Süddeutsche Zeitung - 08.08.2019

(Darren Dugan) #1
von florian fuchs

Augsburg– ImGrunde passen alle wichti-
gen Botschaften zum Klimawandel auf ei-
nen Bierdeckel. Annette Menzel hat das
vor kurzem beim Klimakabinett in Berlin
vorgeführt. Vier Punkte habe sie für die Mi-
nister auf einen Untersetzer geschrieben,
sagt die Professorin für Ökoklimatologie
an der Technischen Universität München:
Wir stecken mittendrin, es ist klar, dass
der Mensch schuld ist, die Auswirkungen
sind überall spürbar und es braucht nun
schnelle, nachhaltige und große Änderun-
gen. „Das ist überlebenswichtig“, sagt Men-
zel. Und damit das auch dem Letzten klar
wird, steht die Professorin nun vor einer
stattlichen, etwa 100 Jahre alten und voll
verkabelten Rotbuche am Eiskanal in Augs-
burg. Der Baum überträgt fortan täglich
seine Daten ins Internet: Wie wächst der
Stamm, was macht der Saftfluss, wie
warm werden die Blätter? Das Pilotprojekt
soll Wissenschaftlern wichtige Erkenntnis-
se liefern und vor allem helfen, den Klima-
wandel zu veranschaulichen.
Vier Bäume in Bayern gehen nun online,
„Baum 4.0“ heißt das Programm. Augs-
burg, mit 7700 Hektar größter kommuna-
ler Waldbesitzer in Bayern, macht den An-
fang – München, Eichstätt und Berchtesga-
den folgen. Die Stämme sind dafür mit al-
lerhand Kabeln versehen, ein Solarpanel
liefert die notwendige Energie für die Sen-
soren. Eine Webcam erfasst einmal pro
Tag einen Teil der Krone des Baums in
Augsburg, um im Frühjahr die Blattent-
wicklung und im Herbst die Blattverfär-
bung zu dokumentieren. Das Projekt wird
vom Bayerischen Wissenschaftsministeri-
um gefördert, und ist ein Teil des Verbunds
Baysics, in dem die Staatsforsten, der Al-
penverein und das Bayerische Netzwerk
für Klimaforschung kooperieren, um den
Klimawandel „vor der Haustüre“ erlebbar
zu machen, wie es Menzel ausdrückt. Denn
darum geht es, sagt auch Augsburgs Zwei-
te Bürgermeisterin und Forstreferentin
Eva Weber (CSU): „Wenn wir was ändern
wollen, müssen wir die Bürger erreichen.“

Dass die Menschheit etwas ändern
muss, führt Menzel mit Fakten vor Augen:
„Wenn wir so weitermachen wie bisher, ist
es hier im Jahr 2100 um vier Grad wärmer
als heute.“ Man könne nach Südfrankreich
oder in den Libanon schauen, um nachzu-
vollziehen, welches Klima dann in Bayern
herrsche. Hitzesommer wie 2003, 2015,
2018 oder auch dieses Jahr würden schon
bis Mitte des Jahrhunderts Normalität.
„Das vertragen unsere Bäume nicht.“ Es ge-
he dabei schon lange nicht mehr nur um
die Fichte. Wenn es in Kitzingen 45 statt 40
Grad warm sei, könne man sich vorstellen,
dass die Rinde zu heiß werde. „Egal ob
Esche, Buche oder Ahorn, es gibt kaum ei-
nen Baum in Bayern, dem es noch gut
geht“, sagt Menzel, die schon lange zu dem
Thema forscht und als eine der Leitauto-
ren den vierten Sachstandsbericht des
Weltklimarats mitverfasst hat – das UN-

