Süddeutsche Zeitung - 08.08.2019

(Darren Dugan) #1
Haar/München– Bereits Anfang April hat
in Haar ein neues Krankenhaus seinen Be-
trieb aufgenommen. Das Heckscher-Klini-
kum Haar ist auf die Behandlung von Kin-
dern und Jugendlichen mit geistiger Behin-
derung spezialisiert, die außer ihrer Vorbe-
lastung unter einer psychischen Erkran-
kung leiden. Doch immer noch können
dort nicht so viele junge Patienten versorgt
werden wie ursprünglich vorgesehen. Der
Grund: Wie in so vielen andere Einrichtun-
gen in der Region fehlt Personal.
Die neue Einrichtung gehört wie das
Isar-Amper-Klinikum Südost in Haar zum
Verbund der Klinken des Bezirks Oberbay-
ern (KBO). Sie schließt eine Behandlungslü-
cke im gesamten südbayerischen Raum,
die bisher Familien zu schaffen machte,
die mit der Versorgung behinderter Kinder
und Heranwachsender ohnehin belastet
sind. Wenn bei diesen eine Depression, ei-
ne Angst- und Zwangsstörung, eine Psy-
chose, eine Essstörung oder ADHS diagnos-
tiziert wurde und ein Klinikaufenthalt an-

gezeigt war, war das lange mit großen Un-
annehmlichkeiten verbunden.
Weite Wege waren in Kauf zu nehmen.
Außer in Würzburg existiert noch eine Kli-
nik nahe Friedrichshafen am Bodensee.
Seit mehr als zehn Jahren lief deshalb die
Diskussion, eine weitere Klinik für den
Raum München zu schaffen. Im Frühjahr
2015 stellte das Heckscher-Klinikum seine
Pläne dafür im Haarer Rathaus vor. Für
15 Millionen Euro wurde der Neubau in der
Max-Isserlin-Straße 25 nun errichtet. „Wir
sind noch nicht im Vollbetrieb“, sagt Klinik-
Geschäftsführer Anton Oberbauer. „Wir ha-
ben erhebliche Probleme mit der Personal-
gewinnung.“ Der Arbeitsmarkt sei leerge-
fegt. Zwar sei es auch schwierig, in dem be-
nötigten Spezialfach ärztliches Personal zu
finden. Als extrem schwierig erweise sich
jedoch die Suche nach Krankenpflegekräf-
ten, Erziehern und Heilpädagogen.
Die Heckscher-Klinik für Kinder- und
Jugendpsychiatrie hat ihren Stammsitz in
München-Giesing an der Deisenhofener

Straße. Ausreichend Platz, um das neue kli-
nische Angebot zu schaffen, bot sich aber
nur in Haar. Auch nach dem Verkauf von
Teilflächen ist das Areal des Isar-Amper-
Klinikums immer noch weitläufig. Am süd-
östlichen Rand des Geländes entstand der
Bau, in dem eine ganze Reihe von Einhei-
ten neu eingezogen sind. So schlug dort am


  1. April das Zentrum für Autismus und Stö-
    rungen der sprachlichen und geistigen Ent-
    wicklung im Kindes- und Jugendalter sei-
    ne Zelte auf, das bis dato an der Deisenhofe-
    ner Straße war. Die ambulante, diagnosti-
    sche und therapeutische Arbeit bei Kin-
    dern und Jugendlichen mit Entwicklungs-
    störungen läuft jetzt in Haar. Sobald das
    Personal vorhanden ist, soll laut Oberbau-
    er das Heckscher-Klinikum Haar gut 40 Be-
    handlungsplätze umfassen: eine Tageskli-
    nik für Kinder im Klein- und Vorschul-
    kinderalter, zehn Plätze im vollstationären
    Bereich und eine beschützend geschlossen
    geführte Station für zehn Kinder und Ju-
    gendliche. bernhard lohr


