Die Zeit - 01.08.2019

(Kiana) #1

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56 CHANCEN 1. August 2019 DIE ZEIT No^32


E


inmal wurde Jesper Juul von verzweifelten
Betreuern in ein Heim gerufen. sie sollten
sich um schulschwänzer kümmern, sie
dazu bringen, wieder den unterricht zu
besuchen. Doch die Jugendlichen blieben im
Bett – egal was die Betreuer machten. Die situation
eskalierte, viele der Erzieher wollten kündigen, die
Heimleitung wusste nicht mehr weiter.
Jesper Juul verbrachte vier tage in dem Heim.
Er setzte sich mit den Erziehern zusammen und
übte mit ihnen ein gespräch ein, das diese auch
mit den Jugendlichen führen sollten. Dessen Kern-
botschaft lautete: »Nach dem gesetz müsst ihr zur
schule gehen. Wir wissen, dass ihr dazu keine Lust
habt. Ihr bekommt drei Wochen Zeit und könnt
mit uns sprechen. Aber ihr entscheidet, ob ihr zur
schule gehen wollt oder nicht.« Die Jugendlichen
waren verdattert: »Was? und wenn wir nicht ge-
hen? gibt es dann Konsequenzen?« – »Nein«, sag-
ten die Erzieher. Auch das war die Idee von Jesper
Juul gewesen: Wenn die Jugendlichen nicht in den
unterricht wollten, dann mussten sie nicht.
»Die Betreuer sollten die Verantwortung für den
schulbesuch an die Jugendlichen zurückgeben«,
schrieb Jesper Juul später über seine strategie. sie ging
tatsächlich auf. Die meisten schüler standen morgens
nun auf. und auch den Betreuern ging es besser, sie
sparten Zeit, Kraft und Nerven.


Kleine Sorgen, große Sorgen – Juul nahm
sie alle ernst


Mit seinem Rat hat Jesper Juul nicht nur professio-
nellen Erziehern zur seite gestanden, sondern einer
ganzen generation von Müttern und Vätern, Päda-
goginnen und therapeuten. tausenden hat er zu-
gehört, sie haben ihm gemailt und seine seminare
besucht oder seine gruppentherapien. sie haben
ihm von ihren Kindern erzählt, die abends keine
Zähne putzen und sich morgens nicht die schuhe
anziehen wollten, die ihre Eltern beschimpften
oder gar nicht mehr sprachen.
Kleine sorgen, große sorgen – Juul nahm jede
einzelne ernst. und zeigte dabei, dass sie oft wenig
mit den Kindern zu tun haben, aber umso mehr mit
den Erwachsenen.
seine thesen haben viele Eltern dazu gebracht,
über ihre Beziehung zu ihren töchtern und söh-
nen nachzudenken. Über Erwartungen und Ernst-
nehmen. »sehe ich mein Kind? Höre ich ihm zu?«
Juuls tipps, wie man Kinder stärkt, überraschen
(»tue nie Dinge für sie, die sie auch für sich selbst
tun können«) und provozieren (»Das Leben der
Eltern rotiert absolut um die Kinder«). Probleme
hatten in seinen Augen oft den gleichen ursprung,


ob es ums Fingernägelschneiden oder ums Lügen
geht: Die Erwachsenen erkennen die soziale Kom-
petenz von Kindern und Jugendlichen nicht an.
Jesper Juuls Haltung passte damit in die Zeit. Nie
wurden Kinder ernster genommen als heute. seit
1990 legt die uN-Kinderrechtskonvention gewisse
standards zu ihrem schutz fest. Zehn Jahre später
ging die Bundesrepublik noch einen schritt weiter.
seither ist es hierzulande verboten, seine Kinder zu
schlagen. Dazwischen, im Jahr 1997, veröffentlichte
Juul sein erstes Buch in Deutschland, Das kompetente

Kind. Darin skizziert er seine Erziehungsvor-
stellungen. Etwa, dass man Kindern zuhören und sie
verstehen, ihre Wünsche in den Entscheidungsprozess
einbeziehen sollte. Es sind Vorschläge, die mittler-
weile auch von anderen Fachleuten geteilt werden.
In Elternschulen und bei Kinderärzten werden seine
Bücher empfohlen, Was Familien trägt etwa oder Vo m
Gehorsam zur Verantwortung.
Die Elterngeneration, für die Jesper Juul seine
Bücher schrieb, will weg von autoritärer Erziehung,
ist an der freien Willensbildung ihrer Kinder interes-
siert. Immer wieder wies Juul selbst auf diesen Wan-

del hin. gleichzeitig zeigte er, in welchen Wider-
sprüchen diese generation gefangen ist. Denn viele
Erwachsene sind selbst dazu erzogen worden, sich
anzupassen. sie wissen nicht, wie man vermeidet, ein
Kind nach den eigenen Vorstellungen zu formen, und
ihm stattdessen hilft, eine selbstständige Persönlich-
keit zu sein. Hinzu kommt, dass die gegenwart selbst
oftmals den elterlichen Idealen entgegensteht. soll
man dem eigenen Kind wirklich zu Eigensinnigkeit
raten, wenn im späteren Leben, etwa im Job, vor
allem Leistung erwartet wird?

