Süddeutsche Zeitung - 31.07.2019

(Darren Dugan) #1
von benedikt frank

E


r ist eines der großen medienpoliti-
schen Vorhaben der Gegenwart: Der
Rundfunkstaatsvertrag, der derzeit
vor allem Radio und Fernsehen in Deutsch-
land regelt, soll jetzt endlich dem umge-
krempelten Seh- und Hörverhalten der
Menschen angepasst werden. Stichwort
Streaming, Podcasts und andere Netzange-
bote. Künftig soll er die aktuellen Bedingun-
gen besser berücksichtigen und zum Medi-
enstaatsvertrag werden. Vor einem Jahr öff-
nete die Rundfunkkommission den Entste-
hungsprozess dieses neuen Gesetzes. Sie
veröffentlichte einen Entwurf und bat die
Bürger um Beteiligung. Anfang Juli ist nun
ein zweiter Entwurf erschienen, in den die
Rückmeldungen eingeflossen sind.
Über 1200 Bürger sendeten vergangenes
Jahr Stellungnahmen an die rheinland-pfäl-
zische Staatskanzlei, welche die Rundfunk-
kommission der Länder leitet. Darunter al-
les von zweizeiligen Meinungen bis hin zu
mehrseitigen Abhandlungen. Teils ging es
darin ernsthaft um die Sache, teils nutzten
Leute die Möglichkeit als Ventil für allge-
meinen Medienfrust, so lassen sich die von
der Staatskanzlei veröffentlichten Einga-
ben zusammenfassen. Auch TV-Sender, In-
ternetgrößen wie Google, Branchenverbän-
de und Medieninstitutionen äußerten sich.
In einer zweiten Runde darf nun wieder
jeder zum aktualisierten Entwurf Stellung
nehmen. Wieder sollen die Eingaben, so-
weit die Erlaubnis vorliegt, online veröffent-
licht werden. Ab September beschäftigen
sich dann die Fachleute der Staatskanzlei-
en damit, im Herbst will man über die fina-
le Fassung des Gesetzes entscheiden.
Wie viele Bürgerstimmen dann noch im
Text des Staatsvertrags zu finden sind, ist
fraglich. Im neuen Entwurf sind diese nur-

schwerlich auszumachen. Das ist insoweit
nachvollziehbar, weil viele der veröffent-
lichten Bürgereingaben im launig bis em-
pörten Ton von Onlinediskussionen gehal-
ten sind und oft das Thema verfehlen. „Hier
droht alternativen Medien durch die Hinter-
tür Zensur!“, schreibt etwa ein Bürger kurz

und knapp: „Lassen Sie es!!! Ich bin dage-
gen!!“ Einzelne Bürgerbeiträge sind mehre-
re Seiten lange, akademische Abhandlun-
gen, die ordentlich Paragrafen und Litera-
tur zitieren. Doch auch diese einzelnen qua-
litativ höherwertigen Beiträge von Einzel-

nen dürften weit weniger Gewicht haben,
als die von Fachleuten und Juristen erarbei-
teten Statements der Verbände. Was die
Staatskanzlei von den unverbindlichen Vor-
schlägen als Anregung aufgreift, ist ihr und
den Ländern überlassen. In vielen Punkten
scheint die Rundfunkkommission nun den
Wünschen der Landesmedienanstalten an
den Medienstaatsvertrag gefolgt zu sein,
sie müssten schließlich über die Einhal-
tung des neuen Gesetzes wachen.
Ein wichtiger Punkt ist die Frage, ab
wann Videostreamer eine Rundfunklizenz
benötigen. Nach aktueller Gesetzeslage
bräuchte nämlich beinahe jeder eine, der
live nach einem Programmplan sendet, das
heißt: es genügt, einen Livestream anzu-
kündigen, um lizenzpflichtig zu sein. Und
das ist keine Kleinigkeit: Eine solche bei ei-

ner Landesmedienanstalt beantragte Li-
zenz kann bis zu 10 000 Euro kosten. Bisher
wurde das nicht mit letzter Konsequenz ver-
folgt. Wellen schlugen Fälle wie der des You-
tubers „Gronkh“. Der überträgt seine Video-
spielerei nach einigem Hin-und-her heute
ganz offiziell mit Rundfunklizenz ins Netz.
Aber auch viel weniger prominente Strea-
mer müssten sich nach der aktuellen Geset-
zeslage spätestens dann um die Lizenz be-
mühen, wenn eine Medienanstalt sie dazu
auffordert. Laut dem aktuellen Entwurf sol-
len zukünftig zwei Kriterien die Zulassungs-
pflicht einschränken: Ein Angebot erreicht
durchschnittlich weniger als 20000 Nutzer
gleichzeitig oder das Programm entfaltet
„nur geringe Bedeutung für die individuel-
le und öffentliche Meinungsbildung“.

