Handelsblatt - 08.08.2019

(Ann) #1

Telefónica (Marke O2) widerspricht ebenfalls der


Darstellung von Opensignal. Die gemessene Durch-


schnittsgeschwindigkeit sei verzerrt. Partnermar-


ken der Netzbetreiber wie 1&1, Freenet oder Aldi-


Talk nutzen zwar die Infrastruktur, ihre Tarife seien


aber oft in der Geschwindigkeit auf 21 Mbps oder


50 Mbps begrenzt.


Der Einwand stimmt. Der Mobilfunkdiscounter


Freenet bietet beispielsweise einen Tarif „Allnet


Flat 2 Gigabyte“ für 9,99 Euro im Monat im 4G-Netz


von Vodafone an. Aus dem gesetzlich vorgeschrie-


benen Produktinformationsblatt geht jedoch her-


vor, dass die Geschwindigkeit in dem Tarif auf 21,


Mbps beschränkt ist. Damit liegt das Tempo deut-


lich unterhalb der Geschwindigkeiten, die Vodafo-


ne-Kunden mit 4G erreichen können.


Ian Fogg von Opensignal räumt zwar ein, dass


auch Kunden mit limitierten 4G-Tarifen in die Stu-


die aufgenommen wurden. „Der Effekt müsste sich


insgesamt jedoch relativieren“, argumentiert er. Im


Mobilfunknetz teilten sich die Kunden die Netzka-


pazität.


Wenn Smartphone-Nutzer mit Discount-Tarifen


nur gebremst 4G nutzen könnten, müssten die an-


deren Kunden dafür umso schneller unterwegs


sein. Insgesamt sei damit der Durchschnittswert für


die Downloadraten wieder aussagefähig, verteidigte


Fogg die Untersuchungsergebnisse von Opensignal.


Kunden verlieren das Vertrauen


Der Telefónica-Sprecher führte aus, sein Unterneh-


men informiere die Kunden zwar über eine maxi-


male Downloadrate von 225 Mbps, werbe jedoch


nicht damit. Zudem habe sich die Downloadrate im


zweiten Quartal 2019 im Vergleich zum Vorjahres-


zeitraum um 50 Prozent gesteigert und liege jetzt


bei 39,2 Mbps. Damit liegt allerdings auch Telefóni-


ca in seiner selbst gemessenen Geschwindigkeit


weit von der ausgewiesenen Topgeschwindigkeit


entfernt.


Die Verteidigungen der Netzbetreiber fallen letzt-


lich verhalten aus. Denn auch die selbst ausgewiese-


nen Downloadraten liegen weiter unter den ver-


sprochenen Top-Downloadraten.


Das ist ein Problem. Denn das Versprechen auf


hohe Geschwindigkeiten ist eines der wichtigsten


Verkaufsargumente der Netzbetreiber für ihre Tari-


fe. Weicht das Tempo auf den Endgeräten in der


Praxis so stark von den Versprechungen ab, drohen


die Anbieter ihr Vertrauen zu verspielen.


Verbraucher werden ohnehin nicht an 4G vorbei-


kommen. Denn alle drei Netzbetreiber wollen


schrittweise das 3G-Netz abschalten, um eine besse-


re Netzabdeckung für 4G zu realisieren.


Bei der Versteigerung der Mobilfunkfrequenzen im


Jahr 2015 hatte die Bundesnetzagentur den Firmen


ein zentrales Ziel auferlegt: Bis Anfang 2020 müssen


sie 98 Prozent der Haushalte mit mobilem Breitband


versorgen, die einzelnen Bundesländer mit mindes-


tens 97 Prozent. Die Download-Geschwindigkeit


muss dann mindestens 50 Mbps betragen.


Allerdings hat die Bundesnetzagentur hier einen


Spielraum gelassen. Sie will die Downloadrate nicht


auf den Endgeräten der Kunden messen, sondern


am Antennenmast. Das ist ein wichtiger Unter-


schied. Denn greifen gleichzeitig viele Smartphones


auf einen Mast zu, könnte im schlimmsten Fall nur


ein Bruchteil der Leistung von 50 Mbps auf den Ge-


räten ankommen.


Für die Betreiber könnte jedoch nicht die Vorga-
be der Bundesnetzagentur zum Problem werden,
sondern die Einstellung der Kunden. Denn so wie
die Mobilfunker bislang 4G als Highspeed-Netz an-
gepriesen haben, werben sie heute für den nächs-
ten Standard 5G. Er soll Geschwindigkeiten von bis
zu einem Gigabit pro Sekunde bieten, und das bei
einer Übertragung nahezu in Echtzeit.
Vodafone hat als erster Betreiber in Deutschland
5G für Endkunden freigeschaltet. An 60 Antennen
in 20 Städten ist das Netz verfügbar. Für die 5G-Op-
tion verlangt Vodafone fünf Euro extra im Monat.
Bei der Telekom ist 5G erst in einem Premium-Tarif
für 84,95 Euro verfügbar – dabei hat der Netzbetrei-
ber bislang noch keine einzige Antenne mit 5G für
seine Endkunden freigeschaltet.
Verbandschef Renatus Zilles warnt, die Netzbe-
treiber dürften sich mit ihren Werbeversprechen
für 5G nicht verzetteln. Sonst riskierten sie, für
Frust bei ihren Kunden zu sorgen. „5G ist als Tech-
nologie vor allem für die Industrie interessant“,
sagt Zilles. In vernetzten Fabriken könnte die Tech-
nik ihre Leistung effizient ausspielen. Endverbrau-
cher benötigen 5G bislang kaum. „Die Kunden in
Deutschland brauchen ein flächendeckendes und
schnelles 4G-Netz“, sagt Zilles. Darauf sollten sich
die Netzbetreiber konzentrieren und nicht überzo-
gene Erwartungen auf 5G bei Endkunden schüren.
Mitarbeit: Larissa Holzki