Gremium erhielt im Jahr 2007 den Frie-
densnobelpreis.
Die ins Internet übertragenen Vitalwer-
te sollen langfristig helfen, die Einflüsse,
denen die Bäume ausgesetzt sind, besser
zu verstehen. Neben den vier verkabelten
Bäumen sollen noch weitere hinzukom-
men, um die Aussagekraft der Daten zu er-
höhen. Indem sie die Blatttemperatur mes-
sen, erhoffen sich die Forscher Erkenntnis-
se über die Verdunstung und damit über
die Wasserversorgung an den Blättern. Ein
Sensor zeigt den Saftfluss, also den Wasser-
transport von den Wurzeln zu den Blät-
tern. Die Bodentemperatur lässt darauf
schließen, wann es Frost gibt: Bei gefrore-
nem Boden kann ein Baum kein Wasser
aufnehmen. Und ein sogenanntes Dendro-
meter misst im Mikrometerbereich den
Umfang des Baumes: Tagsüber verliert der
Stamm etwas an Umfang, weil er Wasser
verbraucht, nachts schwillt er wieder an –
und langfristig sollte er natürlich wachsen.

Die Standorte der Bäume sind sorgfältig
gewählt: In Augsburg steht die 30 Meter ho-
he Rotbuche nahe am Lech. In Eichstätt im
Jurakalk ist es im Boden trockener, in
Berchtesgaden wird der verkabelte Baum
auf 1200 Metern Höhe stehen – dort ist es
kühler. Die unterschiedlichen Bedingun-
gen machen die Daten besonders span-
nend. „Der Baum in Augsburg ist für den
Baum in Berchtesgaden so etwas wie ein
Blick in die Zukunft“, sagt Menzel. Denn in
ein paar Jahren wird es auf 1200 Metern Hö-
he genauso warm sein wie nun in Augs-
burg. Dies, sagt Menzel, ist auch ein Ansatz
für die Rettung des deutschen Waldes: Di-
versität. „Wir müssen schauen, welche
Baumarten mit den höheren Temperatu-
ren zurecht kommen.“ Bäume aus Süd-
frankreich oder dem Libanon zum Bei-
spiel, wie die Zedern.
Um die Rotbuche in Augsburg herum et-
wa hat die Augsburger Forstverwaltung
nun auch Elsbeeren gepflanzt, die alten
Eschen dort waren dem Eschentriebster-
ben zum Opfer gefallen. Elsbeeren sind
Laubbäume, die „eigentlich vor allem in
Weinbauregionen vorkommen, wo es wär-
mer ist“, sagt der Chef der Forstverwal-
tung, Jürgen Kircher. Eine Reaktion auf
den Klimawandel also. Kircher sieht das
Projekt „Baum 4.0“ als Chance, über seine
Wälder etwas zu lernen. „Wenn es einem
Baum nicht gut geht, sehe ich das auch so,
aber durch die Daten wird es spezieller“,
sagt er. Die Augsburger seien sehr sensi-
bel, wenn es um ihre Bäume gehe, erzählt
die Zweite Bürgermeisterin Eva Weber.
Wenn ein Stamm gefällt werde, kämen
schnell die Fragen, was da los sei. Dass
Schädlinge Bäume kaputt gemacht hätten,
sei oft nur für Experten sichtbar. „Durch
die Daten im Internet haben die Leute nun
die Möglichkeit, live über Bäume zu ler-
nen“, sagt Weber. So sieht das auch Menzel.
„Ein Grad Erwärmung klingt so abstrakt“,
sagt sie. Wenn man aber sehe, dass Pflan-
zen im Frühling früher austreiben, begrei-
München– Die elf in Bayern stationierten fe man, was Klimawandel bedeute.
Rettungshubschrauber sind vergangenes
Jahr mehr als 16 600 Mal in die Luft gestie-
gen. Hinzu kommen mehr als 5000 Einsät-
ze der vier Intensivtransporthubschrau-
ber. „Damit ist der Freistaat Spitzenreiter
bei den Luftrettungen in Deutschland“, sag-
te Innenminister Joachim Herrmann (CSU)
am Mittwoch in München. „Gerade bei aku-
ten Herzerkrankungen und Kreislaufstö-
rungen, neurologischen Notfällen und
auch Freizeitunfällen ist sie von unschätz-
barer Bedeutung.“ Die Zahl der Rettungs-
hubschraubereinsätze habe sich in 30 Jah-
ren verdoppelt. Herrmann nannte Mün-
chen die Wiege der Luftrettung in Deutsch-
land. So habe es erste Feldversuche durch
den ADAC 1968 am Flughafen München-
Riem gegeben, bis der Club Ende 1970 den
ersten Rettungshubschrauber am Kran-
kenhaus München-Harlaching in Dienst
nahm. Seitdem sei das Rettungsnetz konse-
quent aufgebaut worden. „Hatten wir im
Jahr 1999 noch zwölf Rettungs- und Inten-
sivtransporthubschrauber, wuchs die Zahl
auf 15 mit jeweils einem neuen Rettungs-
transporthubschrauber 2011 in Weiden,
2014 in Augsburg und 2015 in Dinkelsbühl-
Sinbronn“, sagte Herrmann. Die Jahresbi-
lanz wurde bei der Station der DRF-Luftret-
tung am Klinikum Großhadern vorge-
stellt. Deren fünf in München, Nürnberg
(zwei), Regensburg und Weiden stationier-
ten Hubschrauber waren 2018 zusammen
6340 Mal im Einsatz. dpa


