Die Zeit - 01.08.2019

(Kiana) #1

25


Sophie Passmann


Alles oder nichts (Folge 8): Wer zwinkert,


findet unsere Kolumnistin, drängt dem anderen ungefragt das


Aufbäumen des eigenen Selbstbewusstseins auf


Menschen, die zwinkern, haben unser Misstrauen verdient. Es ist
eine schäbige Geste, sie sorgt für Unwohlsein, Verwirrung, Scham,
betretenes Schweigen. Ich wurde schon so oft angezwinkert im Laufe
meines Lebens, nie ist es dadurch schöner geworden.
Zwinkern tut so, als sei es ein kleiner Gag, ein netter Tick zwischen
zwei gleichberechtigten Menschen. In Wahrheit aber treffen ja nie
zwei Menschen eine Absprache, dass der eine den anderen bitte
irgendwann in der Öffentlichkeit klandestin anzwinkert. Nein, es
ist immer eine Partei allein, die sich dafür entscheidet, ungeachtet
des möglichen Unwohlseins der anderen wild in der Welt rum-
zuzwinkern. Wer zwinkert, drängt einem Mitmenschen ungefragt
das antrainierte Aufbäumen des eigenen Selbstbewusstseins auf.
Niemand weiß, wie ein Zwinkern gemeint ist, es kann ein Zeichen
der Vertrautheit sein oder der Versuch, allen Anwesenden im Raum
zu beweisen, dass man sich gerade wirklich echt traut, einen ande-
ren Menschen anzuflirten. Zwinkern tut so, als sei zwischen zwei
Menschen ganz viel sicher, dabei weiß mindestens die Hälfte der
Party nicht, was zur Hölle gerade eigentlich los ist.
Es fängt schon damit an, dass Zwinkern behauptet, lässig zu sein,
aber Lässigkeit und Zwinkern schließen sich aus, es ist immer an-
trainiert, es ist immer angestrengt, es will immer ein bisschen zu viel
und schafft dabei viel zu wenig. Und genau diese Gewissheit nimmt
dem Zwinkern ja das Intime, Plötzliche und vielleicht auch Roman-
tische. Wer angezwinkert wird, weiß, dass das Gegenüber das nicht
spontan, aus einer Laune heraus getan hat, es hat diese tolle Geste
geübt, vermutlich vor dem Spiegel, mit dem festen Vorsatz, sie frü-
her oder später seinen Mitmenschen aufzudrängen.
Meiner Erfahrung nach sind Menschen, die zwinkern, in der Regel
Männer, die von sich selbst sagen, sie seien »Macher« und sprächen
»fließend Ironisch«. Sie sind meistens völlig unironisch, und »ma-
chen« tun sie auch nicht viel, außer eben zwinkern. Menschen, die
zwinkern, tun es absichtlich, und zwar weil sie im völligen Irrglau-
ben sind, dass diese Geste mutig, witzig oder flirty sei. Zwinkern


ist aber null mutig, weil es sich in der Heimlichkeit des Moments
ausruht, das Zwinkern lässt sich bereits einen Augenaufschlag später
dementieren, es gibt fast nie einen Videobeweis.
Und Zwinkern ist eben auch ganz sicher kein Flirten. Man könnte
das schnell denken, weil es in Zeiten von verklemmt digitalem Tin-
dern wie eine mutige analoge Interessensbekundung wirkt. Aber wer
an seinem Gegenüber wirklich interessiert ist, wer flirten will, fragt
nach einer Zigarette, obwohl er nicht raucht, redet über belanglose
Kunst, die an der Wand hängt, oder hört sich Restauranttipps für
den südlichen Teil Amalfis an, den er nie besuchen wird. Wer flirten
will, macht buchstäblich alles, außer blöd zu zwinkern. Ein Flirt be-
ginnt nie mit Zwinkern. Sexuelle Belästigung beginnt mit Zwinkern
oder diese Sache, wo Frauen in einer Bar sitzen und sich den ganzen
Abend anstrengen müssen, nicht mehr in eine Ecke des Raums zu
schauen, weil in der ein geifernder älterer Herr sitzt, der gerne ein
bisschen rumzwinkern würde.
Das klingt jetzt vielleicht wie überempfindliches Millennial-
Gehabe, ich sehe bereits vor mir, wie Männer im Alter meines
Vaters diesen Text lesen und genervt den Kopf schütteln, »darf
man heutzutage also nicht mal mehr zwinkern, meine Herren,
man meint es doch nur gut«. Aber die Sache ist die: Wer zwinkert,
meint es nicht gut mit dem Gegenüber, nur mit sich selbst. Zwin-
kern ist immer eng verbunden mit Unwohlsein und Ir ri ta tion für
mindestens einen Menschen. Aber gut: Zwinkert doch weiter – ich
schaue dann halt weg.

Foto Paula Winkler

In dieser Kolumne schreibt die Autorin und
Radio moderatorin Sophie Passmann, 25, regelmäßig
über Dinge, die sie entweder mag oder eben nicht
Free download pdf