Handelsblatt - 08.08.2019

(Ann) #1

Wirecard


Zum Wachstum verdammt


Wirecard legt starke Zahlen


vor. Dennoch fällt der


Aktienkurs. Das zeigt, wie


hoch die Erwartungen der


Investoren inzwischen liegen.


Felix Holtermann Frankfurt


M


arkus Braun steckt in ei-
nem Dilemma. Seit Jahren
übertrifft der Wirecard-

Chef mit den Ergebnissen die Erwar-


tungen der Analysten. Sein Zahlungs-


dienstleister aus Aschheim bei Mün-


chen wächst rasant und beflügelt die


Träume der Aktionäre. Heute ist er


mehr wert als die Deutsche Bank.


Doch der Dauererfolg und die rituali-


sierten Plan-Übererfüllungsmeldun-


gen haben eine Schattenseite: Das ra-


sante Wachstumstempo muss beibe-


halten werden. Gibt es nur leiseste


Zweifel, dass sich die Dynamik ab-


schwächen könnte, ist die Enttäu-


schung groß, wie die Vorstellung der


jüngsten Zahlen zeigt.


Offiziell hat Wirecard Rekordergeb-


nisse abgeliefert. Das Transaktionsvo-


lumen, eine der Kernzahlen, stieg in


den ersten sechs Monaten des Jahres


um mehr als 37 Prozent auf rund 77


Milliarden Euro. Der Umsatz wuchs


um über 36 Prozent auf 1,2 Milliarden


Euro, der Nettogewinn um mehr als


50 Prozent auf 237 Millionen Euro.


Aktionäre stellte die starke Entwick-


lung dennoch nicht zufrieden, die


Aktie fiel um bis zu zwei Prozent.


Analysten zufolge hatten sich viele


Investoren ein noch stürmischeres


Wachstum erhofft. Tatsächlich be-
trug das mögliche Transaktionsvolu-
men mit Neukunden, das sich laut
CEO Braun nach 18 Monaten oft zu
zwei Dritteln in reales Geschäft um-
wandelt, knapp 35 Milliarden Euro.
Das entspricht einem Plus von 15,3
Prozent zum Vorjahreszeitraum, aber
einem geringeren prozentualen Zu-
wachs als in der Vergangenheit.
Laut dem Konzern ist das nicht
verwunderlich, schließlich müsse
sich das Wachstum aufgrund der ho-
hen absoluten Zahlen der Vergangen-
heit fast zwangsläufig abschwächen.
Dennoch sah sich Braun in der Ana-
lystenkonferenz genötigt, auf die ei-
gene konservative Schätzung zu ver-
weisen. „Wir orientieren uns bei der
Planung an Untergrenzen, damit wir

die Aussichten nicht immer korrigie-
ren müssen. Wir halten praktisch un-
ser Pulver trocken“, sagte der CEO.
Analysten lobten die Zahlen. „Wi-
recard lieferte insgesamt ein solides
Quartal, in dem Umsatz und Ergeb-
nis je Aktie die Erwartungen über-
treffen“, bilanziert die Baader-Bank.
Die jüngsten Zahlen bestätigten, dass
das Ergebniswachstum des Jahres
2018 „kein One-Trick-Pony war, son-
dern der Beginn einer beschleunig-
ten Wachstumsphase“. Ähnlich posi-
tiv fiel die Bewertung von Warburg
aus. Goldman Sachs lobte den Aus-
bau der Compliance-Abteilungen.
Diese sollen laut Finanzchef Alexan-
der von Knoop bis zum Jahresende
auf rund 230 Mitarbeiter aufgestockt
werden, nach rund 150 im April.
Die Diskussionen der vergangenen
Monate um Bilanzunregelmäßigkei-
ten in Singapur und Transaktionen
für betrügerische Trading-Seiten
spielten bei der Vorlage der Halbjah-
reszahlen keine Rolle. Auch die Vor-
würfe, Journalisten der Zeitung „Fi-
nancial Times“ (FT) arbeiteten mit
Spekulanten zusammen, thematisier-
te das Management nicht erneut. Zu-
nächst wolle man die interne Prü-
fung der FT abwarten, hieß es.
Der Abschluss der Partnerschaft
mit dem japanischen Investor Soft-
bank, der per Wandelschuldver-
schreibung in Höhe von 900 Millio-
nen Euro bei Wirecard einsteigen
will, liegt laut Braun im Plan und soll
Ende September vollzogen sein. „Wir
sprechen bereits mit sechs Unterneh-
men aus dem Softbank-Portfolio über

