Die Zeit - 01.08.2019

(Kiana) #1

Mailand


E


s ist das Zauberhafte an der
Trinkkultur Italiens, dass man schon
früh am Abend gemütlich antrin-
ken kann. Man nennt das dann
nicht Feierabendbier, sondern Ape-
ritivo, und es handelt sich dabei um ein Ritual,
das nicht den Tag abschließt, sondern den
Abend öffnet. Mailand ist das Zentrum dieser
Kultur, und in dessen Herz soll meine Bar-
Tour starten: zwischen Dom und Scala, in der
Galleria Vittorio Emanuele II, dem glasbekup-
pelten Einkaufspalast, den die Mailänder ihr
Wohnzimmer nennen. 1915 öffnete hier drin
die Bar Camparino, um halb sieben betrete
ich diese mit meiner Begleiterin Margherita.
Wir könnten direkt am Tresen stehen
bleiben, die Mosaike an den Wänden bestaunen
und Oliven aus weißen Schalen löffeln, aber
wir haben reserviert. Eine Dame begrüßt uns
mit Namen und führt uns in eine Art Winter-
garten, der in die Galleria reicht. Die meisten
Drinks sind mit dem hauseigenen Bitterlikör
versetzt, Margherita bestellt also Campari-
Orange. Ich wähle einen Cocktail, zu dem sich
sein Erfinder namentlich bekennt: den Beer
Americano – by Tommaso Cecca.

Der Kellner serviert Oliven, Chips, kleine
Backwaren, dann bringt er ein Weinglas mit
orangefarbener Flüssigkeit, das sei der Ameri-
cano, sagt er, und einen Messbecher mit
Schaum, weißer als sein Sakko, das sei das Bier,
im Shaker steif geschüttelt. Er gießt das eine auf
das andere, langsam und von oben nach unten
rührend. Mehr als von diesem Auftritt ist
Margherita beeindruckt von den eingetrock-
neten Orangenresten an meinem Glas. Schlecht
gespült? Eine Frage, Herr Ober! Natürlich sei
das Absicht, die Schalen sorgten für einen woh-
ligen Duft. Er lächelt, Margherita läuft rot an.
Ich blicke aus dem Fenster, zahllose Shop-
pende ziehen am Dom vorbei. Mir ist, als
sähe ich einen Stummfilm über den Kapita-
lismus, vertont durch die sanften Klänge
eines Straßenmusikers. Dafür zahle ich auch
Kinopreise, 3-D-Vorführung, 18 Euro je
Drink. Bevor der Film endet, fragen wir den
Kellner nach einer Empfehlung für die
nächste Bar. Er verweist uns an einen Herrn
am Tresen, schwarzer Anzug, der Manager.
Der drapiert gerade Blattgold auf einem Eis-
würfel, dann stellt er sich vor: Tommaso
Cecca, der Erfinder des Beer Americano!

Natürlich habe er eine Empfehlung, 1930,
ein Speak easy. Aber da bräuchten wir eine
Reser vierung. Wann wir denn hinwollten? Ach
so, gleich heute. Er tippt eine Nachricht in sein
Handy. Alles klar: halb zehn.
Zwei Metrostationen und eine Pizza später
stehen wir in einer Seitenstraße und finden das
1930 nicht. Durch ein Schaufenster scheint
fahles Licht auf diese Bambuskörbe, in denen
Chinesen gewöhnlich ihre Teigtaschen
dämpfen, es sieht aus wie ein Imbiss. Hier
seien wir richtig, entgegnet der Mann hinter
dem Tresen auf unsere Frage nach dem Weg.
Ob wir eine Reservierung hätten? Wir nennen
unsere Namen, und schon tritt ein Mann
durch eine weiße Holztür am Ende des Raumes
und bittet uns hindurch, direkt hinein in die
1930er-Jahre. Ein Klavier, eine Nähmaschine,
ein Grammofon stehen hier, es läuft Swing-
Musik. Wir lassen uns in Armsessel fallen, ent-
spannt, als säßen wir in einem Wohnzimmer.
Der Kellner bringt das Menü, eine Land-
karte auf einem Stück Leder, an zwei Hölzern
aufgerollt. Es folgt ein recht komplizierter Vor-
trag darüber, wie man auf all die Cocktails
gekommen war; es handle sich um elf Klassiker