Jesper Juul war sich dieser Widersprüche bewusst,
er verkörperte sie sogar: in seiner Erscheinung und im
Lebensstil, als übergewichtiger Mann, der Kette
rauchte. Auch mit seiner Biografie. 1948 wurde er im
Nachkriegs-Dänemark geboren. seine eigenen Eltern
projizierten Erwartungen auf ihn, die mit ihm, wie er
fand, nichts zu tun hatten. Die Mutter wollte, dass er
etwas Vernünftiges machte, gute Noten schrieb. Er
war lieber im Wald. Als junger Mann fuhr er zur see,
arbeitete als Koch und Barkeeper, später studierte er
geschichte und Religion, wollte Lehrer werden. Als
1973 sein sohn Nicolai geboren wurde, wollte er alles

anders machen als die eigenen Eltern. Doch er sei,
sagte er später, einer der furchtbarsten Väter gewesen,
die man sich vorstellen könne: »Ich war ungeduldig
und reizbar.« Auch warb er für eine innige Beziehung
zwischen Eltern (Liebende bleiben, 2017); seine eige-
nen beiden Ehen scheiterten.
seinem Erfolg tat das keinen Abbruch. Nach
seiner Ausbildung als Familientherapeut gründete
Juul 1979 das »Kempler-Institut für Familientherapie
und Beratung«. 2006 kam das »Familylab« hinzu, ein
Beratungsnetzwerk für Familien. Juul reiste durch

Europa, hielt Vorträge in ausverkauften sälen, saß in
talkshows. 2012 brach bei ihm transverse Myelitis
aus, eine seltene Nervenkrankheit. sie lähmte ihn von
der Brust abwärts. Er arbeitete weiter, beriet Familien
jetzt per E-Mail. 2015 brach er zusammen, wegen
eines Luftröhrenschnitts konnte er mehrere Jahre lang
nicht sprechen.
Jesper Juul hat sich geweigert, Kinder als unfertige
Menschen anzusehen. Die erzogen werden müssen,
damit sie funktionieren. sie seien immer auf ihre
Weise »kompetent«, sagte er, könnten von Beginn an
gefühle und Wünsche zeigen. Ein Baby dreht nach

drei Löffeln Brei den Kopf weg? Offensichtlich ist es
satt. Eltern, so Juul, würden dies oft nicht glauben.
Dabei, so der therapeut, wüssten Eltern und Erzieher
trotz ihres Erfahrungsvorsprungs nicht besser als das
Kind selbst, was dieses möchte und wie es ihm geht.
Darin folgte Juul dem amerikanischen säuglings-
forscher Daniel stern.

Gegen einen antiautoritären Erziehungsstil
hat er sich zeitlebens ausgesprochen

Juuls therapeutischer Ansatz war systemisch: Er
schaute auf die Eltern. Wenn sich aus ihrer sicht das
eigene Kind »falsch« verhielt, lud Juul sie zum Per-
spektivwechsel ein und fragte: Wie verhalten sie
sich als Eltern in der situation? Versuchen sie, über
das Kind zu bestimmen? Dann könnte es sein, dass
sich das Kind das autoritäre Verhalten abschaut.
»Kinder machen nicht das, was wir sagen, sondern
das, was wir tun«, auch das war einer seiner einpräg-
samen Leitsätze.
Dabei hat Juul sich zeitlebens gegen einen anti-
auto ri tä ren Erziehungsstil ausgesprochen. Kinder
brauchen Führung, das betonte er immer wieder. sie
seien außerstande, Verantwortung für zwischen-
menschliche Prozesse zu übernehmen. Eltern müssten
sie dabei begleiten, ihr selbstwertgefühl zu finden –
Hirnforscher pflichten ihm hier bei. Nein aus Liebe
(2008) heißt eines seiner meistzitierten Bücher. In
einem seiner letzten führt er die »Leitwölfin« als
Metapher ein (2016), eine familienorientierte Person,
die nicht fürchtet, als egoistisch zu gelten, wenn sie
ihren Kindern grenzen aufzeigt.
Juul hat oft gefordert, dass Eltern von ihren
Kindern lernen sollten, gute Eltern zu sein. Doch
»Eltern beobachten andere Eltern, so entwickeln
sie eine Vorstellung davon, wie sie handeln müs-
sen, um als gute Eltern zu gelten«. Das Kind soll
eine Matschhose anziehen wie alle Kinder – und
weigert sich? Bestehe ich als Mutter auf der Hose?
Wenn ja – warum? Weil ich das wirklich will oder
weil ich Angst habe, was andere Eltern von mir
denken könnten? Wenn Eltern von etwas nicht
überzeugt sind, spüren Kinder das – und begehren
auf. Juuls tipp: Lieber gleich lassen.
»Wenn Eltern sich damit abfinden, gut genug
für ihre Kinder zu sein, dann ist schon viel gewon-
nen.« Mit diesen sätzen hat er viele Mütter und
Väter entlastet. und ihnen eine andere Aufgabe
gegeben: sich selbst kennenzulernen.
Jesper Juul ist vergangenen Donnerstag mit
71 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung
gestorben.

http://www.zeit.de/audio

NACHRUF


Jesper Juul
* 18. 04. 1948
† 25. 07. 2019

Der


Elternf lüsterer


Foto: Franz Bischof/laif

Der Däne Jesper Juul war der star unter den
Familientherapeuten. Wohl auch, weil er
um Widersprüche der Erziehung wusste.
Ein Nachruf VON SARAH SCHASCHEK
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