Kempten– Mit der Faust schlägt der Vater
seinem Säugling mehrfach ins Gesicht,
schleudert ihn mit dem Kopf voran gegen
das Gitter des Kinderbettes, beißt in Unter-
arm und Schulter. Er wirft den kleinen Kör-
per zurück auf die Wickelunterlage. Durch
den Aufprall bricht das Holz. So heißt es in
der Anklage. So bestätigt sich die Tat vor
Gericht. Das acht Monate alte Baby erlei-
det schwere Hirnverletzungen und stirbt
daran. Das Landgericht Kempten hat den
Vater am Mittwoch wegen Mordes verur-
teilt: Der 22-Jährige muss 14 Jahre und
sechs Monate hinter Gitter.
Es fühle sich an „wie ein böser Traum,
so irreal“, zitiert die Anwältin der Mutter ih-
re Mandantin im Plädoyer. Die junge Frau
ist Nebenklägerin im Verfahren, sie sitzt so-
mit dem Mörder ihres Sohnes gegenüber.
Die beiden waren seit ihrer Jugend ein
Paar, der Sohn ein Wunschkind. Nun strei-
fen sich ihre Blicke nur flüchtig. Die 20-Jäh-
rige habe sich entschieden, beim Prozess
dabei zu sein, weil sie sich Antworten erhof-
fe, sagt die Anwältin. „Antworten auf die
Fragen: Was genau ist passiert? Und war-
um?“ Doch der Angeklagte schweigt zur
Tat. Er verfolgt den Prozess meist mit ge-
senktem Kopf.
An jenem Abend im August vor einem
Jahr bittet die Mutter den Angeklagten,
auf den Sohn in ihrer Wohnung in Kaufbeu-
ren (Landkreis Ostallgäu) aufzupassen. Sie
will zum Sport und dann eine Freundin be-
suchen. Das Paar hat sich wenige Tage vor-
her getrennt. Eine Stunde später ruft ihr
Ex-Freund an: Er habe dem Bub wehgetan.
Die Frau eilt nach Hause und findet den
schwer verletzten Jungen bewusstlos, nur
noch mit Schnappatmung. Eine solche
Schwere der Verletzungen habe auch der
Gutachter in seiner 30-jährigen Laufbahn
kaum erlebt, sagte er vor Gericht. Zwei Ta-
ge dauert der Todeskampf, bis der Junge
durch „Absterben des Gehirns“, wie es der
Richter formuliert, im Krankenhaus stirbt.
Nach der Tat versucht sich der Vater
durch Schnitte am Unterarm umzubrin-
gen. Mit Polizeibegleitung kommt er ins
Krankenhaus. Dort geht er auf die Beam-
ten los, bricht einem die Nase, weshalb er
sechs Monate seiner Strafe auch wegen Wi-
derstand gegen Vollstreckungsbeamte ab-
sitzen muss. Im Krankenhaus stellt man
fest: 2,13 Promille und Marihuana-Kon-
sum. In seinen jungen Jahren soll er laut
Gericht an Drogen „nichts ausgelassen ha-
ben“ und, wie ein Gutachter feststellt, ist
er mit 22 Jahren „massivst alkoholabhän-
gig“. Die Alkoholkrankheit hindere die
Kammer daran, eine lebenslange Freiheits-
strafe zu verhängen, wie es der Staatsan-
walt gefordert hatte.
Frust über die Trennung, Frust über die
Lebenssituation, Frust darüber, dass die
Mutter Kontakt zum Ex-Freund hatte, wa-
ren der Kammer zufolge die Motive. Die
Wut hätte ihn verleitet, Alkohol zu trinken.
Der Alkohol habe ihn verleitet, seinen
Sohn qualvoll zu misshandeln, befindet
das Gericht. Der Richter spricht von einem
„Gewaltexzess“: gequetscht, geschlagen,
geworfen, geschüttelt. „In menschenver-
achtender und brutalster Weise wurde ein
Kind zu Tode gebracht.“ Während der Haft
muss der Angeklagte auch in eine Entzie-
hungsanstalt. dpa

