Süddeutsche Zeitung - 08.08.2019

(Darren Dugan) #1
München– Diedauerhaft niedrigen Zin-
sen werden zunehmend zu einer Belas-
tung für Unternehmen in Deutschland. Sie
führen dazu, dass die Lücke bei den Pensi-
onsverpflichtungen der 30 Dax-Konzerne
derzeit so groß ist wie noch nie. Das zeigt ei-
ne Studie der Fondsgesellschaft Flossbach
von Storch, die der SZ vorliegt. Demnach la-
gen die Pensionslasten Mitte des Jahres
bei rund 400 Milliarden Euro. Nur rund
250 Milliarden Euro davon sind an dafür
ausgelagerten Vermögenswerten vorhan-
den. Demnach klaffte Ende Juni eine Pensi-
onslücke von 146 Milliarden Euro, 27 Milli-
arden mehr als ein halbes Jahr zuvor.
Bei den Pensionszusagen handelt es
sich um die Betriebsrenten für Arbeitneh-
mer, aber auch um die Altersvorsorge für
die Vorstände. „Die Unternehmen haben
es versäumt, in der Vergangenheit die nöti-
gen Mittel dafür zurückzulegen“, sagt Kai
Lehmann, der Autor der Studie. Laut Ge-
setz seien sie in Deutschland nicht gezwun-
gen, ihre Verpflichtungen auszufinanzie-
ren. Da die Verpflichtungen bei den meis-
ten Dax-Konzernen erst in durchschnitt-
lich 15 bis 20 Jahren fällig werden, zeigen
die Unternehmen nicht den vollen Umfang
ihrer Verpflichtungen. Vielmehr zinsen sie
diese mit einem Rechnungszins ab.
Die niedrigen Zinsen sorgen dafür, dass
die Lücke zwischen dem vorhandenen Ver-
mögen der Konzerne und den Pensions-
verpflichtungen immer größer wird. So
sind die Zinsen in diesem Jahr auf den Kapi-
talmärkten weiter deutlich gesunken. Das

führt dazu, dass die Unternehmen auch
niedrigere Rechnungszinsen für die künfti-
ge Entwicklung ihres Vermögens anneh-
men müssen. Laut den Geschäftsberichten
lag dieser Rechnungszins bei den Dax-Kon-
zernen zum Ende des Jahres 2018 im Durch-
schnitt bei 2,2 Prozent. Wegen des Zinsrut-
sches muss laut der Studie nun aber ein um
0,75 Prozentpunkte niedrigerer Rech-
nungszins angesetzt werden. Das gehe aus

den Halbjahresberichten der Konzerne her-
vor. Die höheren Aktienkurse im ersten
Halbjahr konnten diese Entwicklung nicht
auffangen, zumal die Unternehmen das
Pensionsvermögen überwiegend in kaum
verzinste Anleihen angelegt haben.
Die Pensionsverpflichtungen der einzel-
nen Dax-Unternehmen sind sehr unter-
schiedlich. Spitzenreiter ist der Volkswa-
gen-Konzern, der seinen Mitarbeitern ins-
gesamt schätzungsweise 50,6 Milliarden
Euro an Pensionen zugesagt hat. Allein im
ersten Halbjahr 2019 dürften die Verpflich-
tungen wegen des Zins-Effektes um
6,7 Milliarden Euro gewachsen sein. Bei
Siemens zeigt die Analyse eine Erhöhung
um 3,5 Milliarden auf 39,5 Milliarden Eu-
ro, bei Daimler um 3,8 Milliarden auf
35,4 Milliarden. Bei Konzernen wie Adi-
das, Deutsche Börse oder Vonovia liegen
die Pensionslasten dagegen bei weniger
als einer Milliarde Euro.
Auslöser des Problems sind die jüngs-
ten Zinsentscheidungen der Notenbanken.
Wegen der schwierigen Lage der Weltkon-
junktur haben sie die Wende zu höheren
Zinsen faktisch abgesagt. Die Zeichen ste-
hen auf sinkende Zinsen. Die Kapitalmärk-
te haben dies mit einem deutlichen Zins-
rutsch vorweggenommen. „Wir sehen auf
Jahre hinaus keine Zinswende“, sagt Studi-
enautor Lehmann. Und selbst wenn in fünf
Jahren die Zinsen wieder bei drei Prozent
lägen, würde dies auf der anderen Seite
nichts Gutes für die Kursentwicklung der
ausgelagerten Vermögenswerte vermuten

