Süddeutsche Zeitung - 08.08.2019

(Darren Dugan) #1
von gerhard fischer

D


ie Amerikaner werfen im Frühjahr
1945 ein Flugblatt über München
ab. Darauf steht: „Vernunft oder
Wahnsinn werden über das Schicksal Eu-
rer Stadt und damit über Eure Zukunft ent-
scheiden.“ Wahnsinn wäre es, sich zu weh-
ren. Vernunft wäre es, sich zu ergeben. Die
Münchner hissen weiße Fahnen. Als der US-
Soldat Daniel die Deutsche Konstanze
sieht, ist er hingerissen. „Guten Tag, Fräu-
lein“, sagt er, weil man das zu jungen Frau-
en damals sagte. Und er bietet ihr eine Scho-
kolade an.
In der Comic-Reihe „München 1945“
gibt es solche Klischees. Aber sie wirken lie-
benswert. Das liegt vermutlich an den
Zeichnungen, die eine gelungene Atmo-
sphäre schaffen. Es sind Skizzen. Das passt
zu München im Jahr 1945.
Sabrina Schmatz, 35, sitzt im Café Mo-
zart. Sie ist keine hauptberufliche Zeichne-
rin. Schmatz arbeitet bei der Deutschen
Rentenversicherung in Neuperlach, und
sie zeichnet abends. Das erinnert an Franz
Kafka, der tagsüber bei der Arbeiter-Unfall-
versicherung in Prag arbeitete und abends
schrieb.
Schmatz lacht, als sie das hört. Aber sie
geht nicht weiter darauf ein. Wer will sich
schon mit Kafka vergleichen. Sabrina
Schmatz ist ohnehin eher bescheiden, sie
macht sich lieber klein als groß. Heute je-
denfalls. Früher, sagt sie, habe sie, was das
Zeichnen anging, an jugendlicher Selbst-
überschätzung gelitten.
Heute hätte sie allen Grund, selbstbe-
wusst zu sein. Die Zeichnungen sind profes-
sionell. Stimmig. Schön anzusehen. Der
Strich ist sehr gut. Schmatz hat beim
Münchner Comicfestival 2017 für die ers-
ten beiden München-Bände den Icom-
Preis für das beste Artwork bekommen.
Icom ist der Interessenverband Comic.
Schmatz sagt, sie habe nicht mit Histori-
kern gesprochen und nicht mit Zeitzeugen
geredet, bevor sie „München 1945“ gezeich-
net habe. Sie habe aber viel über diese Zeit
gelesen und Dokumentationen angesehen.
„Ich habe alles verschlungen, was ich krie-
gen konnte.“ Sie hat bisher fünf München-
Bücher gezeichnet, die alle 1945 und 1946
spielen. Sie arbeitet gerade am sechsten.
Für einen Band, der jeweils 60 bis 65 Seiten
umfasst, braucht sie ein halbes Jahr.
„Manchmal muss ich mich abends zum
Zeichnen zwingen“, sagt sie, „manchmal
mache ich nur ein Panel, also Kästchen,
aber manchmal bin ich im Flow drin, da
geht es dann bis Mitternacht und ich schaf-
fe ein bis zwei Seiten.“ Natürlich zeichnet
sie auch am Wochenende, und häufig auch
im Urlaub.


Im ersten Band befreien die US-Solda-
ten München, Daniel und Konstanze verlie-
ben sich. „Ich wollte eine Liebesgeschichte
zeichnen“, sagt Schmatz, „aber es sollte
nicht zu schnulzig werden, deshalb habe
ich diesen historischen Rahmen gewählt.“
Konstanze, Anfang 20, sei „eher eine Mit-
läuferin“, sagt Schmatz. Sie war „irgendwie
gegen das Hitler-Regime“, traute sich aber
nicht zu opponieren. Daniel ist ein empathi-
scher, humorvoller US-Soldat. Konstanzes
Cousin Roman ist 17 und stand voll hinter
dem Regime. Konstanzes Vater war ein Hit-
ler-Gegner und Arzt, der Juden behandelte
und eines Tages verhaftet wurde. „Wichtig
war mir die Diversität, dass es nicht nur
Gut und Böse gibt“, sagt Schmatz.
Sabrina Schmatz wurde in München ge-
boren, machte – nach der Mittleren Reife –