Das lässt viel Raum für Interpretationen.
Im Zweifel sollen die Medienanstalten die
Zulassungsfreiheit bestätigen, in jedem
Fall aber müssten Streamer bei den Anstal-
ten eine Adresse hinterlegen. Die Konse-
quenz: Nach dem neuen Medienstaatsver-
trag bräuchten kleine Streamer mit weni-
gen Zuschauern oder zu banalen Inhalten
in der Regel keine Rundfunklizenz mehr,
wer sich wie Gronkh mit entsprechender
Reichweite professionalisiert allerdings
schon – zumindest dann, wenn man kom-
mentiertes Videospielen für ausreichend
meinungsrelevant hält. Auch sind die Zu-
ständigkeiten der Medienanstalten jetzt ex-
pliziter benannt und ihre Möglichkeit, Buß-
gelder zu vergeben, ist erweitert, etwa
wenn Informationspflichten nicht nachge-
kommen wird. Letzteres dürfte vor allem

für Medienplattformen und sogenannte In-
termediäre – gemeint sind etwa Suchma-
schinen und Social Media – Auswirkungen
haben. Denn der Medienstaatsvertrag will
mit seinen Regelungen auch Google, Face-
book und Co. zu mehr Transparenz zwin-
gen. Die Internetriesen müssten dann erklä-
ren, wie ihre Algorithmen funktionieren.
Neu ist überdies, dass die Zuständigkeit
des Staatsvertrags für Video-Sharing-An-
bieter explizit genannt wird. Die Definitio-
nen des ersten Entwurfs hätten ohne diese
Ergänzung wohl eine Lücke gelassen,
durch die etwa Youtube nicht betroffen ge-
wesen wäre. Vor dem Hintergrund, dass im-
mer wieder vor Gericht um Schleichwerbe-
vorfwürfe gegen followerstarke Influencer
gestritten wird, stellt der Entwurf ausdrück-
lich fest, dass eine Produktplatzierung, die
stets kennzeichnungspflichtig ist, bezahlt
sein muss und sie nicht nur in Sendungen,
sondern auch nutzergenerierten Videos vor-
kommen kann. Außerdem enthält der Ent-
wurf noch einen Vorschlag, der den Medien-
anstalten erlauben würde, journalistische
Angebote „zur Sicherung der lokalen und
regionalen Medienvielfalt“ finanziell zu för-
dern. Künftig wäre demnach also auch er-
laubt, dass kommerzielle private Anbieter
unter bestimmten Umständen Gelder aus
den Rundfunkbeiträgen für ihr Programm
erhalten.
Die Rundfunkkommission sammelt nun
weitere Eingaben per Mail bis zum 9. Au-
gust. Bis zum Ende des Jahres soll der Medi-
enstaatsvertrag dann abgestimmt und be-
schlossen werden. Kein leichtes Unterfan-
gen: Alle 16 Bundesländer müssen zustim-
men. Gesetz werden könnte der Medien-
staatsvertrag dann im Sommer 2020, gera-
de noch pünktlich, um eine Frist zur Umset-
zung der EU-Richtlinie über audiovisuelle
Mediendienste einzuhalten.

Serienmäßig war im Juli eindeutig: Som-
merloch. Da ist die neue Netflix-Produkti-
onAnother Life, die eine Geschichte mit Ali-
ens und Weltallmission lieblos in Lichtge-
schwindigkeit erzählt. Die toll gestartete
SerieDarkverheddert sich in Staffel zwei
so sehr in ihren Zeitschleifen, dass Zu-
schauen ohne Wikipedia kaum möglich
ist. Die RTL-2-SerieFalkenbergzeigt Teen-
agerkitsch, und die Amazon-Superhelden
ausThe Boysscheitern kläglich daran, ihr
eigenes Genre zu kritisieren. Empfehlens-
wert sind im Juli allerdings die Folgestaf-
feln dreier Netflix-Serien mit Kultstatus.