lassen; die Pensionslücke also bleibe. „Wie
man es auch dreht und wendet: Es sieht
nicht gut aus für die Unternehmen“, sagt
Lehman. Jetzt räche es sich, dass sie nicht
genug Geld zurückgelegt hätten.
Die Betriebsrenten sind deshalb nicht in
Gefahr. Wenn ein Unternehmen nicht
mehr zahlen könnte, würde der Pensionssi-
cherungsverein einspringen. „Aber die nö-
tigen Mittel, um ihre Verpflichtungen zu er-
füllen, werden den finanziellen Spielraum
der Unternehmen in Zukunft immer mehr
einengen“, sagt Lehmann. Das Geld werde
an anderer Stelle fehlen, zum Beispiel bei
Investitionen. harald freiberger

DEFGH Nr. 182, Donnerstag, 8. August 2019 HF2 17


von tobias bug

Nürnberg– 128Euro zahlt Richard E. im
Monat auf sein Sparkonto ein – 1536 Euro
im Jahr. Die Hälfte, 768 Euro, legte die Spar-
kasse Nürnberg Anfang des Jahres oben-
drauf. Ein Sparvertrag, von dessen 50-Pro-
zent-Prämie Bankkunden heute träumen.
Ende Juni kündigte die Sparkasse Nürn-
berg 21 000 Prämiensparverträge, so auch
den des Rentners aus Pleinfeld in Mittel-
franken. Die hohen Prämien seien wegen
der Minuszinsen der Europäischen Zentral-
bank (EZB) nicht mehr marktgerecht,
heißt es in der Kündigung. „Ich bin aus al-
len Wolken gefallen. Ich habe einen Ver-
trag, der sollte eingehalten werden“, sagt
der 69-jährige Rentner.
Vor 20 Jahren gehörte der „S-Prämien-
sparvertrag flexibel“ zum Standard-Ange-
bot der Sparkassen. Hunderttausende
Kunden schlossen diese Prämiensparver-
träge ab, schätzt die Verbraucherzentrale
Bayern. Kein Wunder, sie bieten jährliche
Prämien, die von drei Prozent nach drei
auf 50 Prozent nach 15 Vertragsjahren an-
steigen. Bis heute. Pünktlich – 15 Jahre
nach Abschluss des letzten Vertrages Mitte
2004 – verschickte die Sparkasse Nürn-
berg 21 000 Kündigungen an 16 000 Spa-
rer. Das Institut zählt mit 388 000 Kunden
zu den 15 größten Sparkassen Deutsch-
lands und ist die drittgrößte Bayerns. In
den nächsten drei Jahren will sie 4460 ähn-
liche Verträge kündigen, die bis 2007 unter-
schrieben worden waren.
Auch die Sparkassen Pfaffenhofen, Er-
ding und Fürstenfeldbruck beenden zur-
zeit solche Sparverträge. Nach Angaben

der Stiftung Warentest haben bereits mehr
als 30 Sparkassen in Deutschland Prämien-
sparverträge gekündigt. Nicht nur die in
Bayern berufen sich dabei auf ein Urteil
des Bundesgerichtshofs. Der XI. Zivilsenat
in Karlsruhe hatte im Mai dieses Jahres die
Revision dreier Kunden der Sparkasse
Stendal zurückgewiesen. Das schriftliche
Urteil steht aus. In der Pressemitteilung
des BGH heißt es: „Die beklagte Sparkasse
durfte die Sparverträge nach Erreichen
der höchsten Prämienstufe, das heißt hier
jeweils nach Ablauf des 15. Sparjahres, kün-
digen.“ Die Bank brauche dafür nur einen
„sachgerechten Grund“, der im Sparkas-
sengesetz für die Kündigung eines Vertra-
ges ohne Laufzeit vorgeschrieben sei.
Die Minuszinsen der EZB seien ein sol-
cher Grund, findet die Sparkasse Nürn-
berg. „Ein Ende der Niedrigzinsphase ist
nicht in Sicht. Unser Zinsüberschuss ist
seit Jahren rückläufig“, sagt eine Spreche-
rin. Prämien von 50 Prozent seien nicht
mehr zu zahlen. Mit der Kündigung der lu-
krativen Prämiensparverträge legt die
Sparkasse Nürnberg die Belastung durch
die Null- und Negativzinspolitik der EZB
auf ihre Privatkunden um. Geldinstitute
wie die Sparkassen, denen die Kunden in
hohem Umfang Erspartes anvertrauen,
kämpften mit den Minuszinsen, sagt Tho-
mas Heidorn von der School of Finance
and Management in Frankfurt.
Aktuell muss eine Geschäftsbank mi-
nus 0,4 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie
kurzfristig Geld bei der EZB parkt. „Die
Banken können sich nicht mehr wie ge-
wohnt refinanzieren, erhöhten daher ihre
Gebühren“, sagt Heidorn. Der Experte er-