eine Ausbildung zur Sozialversicherungs-
fachangestellten und ging zur Rentenversi-
cherung. Gezeichnet hat sie schon als Kind,
Disney-Figuren zum Beispiel. „Aber so rich-
tig los ging es 1996, als die Mangawelle
nach Deutschland kam, mit den Manga-Co-
mics und den Anime, das sind die Zeichen-
trickfilme“, sagt Schmatz. „Das hat mir bes-
ser gefallen als die franko-belgischen Co-
mics, Tim und Struppi oder Asterix, die
mir zu statisch waren.“ Außerdem wurde
bei den Mangas eher der Alltag gezeigt.
Und wenn es Superhelden gab, dann waren
es Superheldinnen.
Schmatz war zwölf und versuchte, auch
so zu zeichnen: große Augen, Dynamik in
den Bewegungen. „Ich machte das jeden
Tag mit großer Begeisterung, da gab es für
mich nach der Schule – und den Hausaufga-
ben – nichts anders als zeichnen, zeichnen,
zeichnen“, sagt sie.

Sabrina Schmatz entwickelte als Jugend-
liche eigene Geschichten und Figuren. Ver-
lage wie Carlsen und Ehapa machten – von
der Mangawelle inspiriert – einige Wettbe-
werbe, bei denen man gezeichnete Kurzge-
schichten einschicken konnte. „Ich habe
da durchgehend abgelost“, sagt Schmatz
und lacht. „Ich war damals einfach nicht
gut genug.“
Sie schaut in ihr Handy – es hat einen ro-
sa Rand. „Nicht wegen der Mangas“, sagt
Schmatz und lacht. „Ich mag rosa.“ Sie
macht das öfter während des Gesprächs:
Dass sie ihr Handy nimmt und im Netz
nach Namen sucht, nach Preisen, nach Ver-
lagen, nach Webseiten. Sie will sicher ge-
hen und nichts Falsches sagen. Und sie ent-
schuldigt sich dafür, dass sie ins Handy
schaut. Sie ist sehr freundlich.
Dann nennt sie Web-Plattformen, auf
denen sie vor acht, neun Jahren ihre Co-
mics, unter ihnen Schwulen-Mangas oder
Horror-Geschichten, hochgeladen hat. Die
Plattformen heißen Mycomics oder An-
imexx. Das sei ihr „erster Durchbruch“ ge-
wesen. „Da dachte ich zum ersten Mal: Oh
mein Gott, oh mein Gott.“
Sabrina Schmatz wirkt wie ein Mensch,
der sich begeistern kann. Und der das dann
auch mitteilt.
Zwischendrin schwärmt sie von Japan.
„Das ist ein Comicland“, sagt sie, „das sieht
man überall im Alltag.“ Erwachsene wür-
den in der U-Bahn Comics lesen, mit Co-
mics werde Werbung gemacht, auf Stra-
ßenschildern seien Comics drauf. „In Ja-
pan sind die Comics anerkannt, das ist sehr
erfrischend“, sagt Schmatz. Sie hat später
auch japanisch gelernt.
Schmatz hat nie Zeichenunterricht ge-
nommen. Aber natürlich hatte sie Vorbil-
der, etwa den Japaner Takehiko Inoue. „An-
fangs war es bei mir komplett Manga“, sagt
sie, „aber irgendwann habe ich angefan-
gen, eher reell zu zeichnen.“ Wie Inoue.
„Jetzt bin ich zwischen Comic und Manga“,
sagt Schmatz, „nicht Fisch, nicht Fleisch –
ich bin ein Hybrid: für Manga-Freunde zu
Comic, für Comic-Freunde zu Manga.“
Den ersten Band der München-Reihe
hat sie auf Animexx hochgeladen. „Und da
ist er durch die Decke gegangen“, sagt sie.
Daraufhin hätten sich die Leute vom
Schwarzen Turm gemeldet, jenem Verlag,
in dem die Reihe erscheint. Damit habe
sich ihr Lebenstraum erfüllt. Der erste
Band hatte eine Auflage von 700 Stück. Alle
Hefte sind schon weg. Es gibt jetzt die zwei-
te Auflage. „Ich habe viele Leser unter Män-
nern mittleren Alters, von 30 bis 50 – sie sa-
gen, sie hören in den Büchern von Mün-
chen 1945 ihre Oma oder ihren Opa reden.“