Geiselhöring– Als der Skandal aufplopp-
te, hatte die AfD noch kein einziges Land-
tagsmandat, nirgendwo in Deutschland.
Mario Götze hatte die Fußballnational-
mannschaft noch nicht zum vierten Welt-
meistertitel geschossen. Und Donald
Trump war nicht US-Präsident, sondern
Darsteller einer Reality-TV-Show. Was das
mit der Stadt Geiselhöring zu tun hat?
Nichts. Doch wer sich all das bewusst
macht, der bekommt ein Gespür dafür, wie
lange die Nachwehen der Geiselhöringer
Wahlfälschungsaffäre nun schon anhal-
ten. Fast fünfeinhalb Jahre ist der Skandal
her, aber richtig geklärt ist die Sache bis
heute nicht. Die juristische Aufarbeitung
ist ins Stocken geraten, ist geprägt von Pan-
nen, Versäumnissen und sonstigen Widrig-
keiten. Und jetzt? Könnte die Allgemein-
heit auch noch auf Kosten sitzen bleiben,
die der Skandal produziert hat.
Es geht um rund 114 000 Euro. Das ist
die Summe, die dem Landkreis Straubing-
Bogen für die Wiederholung der mutmaß-
lich manipulierten Kommunalwahl 2014
entstanden sein soll. Da die Geiselhöringer
neben dem Bürgermeister auch den Kreis-
tag mitgewählt hatten, musste ja im gan-
zen Landkreis nochmals abgestimmt wer-
den. Für die Manipulation verantwortlich
macht der Landkreis den Spargelbauern
Karl B. – und fordert deshalb Schadener-
satz von ihm. Auch die Stadt Bogen hat ei-
ne Klage eingereicht. Sie fordert zusätzlich
rund 6000 Euro Schadenersatz. Über diese
Zivilklagen muss seit dieser Woche das Re-
gensburger Landgericht entscheiden.
Doch bereits die Ausgangslage ist höchst
verzwickt.
Das hat zum einen mit dem Strafverfah-
ren zu tun, das parallel zu den Schadener-
satzklagen gegen Karl B. läuft. Auch die
Staatsanwaltschaft hält ja den Spargelbau-
ern für den Drahtzieher der mutmaßlichen
Wahlmanipulation. Er soll Briefwahlzettel
manipuliert haben, indem er Erntehelfer
aus Rumänien offenbar anstiftete, für be-
stimmte Kandidaten zu stimmen. Bis die
Anklage der Staatsanwaltschaft aber zuge-