Kooperationen.“ Die erste wurde be-
reits unterzeichnet: Für die Automo-
bilplattform „Auto1“ sollen digitale
Finanzdienstleistungen entwickelt
werden. Auch die Kooperation mit
der französischen Großbank Crédit
Agricole (CA) konnte Wirecard aus-
bauen. CA bietet seinen E-Commer-
ce-Kunden Wirecards Software an.
Die Kosten stiegen im ersten Halb-
jahr rasant und fast so schnell wie
der Umsatz. Wirecard muss also viel
Geld investieren, um das hohe
Wachstum zu sichern. Die Personal-
kosten kletterten um mehr als 25
Prozent, der Materialaufwand, der
Gebühren an Banken und Kreditkar-
tenfirmen beinhaltet, um über 37
Prozent. Wie schon im ersten Quartal
wächst die Abhängigkeit von Asien.
Erstmals erwirtschaftete Wirecard in
der Region Asien/Pazifik mehr Um-
satz als in Europa, das Amerika/Afri-
ka-Geschäft bleibt klein.
Wie üblich verband CEO Braun die
Vorstellung der Zahlen mit der Ver-
kündigung noch stärkerer Ziele. „Im
ersten Halbjahr hat sich unser
Wachstum beschleunigt, sodass wir
äußerst optimistisch in das zweite
Halbjahr blicken. Dementsprechend
haben wir unsere Prognose 2019 so-
wie die Vision 2020 erhöht.“ Für
2019 erwartet der Konzern einen Ge-
winn (Ebitda) zwischen 765 Millionen
und 815 Millionen Euro, fünf Millio-
nen mehr als zuletzt eingeplant. Der
Umsatz soll bis 2020 auf gut 3,2 Milli-
arden Euro steigen, ein Drittel mehr
als noch 2018. Das rasante Wachstum


  • in Aschheim muss es weitergehen.


Unicredit


Gegenwind durch


niedrige Zinsen


Die HVB-Mutter hat ein


schwaches zweites Quartal


hinter sich und muss die


Prognose der Einnahmen für


2019 kürzen.


Regina Krieger Rom


M


it einem nachgebenden
Kurs reagierte die Aktie von
Unicredit auf die Zahlen,

die deren Chef Jean-Pierre Mustier


am Mittwoch in Mailand vorlegte. Die


Einnahmen sanken im zweiten Quar-


tal auf 4,5 Milliarden Euro, das waren


knapp fünf Prozent weniger als im


entsprechenden Quartal des Vorjah-


res. Die Zahl lag auch unter den Er-


wartungen der Analysten. Der um au-


ßerordentliche Einflüsse bereinigte


Nettogewinn lag bei einer Milliarde


Euro und war kaum verändert zum


Vorjahresquartal. Aufs Halbjahr ge-


rechnet verdiente die Muttergesell-


schaft der deutschen Hypovereins-


bank unterm Strich mit knapp 2,2


Milliarden Euro ein Prozent mehr als


im entsprechenden Zeitraum 2018.


Entscheidend für die Enttäuschung


der Anleger war, dass Mustier die


Prognose für die Einnahmen 2019


leicht senken musste. Schuld seien


die Zinsentwicklung und die Geldpo-


litik der EZB. „In einem aktuellen


Umfeld wie diesem, mit niedrigeren
Zinsen für eine noch länger als bisher
vorhergesehene Zeit, haben wir uns
entschlossen, unsere Ziele für das
Jahr 2019 von 19 auf 18,7 Milliarden
Euro zu senken“, sagte Mustier in
Mailand. Die Ziele für Gewinn und
Dividende bleiben aber bestehen.
Für 2019 sieht sein Plan ein Nettoer-
gebnis von 4,7 Milliarden Euro vor,
bei Kosten von 10,1 Milliarden Euro.
Beim Sparprogramm kommt die
Bank voran. 98 Prozent der europa-
weit dafür ausgewählten 944 Filialen
seien bisher geschlossen worden. Un-
ruhe hatte es am Markt gegeben, als
vor Kurzem von Plänen die Rede war,
rund 10 000 Stellen abzubauen. Am


  1. Dezember legt Mustier in London
    den neuen Strategieplan für 2020 bis
    2023 vor. Wenn es allerdings einen
    Brexit ohne Vertrag geben sollte,
    dann werde man die Präsentation
    nach Mailand verlegen, sagte er.
    Zu den Sondereffekten gehört die
    vor Kurzem verkaufte Beteiligung am
    Onlinebroker Fineco Bank. Dank des
    Verkaufs machte die Bank im zweiten
    Quartal einen außerordentlichen Ge-
    winn von 1,8 Milliarden Euro. Zudem
    stellte das Geldhaus einige neue Pro-
    jekte heraus, etwa eine neue App, die
    in Italien eingeführt wurde und auch
    in Deutschland und Österreich bald
    erhältlich sein wird.


Wir sprechen


bereits mit


sechs


Softbank-


Firmen über


Koopera -


tionen.


Markus Braun
Wirecard-CEO

Markus Braun: Der Wire-
card-Chef verkündet
regelmäßig Traumzahlen.

Bloomberg

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Finanzen & Börsen
DONNERSTAG, 8. AUGUST 2019, NR. 151


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