Süddeutsche Zeitung - 08.08.2019

(Darren Dugan) #1
von günther knoll

D


er Rauch wird immer dichter, die
Hilfeschreie der Menschen, die an
den Fenstern des fünfstöckigen
Hauses stehen, immer lauter, dazu das un-
entwegte Klingeln des Feuermelders – in
dieser Situation die Ruhe und den Über-
blick zu bewahren und in aller Eile die rich-
tigen Entscheidungen zu treffen, das erfor-
dert Routine und starke Nerven. Selbst
wenn es nur eine Übung ist.
Was heißt nur? Schiedsrichter, erkenn-
bar an roten Käppis, laufen herum, um an-
schließend den Einsatz zu beurteilen, und
an diesem Mittwoch sind auch noch etliche
Journalisten da, um sich vorführen zu las-
sen, was die Feuerwehr so alles können
muss. Drei Tage lang üben vorwiegend in
Ausbildung befindliche Mitglieder der
Münchner Berufsfeuerwehr an der Staatli-
chen Feuerwehrschule Geretsried alle mög-
lichen Lagen, vom Einsatz beim Unfall mit
Gefahrgut über einen schweren Unfall am
Bahnübergang bis zum klassischen Brand.
Und sie kommen dabei ganz schön ins
Schwitzen, nicht nur wegen der Schwüle.
„Das ist bereits unsere dritte Lage heute“,
sagt Theo Keilhau. Es ist zehn Uhr Vormit-
tag, und der 24-Jährige, der die Ausbil-
dung zum Brandoberinspektor macht, hat
gerade als Zugführer den Einsatz bei
einem Auffahrunfall geleitet. Kleintrans-
porter gegen Lastzug – auch wenn der
Crash nicht fingiert wäre, eigentlich eine re-
lativ harmlose Sache. Nur: Der Lkw hatte
Heizöl geladen, im Transporter befand


sich radioaktives Material, wie an der
Kennzeichnung der Fahrzeuge schnell zu
erkennen war. Keilhau war auf Nummer si-
cher gegangen, hatte das große Programm
gefahren mit Schutzanzügen und -mas-
ken, mit Geigerzähler und Dekontaminie-
rungsbad.
Um sich dann von einem der Schieds-
richter sagen lassen zu müssen, „dass
nicht hinter jeder Tür der Teufel steckt“.
Denn Öl war keines ausgelaufen, und der
Transporter hatte nur Kontrastmittel gela-
den, da hätte der Geigerzähler alleine auch
genügt. Aber trotzdem ein Lob: „Mit wenig
Leuten viel Arbeit gestemmt.“ Zugführer
Keilhau ist zufrieden: Seine Crew habe das
super hingekriegt, obwohl das alles in Aus-
bildung befindliche Leute ohne Praxiser-
fahrung seien.
Für Tobias Hölzl, den Leiter der Feuer-
wehrschule München, sind Fehler bei sol-
chen „realitätsnahen Übungen sogar äu-
ßerst willkommen“. Auf dem Gelände in
Geretsried üben die Münchner erst das
zweite Mal, früher fuhren sie dafür bis
nach Hammelburg. Weniger anstrengend
ist es hier in Geretsried offenbar nicht.
„Die fallen um fünf Uhr nachmittags ins
Bett“, hat Hölzl bei den Übungsteilneh-
mern beobachtet. Allein die schweren
Schutzanzüge und Helme sind bei sommer-
lichen Temperaturen eine Tortur, dazu
wird ein großer Teil der Einsätze im Lauf-
schritt erledigt. Wer dann noch die Atem-


maske tragen muss, für den ist Schwerst-
arbeit angesagt.
Ina Hartmann hat das gerade bei der
nächsten Übung, einem Tiefgaragenbrand
in einem fünfstöckigen Haus, erfahren.
Hier werde man „ganz anders gefordert“,
sagt sie. Die gebürtige Rosenheimerin ist
die einzige Frau unter den knapp 100
Übungsteilnehmern, sie absolviert gerade
die Ausbildung zum Brandmeister. Schon
bei der Bewerbung habe sie es schwer ge-
habt, denn bei der Feuerwehr werde kein
Unterschied zwischen Frau und Mann ge-
macht. Bei den sportlichen Anforderungen
etwa habe sie die gleichen Leistungen brin-
gen müssen wie ihre männlichen Kollegen.
Nach der Ausbildung wird Hartmann bei
der Werkfeuerwehr der Technischen Uni-
versität in Garching arbeiten.