lassen war, hatte es fast drei Jahre gedau-
ert, bis Februar 2017. Seither sind drei An-
läufe gescheitert, die Geschehnisse in ei-
ner Hauptverhandlung zu klären. Die Fol-
ge: Es fehlt ein Schuld- oder Freispruch, an
dem sich das Landgericht auch beim Urteil
über die Schadenersatzklage gegen Karl B.
orientieren könnte.
Ursprünglich hätte der Strafprozess im
Januar 2018 beginnen sollen, ebenfalls am
Landgericht in Regensburg. Weil die Staats-
anwaltschaft den Strafverteidigern nicht
alle Beweismittel zugänglich gemacht hat-
te, wurde das Verfahren kurzfristig wieder
abgesagt. Beim zweiten Anlauf im Oktober
2018 wurde der Prozess nach zwei Tagen
ausgesetzt. Diesmal, weil die Verteidiger
keinen Zugang zu allen digitalen Ermitt-
lungsakten bekommen hatten. Der dritte
Anlauf im März 2019 scheiterte, weil der
angeklagte Spargelbauer krank und damit
nicht prozessfähig war. Einen vierten Ver-

such will das Landgericht von 4. November
an unternehmen. Karl B. hat bislang stets
bestritten, illegal gehandelt zu haben.
Weil das Urteil im Strafprozess erst kurz
vor Weihnachten fallen soll, haben die An-
wälte des Landkreises und der Stadt Bogen
vorgeschlagen, das Zivilverfahren über die

Schadenersatzklage bis dahin auszuset-
zen. Dagegen wehren sich aber die Verteidi-
ger des Spargelbauern. Sie fordern, das Zi-
vilverfahren rasch abzuschließen und po-
chen darauf, die Schadenersatzklage abzu-
weisen – mit der Begründung, dass die Kla-
ge bereits verjährt sei. Ein Argument, das
die Causa Geiselhöring erst recht ver-
zwickt macht.

Der Hintergrund ist, dass nicht nur die
Staatsanwaltschaft sehr lange für ihre An-
klage gegen Karl B. gebraucht hat. Auch
der Landkreis hat seine Schadenersatzkla-
ge erst Ende 2018 eingereicht, fast vier Jah-
re nach der mutmaßlich manipulierten
Kommunalwahl. Zu spät, sagen die Vertei-
diger des Spargelbauern, denn die Verjäh-
rungsfrist liegt bei drei Jahren. Gerade
noch rechtzeitig, argumentieren dagegen
Landkreis und Stadt Bogen. Aus deren
Sicht ist nicht der Zeitpunkt der ersten, un-
gültigen Wahl entscheidend. Sondern der
Zeitpunkt der Wiederholungswahl, die
2015 stattfand und jene knapp 120 000 Eu-
ro gekostet hat, die man zurückhaben will.
Wer recht hat, muss nun das Landgericht
entscheiden.
Mit Blick auf die Schadenersatzforde-
rung könnte es auch um die Frage gehen,
ob sich die Stadt Geiselhöring unfreiwillig
zum Komplizen eines Kriminellen ge-
macht hat. Konkret geht es um den Vor-
wurf, dass das Geiselhöringer Wahlamt für
mehr als 400 rumänische Saisonarbeiter
Wahlscheine ausstellte – und damit wo-
möglich erst die Voraussetzung schuf, dass
die Erntehelfer an der Kommunalwahl teil-
nehmen konnten. Hierzu hat Karl B. ein
Gutachten bei einem Regensburger Rechts-
wissenschaftler eingeholt. Darin heißt es,
die Stadt hätte „von Beginn an Zweifel an
der Wahlberechtigung dieser europäi-
schen Landarbeiter haben“ müssen. Außer-
dem ist von „schweren Versäumnissen“
die Rede und davon, dass die Stadt „mehr
oder weniger bewusst falsche Wählerver-
zeichnisse angelegt“ habe. Der Geiselhö-
ringer Bürgermeister hat diese Anschuldi-
gungen zurückgewiesen. Er sei sicher,
dass die Mitarbeiter im Wahlamt nach
„bestem Wissen und Gewissen“ gearbeitet
hätten, sagte Herbert Lichtinger (CSU) im
Oktober 2018, als die Kritik am Wahlamt
laut geworden war.
Ein Urteil über die Schadenersatzklage
plant das Landgericht für den 8. Oktober.
Die Nachwehen des Skandals halten also
vorerst an. andreas glas