von alexandra leuthner

E


s lagen Gewitter in der Luft an die-
sem Abend. Für die nächsten Tage
war Dauerregen vorhergesagt. Im
Norden Deutschlands fürchteten die Men-
schen um ihr Hab und Gut, weil sich an der
Elbe eine Hochwasserkatastrophe anbahn-
te. In der Gemeinde Poing, östlich von Mün-
chen, am nordwestlichen Rand des Land-
kreises Ebersberg gelegen, sorgten sich
die Menschen ebenfalls. Hier hatte es
schon eine Katastrophe gegeben. Den bru-
talen Mord an einer alleinstehenden Frau.
Die Ermittler gingen zunächst von einem
Familiendrama aus. Und doch machte sich
Angst breit in der Wohngegend ringsum.
Manch einer erklärte, wegziehen zu wol-
len, es hatte Diebstähle von Damenwäsche
gegeben und anonyme Anrufe bei Frauen,
die alleine lebten – wie das Opfer.
Kurz nach 22 Uhr am Samstag war Gud-
run Wudy nach Hause gekommen, hatte ih-
ren dunkelblauen Audi in der Tiefgarage
geparkt. Ihre Wohnung lag in einem anony-
men Neubauviertel am Rand des Ortes. Es
war wohl nicht viel los auf den Straßen an
diesem 10. August, das Wetter verlockte
nicht zu Spaziergängen. Ein Telefonanruf
bei Gudrun Wudys Vater in Dachau – zwei-
mal ließ die Tochter es läuten als Zeichen
dafür, gut heim gekommen zu sein – war
ihr letztes Lebenszeichen. Bis die Ermittler
endgültig rekonstruieren konnten, was
der 38-Jährigen in jener Nacht widerfuhr,
sollte es mehr als ein Jahr dauern.

Gudrun Wudys Vater war es, der seine er-
mordete Tochter fand. Am Dienstagmor-
gen war er mit ihr verabredet, wollte die He-
cken beschneiden im Garten ihrer Woh-
nung. Als er ankam, waren die Fensterlä-
den verschlossen, ein ungutes Gefühl be-
schlich ihn. Er schloss die Tür auf und
durchsuchte die Zimmer. Im Bad wurde sei-
ne Sorge Gewissheit. Der Leichnam seiner
Tochter lag in der Badewanne, Stiche im
Halsbereich, blaue Flecken auf dem Kör-
per. „Äußerst brutal“ sei der Täter vorge-
gangen, teilte die Kriminalpolizei kurz dar-
auf in trockener Ermittlersprache mit. „Sie
hat sehr, sehr schlimm ausgeschaut“, for-
muliert es Roland Frick, im Jahr 2002 Chef
des Kriminal-Erkennungsdienstes. Nach
der Schutzpolizei waren er und seine Mitar-
beiter als Erste am Tatort. „Und ich weiß
noch, wie ihr Vater dastand“, erzählt Frick.
„Schaffen Sie das, finden Sie ihn“, habe er
gesagt, nichts weiter. „Und natürlich sagt
man dann: Klar, wir finden ihn.“
Doch zunächst gingen die Ermittlungen
ins Leere. Keine Einbruchsspuren an Tü-
ren oder Fenstern, kein Hinweis auf einen
Raubmord. Hatte Gudrun Wudy ihren Mör-
der gekannt? In den Tagen nach dem Tod
der Projektleiterin eines Mobilfunkunter-
nehmens, die mit ihrer Katze allein lebte,
durchkämmten 60 Beamte die Siedlung,
den dahinter liegenden Park; jede Müllton-
ne wurde durchsucht, jeder Nachbar be-
fragt, eine Sonderkommission eingerich-
tet. Die Soko „Bergfeld“ rief einen guten
Monat später zu einem Massen-Gentest
auf. 1500 Männer aus „dem Wohnumfeld
des Opfers“ wurden angeschrieben – DNA-
Spuren des Täters hatten die Ermittler am
Körper der ermordeten und vergewaltig-
ten Frau gefunden. „Das war, soweit ich
mich erinnere, der bis dahin größte Spei-
cheltest in Oberbayern überhaupt“, erzählt
Frick. Aber er blieb ohne Ergebnis. Warum
auch sollte sich ein Schuldiger freiwillig
testen lassen? „Wenn alle aus der Nachbar-
schaft gehen, ist es schwer zu erklären, war-
um einer es nicht tut“, erklärt der ehemali-
ge Ermittler. Doch Gudrun Wudys Mörder
war kein Nachbar. Er gehörte auch nicht zu
jenen 14 Männern, die sich weigerten, eine
Speichelprobe abzugeben, bis sie per rich-
terlicher Anordnung gezwungen wurden.
Der Mörder war zwar in Poing aufgewach-

sen und kannte das Neubaugebiet am Berg-
feld gut, wohnte zu diesem Zeitpunkt aber
mit seiner schwangeren Freundin in Riem.
Vielleicht sah er ja den Fahndungsaufruf in
der Sendung „Aktenzeichen XY... unge-
löst“ im Februar 2003. Eine Zeugin immer-
hin meldete sich, wollte einen Mann beob-
achtet haben in der Mordnacht. Doch das
nach ihren Angaben gefertigte Phantom-
bild entsprach in nichts dem Täter. Die Aus-
sage seiner Ex-Freundin schließlich war
es, die Michael F. zu Fall brachte. Im Früh-
jahr hatte sich die junge Frau von dem
21-jährigen Gelegenheitsarbeiter getrennt