des Hauses und elf geografische Neuinterpreta-
tionen derselben. Ich bestelle einen Ce viche,
Margherita nimmt einen Light house of Spain.
Der eine kommt im Tonbecher, der andere
im Coupe glas, darin nur Flüssigkeit. Es ist alles
komplizierter, als es aussieht, also führt uns der
Kellner in die Herstellung von Sirup aus
Bienen wachs und die malolaktische Fermen-
tation der Ananas ein. Das könnte alles sehr
anstrengend sein, aber er trägt das mitreißend
vor. Dazu sind beide Drinks wirklich fein ab-
gemischt, mein Ce viche hat eine subtile Note
von Ananas und Chili, ohne den Drink zu er-
schlagen. Wir könnten hier gut bis Laden-
schluss sitzen bleiben, und so bedauern wir es,
dass wir schon bald die Bar wechseln werden.
Wir bräuchten nur ein paar Straßen weiterzu-
gehen, heißt es, dort fänden wir das Nottingham
Forest, eine der hundert besten Bars der Welt.
Aber es werde wohl eine Schlange geben.
Stimmt. Vor Ort notiert ein Kellner unsere
Namen, 30 Minuten später ruft er uns auf.
Drinnen an der Wand erblicke ich einen
Rinderschädel, den Kopf eines Schwertfischs,
einen Kuhschwanz. Die Karte ist locker
20 Seiten lang, es gibt viel zu lesen, zu viel, und

so mag es auch dieser Überforderung geschul-
det sein, dass ich nach langem Blättern einen
Cocktail bestelle, der Mundhygiene heißt.
Ein Tablett kommt, darauf eine kleine Tube
Zahnpasta, eine Zahnbürste und ein Seifen-
spender. Ich öffne die Tube, presse eine cremige
weiße Substanz heraus auf den Kopf meiner
Bürste und beginne sie in meinem Mund zu
verteilen, mit kreisenden Bewegungen, immer
vom Zahnfleisch wegputzend. Es ist wahr: Ich
putze mir in einer Bar mit einem zur Paste kon-
zentrierten Mojito die Zähne! Nach jedem
Durchgang spüle ich mit der Wodka-Tonic-
Mischung aus dem Seifenspender nach.
Margherita beobachtet die Szene mit Skepsis.
Die öffentliche Mundhygiene fühlt sich so
unangenehm an, wie man erwarten würde. Ich
putze meine Zähne also etwas verschämt, mit
unter den Tresen gesenktem Kopf. Außerdem
steigt mir der Alkohol, vermutlich durch die
Einarbeitung ins Zahnfleisch, rasend schnell zu
Kopf. Um halb eins nehme ich daher das
Zähne putzen als das an, was es in seiner eigent-
lichen Bedeutung auch ist: eine den Tag be-
schließende Handlung, ein Anti-Aperitivo, der
letzte Zwischenstopp auf dem Weg ins Bett.

Barkeeper weisen den Weg durch die Nacht: JOHANNES MITTERER putzt sich mit einem Mojito die Zähne


IN DREI DRINKS DURCH


Fotos: Alessandro Gandolfi für DIE ZEIT; Illustration: Oriana Fenwick für DIE ZEIT

C A M PA R I N O


Piazza Duomo 21
Mo 8 bis 21 Uhr; Di–Fr 8 bis 22 Uhr
Sa/So 8.30 bis 21 Uhr

19 3 0


Via Pasquale Sottocorno 19
So–Do 18.30 bis 2.30 Uhr
Fr–Sa 21.30 bis 4 Uhr

NOTTINGHAM FOREST


Viale Piave 1
Di–Sa 18.30 bis 2 Uhr
So 18 bis 1 Uhr

D


er Schweinehund reist immer mit.
Im Urlaub hat man ja endlich
mehr Zeit – also auch für Sport,
oder? Joggen am Strand, das Fit-
nessstudio im Hotel, der Pool, es scheint, als
würde jede Reise die Vorsätze fürs neue Jahr
reaktivieren. Aber dann bleibt es doch nur
beim Vorsatz. Die Badehose wird bloß zum
Planschen angezogen, und die Geräte im Hotel-
Gym lernt man nie aus der Nähe kennen.
So viel, wie ich reise, bleibt mir allerdings
nichts anderes übrig: Ich muss unterwegs Sport
machen. Weil das auch meine Freunde wissen,
habe ich zuletzt immer wieder mobile Sport-
geräte geschenkt bekommen. Sogenannte »Kett-
lebells«-Gewichte zum Beispiel, die im Sport-
studio in unerhörten Gewichtsklassen verwen-
det werden. Die Reiseversion wiegt nur 200
Gramm, ein Säckchen mit Griff, in das man
Sand füllen kann, bis es 15 Kilogramm wiegt.