Peißenberg– Zwei Brüder sind bei einem
schweren Autounfall in Oberbayern getö-
tet worden. Die 20 und 13 Jahre alten Ge-
schwister starben noch an der Unfallstelle
nahe Peißenberg (Landkreis Weilheim-
Schongau), wie die Polizei am Mittwoch
mitteilte. Ein weiterer, 41 Jahre alter Auto-
fahrer wurde schwer verletzt.
Der ältere Bruder war mit seinem Wa-
gen am Dienstagabend auf einer Bundes-
straße auf die Gegenfahrbahn geraten.
Dort prallte er mit einem entgegenkom-
menden Kleintransporter zusammen.
Durch den Zusammenstoß drehte sich das
Auto und prallte gegen den entgegenkom-
menden Wagen eines 41-Jährigen. Die Brü-
der wurden durch den Zusammenprall im
Fahrzeug eingeklemmt und wurden von
der Feuerwehr befreit, doch die Retter
konnten nicht mehr helfen. Der 41-Jährige
kam mit schweren Verletzungen in ein
Krankenhaus. Der 57-jährige Fahrer des
Kleintransporters blieb unverletzt.
Warum der junge Autofahrer von der
Fahrbahn abkam, war zunächst unklar.
Ein Gutachter ermittele nun zur Unfallur-
sache, sagte ein Polizeisprecher. dpa

von hans kratzer

D


ie große Politik trägt zurzeit Züge
einer Vorhölle, in der das Böse
dampft und die Niedertracht bro-
delt. Ähnliche Abgründe aber hatte be-
reits der Ministerpräsident Alfons Gop-
pel erlebt. Sein Nachfolger Franz Josef
Strauß stauchte ihn einmal dermaßen zu-
sammen, dass dem großen alten Mann
Tränen über die Wangen liefen. Der stell-
vertretende Ministerpräsident und Freie-
Wähler-Chef Hubert Aiwanger hat wegen
eines Rüffels aus der CSU noch nie ge-
weint. Das heißt aber nicht, dass er ge-
fühllos ist. Wenn sein rustikales Auftre-
ten bei Journalisten Reaktionen hervor-
ruft, weist er sie bevorzugt auf dem Kra-
wallmedium Facebook zurecht, wobei er
seine Wortwahl mithilfe des niederbayeri-
schen Schimpfwortbreviers schärft.
Dieses Vademecum des Donnerns und
Scheltens nimmt die Bevölkerung quasi
mit der Muttermilch auf, und zwar aus-
nahmslos alle, ob sie nun Politiker sind
oder Journalisten oder Landwirte. Eine
Kollegin, die neulich Aiwangers kernigen
Stil thematisiert hat, wurde von ihm post-
wendend als „Schmazhaum“ (Schmaz-
haube) gewürdigt. Mit einem Begriff also,
der noch keine Beleidigungs- aber reich-
lich Stichelqualität besitzt.
Aus linguistischer Sicht fällt auf, dass
in der Schmazhaum das Verb schmatzen
steckt, das in Südbayern keineswegs –
wie im Standarddeutschen – eine ge-
räuschvolle Nahrungsaufnahme be-
schreibt, sondern eine mündliche Unter-
haltung. Als Schmatzer (weibliches Pen-
dant Schmazhaum) gelten Akteure, die
zu viel reden. Im Landtag sitzen berufsbe-
dingt viele Schmatzer, auch Aiwanger
zählt dazu. Ministerpräsident Markus Sö-
der hat sich sogar als ein so begnadeter
Schmatzer hervorgetan, dass ihm der Ka-
barettist Bruno Jonas den Ehrentitel
Mausdoudschmatzer verpasst hat.
Nach Aiwangers Definition verzapft ei-
ne Schmazhaum auch noch Unsinn. Dies
bezog er auf die ihm zugedachte Titulie-
rung Lackl, die er aber sehr einseitig ver-
stand. Immerhin ist der Lackl aus dem
Französischen hierher migriert, ausge-
hend vom General de Melac, einem Mann
von sehr hohem Rang. Vermutlich wollte
Aiwanger statt Schmazhaum sagen: „Ho-
it’s Mei!“ (halt den Mund). Die niederbay-
erische Sängerin Karin Rabhansl bremst
ihre Schmatzer viel vornehmer aus:
„Mogst schmusen, mia wads wurscht!“