  • aus Angst um sich und ihr inzwischen ge-
    borenes Kind. Aus Angst ging sie dann
    auch zur Polizei und berichtete von den
    Szenen auf einer Videokassette, die sie ver-
    steckt in ihrem Wäscheschrank gefunden
    hatte, vier Monate nach der Tat. Das Video
    bekamen die Ermittler nie zu Gesicht, Mi-


chael F. hatte es verbrannt, doch die Be-
schreibungen der jungen Frau, die am Tat-
ort gefundene DNA, ein Schuhabdruck
und Kleidungsstücke der Getöteten, die
sich in Michael F.s Wohnung und dem Spei-
cher im Haus seiner Mutter fanden, nötig-
ten ihn schließlich zum Geständnis.
In der Tiefgarage war Michael F., der als
Spanner durch Poing streunte – auch die
Wäschediebstähle gingen auf sein Konto –,
auf Gudrun Wudy aufmerksam geworden
und ihr zu ihrer Wohnung gefolgt. An der
geöffneten Tür gab er ihr einen Stoß und
versetzte ihr mit einem Elektroschocker ei-
nen Stromschlag. Als sie sich weiter wehr-
te, stach er ihr mit einem Kartoffelmesser
mehrmals in den Hals, durchtrennte dabei
das Rückenmark. Dann verging er sich an
der Leiche – und filmte alles mit einer Ka-
mera. Auf dem Speicher seiner Mutter fan-
den die Ermittler eine Diskette mit der

Startseite für eine Homepage, die den gan-
zen Abgrund in der Gefühlswelt des Mör-
ders offenbarte. Michael F., in der Schule
für seine geringe Körpergröße und seine
große Nase gehänselt, verbrachte seine Ju-
gend vor allem mit dem Fernseher und
träumte von einer medientauglichen Karri-
ere als Massenmörder. Im Herbst 2004 ver-
urteilte ihn der Vorsitzende Richter der Ju-
gendkammer zu zehn Jahren Haft und Un-
terbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus. Einem Antrag auf Haftent-
lassung 2012 wurde nicht stattgegeben,
auch nicht einer Verlegung in den norma-
len Vollzug. Zu groß die Gefahr, dass der in-
zwischen 30-Jährige, dem zur Tatzeit eine
„schwere seelische Abartigkeit mit voyeu-
ristischen, nekrophilen, fetischistischen
und sadistischen Zügen“ bescheinigt wor-
den war, erneut ein Verbrechen begehen
würde. Im Januar 2013 starb er in Haft.

Auch Gudrun Wudys Vater ist inzwi-
schen tot. Roland Frick, der ihm damals be-
gegnete, gab seinen Job als Kriminaler vor
Jahren auf, um in Poings Nachbargemein-
de Pliening Bürgermeister zu werden. Mit-
genommen aus seinem früheren Beruf hat
er sehr klare Vorstellungen von Recht und
Unrecht, Schlagzeilen wie vom „Mörder
mit dem Milchgesicht“ bringen ihn immer
noch auf die Palme. Dass Michael F. mit sei-
nen zur Tatzeit 21 Jahren unter Jugend-
strafrecht fiel, sei ein Unding, urteilt Frick.
„Die Volljährigkeit hätte auch im Straf-
recht auf 18 heruntergesetzt werden müs-
sen. Mit 18 kann ich in den Bundestag ge-
wählt werden, also bin ich auch verantwort-
lich für meine Handlungen. So einer wie
der ist doch kein Kind mehr.“

Alle Folgen der Serie „Tatort Region“ finden Sie
auch online unter sz.de/tatort

Ramersdorf-Perlach – Am Sonntag,



  1. August, radeln die Grünen durchs Vier-
    tel. Gunda Wolf-Tinapp vom Bezirksaus-
    schuss wird über aktuelle Bauvorhaben
    sprechen und Fragen beantworten. An-
    schließend geht es in einen Biergarten. Die
    Radtour beginnt um 14 Uhr am U- und
    S-Bahnhof Neuperlach Süd am Schindler-
    platz. Bei Regen fällt sie aus. jlk


Die Stadtwerke haben mit dem denkmal-
geschützten Maxwerk keine Pläne, halten
es aber auch nicht in Schuss. FOTO: HAAS


Die Tote in der Badewanne


IIm August 2002 wird eine Ingenieurin in ihrer Poinger Wohnung bestialisch ermordet. Es dauert
mehr als ein Jahr, bis der Täter gefasst wird. Und das auch nur durch einen bizarren Zufall

