laut Munro im
rasanten Bevölkerungswachstum jener Zeit gelegen
haben. Zuvor hatten sich die umherziehenden
Kleinverbände in der Landschaft verteilt: »sie
konnten einfach aufstehen und weiterziehen, wenn
es Probleme mit den Nachbarn gab.« Irgendwann
war es aber nicht mehr möglich, allen aus dem Weg
zu gehen. Das gemeinsame tafeln, glaubt Munro,
war der schlüssel zur Harmonie in größeren
gruppen: »solche öffentlichen Events dienten als
gelegenheiten zum spannungsabbau und zur
Festigung sozialer Beziehungen.« Die Menschheit
hatte also lange vor Erfindung der schrift einen
Code gefunden, um Diplomatie zu betreiben.
Der inzwischen verstorbene germanist ger-
hard Neumann befasste sich jahrzehntelang mit
der Kulturgeschichte des Essens. Er stellte fest,
dass sich das gastmahl im Lauf der Zeit zur
»schaltstelle sozialer Energie« entwickelte. Dieses
Instrument wurde sukzessive verbessert – bis es
effizient genug war, sogar größere Konflikte zu
verhindern. Als zum Beispiel 1529 im Zuge der
zahllosen europäischen glaubenskriege die refor-
mierten Zürcher truppen gegen die katholischen
Innerschweizer Kantone marschierten, trafen die
verfeindeten Heere bei Kappel am Albis aufeinan-
der. Während die Anführer noch verhandelten,
wie ein Blutvergießen verhindert werden könnte,
ergriff das Fußvolk die Initiative: Die soldaten
verbrüderten sich, entzündeten exakt auf der
grenze ein Herdfeuer und stellten einen Kochtopf
darauf. Dann warfen beide seiten hinein, was sie
bei sich hatten: Die Zuger hatten Milch, die
Zürcher das Brot. Mit dem so kreierten Friedens-
mahl, der »Kappeler Milchsuppe«, stärkten sich
alle soldaten – und verhinderten Bruderkrieg und
Blutvergießen unter Eidgenossen.

http://www.zeit.de/audio

TITELTHEMA: GEMEINSAM ESSEN


Zum Nach- und Weiterlesen
Wie Staatsbankette – und die dort aufgefahrenen
getränke – die geschichte der Bundesrepublik
beeinflusst haben, erzählt der Politikwissenschaftler
Knut Bergmann in seinem Buch Mit Wein Staat
machen. Der Bericht zur Abendbrot-Studie des

Psychologen Marshall Duke findet sich hier:
https://bit.ly/1QwOkPt. Weitere Quellen zu
den beiden Artikeln und weiterführende Literatur
haben wir für sie auf ZEIT Online zusammen-
gestellt: http://www.zeit.de/gemeinsam-essen-quellen

er Esstisch


kann auch


ein Ort des


Grauens sein


gunther Hirschfelder,
Kulturwissenschaftler

D


Bei den Syrien-Verhandlungen in Istanbul
2018 setzten sich Angela Merkel,
Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdoğan und
Emmanuel Macron an einen Tisch

Foto (Ausschnitt): Kayhan Ozer/Anadolu Agency/Getty Images; Illustrationen: Christina Grob für DIE ZEIT
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