Noch sind Frauen die Ausnahme bei der
Münchner Berufsfeuerwehr, von 1600 Be-
schäftigten im aktiven Dienst sind gerade
einmal 26 weiblich. Doch die hätten sich
ganz bewusst für diesen Beruf entschie-
den, sagt deren Chef Wolfgang Schäuble.
Und es könnten bald mehr werden, denn
der Leiter der Branddirektion spricht von
Nachwuchsproblemen. „Wir merken jetzt
die geburtenschwächeren Jahrgänge und
den Facharbeitermangel.“ Deshalb soll der
Feuerwehrdienst bald zu einem klassi-
schen Ausbildungsberuf werden. Bisher
mussten Bewerber erst eine abgeschlosse-
ne Ausbildung vorweisen, künftig will
man schon Schulabgänger für den Feuer-
wehrdienst anwerben.
Den Sinn solcher Großübungen wie in
Geretsried sieht Münchens oberster Feuer-

wehrmann auch darin, dass die Teilneh-
mer die „Waage zwischen Wissenserwerb
und raschem Handeln“ unter realitäts-
nahen Bedingungen auszubalancieren ler-
nen. Der Autobrand in der Tiefgarage des
Wohnhauses hat dafür die idealen Voraus-
setzungen geboten, und er hat den Beteilig-
ten klargemacht, dass Kommunikations-
probleme einen solchen Einsatz erschwe-
ren können. Für die Zuschauer sah alles ein
wenig planlos aus, und das war es wohl
auch. Zwei Löschzüge waren im Einsatz, ei-
ner sollte die vom Rauch eingeschlossenen
Personen in Sicherheit bringen, der andere
den Brand bekämpfen. Ein Zugführer hat-
te jedoch kurzerhand Mitglieder des ande-
ren Zugs zur Menschenrettung eingeteilt,
so dass diese beim Löscheinsatz fehlten.
Andreas Eppli, Ausbilder der Münchner
Führungskräfte und als Schiedsrichter im
Einsatz, spricht von einem „Knoten“, der al-
les erschwert habe. Der andere Zugführer
hätte einfach deutlich darauf hinweisen
müssen, dass er seine Leute zum Löschen
brauche und der Befehl falsch gewesen sei.
Aber das sei „ein wichtiger Lernpunkt“,
ebenso wie die Erkenntnis, dass man sich
erst die Übersicht über die Lage verschaf-
fen müsse, resümiert Eppli.
Diese Übersicht hatte zweifellos Maxi-
milian Maier. Er hat bei dem Brand eine
Frau gespielt, die vom Rauch im vierten
Stock eingeschlossen per Drehleiter gebor-
gen werden musste. Noch mit der blonden

Perücke in der Hand schwärmt er gerade-
zu von seiner Rolle. Von da oben die Lage
zu sehen und den Kollegen zuzuschauen,
sei sehr spannend gewesen – und mal ganz
was anderes, als selbst im Einsatz zu sein.
Der 28-jährige Münchner ist eigentlich ge-
lernter Kaufmann. „Doch ich wollte nicht
im Büro sitzen“, erklärt er seinen Wechsel
zur Berufsfeuerwehr.
Die Mittagspause findet in der hellen
Mensa der Schule statt. Diese werde bald
abgerissen, erläutert Rene Mühlberger,
der Leiter der Geretsrieder Einrichtung.
Der Unterkunftsbereich mit jetzt 114 Bet-
ten soll um 80 erweitert werden, denn die
Nachfrage ist groß. Allein 7700 Freiwillige
Feuerwehren gibt es in Bayern, und auch
deren ehrenamtliche Mitglieder müssen
Kurse und Seminare absolvieren. Deshalb
soll auch das Lehrpersonal von 85 auf 100
Stellen aufgestockt werden.
Für die Kursteilnehmer in Geretsried ist
viel „Learning by Doing“ angesagt, ihnen
steht dafür sogar eine ganze Stadt auf dem
Übungsgelände zur Verfügung, mit Bahn-
hof, Tankstelle, Wohnhäusern und Bahn-
übergang. Dort findet der nächste Einsatz
statt: schwerer Verkehrsunfall mit Perso-
nenschaden. Ein Regionalzug hat zwei Au-
tos mit je vier Menschen erfasst, alle sind
schwer verletzt. Dazu brennt ein Fahrzeug,
und auch der Zug hat Feuer gefangen. Jetzt
kommt schweres Spezialgerät zum Ein-
satz: Rettungsspreizer, Rettungsschere.
Wie beim Garagenbrand sind zwei Lösch-
züge mit etwa 40 Kräften ausgerückt. Alle
Verletzten werden lebend geborgen.