wartet, dass in Zukunft immer mehr Ban-
ken Sparverträge kündigen werden. Peter
Schneider, Sparkassenpräsident in Baden-
Württemberg, hat bereits angekündigt:
„Wenn dieses Zinsniveau fortgeschrieben
wird, dann wird der betriebswirtschaftli-
che Druck so groß, dass sich niemand
mehr Negativzinsen entziehen kann“. Also
auch die Sparer nicht.

Doch der Sparkasse Nürnberg geht es
seit Jahren gut: 2018 erwirtschaftete sie ei-
nen im Vergleich zum Vorjahr stabilen Jah-
resüberschuss von 20,7 Millionen Euro.
„Es stimmt dann wohl nicht, wenn Spar-
kassen es so darstellen, als würden diese
Verträge sie in finanzielle Bedrängnis brin-
gen“, sagt Sibylle Miller-Trach, Juristin bei
der Verbraucherzentrale Bayern. Dort mel-
deten sich zurzeit 30 Kunden am Tag, die
um ihre Sparverträge fürchteten. Ihnen
empfehlen die Verbraucherschützer, das
Geld aus dem Vertrag nicht anzutasten. Da-
mit würden sie die Kündigung akzeptie-
ren. „Wir raten grundsätzlich, erst einmal
Widerspruch gegen eine Kündigung einzu-
legen“, so Miller-Trach. Dann könnten Ver-
braucher in Ruhe prüfen, wie die Chancen
auf erfolgreichen Widerspruch stehen.
Richard E. hat schon widersprochen.
Die Nürnberger Sparkasse lehnte ab. Nun
wendet er sich an die Schlichterstelle des
Deutschen Sparkassen- und Giroverban-
des. „Die können eigentlich gar nicht an-

ders, als dem stattgeben. Ich habe eine Ver-
tragsdauer.“ Als E. 2014 von seinen Eltern
den 1996 abgeschlossenen Vertrag erbte,
wurde eine Laufzeit von 99 Jahren verein-
bart. Für jedes einzelne Jahr seien die Prä-
mien aufgeführt. Wegen des laufenden Ver-
fahrens will der frühere Polizeibeamte lie-
ber nicht, dass sein Nachname genannt
wird. Auch Miller-Trach sieht gute Chan-
cen für den Rentner, den Sparvertrag zu be-
halten: „Wenn der Vertrag eine so lange
Laufzeit hat, darf die Sparkasse nicht nach
15 Jahren kündigen.“
Generell hingen die Erfolgsaussichten
für den Widerspruch von der Vertragsvari-
ante ab. Alle Prämiensparverträge seien
ähnlich, unterschieden sich jedoch im De-
tail. Die meisten Verträge hätten keine
Laufzeit. In diesem Fall komme es darauf
an, wie lange die Sparkasse sich verpflich-
tet habe, Prämien zu zahlen. Wenn etwa
Prämien für „Folgejahre“ nach Erreichen
der höchsten Stufe vereinbart wurden, so
die Verbraucherschützerin, „vertreten wir
die Rechtsauffassung, dass die Sparkasse
diese Prämienzahlungen versprochen hat
und somit nicht vorher kündigen darf“.
In der Bayerischen Sparkassenordnung
heißt es: Die Sparkassen „haben durch ge-
eignete Einrichtungen den Sparsinn der
Bevölkerung zu pflegen“. Dieser Aufgabe
sollten sie sich nicht entziehen, sagt Miller-
Trach. 2017 hatte die VR Bank Nürnberg
400 Sparverträge gekündigt, zog dies je-
doch zurück, als die Verbraucherzentrale
aktiv wurde. Das war aber vor dem BGH-
Urteil. Richard E. sagt, er werde notfalls kla-
gen. 50 Prozent Prämie will sich der Rent-
ner nicht einfach wegnehmen lassen.

