Handelsblatt - 08.08.2019

(Ann) #1

Stephan Scheuer Düsseldorf


H


ighspeed ist eines der häufigsten
Werbeworte der Netzbetreiber in
Deutschland. Die Telekomkonzerne
locken die Kunden mit dem Verspre-
chen hoher Geschwindigkeiten in ih-
ren Tarifen. Doch die Realität sieht anders aus.
Nutzer mit den besten Smartphones in Deutsch-
land erreichen im 4G-Netz im Durchschnitt nicht
einmal 30 Megabit pro Sekunde (Mbps) an
Download raten, hat der Netzdienstleister Opensig-
nal jetzt in einer Studie herausgefunden, die dem
Handelsblatt exklusiv vorliegt. Zum Vergleich: In
Südkorea liegen sie bei 70,6 Mbps und in Norwegen
bei 65,3 Mbps. Deutschland ist im internationalen
Vergleich nur im Mittelfeld.
Ian Fogg, der die Studie bei Opensignal mitver-
antwortet hat, betont: „Die Netzbetreiber informie-
ren ihre Kunden nicht ausreichend, dass die Quali-
tät ihres Smartphones großen Einfluss auf die Netz-
geschwindigkeit hat.“ Smartphones der Mittelklasse
schafften in Deutschland bei der Untersuchung im
Schnitt nur 24,2 Mbps. Die schwächsten Smartpho-
nes brachten es in der Opensignal-Erhebung sogar
nur auf 17,4 Mbps.
Dabei stellen die Netzbetreiber in ihrer Werbung
ganz andere Top-Downloadraten in Aussicht. „Der
Unterschied zwischen Versprechen und Wirklich-
keit bei den Kunden ist krass“, sagte Frederik Lip-
fert, Gründer der Firma Etrality, die mit dem Pro-
dukt Speedcheck die Geschwindigkeit der Mobil-
funknetze in Deutschland analysiert. Bei Vodafone
soll die maximal erreichbare Geschwindigkeit 500
Mbps betragen, bei der Telekom bis zu 300 Mbps
und bis zu 225 Mbps bei Telefónica (O2).
Während in anderen Staaten fast alle Mobilfunk-
nutzer Zugang zum 4G-Mobilfunkstandard (auch
LTE genannt) bekommen, lassen sich viele Netzbe-
treiber in Deutschland 4G als Premiumprodukt be-
zahlen.
Die Kritik an der Differenz zwischen Geschwin-
digkeitsversprechen und Realität der Kunden ist
nicht neu. Im Dezember hatte sich der Branchen-

dienstleister P3 aus Aachen die deutschen Mobil-
funknetze genauer angesehen. Dabei resümierten
die Tester: Rund 90 Prozent der Nutzer in Deutsch-
land könnten nur auf Datenraten von weniger als 15
Megabit pro Sekunde zurückgreifen.
Renatus Zilles, Vorstandsvorsitzender des Deut-
schen Verbands für Telekommunikation und Me-
dien, kritisiert: „Das ist eine Mogelpackung.“ Netz-
betreiber sollten realistischere Angaben zur Ge-
schwindigkeit ihrer Tarife machen. Das gelte
sowohl für Festnetz wie für Mobilfunk. Eine Mög-
lichkeit sei statt Maximalwerten einen Rahmen
für die Bandbreite anzugeben, mit denen Ver-
braucher rechnen könnten. „Dann wissen Kun-
den in etwa, worauf sie sich einstellen können“,
sagt Zilles.

Anbieter widersprechen Ergebnissen


Die Netzbetreiber wehren sich gegen das Ergebnis
der Opensignal-Untersuchung. Der Wert spiegele
nicht die Leistung eines Anbieters wider, sondern
sei nur ein Durchschnittswert, sagt ein Vodafone-
Sprecher auf Nachfrage. „Durchschnitts-Speed in

unserem LTE-Netz liegt bei rund 40 Mbps“, sagt
der Sprecher. Zur Geschwindigkeit im 3G-Netz von
Vodafone wollte er keine Angaben machen.
4G sei dem Vorgängerstandard jedoch in vielen
Bereichen überlegen. „LTE kann die verfügbaren
Kapazitäten besser, schneller und intelligenter an
eine Vielzahl von Nutzern verteilen“, sagte der
Sprecher. Befinde sich ein Kunde an einem Ort mit
vielen Menschen, leide die Kapazität nicht so stark
wie bei 3G – etwa bei einem Konzert und einer
Sportveranstaltung in einem Stadion soll 4G mehr
Leistung bieten als die Vorgängertechnologie.
Auch eine Telekom-Sprecherin verweist darauf,
dass der deutsche Branchenprimus im letzten Test
des Branchendienstes P3 zusammen mit der Zeit-
schrift „Chip“ ein durchschnittliches Downloadtem-
po von 82 Mbps in den Städten und 44 Mbps auf
Verbindungsstraßen erreicht habe. Eine Angabe
zur durchschnittlichen Geschwindigkeit machte die
Sprecherin nicht. In den Städten und dicht besie-
delten Gebieten haben die Betreiber meist mehr
Antennen und damit eine bessere Netzabdeckung
mit höheren Geschwindigkeiten.

Werbung der
Deutschen Telekom:
In der Realität werden
die Topgeschwindig-
keiten nicht erreicht.

IMAGO

Die Kunden in


Deutschland


brauchen ein


flächen -


deckendes


und


schnelles


4G-Netz.


Renatus Zilles
Vorstandschef des
Deutschen Verbands für
Telekommunikation
und Medien

Unerfüllte


Versprechen


Der Mobilfunk in Deutschland ist deutlich langsamer, als die


Netzbetreiber suggerieren. Eine Untersuchung zeigt, wie groß der


Unterschied ist – und wie weit Deutschland international zurückhängt.


Titelthema


Das Mobilfunk-Drama


DONNERSTAG, 8. AUGUST 2019, NR. 151


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