Stellt sich die Frage, ob sie nicht haupt-
beruflich Zeichnerin werden wolle?
Sabrina Schmatz lacht. „Ja,“, sagt sie
dann, „es kommt oft vor, dass ich in der Ar-
beit denke: ,Shit, ich habe jetzt eine tolle
Idee.’ Aber die Arbeit geht natürlich vor, da
muss es halt bis zur Frühstückspause, bis
zur Mittagspause oder bis zum Feierabend
warten.“
Aber sie will ihren Job – Schmatz arbei-
tet in der internen IT-Abteilung der Renten-
versicherung – nicht aufgeben. „Wenn

man das Zeichnen hauptberuflich macht,
ist sofort Druck da“, sagt sie. „Ich kenne vie-
le Zeichnerinnen und Zeichner, die sich pro-
moten müssen, die Illustrationen unter
Zeitdruck machen müssen, die sich mit
den nicht immer nachvollziehbaren Wün-
schen der Auftraggeber herumschlagen
müssen.“ Sie habe selbst mal ein Cover für
einen Auftraggeber gezeichnet. „Da kam
sofort die Kritik: Aber der Arm ... Aber das
Auge ... Das ging dann 30 mal hin und her,
bis der Kunde zufrieden war.“

Außerdem sei Deutschland ein Land, in
dem Comics wenig zählten. „Ich bin manch-
mal neidisch auf die Zeichner in den USA
oder in Frankreich, die können von Comics
leben“, sagt Schmatz. In Deutschland gelte
der Comic als Kinderkram. Dementspre-
chend werde auch gezahlt.
Sabrina Schmatz denkt allenfalls dar-
über nach, die Stunden bei der Rentenversi-
cherung ein bisschen zu reduzieren, um
mehr zeichnen zu können.
Das wäre vernünftig.

Königsdorf– Dieangenehm kühle Pinsel-
spitze streicht leicht über die Haut. Murml
Gold, 42, taucht den Pinsel erneut in das ro-
te Farbtöpchen. Und während sie ein zar-
tes Rosengewächs auf dem Arm entstehen
lässt, erzählt sie von ihrem Erfolg als Künst-
lerin.
Für das „World Bodypainting Festival“
im österreichischen Klagenfurt, dem Tref-
fen der vermeintlich besten Körpermaler
der Welt, hat die Frau aus Königsdorf kürz-
lich die „Gottesanbeterin“ gemalt. Nicht je-
doch auf einen Arm. Einen ganzen Körper
verwandelte Murml Gold in ein lebendes
Kunstwerk. Mit ihrem Team, das aus Mo-
del Äva und Assistentin Alejandra Ott be-
steht, errang sie damit jüngst bei den Body-
painting-Weltmeisterschaften in der offe-
nen Kategorie zum Thema „galaktischer
Zoo“ den ersten Platz.


Murml Gold ist nicht ihr richtiger Name.
Sie hat ihn sich mit 16 Jahren als Künstler-
namen eintragen lassen. Dass dieser Name
bei einer Weltmeisterschaft in der Sieger-
liste auftauchen würde, war damals nicht
zu ahnen – ihre Karriere als Bodypainterin
verlief über Umwege.


Als Vorstandssekretärin einer Bank hat-
te sie für die Kunst viele Jahre keinen Platz
in ihrem Leben. Erst als ihre älteste Toch-
ter ins Grundschulalter kam und Gold das
Kinderschminken anfing, brachte ihr das
das Malen wieder näher. Und so suchte sie
sich immer größere Leinwände. Über das
sogenannte Bellypainting, also das Bema-
len von Schwangerenbäuchen, kam sie
zum Bodypainting. Seit der Entdeckung
dieser Leidenschaft bietet sie Bodypain-
ting in Kombination mit Fotoshootings an.
Die Farben, die sie benutzt, sind wasserlös-
lich – und so lassen sich die Werke leicht
wieder herunterwaschen.
Seit mittlerweile etwas mehr als vier Jah-
ren tritt sie mit dem Bodypainting bei inter-
nationalen Wettbewerben an. Bei der dies-
jährigen Weltmeisterschaft in Klagenfurt
waren Kollegen aus 50 verschiedenen Nati-
onen vertreten, gegen die sie sich durchset-
zen musste. In die Jury-Bewertung floss da-
bei zum einen die Wirkung der Gesamter-
scheinung ein, zum anderen spielte die
Technik der Malerei eine Rolle, genau so
wie die Interpretation des Themas.
Die Schwierigkeit beim Bodypainting:
Eine Zeichnung sieht auf dem Körper an-
ders aus als auf dem Papier. Die Proportio-
nen der „Gottesanbeterin“ mussten ange-
passt werden. Bei der Meisterschaft dauer-
te es ganze sechs Stunden, bis Model Äva
vollständig bemalt war, bis Kopfschmuck,

Flügel und Arme befestigt waren und das
lebende Kunstwerk auf die Bühne treten
konnte. Dort hatte Gold 90 Sekunden Zeit,
in denen sie der Jury ihre Idee und ihr
Kunstwerk erklärte.