Richtig gut leben
Eine Familie haben, aber keinen
Müll produzieren? Das geht –
ist aber aufwendig 18

„Nichtsgeht voran!“
VDMA-Präsident Welcker über
E-Autos, den Klimawandel
und Wohlstandsverluste 24

Aktien, Devisen und Rohstoffe 22,

www.sz.de/wirtschaft

von bastian brinkmann

D


eutsche Kinder lernen es schon in
der Schule: Wir sind hier nicht bei
Wünsch-dir-was. Draußen spie-
len, obwohl Hausaufgaben zu erledigen
sind? Auf keinen Fall. Etwas Süßes vom Ki-
osk, obwohl das Taschengeld schon aus-
gegeben ist? Das geht nicht.
Doch, das geht, zumindest geht das für
die Bundesrepublik im Jahre 2019. Die in-
ternationalen Finanzmärkte würden
Deutschland sehr gerne Geld schenken,
wenn das Land mehr investieren würde.
Das ist so verrückt, dass man es wiederho-
len kann: Deutschland könnte Milliarden
für die Bahn, für Kitas, für besseres Inter-
net ausgeben – und der Staat würde Geld
dafür bekommen, dass er welches aus-
gibt. Das verwundert, aber es ist noch wun-
derlicher, dass das Gegenteil passiert. Der
Staat spart, der Bundeshaushalt verzeich-
net Überschüsse, die schwarze Null steht.
Das schadet der ganzen Gesellschaft, die
Menschen könnten in einem besseren
Deutschland leben.


Warum wollen diese verrückten Finanz-
märkte Deutschland Geld schenken? Län-
der nehmen Kredite über Staatsanleihen
auf. Diese Staatsanleihen sind quasi das
Bargeld für Banken und ähnliche Finanz-
institute. Wenn Menschen ihr Geld auf die
Bank bringen, muss das Geld irgendwo-
hin, die Bank kann ja nicht selbst zur Bank
gehen. Das Geld wird – sehr vereinfacht
gesagt – in Staatsanleihen geparkt. Und
Schuldpapiere des deutschen Staats sind
sehr begehrt, weil Deutschland als solide
Volkswirtschaft gilt. In diesen wirtschafts-
politisch wilden Zeiten mit Zollstreit, Pro-
tektionismus und Währungsvolten sind
deutsche Staatsanleihen so gefragt, dass
die eine Bank einer anderen Bank eine
deutsche Staatsanleihe für mehr Geld ab-
kauft, als Deutschland dafür zurückzah-
len muss. Wer das macht, verliert Kapital,
die Rendite ist also negativ. Seit wenigen
Tagen gilt das sogar für deutsche Staatsan-
leihen mit einer Laufzeit von 30 Jahren.
Die Finanzmärkte sind also bereit, Jahr-
zehnte auf Deutschland zu warten – und
dann weniger zu bekommen, als sie be-
zahlt haben.
Wegen der negativen Renditen könnte
Deutschland Milliardenkredite aufneh-
men und investieren, ohne die Schulden-