Oder Thera-Bänder aus Gummi, gerade mal
50 Gramm pro Stück, perfekt fürs Handepäck
und für einfach aussehende, aber schwer nach-
zumachende Dehnübungen. Das noch etwas
komplexere Band- und Schlingensystem TRX,
das man in die Zimmertür klemmen kann, um
allerlei Übungen darin zu machen, flößt mir
besonderen Respekt ein. Hätte ich es nichts-
ahnend in einem Hotelzimmer vorgefunden,
ich hätte wahrscheinlich die Polizei verständigt.
Bis auf das Sand-Gewicht, das ich mal für
ein Instagram-Foto verwendet habe, ist keines
dieser Hilfsmittel je zum Einsatz gekommen.
Mein Schweinehund war immer stärker.
Ich habe es auch erfolglos mit Sporttrainern
in Appform versucht, die einen zum täglichen
Work-out aufrufen. Die einzige App, die ich
länger als einen Muskelkater benutzt habe, ist
»7 Minutes to Hell«. Die App beschimpft einen
als Fettsack und ist generell recht gemein. Da

Wie bleibe ich


unterwegs fit?


REISEWISSEN

hat mein Schweinehund gekuscht – aber auch
nur kurz. Der einzige Vorteil von Apps wie
Runtastic ist, dass sie Treffen mit lokalen Sport-
oder Fitness-Gruppen ermöglichen. Das habe
ich allerdings selbst noch nie ausprobiert.
Ich habe stattdessen eine andere Lösung
gefunden. Die mag naiv klingen, funktioniert
für mich aber wunderbar: Man sollte den Sport,
den man zu Hause macht, einfach unterwegs
weitermachen. Gleiche Sportart, gleiche Uhr-
zeit, gleiche Ausrüstung. Mehr ist nicht nötig.
Im Oktober vergangenen Jahres habe ich
wieder mit dem Schwimmen begonnen. Früher,
als es die DDR noch gab, war ich ein kindlicher
Leistungsschwimmer. Heute, mit fast 40, pro-
fitiere ich davon. Ich gehe nun in den frühen
Morgenstunden in Schwimmhallen rund um
den Globus. Muss in Japan meine Tattoos über-
kleben, weil nur die japanische Mafia Tätowie-
rungen trägt. Lerne in Belgrad, dass auf 50-Me-

ter-Bahnen quer geschwommen wird (also
25 Meter) und es keine nach Geschlechtern
getrennten Umkleiden gibt. In Schwäbisch
Gmünd hatte ich eine extravagante Sechziger-
jahre-Schwimmhalle fast für mich allein. Kürz-
lich war ich in Bagdad schwimmen, eine
33-Meter-Bahn direkt vor dem Diplomaten-
Hotel. 25 Dollar Eintritt, aber es lohnte: Wann
schwimmt man schon mal mit einem korea-
nischen Diplomaten und zehn Bodyguards?
Seit der Sport auch eine Suche nach Sehens-
würdigkeiten ist, bin ich sehr diszipliniert. Ich
habe unbekannte Orte entdeckt, ungeahnte
Muskeln, und den Schweinehund besiegt.

Thilo Mischke ist 150 Tage im Jahr
unterwegs. Hier gibt er in loser Folge im
Wechsel mit Stefan Nink seine
Tipps und Erfahrungen weiter

ANZEIGE



  1. AUGUST 2019 DIE ZEIT No 32 51


Urlaub mit


Vorfreude-Plus:


DerA-ROSA


Super-Frühbucher


istda!


Buch en Sie jetzt schon ab 94€p.P./Nacht*
IhreA -ROSAAuszeitauf http://www.a-rosa-resorts.de
oder telefonischunter +49 40 300322-372.

*Preisbeispiel für November 2019 im A-ROSA Scharmützelsee; Preis proPerson im Doppelzimmer Superior mit Halbpension, inkl. Super-
Frühbucher-Vorteil, auf Anfrage und nachVerfügbarkeit, Einzelzimmer-,Wochenend-, Kategorie- und saisonale Aufschläge,
nicht kombinierbar mit anderen Angeboten. BesondereBuchungsbedingungen. Reisezeitraum: 01. November 2019 bis 30. April 2020.
DSR Hotel Holding GmbH·A-ROS AResorts&Hideaways·Lange Straße 1a·18055 Rostock

bis zum

15. September 2019


40 €
pro Zimmer und
Nacht SPAREN

Reisezeitraum:


  • 01. November 2019
    bis30. April 2020

Free download pdf