Warum überhaupt die Gottesanbeterin?
Bei Gartenarbeiten hatte sich Murml Gold
an einem Rosenstock verletzt, wodurch sie
für einige Zeit ihre Sehkraft verlor. Je mehr
sie versuchte, ihre Augen anzustrengen,
desto weniger gehorchten sie ihr, sagt sie
zumindest. „Erst als ich meine Augen ent-
lastet und das Sehen meinem Herzen über-
lassen habe, kamen allmählich flimmernd
Formen und Farben zurück“, erzählt sie.
Das sei der Moment gewesen, in dem ihr
die Figur einer Gottesanbeterin in den
Sinn gekommen sei – die sie nun auch bei
dem Wettbewerb umgesetzt hat. Die Jury,
die aus hochkarätigen Bodypaintern be-
stand, war angetan von der authentischen
und gelungenen Umsetzung ihrer persönli-
chen Erfahrungen.
Murml Gold und ihre beiden Teamkolle-
ginnen sind mittlerweile Freundinnen ge-
worden. So schaffen sie es, trotz der An-
strengung, der Aufregung und des Zeit-

drucks nicht den Spaß aus den Augen zu
verlieren. Sie schätzen, wie sie erzählen,
das Familiäre innerhalb der Bodypainting-
Gemeinschaft, die Freunde, die sich durch
die Kunst gefunden haben, und den Re-
spekt, den man einander zollt. Obwohl
Gold den Titel gewonnen hat, sei es „ein
Teamsport“, in dem man nur gemeinsam
zum Ziel gelangen könne, sagt sie. Model
Äva und Murml Gold arbeiten schon seit
vielen Jahren zusammen.
Sich auf dem Erfolg ausruhen wird
Murml Gold nicht. Im Herbst ist sie bei der
Messe „Beauty Forum München“. Und am


  1. Oktober lädt sie in ihrem Heimatort Kö-
    nigsdorf zu einer „Paintingparty“ ein.
    Auch bei der Weltmeisterschaft in einem
    Jahr wird sie wieder antreten. Diesmal in
    der Disziplin „Pinsel und Schwamm“, bei
    der, wie es der Name schon sagt, aus-
    schließlich die Verwendung dieser beiden
    Utensilien zulässig ist.
    Der Titel bei den Weltmeisterschaften
    bedeutet für Gold indes auch eine späte Ge-
    nugtuung. In Kinderjahren bürdete ihr ih-
    re Grundschullehrerin einst eine Strafar-
    beit mit den Worten auf: „Pass im Unter-
    richt besser auf, mit Pferde malen wirst du
    später einmal kein Geld verdienen kön-
    nen.“ Die Lehrerin wäre erstaunt, ist sich
    Gold sicher, mit was ihre ehemalige Schüle-
    rin nun doch ihren Lebensunterhalt be-
    streitet. silver lucia breitkopf


Der erste Band hatte
eine Auflage von 700 Stück.
Alle Hefte sind schon vergriffen

Murml Gold aus Königsdorf –hier mit ihrem Model Äva – ist von Beruf Körpermale-
rin. Zuletzt war sie bei der Bodypainting-WM erfolgreich. FOTO: MANFRED NEUBAUER

Abwaschbare Gottesanbeterin


Murml Gold hat bei den Weltmeisterschaften im Bodypainting jüngst den ersten Platz belegt. Dabei hatte eine Lehrerin ihr einst geraten, das Malen besser sein zu lassen


„Wichtig war mir die


Diversität, dass es nicht nur


Gut und Böse gibt.“


Bei der kommenden WM
tritt sie in der Disziplin
„Pinsel und Schwamm“ an

Sabrina Schmatz, die
sich im Netz auch
Iruka nennt, führt mit
ihrem Liebespaar
Konstanze und Daniel
durch das zerstörte
München nach dem
Zweiten Weltkrieg.
FOTO UND REPRO:
ALESSANDRA SCHELLNEGGER

„Manche hören im


Buch ihre Oma reden“


Sabrina Schmatz arbeitet tagsüber bei
der Rentenversicherung, abends
zeichnet sie Comics. Demnächst erscheint
der sechste Band ihrer Reihe „München 1945“

Von der Bank zum


Bodypainting – ihre Karriere


verlief über Umwege


R6 PDH (^) LEUTE Donnerstag, 8. August 2019, Nr. 182 DEFGH

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