tragfähigkeit des deutschen Staates zu ge-
fährden. Schon jetzt vergibt die Finanz-
agentur des Bundes Anleihen, auf die es
0,0 Prozent Zinsen gibt, was nach fünf Jah-
ren mit auch nur geringer Inflation be-
reits eine negative Rendite ergibt.
Die Zinsen für Deutschland sind histo-
risch niedrig, daher ist jetzt die richtige
Zeit für einen großen Investitionsschub.
Den braucht es dringend, das ist mittler-
weile bei vielen Ökonomen Konsens.
Deutschland ist an manchen Ecken ka-
puttgespart worden. Es sind viele Milliar-
den Euro nötig, um das wieder auszuglei-
chen. Und eigentlich müssen die zwei gro-
ßen Zukunftsthemen des Landes mit viel
Geld angegangen werden: die Digitalisie-
rung und der Umbau in eine klimafreund-
liche Gesellschaft. Deutschland braucht
schnelleres Internet, neue Funkmasten,
ein modernes Stromnetz für erneuerbare
Energien und vieles mehr. Doch anstatt
das mit geschenktem Geld anzugehen,
hält die Bundesregierung an der schwar-
zen Null fest.
Denn keine Schulden zu machen,
kommt bei vielen Deutschen gut an. Man-
che befürchten, dass die Politik, wenn sie
einmal auf den Geschmack gekommen
ist, nie wieder aufhören kann, Schulden
aufzunehmen. Oder dass das Geld für Kli-
entelpolitik missbraucht wird, die
Deutschland nicht voranbringt. Oder dass
eine Kommune das Geld nicht in gute Rad-
wege investiert, sondern in drei Eissport-
hallen, die dann leer stehen. Das sind wert-
volle Mahnungen, die allerdings unterge-
wichten, dass Politiker abgewählt werden
können, wenn sie in schlechte Projekte in-
vestieren. Vor allem ändern die Einwürfe
nichts daran, dass in Deutschland der Be-
darf an Investitionen sehr hoch ist – und
das Angebot wegen der negativen Zinsen
so unverschämt günstig.
Der Staat muss auch mehr in gewisses
Personal investieren. Das ist hochumstrit-
ten. Viele Ökonomen begrüßen zwar Inves-
titionen, meinen damit jedoch, in die Hard-
ware der Bundesrepublik zu investieren,
die Jahrzehnte Bestand haben wird, also
in Brücken, Gleise, Stauseen. Mehr Geld
für Personal lehnen sie wiederum ab, weil
dadurch nur der Beamtenapparat wachse,
was Deutschland nicht voranbringe. Doch
ein großes Investitionsprogramm kann
nicht funktionieren, wenn in den Bau-
und Planungsämtern Fachleute fehlen. In
vielen Kommunen ist das aber der Fall.
Wer den Wäldern helfen will, braucht
mehr Mitarbeiter in Forstämtern. Das ge-
schenkte Geld sollte der Staat also auch in
Fachkräfte investieren.

Es wird ja derzeit heftig und kontrovers
über Flugreisen debattiert, und deshalb
sprechen die Leute auch über die These
von Tesla-Chef Elon Musk, der zufolge die
Menschheit die Welt mitnichten deshalb
retten würde, weil sie unbedingt die Welt
retten wolle – die Weltenretter-Alternative
müsse vielmehr günstiger sein als die
schädlichere Variante. Bahnfahrten und
andere umweltfreundliche Formen des
Personentransports müssen derart kosten-
günstig sein, dass es sich schlicht nicht
mehr lohnt, für eine Reise von Hamburg
nach München ins Flugzeug zu steigen. So
einfach ist das.
Es hängen immer ein paar Dinge zusam-
men auf diesem Planeten, deshalb lohnt es
sich zu wissen, dass Robin Hayes, 52,
Geschäftsführer der US-Billigfluggesell-
schaft Jetblue, als Kind Lokführer werden
wollte und seine erste Flugreise erst als
Erwachsener antrat: „So schwer das zu
glauben sein mag: Ich war 18 Jahre alt.“ Er
erzählt gerne solche Geschichten, auch die-
se, wie er als Jugendlicher, der in London
aufgewachsen ist, häufig gescheitert sei
und wie ihn diese Erfahrungen fürs Leben
geprägt haben: „Ich wollte ein Mädchen zu
einer Verabredung einladen – hat nicht
geklappt. Ich wollte ins Fußballteam der
Schule aufgenommen werden – hat auch
nicht geklappt. Ich wollte in die Bahnindus-
trie – nicht mal das hat geklappt.“
Nach dem Studium arbeitete Hayes
19 Jahre lang bei British Airways, im Jahr
2008 wechselte er zu Jetblue. Seit vier
Jahren ist er Geschäftsführer der nach
Passieren sechstgrößten Fluggesellschaft
in den USA. Hayes fliegt selbst Holzklasse,
und im April, da verteilte er nicht nur Gra-
tis-Flugtickets an Passagiere – auf dem
Rückweg zu seinem Sitzplatz sammelte er
im Vorbeigehen noch schnell den Müll der
anderen Leute ein.
Nun hat Jetblue mal wieder einen soge-
nannten „Flash Sale“ angeboten: 24 Stun-


