Handelsblatt - 08.08.2019

(Ann) #1

Martin Greive Berlin


D


er 20. September soll ein histori-
scher Tag werden. Das Klimakabinett
will dann das groß angekündigte Kli-
maschutzpaket verabschieden, die
Versprechen in Sachen Klimaschutz
endlich mit konkreten Maßnahmen unterlegen. In
Zeiten, in denen die „Fridays for Future“-Bewe-
gung die Politik vor sich hertreibt und die Grünen
in Umfragen bei über 20 Prozent stehen, scheinen
sich alle anderen Ziele der Rettung des Klimas un-
terordnen zu müssen. Der 20. September könnte
deshalb auch zu dem Tag werden, an dem die Bun-
desregierung mit einer jahrelangen Politik bricht,
deren Infragestellung fast mit Hochverrat gleichge-
setzt wurde: der Politik der schwarzen Null.
Die „schwarze Null“, der seit 2014 ausgeglichene
Bundeshaushalt, war lange Staatsräson, ein Mar-
kenzeichen für Verlässlichkeit, mit dem sich so-
wohl der ehemalige Bundesfinanzminister Wolf-
gang Schäuble (CDU) als auch sein Nachfolger Olaf
Scholz (SPD) schmückten. Doch in den vergange-
nen Monaten geriet das Leitbild der „schwäbischen
Hausfrau“ zunehmend unter Druck: Zunächst for-
derten linke SPD-Abgeordnete und Ökonomen, die
schwarze Null zugunsten höherer Investitionen auf-
zugeben. Dann mehrten sich mit Blick auf die sich
eintrübende Wirtschaftslage Stimmen, die ein
schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm forder-
ten. Den Todesstoß könnte die schwarze Null aber
durch die neue Klimapolitik erfahren.
„Wir drohen durch all die Ausgabenwünsche bei
der Klimapolitik in einen Automatismus zu rut-
schen, der kaum noch aufzuhalten ist“, heißt es
warnend aus der Union auch angesichts von Forde-
rungen aus den eigenen Reihen. Und in der SPD
fordern die Kandidaten für den Parteivorsitz ganz
offen, wieder in großem Stile Schulden zu machen.
„Verzögerungen bei der Energiewende und
beim Klimaschutz ziehen ein Vielfaches der volks-
wirtschaftlichen Belastungen nach sich. Die
schwarze Null ist daher kontraproduktiv“, sagt die
SPD-Bundestagsabgeordnete Nina Scheer, die ge-
meinsam mit Karl Lauterbach für den SPD-Vorsitz
kandidiert, dem Handelsblatt. „Wir brauchen ei-
nen massiven staatlichen Ausbau der erneuerba-
ren Energien. Die schwarze Null ist deshalb öko-
nomisch und ökologisch unsinnig“, sagt auch
Lauterbach, geht aber sogar noch einen Schritt
weiter und fordert, gleich auch die Schulden-
bremse zu lockern: „Bei Investitionen in Bildung
und Umwelt sollte die Schuldenbremse nicht an-
gewendet werden.“

Investitionen in Klimaschutz


In das gleiche Horn stoßen Christina Kampmann
und Michael Roth, die sich ebenfalls für den SPD-
Parteivorsitz bewerben: „Wir wollen die Schulden-
bremse lösen und den Zukunftsturbo einschalten.
Klimaschutz ist der Fortschrittsmotor unserer Wirt-
schaft von morgen“, sagt Kampmann dem Han-
delsblatt. „Wenn wir diese Zukunftsinvestitionen
jetzt unterlassen, ist das eine viel größere Belas-
tung für nachfolgende Generationen als die Infra-
gestellung der schwarzen Null in Zeiten historisch
niedriger Zinsen“, sagt Roth. Auch Generalsekretär
Lars Klingbeil, der als heißer Anwärter für den Par-
teivorsitz gehandelt wird, fordert, man müsse für
das Klimaschutzgesetz „auch Geld in die Hand neh-
men“. Die Frage, ob die schwarze Null dann falle,
müsse zusammen mit dem Klimaschutzgesetz be-
antwortet werden.
Einzig Unternehmer Robert Maier, der vor eini-
gen Tagen seine Kandidatur für den SPD-Parteivor-
sitz erklärt hatte, will an der schwarzen Null fest-
halten: „Der ausgeglichene Haushalt muss weiter
Bestand haben. Das dringend benötigte Geld für
die Investitionen sollten wir durch Einsparungen
an anderer Stelle aufbringen.“
Doch zu Einsparungen war die Bundesregierung
bislang an keiner Stelle bereit. Und Haushälter
glauben nicht, dass sich daran etwas ändern wird.
Das stellt die Bundesregierung vor ein Problem:
Wenn sie beim Klimaschutz auch nur einen Teil
der Ausgabenwünsche erfüllen will, kommt sie an
neuen Schulden kaum noch herum. Denn die Zei-

Mehr Schulden


fürs Klima


Der Kampf gegen den Klimawandel droht zum Angriff auf die


schwarze Null zu werden. Vor die SPD drängt darauf, für die


Rettung des Klimas wieder Schulden zu machen. Auch in der Union


gilt der ausgeglichene Haushalt nicht mehr als sakrosankt.


Windrad vor Kohlekraftwerk:
Der Ausbau der erneuerbaren Energien soll nach
dem Willen von SPD-Politikern verstärkt werden.

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DONNERSTAG, 8. AUGUST 2019, NR. 151


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