Orange Is the New Black,
finale Staffel

Was passiert:Die Geschichten der Insas-
sinnen und Mitarbeiter eines US-Frauen-
gefängnisses werden zu Ende erzählt. Pi-
per versucht, nach ihrer Haft wieder Fuß
zu fassen, eine Ex-Aufseherin überrascht
mit einem „Me Too“-Vorwurf, und einige
Frauen kämpfen in einer Haftanstalt für il-
legale Immigrantinnen gegen die Willkür
des US-Einwanderungssystems.
Heimliche Heldin:Mrs. Hayes, die Mutter
von Insassin Black Cindy (Natalie Carter).
Streng, aber warmherzig zeigt sie, was Ver-
gebung heißt.
Nicht geeignet für:Menschen, die die ers-
ten sechs Staffeln nicht gesehen haben. Bit-
te zurück zum Start! nadja schlüter


Queer Eye, vierte Staffel


Was passiert:Fünf Schwule – selbstbe-
wusst, warmherzig und albern gut ausse-
hend – besuchen pro Folge eine Person und
zeigen, wie diese ihr Leben verbessern
kann. Oft kitschig, manchmal manipulativ



  • aber auch das beste Reality-Format, das
    es derzeit gibt. Weil es anrührend zeigt, wie
    Menschen ihren Selbstwert entdecken,
    und manchmal sogar, wie eine zerstrittene
    Gesellschaft zueinanderfinden kann.
    Heimlicher Held:Helfer Karamo Brown.
    Superkraft: Dringt mit ruhiger Stimme zu
    den inneren Ängsten des Gegenübers vor
    und beruhigt mit wenigen Sätzen.
    Nicht geeignet für:Menschen, die andere
    gern scheitern sehen. jenny buchholz


Stranger Things, dritte Staffel


Was passiert:Sommer 1985 in einer Klein-
stadt im Mittleren Westen der USA. Aus
den BMX-Kids, die zwei Staffeln lang
Monster bekämpft haben, sind Teenies ge-
worden, die Teeniedinge tun. Im Einkaufs-
center abhängen, knutschen, Eltern bekrie-
gen. Und schließlich auch jenes Monster,
das sie längst besiegt glaubten.
Heimliche Heldin:Robin, gespielt von Ma-
ya Ray Thurman-Hawke, der Tochter von
Uma Thurman und Ethan Hawk. Die Neue
verbringt den Sommer mit Schmalzlocken-
Steve hinter der Eistheke, findet ihn schnö-
selig, und nein, aus den beiden wird kein
Liebespaar. Stattdessen knackt Robin rus-
sische Codes, halluziniert im Drogen-
rausch und präsentiert ein beherztes Co-
ming-out in der Klokabine, alles im Eisver-
käufereinteiler.
Nicht geeignet für:Freunde des subtilen
Grusels. Staffel drei geht auf allen Ebenen
voll auf die Zwölf. laura hertreiter


Die Skeidarársandur-Brücke an der Süd-
küste Islands sieht aus wie ein sehr großer
Scherz. Das Bauwerk ist fast einen Kilome-
ter lang, führt über schwarzes Geröll, darun-
ter fließt kein Wasser. Der Verkehr rollt ne-
ben der Brücke über eine Piste. Der Grund
dafür ist aber gar nicht lustig: Der Vatnajö-
kull, größter Gletscher Islands, hat sich so
stark zurückgebildet, dass das Schmelzwas-
ser nun anderswo ins Meer mündet und die
Brücke, die früher über einen breiten
Strom führte, eine schwarze Steinwüste
durchquert. „Die Brücke ist zu einem Sym-
bol, einem Denkmal der Vergangenheit
geworden“, sagt Gudmundur Ingi Gud-
brandsson, Umweltminister von Island.