Voll einsatzbereitDie Münchner Feuerwehr trainiert in Geretsried mehrere Tage lang für


unterschiedliche Notfälle – vom brennenden Haus bis zum schweren Zugunglück. Wenn die Ausrüstung mal nicht reicht,


wie jetzt beim Wassereinbruch auf der Stammstrecke, leistet das Technische Hilfswerk Unterstützung


Azubis im Feuer


Eine Großlage nach der anderen wartet bei der mehrtägigen Übung auf den Nachwuchs der Berufsfeuerwehr.
Die Einsätze verlaufen nicht immer zur vollen Zufriedenheit der „Schiedsrichter“ – doch Fehler sind durchaus erwünscht

Die Zähne der Betonkettensäge bestehen
aus einem Diamantgemisch. Scharf sind
sie nicht wirklich, dafür umso härter. Al-
lein eine dieser Trennschleifketten kos-
tet so viel, wie eine bessere herkömmli-
che Kettensäge im Baumarkt. Die über
ein Hydraulikaggregat angetriebene Sä-
ge heult und kreischt durch Beton oder Si-
cherheitsglas, wie ein warmes Messer
durch Butter gleitet, schwärmt das THW.
Das ist freilich etwas übertrieben, aber
auch nicht ganz falsch. Beim Einsatz die-
ser gerade noch handlichen Fräsmaschi-
nen entsteht zwischen Stein und Werk-
zeug große Reibungshitze. Viel Wasser ist
nötig, um die Schneidflächen zu kühlen

und Staub zu binden. Für ein Loch, durch
das man einen Erwachsenen etwa aus ei-
nem eingestürzten Gebäude bergen könn-
te, sind rund 900 Liter nötig.

Die Einsatzkräfte des THW verfügen
über besondere Fähigkeiten – und die
müssen sie im Notfall nicht nur tagsüber
anwenden, sondern auch nachts. Gut
also, dass es eine Lampe gibt, die so viel
Licht erzeugt, dass sie beim THW mit ei-
nem Mond verglichen wird, dem „Power-
moon“. Der ballonähnliche Strahler wird
auf ein Stativ geschraubt und dann nach
oben geschoben. Licht spenden bis zu
vier 1000 Watt starke Halogen-Metall-
dampflampen, das entspricht ungefähr
der Leistung von 100 herkömmlichen
Energiesparlampen. Im nächtlichen
Ernstfall schwebt die Mondlampe bis zu

fünf Meter über dem Boden, während un-
ten am Boden die Einsatzkräfte fast so gut
sehen wie am Tag.

Wer in einen Brunnenschacht stürzt, hat
selbstverständlich ein Problem. Ein Pro-
blem haben allerdings auch die Helfer:
Sie müssen sich irgendwo sicher fest-
schnallen, bevor sie sich abseilen und das
Opfer bergen können. Hier kommt in der
Regel der Dreibock ins Spiel, ein THW-
Klassiker. Er setzt sich aus drei dünnen
Beinen zusammen, die an der Spitze zu-
sammenlaufen. Das Gerüst besteht in
der Regel aus Aluminium, ist schnell auf-
zubauen, leicht zu zerlegen und bequem
zu transportieren. Nicht ohne Grund sol-
len bereits im alten Ägypten ähnliche
Konstruktionen genutzt worden sein, um

schwere Lasten zu bewegen. Wahre Kön-
ner sind sogar in der Lage, einen Dreibock
aus Holzpfählen zu bauen.