In der Praxis viel langsamer
Reale Download-Geschwindigkeiten für die
leistungsstärksten 4G-Smartphones in aus-
gewählten Ländern* in Megabit pro Sekunde

70,


67,


65,


65,


63,


58,


57,


55,


46,


41,


39,


37,


33,


31,


30,


29,


9,


9,


6,


0,


Südkorea


Kanada


Singapur


Norwegen


Niederlande


Japan


Australien


Schweiz


Belgien


Frankreich


Österreich


Schweden


Italien


USA


Großbritannien


Deutschland


Mexiko


Polen


Brasilien


Israel


HANDELSBLATT *Stand: 1.4.-30.6.2019 • Quelle: Opensignal

LTE Cat bezeichnet die maximale Leistungsfähigkeit der
in Smartphones verbauten LTE-Modems. Ein Beispiel:
Das iPhone Xs enthält einen Chip mit LTE Cat 18.

Qualität des Smartphones beeinflusst
Geschwindigkeit, Downloadraten im 4G-Netz

Südkorea


Niederlande


Frankreich


Deutschland


0 Mbit/s 10 20 30 40 50 60 70

Topklasse
LTE Cat 16 und höher

Mittelklasse
LTE Cat 5 bis 15

Unterklasse
LTE Cat 4 oder kleiner

Dennis Romberg


„Bestehen Sie


auf Ihrem


Recht“


Referent Dennis Romberg vom Ver-
braucherzentrale Bundesverband be-
obachtet, dass Mobilfunknutzer oft
für mehr Leistung zahlen, als sie
bekommen. Er rät zu prüfen, ob
ihnen ein Sonderkündigungsrecht
zusteht.

Herr Romberg, trotz Highspeed-
vertrag dauert der Download ewig.
Wie kann das sein?
Es ist ärgerlich, aber die Betreiber dür-
fen mit maximalen Geschwindigkeiten
werben. Dabei handelt es sich dann um
Downloadraten, die es oftmals gar
nicht gibt.

Wäre es nicht besser, die Kunden wür-
den für eine Mindestgeschwindigkeit
bezahlen?
Die Netzbetreiber können keine Min-
destgeschwindigkeit garantieren. Das
ist ein Problem: Die Datenübertra-
gungsrate hängt von verschiedenen
Faktoren ab, zum Beispiel von der Zahl
der Menschen, die an einem Ort ins
Netz wollen. So würde die Mindestan-
gabe auf einem Konzert immer unter-
schritten werden.

Was kann ich als Kunde tun, wenn ich
merke, dass ich in einem Funkloch
wohne und das Internet immer lang-
sam ist?
Nutzer sollten schon vor Vertragsab-
schluss prüfen, ob sie an ihrem Wohn-
ort Empfang haben. Das lässt sich auf
Verfügbarkeitskarten der Bundesnetz-
agentur sehen. Für 4G sollten Sie nur
zahlen, wenn der Standard auch er-
reichbar ist.

Welche rechtliche Handhabe haben
Nutzer gegen den Anbieter, wenn Ver-
sprechen und Leistung auseinander-
klaffen?
Wenn sie später feststellen, dass sie
trotz Highspeed-Vertrag nur zehn Me-
gabit bekommen, ist das ein Grund,
sich beim Netzbetreiber zu beschwe-
ren: Hört mal, ich kriege nicht, was ihr
mir versprecht. Ich möchte einen Ra-
batt oder mein Sonderkündigungsrecht
durchsetzen. Bestehen Sie auf Ihrem
Recht.

Wie lässt sich belegen, dass das Inter-
net zu langsam ist?
Da empfehle ich das Breitbandmesstool
der Bundesnetzagentur. Damit lässt
sich das stationäre Internet, aber auch
die mobile Datenübertragungsrate mes-
sen. Allerdings reicht eine einzelne
Überprüfung nicht, da gibt es mehrere
Kriterien für die Beanstandung. Und,
Achtung: Die geringe Geschwindigkeit
kann auch an dem Gerät liegen.

Die Fragen stellte Larissa Holzki.


Die „Marktwächter Digitale


Welt“ der Verbraucherzentrale


empfehlen Nutzern einen


Geschwindigkeitscheck.


cc-by-sa Andrea Katheder

Die Daten der Studie beruhen auf einer
Crowdsourcing-Methode. Opensignal hat Part-
nerschaften mit einer Reihe von App-Anbietern


geschlossen. Welche das sind, verrät Opensignal
nicht. Wer zum Beispiel ein bestimmtes Spiel auf


seinem Smartphone spielt, dessen Hersteller mit
Opensignal kooperiert, dessen Smartphone
könnte im Hintergrund Daten über die Netzqua-


lität weitergeben. Opensignal beteuert, das Vor-
gehen sei konform mit der Datenschutzgrund-
verordnung. Kunden würden in den Nutzungsbe-


dingungen der Apps auf die Erfassung der
Mobilfunkdaten hingewiesen. Zudem würden
alle Informationen anonymisiert. Datenschützer


sehen die Erfassung von Informationen im Hin-
tergrund oft kritisch.


So misst Opensignal


Das Mobilfunk-Drama


DONNERSTAG, 8. AUGUST 2019, NR. 151


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