Frensdorf– Weil mehr als 100 Menschen
nach dem Baden über Übelkeit und Durch-
fall geklagt haben, haben Behörden einen
Badesee in Frensdorf im Landkreis Bam-
berg gesperrt. Die Wasserproben ergaben
einen hohen Anteil giftiger Blaualgen und
Noro-Viren, wie das Landratsamt am Mitt-
woch mitteilte. Woher die Noro-Viren ka-
men, war zunächst unklar. Bereits Ende Ju-
li war der See gesperrt worden. „Wir wis-
sen nicht, ob der Badesee in dieser Saison
überhaupt wieder freigegeben werden
kann“, sagte ein Landratsamt-Sprecher.
Auch der Ebinger See und der Baggersee
Breitengüßbach sind im Landkreis Bam-
berg wegen Blaualgen abgeriegelt. dpa


Fürth/München– Der Anteil der Schüle-
rinnen und Schüler im Freistaat, die auf
eine private statt auf eine öffentliche
Schule gehen, ist in den vergangenen zehn
Jahren leicht gestiegen. Im zu Ende gehen-
den Schuljahr 2018/2019 registrierte das
Statistische Landesamt in Fürth rund
141 500 Kinder und Jugendliche, die an
einer der 594 allgemeinbildenden Privat-
schulen unterrichtet wurden. Das sind 11,4
Prozent aller Schüler im Freistaat.
Zehn Jahre zuvor gab es erst 523 private
Schulen mit allerdings knapp 146 300
Schülern, was damals einem Anteil von
10,4 Prozent aller Schüler entsprach. Bin-
nen zehn Jahren gab es also einen Anstieg
um einen Prozentpunkt. dpa

Wahlkampf in Geiselhöring 2014: CSU-Kandidat Herbert Lichtinger setzte sich
auch bei der Nachwahl fast ein Jahr später durch. FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA

Es gibt kaum einen
Baum in Bayern,
dem es noch gut geht

Ein Baum geht online


In Augsburghaben Wissenschaftler eine 100 Jahre alte Rotbuche voll verkabelt und mit Sensoren versehen.
Damit sollen die langfristigen Auswirkungen des Klimawandels auf die Vegetation dokumentiert werden

120000 Euro kostete die
Wiederholung der Wahl, unklar
ist, ob die Forderung verjährt ist

Rettungshubschrauber


16600 Mal im Einsatz


14 Jahre Haft für


Mord an Baby


Gericht verurteilt 22-Jährigen, der
eigenen Sohn totgeprügelt hat

Nachwehen eines Skandals


Die Geiselhöringer Wahlfälschungsaffäre ist bis heute nicht juristisch geklärt. Nun fordern Stadt und Landkreis Geld zurück


Zwei Brüder sterben


bei Autounfall


MITTEN IN BAYERN

Von Lackln und


Schmazhaum


Badesee nach


Krankheitsfällen gesperrt


Anteil der Privatschüler


leicht gestiegen


Diese Rotbuche wächst im Dienste der Wissenschaft. Der Baum in Augsburg
wurde von der TU München verkabelt. FOTO: FLORIAN FUCHS

Ein weiterer Testbaum
steht in Eichstätt,
ein anderer bei Berchtesgaden


DEFGH Nr. 182, Donnerstag, 8. August 2019 R11


BAYERN

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