Was die Klimaschutz-DokuIce on Fire
in den ersten Minuten erzählt, kann ziem-
lich mutlos machen. Es sind starke Bilder
und starke Worte, die ganz klar aufzeigen,
dass es kurz vor zwölf ist für unseren Plane-
ten. Weltweit führende Wissenschaftler be-
stätigen die schlimmsten Befürchtungen
zur Klimakrise und warnen vor Verände-
rungen, die das gesamte Leben auf der Er-
de bedrohen. Ist diese beängstigende Zu-
kunft in Stein gemeißelt – oder gibt es ei-
nen Ausweg?
Ja, findet Hollywood-Schauspieler und
Produzent Leonardo DiCaprio, der sich
schon seit Jahren für den Klimaschutz en-
gagiert. Er fährt Elektroauto, kritisiert US-
Präsident Donald Trump für seine rück-
sichtlose Umweltpolitik und hat nun nach
seiner DokumentationThe 11th Hourvon
2007 einen weiteren sehenswerten Film

zur Klimakrise gedreht. DiCaprio ist als
Sprecher zu hören, im Fokus stehen Men-
schen, die sich mit der Erderwärmung be-
schäftigen. Der Film beginnt wie ein Apo-
kalypse-Thriller, aber er macht auch Hoff-
nung. DiCaprio fasst es so zusammen: „Die
Wissenschaft bestätigt, dass wir die Klima-
krise selbst geschaffen haben. Wir können
sie auch selbst lösen.“
Politiker kommen nicht zu Wort in der
Doku, dafür Wissenschaftler, Erfinder und
Landwirte, die sich mit dem wohl wichtigs-
ten Thema unserer Zeit beschäftigen. Sie
messen Treibhausgase in der Arktis, sam-
meln Luftproben in Colorado, vermessen
Gletscher in Island, suchen Methanblasen
in Alaska, zählen Eisberge im Meer. Die
Fakten, die sie gesammelt haben, ergeben
ein dramatisches Bild. Die Arktis erwärmt
sich dreimal schneller als der Rest der Er-
de, was zu drastischen Veränderungen und
bizarren Wetterextremen führen wird –
Stürme, Dürren, Überschwemmungen,
Brände. Die Doku zeigt neben den Ursa-
chen für die Erderwärmung auch Wege
auf, wie man der Atmosphäre CO2 entneh-
men könnte, etwa durch biologische Land-
wirtschaft, Aufforstung, vegane Ernäh-
rung, Wind- und Solarenergie, Stadtgär-
ten und Algenplantagen.
In Zürich arbeiten Forscher an techni-
schen Verfahren, die in der Lage sind, Koh-
lendioxid der Atmosphäre zu entziehen
und unter der Erde in Stein zu verwandeln.
Ob die Erde noch zu retten ist?Ice on Fire
zeigt zumindest, dass die Klimakrise mit
Intelligenz und Ideen besser bekämpft wer-
den kann als mit Pöbeleien und Lügen, wie
man sie von Donald Trump oder der AfD zu
hören bekommt. titus arnu

Ice on Fire, auf Sky Ticket, Sky Go und über Sky Q.

Lizenz zum Senden


DasVolk durfte sprechen, nun liegt die zweite Version des Medienstaatsvertrags vor. Neben TV und Hörfunk nimmt er auch


soziale Netzwerke in den Fokus. Was sich für Influencer, Gamer, Medienplattformen und das Publikum ändern könnte


Eine Sendelizenz bei einer
Medienanstalt zu beantragen,
kann bis zu 10 000 Euro kosten

Der Schauspieler ist überzeugt,
dass der Mensch die selbst
geschaffene Krise lösen kann

Auf die Zwölf


Empfehlungen aus
der Serienflaute im Juli

Intelligenz als Ausweg


Über Leonardo DiCaprios neue Klimaschutz-Doku


Die Medienanstalten haben wohl
künftig mehr Möglichkeiten,
Bußgelder zu vergeben

DEFGH Nr. 175, Mittwoch, 31. Juli 2019 (^) MEDIEN HF2 27
Ehemals Schwimmbar, jetzt Bio-Stadtgarten in Kalifornien: InIce on Firesuchen Menschen nach Lösungen. FOTO: HBO
Der neue Medienstaatsvertrag soll klären, ob der Youtuber Gronkh, wenn er seine
Videospielerei auf Youtube überträgt, der Lizenzpflicht unterliegt. FOTO: SCREENSHOT
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