Neues Krankenhaus findet kein Personal


Vier Monate nach der Eröffnung kann das Heckscher-Klinikum Haar immer noch nicht so viele Kinder aufnehmen wie ursprünglich geplant


Haidhausen– Bis vergangenes Jahr war
die Zukunft des Maxwerks ein Politikum.
Alles drehte sich um die Frage: Gastrono-
mie oder nicht? Inzwischen ist es die Ge-
genwart des ältesten noch laufenden Was-
serkraftwerks Münchens, die zu fortlaufen-
dem Schriftverkehr und Debatten führt.
Auch weil die Stadtteilpolitiker beim Max-
werk nicht nachlassen. So haben sie auf ih-
rer Sitzung erneut die Stadtwerke, denen
das Maxwerk gehört, aufgefordert, dass
die „Außenfassade endlich gestrichen, die
Schmierereien beseitigt und die Fenster
und Türen ordnungsgemäß saniert wer-
den“. Die einstimmig verabschiedete CSU-
Initiative will erreichen, dass die „fortge-
setzte Vernachlässigung des denkmalge-
schützten Maxwerks durch die Stadtwerke
unverzüglich beendet wird“. Die Stadtwer-
ke reagieren schmallippig. Nur so viel:
„Zum aktuellen Zeitpunkt ist keine weitere
Nutzung im Maxwerk über die Energieer-
zeugungsanlage hinaus geplant.“
Seitdem die Augustiner-Brauerei nicht
mehr mit einer Wirtschaft in das denkmal-
geschützte Maxwerk einziehen will, ist die
Zukunft des Maxwerks unklar. Umso
mehr drängen die Lokalpolitiker darauf,
dass die Fassade hergerichtet wird. Das sei
völlig unabhängig von einer etwaigen „Zu-
satznutzung“. Der Umgang mit dem Einzel-
denkmal „ist befremdlich und bedauer-
lich“, stellen die Lokalpolitiker fest. Zumal
sie sich bereits im vergangenem Oktober
nah am Ziel sahen. Damals erreichte sie
über das Wirtschaftsreferat eine erfreuli-
che Nachricht: „Wie uns die SWM nun-
mehr mitteilten, werden sie dem Anliegen,
eine Außensanierung des Maxwerks durch-
zuführen, nachkommen.“ Neun Monate
sind seit der Zusage vergangen.
Doch bisher ist am Maxwerk nichts pas-
siert. Ob sich das bald ändert, ist zumin-
dest fraglich. Denn auch die naheliegen-
den Fragen bleiben seitens der Stadtwerke
unbeantwortet: Was bei der zugesicherten
Außensanierung genau erfolgt und wie der
Kosten- und Zeitplan aussieht. Es gibt nur
die Auskunft, dass man derzeit die Initiati-
ve aus dem Bezirksausschuss bearbeite
und einen aktuellen Zwischenstand daher
nicht liefern könne. kors


Ramersdorf-Perlach– Eine Einsatzfahrt
mit Blaulicht und Martinshorn hat am Mitt-
wochabend an der Kreuzung der Ständler-
zur Balanstraße ein jähes Ende gefunden.
Der Rettungswagen der Berufsfeuerwehr,
der einen achtjährigen Buben und seine
Mutter ins Kinderkrankenhaus bringen
sollte, kollidierte gegen 17.10 Uhr mit ei-
nem Pkw. Verletzt wurde niemand. Ein her-
beigerufener Rettungswagen setzte die
Fahrt mit Mutter und Sohn fort. Wie die
Feuerwehr mitteilt, gab es erheblichen
Sachschaden. Die Polizei ermittle, wie es
zum Unfall habe kommen können. belo


Im Herbst 2004 muss
sich Michael F. vor
einer Jugendkammer
des Landgerichts
München II für seine
Tat verantworten.
Seine frühere Freundin
hatte die Polizei
auf seine Spur geführt.
Gudrun Wudy (re.), sein
Opfer, hatte in einem
ruhigen Wohnviertel in
Poing gelebt.
FOTOS: FRANK MÄCHLER/DPA,
POLIZEI, PETER HINZ-ROSIN

Grüne radeln


durch Perlach


Das Haus ist fertig, aber die Belegschaft ist noch nicht vollzählig: das neue Heck-
scher-Klinikum Haar. FOTO: CLAUS SCHUNK

Unfallfahrt


mit Martinshorn


Mehr Achtung


für einDenkmal


Stadtwerke sollen
das Maxwerk endlich sanieren

Die spektakulärsten
Kriminalfälle
SZ-Serie · Teil 10

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OSTEN


R8 P11 (^) STADTVIERTEL Donnerstag, 8. August 2019, Nr. 182 DEFGH

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