Es ist ein bisschen wie im Science-Fiction-
Klassiker Star Wars: Die Helden der Fil-
me, die Jedi-Ritter, kämpfen mit Schwer-
tern aus heißem Laser, die selbst Türen
aus Eisen durchschneiden. Etwas ähnli-
ches können auch die Einsatzkräfte des
THW, sie brauchen dafür nur ein Plasma-
schneidgerät: Durch ein chemisches Ver-
fahren wird Gas ionisiert. Der entstehen-
de Lichtbogen wird 30 000 Grad heiß und
fliegt mit Überschallgeschwindigkeit.
Trifft er auf das Material, das geschnitten
werden soll, schmilzt es sofort. Das Plas-
maschneidgerät des THW kann bis zu 35
Millimeter dicken Stahl schneiden. Im di-
rekten Vergleich mit den Laserschwer-

tern der Jedi ist er allerdings etwas weni-
ger praktisch: Er braucht sowohl eine
durchgängige Stromversorgung als auch
5,5 Bar Druckluft.

Eine ganze Stadt gibt es auf dem
Gelände, mit Bahnhof,
Tankstelle und Bahnübergang

Mithilfe einer besonders robust gebau-
ten Endoskopkamera können die Helfer
des THW in gar nicht oder nur unter grö-
ßerer Gefahr zugängliche Bereiche bli-
cken, etwa in die Hohlräume eines einge-
stürzten Gebäudes oder in das Wrack ei-
nes havarierten Bootes in bis zu drei Me-
ter Wassertiefe. Leuchtdioden am beweg-
lichen Kamerakopf ermöglichen Aufnah-
men auch in völliger Dunkelheit. Ein bis
zu neun Meter langes Kabel überträgt die
Bilder auf einen LCD-Handmonitor. Bei
dem schweren Erdbeben in Pakistan im
Jahr 2005, bei dem auch die Hilfswerker
aus Deutschland im Einsatz waren, wur-
de die Endoskopkamera zur Lebensrette-

rin. Mit ihrer Hilfe, so schildert es das
THW, konnte eine Frau nach fünf Tagen
aus den Trümmern eines eingestürzten
Hauses geborgen werden.

Ein Szenario, auf das sich die Münchner Feuerwehr vorbereitet: Ein Zug kollidiert mit einem Auto. FOTO: HARRY WOLFSBAUER


Abpumpen in Höchstgeschwindigkeit,
für diese Aufgabe verfügt das THW über
eine Schmutzwasserkreiselpumpe na-
mens Hannibal. Ob beim vollgelaufenen
S-Bahn-Tunnel in München oder großflä-
chigen Überschwemmungen in Hochwas-
sergebieten, sie kommt zum Einsatz,
wenn die Leistung der Feuerwehr-Pum-
pen nicht mehr ausreicht. Das Fördervo-
lumen der Maschine beträgt 5000 Liter
pro Minute. Anschaulicher: zwei Sekun-
den benötigt sie, um eine Badewanne leer
zu pumpen. Mithilfe der großen
Schlauchdurchmesser kann sie auch Ob-
jekte im Schmutzwasser bis zur Größe ei-
nes Tennisballs problemlos absaugen.

Um die zwei Tonnen schwere Hannibal
überhaupt bewegen zu können, ist sie
samt Dieselmotor auf einen Anhänger
montiert.

Wer löscht, wer rettet Menschen? Auch um
die klare Einteilung der Einsatzkräfte geht es bei den Übungen
der Feuerwehr.FOTOS: HARRY WOLFSBAUER, BERUFSFEUERWEHR

Die Übungsteilnehmer fallen


nachmittags umfünf in ihre


Betten, sagt der Ausbilder


Durch die Wand


Es werde Licht


Auf drei Beinen


Durch den Stahl


Auge der Retter


Wenn in Deutschland ein Fluss über die Ufer tritt, wenn ein Gebäude einstürzt oder der
Stromlange ausfällt – wenn also irgendetwas schief geht, dann rückt oft das Technische
Hilfswerk an. Am Dienstag stand in München der S-Bahnschacht zwischen Hauptbahn-
hof und Hackerbrücke unter Wasser und der Zugverkehr still. Die Feuerwehr versuchte,
das Wasser abzusaugen, doch erst das THW schaffte es, die Gleise trocken zu legen. Weil
bekanntlich alles eine Frage der richtigen Ausrüstung ist – ein Blick in den Geräteschup-
pen des THW. texte: max ferstl, philipp von nathusius / fotos: thw

GERÜSTET FÜR KATASTROPHEN


Hannibal


R2 (^) THEMA DES TAGES Donnerstag, 8. August 2019, Nr. 182 DEFGH

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