den lang konnten die Kunden Sommerflü-
ge bis zum 20. September buchen. Ein Flug
von Orlando nach Atlanta kostete 39 Dol-
lar, Reisen zwischen Ost- und Westküste,
etwa von New York nach Sacramento, wa-
ren für 129 Dollar zu haben, ein Flug in die
Dominikanische Republik für 90 Dollar.
Solche Angebote hat es schon in den
vergangenen Jahren gegeben, nun werden
diese Schnäppchen kritischer betrachtet
als früher – zumal Hayes im Februar seine
langfristigen Pläne für die Zukunft von Jet-
blue dargelegt hat. Einer von drei bedeutsa-
men Punkten: Umweltschutz. „Wir legen
jetzt das Fundament für das nächste Jahr-
zehnt“, sagte Hayes in einem Statement.
Nun bietet sein Unternehmen Tickets an,
die nicht viel teurer sind als Busfahrten.
Es hängen aber immer ein paar Dinge
zusammen auf diesem Planeten, und
deshalb lohnt es sich auch zu wissen, dass
die Geschäftsführer der größten US-Flugli-
nien gerade bei einem Geheimtreffen mit
Präsident Donald Trump im Weißen Haus
waren, um sich über Billigflüge von Kon-
kurrenten wie Emirates, Etihad Airways
und Qatar Airways zu beklagen. Diese sei-
en nur möglich, weil diese Gesellschaften
staatliche Unterstützung bekommen wür-
den, zudem würden Vereinbarungen zum
fairen Wettbewerb verletzt.
Die Chefs hatten Anzeigen beim rechts-
populistischen Nachrichtensender Fox
News geschaltet, in der ZeitungUSA Today
schrieben sie: „Diese Unternehmen kön-
nen auf Flügen Geld verlieren, wie es sich
keine vernünftige Airline leisten könnte,
weil diese Fluglinien von den Staaten
unterstützt werden.“ Es soll heftig und
kontrovers debattiert worden sein, weil
Trump die Geschäftsführer ans Transport-
ministerium verwiesen habe – was nichts
anderes ist als ein Abwimmeln. Mit dabei,
um sich über die billigen Flüge der Konkur-
renz zu beschweren: Robin Hayes.
jürgen schmieder

WIRTSCHAFT


Schlechte Nachrichten für Sparer: Viele Sparkassen wollen die hohen jährlichen Prämien nicht mehr zahlen. FOTO: DANIEL NAUPOLD/DPA

NAHAUFNAHME


„Wirlegen jetzt das
Fundament für
das nächste Jahrzehnt.“
Robin Hayes
FOTO: PABLO MARTINEZ MONSIVAIS

Sparkassen sparen sich Sparverträge


Die Institute verweisen auf die Niedrigzinsen – und auf ein BGH-Urteil. Allein in Nürnberg verloren
in kurzer Zeit 16 000 Kunden ihre lukrative Geldanlage. Nun ziehen andere Banken nach

Der VW-Konzern hat seinen Mitarbei-
tern geschätzt 50,6 Milliarden Euro in
Form von Pensionen zugesagt. FOTO: DPA

HEUTE


Betriebsrente wird zur Last


Die Dax-Konzerne schieben milliardenschwere Pensionsverpflichtungen vor sich her. Die Lücke ist so groß wie nie


INVESTITIONEN

Haut das Geld raus


Der 39-Dollar-Mann


Jetblue-Chef Robin Hayes bietet Superbilligflüge an


Die Zinsen für den Staat sind


historisch niedrig. Neue Schulden


sind daher jetzt Pflicht


Sparkassen sollen
eigentlich „den Sparsinn der
Bevölkerung“ pflegen
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