Die Zeit - 01.08.2019

(Kiana) #1

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Harald Martenstein


Über Kritik an seiner Hautfarbe


und das Nachplappern modischer Ansichten


Illustration Martin Fengel
Zu hören unter http://www.zeit.de/audio

Harald Martenstein


ist Redakteur des »Tagesspiegels«


Neulich bekam ich einen Leserbrief, in dem mir wieder mal vor­
geworfen wurde, dass ich weiß bin. Wenn ich die Formulierung
»weißer Mann« lese oder höre, als negative Kennzeichnung einer
Person, schalte ich sofort ab. Ich denke dann nämlich, dass es sich
bei meinem Gegenüber um einen Dummdödel handelt. Ich habe
den Brief autor gegoogelt. Er ist selber weiß! War ihm dieser Wider­
spruch nicht aufgefallen? Vielleicht denkt er, dass Hautfarbe nur
eine soziale Kon struk tion ist, und empfindet sich als Schwarzer.
Aber woher will er wissen, dass es bei mir nicht genauso ist? Auch
schwarze Autoren können Unfug schreiben.
Ein Weißer, der anderen Weißen ihr Weißsein vorwirft, könnte
unter Selbsthass leiden, über den jüdischen Selbsthass wurde ja
einiges geschrieben. Wahrscheinlicher aber ist, dass er so denkt:
Ich bin einer von den guten Weißen. Ich problematisiere mein
Weißsein. Wir sind privilegiert. Wir sind schuldig, an dem ganzen
Unglück auf der Welt. Menschen, sage ich dazu, können nicht
durch den Zufall der Geburt oder durch ihr Aussehen schuldig,
minderwertig oder verurteilenswert sein. Wer so denkt, sollte sich
klarmachen, dass er Rassist ist. Ein moderner Rassist, sozusagen
die vegane Ver sion.
Es ist ja leicht zu erkennen, dass auch die Leute am unteren Ende
unserer Gesellschaft häufig weiß sind. Die These, dass diese Haut­
farbe einen automatisch reich und mächtig macht, stimmt also
nicht. Es ist aber auch leicht zu erkennen, dass die Weißen unter
den Mächtigen und Reichen der Welt überrepräsentiert sind. Ten­
denziell ändert es sich. Wie ist es überhaupt dazu gekommen?
Imperialismus, Kolonialismus, Raub von Kunstwerken, Sklavenhal­
tung, das alles hat es auch in der frühen Geschichte Afrikas, Asiens


oder Lateinamerikas gegeben. Die Azteken zum Beispiel waren
mindestens ebenso unangenehme Imperialisten wie die Engländer.
Krieg und Unterdrückung sind keine weißen Erfindungen, sie sind
leider Konstanten der Geschichte. Deren Gesetz hieß über Jahrtau­
sende: The winner takes it all. Weiße haben die Welt erobert, weil sie
die Stärksten waren, sie waren nicht böser, nur stärker. Europa hatte
einen Vorsprung, der mit vielen Faktoren zusammenhängt, sogar
mit den Bildungsidealen der Antike und dem Klima.
Gleichzeitig haben Europäer ihren Bildungsvorsprung dazu aus­
genutzt, Traktate für die Menschenrechte zu schreiben. Weiße
Männer haben angefangen, das Recht des Stärkeren kritisch zu se­
hen. Sie haben die moderne Medizin und tausend andere nützliche
Erfindungen auf den Weg gebracht. Die anderen waren nicht zu
blöd zum Erfinden, sie hatten nicht die Chance dazu. Wären sie
aber bessere Weltherrscher gewesen? Dafür spricht wenig.
Die Verwendung von »weißer Mann« als Negativkennzeichnung hat
sich so durchgesetzt, dass niemand mehr darüber nachdenkt. Das
geht schon automatisch. Der weiße Mann ist eines der neuen Feind­
bilder, die im Milieu der Gebildeten alte Feindbilder teilweise ersetzt
haben. Über Ressentiments darf man ja keinesfalls nachdenken.
Sonst fallen sie in sich zusammen wie ein missglücktes Soufflee.
Immer wenn mal wieder eine Straße umbenannt wird, weil einer im
Jahre 1905 oder so die Irrtümer seiner Epoche geteilt hat, denke ich:
Wir sind doch genauso. Wir plappern auch alles nach, vor allem wenn
es der Karriere nützt. Auch das Recht des Stärkeren ist immer noch
modern, heute machen halt andere davon Gebrauch. Insofern habe
ich viel Verständnis für Menschen mit hellbraunem Teint, die von
sich behaupten, sie seien nicht weiß, obwohl sie’s besser wissen.
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