Handelsblatt - 08.08.2019

(Ann) #1

Christoph Kapalschinski Hamburg


A


n Symbolik, dass das neueste Projekt
bei Otto ganz oben angesiedelt ist,
hat es am Mittwoch nicht gefehlt: In
einem Konferenzraum im 16. Stock
mit Blick über Hamburg stellte Ale-
xander Otto selbst die vermeintliche Zukunft des
Multichannel-Handels vor. Der 52-Jährige ist der
Einzige aus der Versandhaus-Dynastie, der noch im
operativen Geschäft ist: Er führt den familieneige-
nen Einkaufscenter-Betreiber ECE mit 90 Shop-
pingmalls in Deutschland. Es ging um die bislang
erste Kooperation im Kerngeschäft zwischen ECE
und der Otto-Gruppe, die von seinem 24 Jahre älte-
ren Halbbruder Michael Otto kontrolliert wird.
Geht es nach Otto-Offiziellen, steht Deutschland
damit eine „sensationelle“ Entwicklung im Einzel-
handel bevor. Experten sind jedoch skeptisch.
Alexander Otto kämpft schon länger mit einem
Problem: Weil immer mehr Kunden online kaufen,
sinkt die Kundenfrequenz in seinen Zentren. Im
vergangenen und im laufenden Jahr beispielsweise
kamen jeweils ein Prozent weniger Kunden als im
Vorjahr. Entsprechend stagnieren die Umsätze –
sinken also inflationsbereinigt. Als Mallbetreiber ist
Otto jedoch verpflichtet, seinen Kunden im Gegen-
zug für hohe Mieten gute Frequenz zu bieten.
Wie sich mit Onlineangeboten Menschen in die
Mall locken lassen, lässt Otto schon länger im Als-
tertal-Einkaufszentrum testen, das in Sichtweite
seines Hamburger Büros liegt. Er stellt sich die Zu-
kunft des Einkaufszentrums digital vor: In einem
aufwendigen Projekt gibt es eine Art Onlineshop, in

dem Kunden auf der Website des Einkaufszen-
trums sehen können, welche Produkte bei den
Händlern verfügbar sind.
Einfach ist das nicht: Nicht alle Händler nutzen
für ihre Bestände moderne Software, die die Daten
in Echtzeit liefert. Mindestens ebenso schwierig ist
es, die Kunden auf die Seite zu locken. Das Pro-
blem, so beschrieb es Otto, sei auch Thema auf ei-
ner ECE-Tagung in Travemünde gewesen. Bei ei-
nem Spaziergang an der Schlei mit Alexander Bir-
ken, dem Chef der Otto-Gruppe, sei dabei die Idee
entstanden zu kooperieren. Entstanden ist ein Ge-
meinschaftsunternehmen der beiden Partner: „Das
ist eine andere Art der Zusammenarbeit mit einer
sehr starken Vision“, sagte Otto. Erstmals, seit sein
verstorbener Vater Werner Otto vor 50 Jahren ECE
gegründet habe, verbünde sich der Center-Betrei-
ber operativ mit dem Versandhandel. Dabei gehö-
ren beiden Unternehmen der Otto-Familie – wenn-
gleich die Familienmitglieder unterschiedlich stark
beteiligt sind. Nun will die Familie ihre Angebote
kombinieren, um stärker zu werden.
Die Idee ist: ECE bindet seine Plattform an Otto.
de an. Ab sofort können Kunden bei einigen Arti-
keln auf Otto.de auch abfragen, ob diese nicht nur
online verfügbar sind, sondern auch bei einem
Händler lagern. Später dann sollen Menschen diese
Produkte auch reservieren oder bezahlen und an-
schließend im Laden abholen können. Eines Tages
könnten die Läden über Ottos Paketdienst Hermes
direkt innerhalb weniger Stunden aus dem Shop-
pingcenter an Kunden ausliefern. Im Alstertal soll

ein Liefertest im September starten – allerdings zu-
nächst nur für Mitarbeiter. Beim Start der neuen
Kooperation mit Otto.de sind zudem nur sechs Ket-
ten dabei – neben den zur Otto-Gruppe gehören-
den Anbietern Mytoys und Sport Scheck noch der
Schuhhändler Reno und die Modemarken Brax, Ul-
la Popken und Marc O’Polo. Weitere mögliche Part-
ner sind zurückhaltend. Otto.de-Partner Adidas
prüfe, ob der Kanal sinnvoll sei, teilte eine Spre-
cherin auf Anfrage mit. ECE-Großmieter Saturn er-
klärte, es gebe keine Pläne, sich zu beteiligen.
Die Vision von Alexander Otto ist jedoch viel grö-
ßer: Er will die Plattform auch für stationäre Händ-
ler außerhalb seiner Zentren öffnen – und für an-
dere Onlineshops. Das neue Gemeinschaftsunter-
nehmen kassiert dann Werbegebühren dafür, dass
es Onlinekunden in die Geschäfte bringt. Weltweit
sei die Kombination aus einem großen Onlineshop
und Einkaufszentren einmalig, schwärmte der
sonst zurückhaltend auftretende Firmenchef Otto.

Zusätzliche Belastung für Otto.de


Doch das könne daran liegen, dass ähnliche Ansät-
ze bisher nicht erfolgreich sind, ätzt Handelsexper-
te Gerrit Heinemann von der Hochschule Nieder-
rhein. ECE-Konkurrent Westfield habe in den USA
mit einer ähnlichen Plattform jedenfalls keinen Er-
folg. „Mich wundert, dass Otto und ECE erst jetzt
mit der Kooperation um die Ecke kommen, wo der
Hype um Multichannel fast schon wieder vorbei
ist“, spottet er. An den Plänen lässt er kein gutes
Haar. Anders als Alexander Otto glaubt er nicht da-
ran, dass sich Otto.de-Nutzer in den Laden locken
lassen: „Wer online einkauft, kauft online ein – und
denkt nicht im Traum daran, in das nächste ECE-
Center zu fahren“, sagt Heinemann.
Ähnlich sieht es Eva Stüber vom Handelsfor-
schungsinstitut IFH: „Der Erfolg wird sich nur
durch eine schnell wachsende Zahl an teilnehmen-
den stationären Händlern und eine klaren Kunden-
kommunikation ergeben können – die Herausfor-
derungen sind hierbei groß.“ Von Händlern gebe es
bislang keine Nachfrage, sagt Stüber. Tatsächlich
sind bislang nur die Bestände von gut der Hälfte
der 1 000 Läden in deutschen ECE-Centern auf der
ECE-Seite online auffindbar. Davon wiederum ist
nur ein Bruchteil zum Start des Gemeinschaftspro-
jekts mit Otto.de dabei. ECE wecke so Erwartungen
bei den Kunden, die enttäuscht würden, meint
Professor Heinemann.
Er warnt, das Projekt werde zudem für Otto.de
zu einer überflüssigen Belastung im laufenden Um-
bau. Seit zwei Jahren will Otto-Chef Birken Otto.de
zum Marktplatz nach dem Vorbild von Amazon
ausbauen. Doch das Projekt hakt: Die technische
Umsetzung braucht länger als erhofft. Noch immer
können die Händler ihre Produkte nicht selbst ein-
buchen. Dieser schon vor eineinhalb Jahren ange-
kündigte wichtige technische Schritt verzögert sich
noch mindestens bis zum Jahresende. Bis dahin
wirbt Otto.de zusätzlich zu den 450 bestehenden
Partnern keine weiteren Marken und Händler für
sein Kernprojekt an. „Otto hat genug damit zu tun,
sich selbst aus dem Sumpf zu ziehen“, kritisiert
Heinemann. Statt großer neuer Ankündigungen
brauche es Ergebnisse. Expertin Stüber sieht auch
bei den Einkaufszentren wichtigere Handlungsfel-
der: Sie müssten etwa durch Gemeinschaftserleb-
nisse vor Ort attraktiver werden. Digitale Angebote
wie die Anzeige von Verfügbarkeiten böten die
Händler dagegen auf ihren eigenen Websites.
Alexander Otto sieht das mit seinen 18 Jahren Er-
fahrung als ECE-Chef anders. Seine Prognose: In ei-
nigen Jahren werden Angebote von Läden in der
Umgebung ganz selbstverständlich per Smart -
phone einsehbar sein. „Wir wollen dabei eine star-
ke Pionierrolle einnehmen“, kündigte er an.

Alexander Otto, Alexander Birken


Sensation oder Unsinn?


Der Spross der Versandhaus-Dynastie und der Chef der Otto Group wollen die Angebote des


Mallbetreibers ECE mit dem Onlineshop verknüpfen. Doch Experten sind skeptisch.


ECE-Chef
Alexander
Otto (links),
Otto-Chef
Alexander
Birken: Große
Versprechen.

Carsten Dammann für Handelsblatt [M], Johannes Arlt für Handelsblatt [M]

Die


Otto-Group


hat genug


damit zu tun,


sich selbst aus


dem Sumpf zu


ziehen.


Gerrit Heinemann
E-Commerce-Experte
Hochschule Niederrhein

Familienunternehmen


des Tages
1

DONNERSTAG, 8. AUGUST 2019, NR. 151


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