Süddeutsche Zeitung - 31.07.2019

(Darren Dugan) #1
interview: tobias kniebe

SZ: Frau Grütters, im Februar haben Sie
diedeutsche Filmszene, die fast vollstän-
dig von staatlichen Geldern abhängig ist,
in Aufregung versetzt. Die Filmförde-
rung,sagten Sie, müsse „behutsam umge-
steuert“ werden...
Monika Grütters: Im Februar werden im-
mer die Geschäftszahlen des vorangegan-
genen Kinojahres veröffentlicht, und für
das Jahr 2018 waren das mitunter schwieri-
ge Zahlen. Es gab Einbußen beim Umsatz
und bei den Besucherzahlen. Zudem gehen
aktuell auch nur noch knapp 37 Prozent
der Deutschen mindestens einmal pro
Jahr ins Kino – vor zehn Jahren waren es
noch 45 Prozent. Dabei waren die Förder-
töpfe für den Film nie besser gefüllt als heu-
te: 445 Millionen Euro öffentlicher Filmför-
derung pro Jahr. Deshalb haben mich die-
se schlechten Zahlen besonders ge-
schmerzt.


Lassen Sie uns, bevor wir ins Detail gehen,
noch einmal grundsätzlich werden. War-
um braucht ein Sechs-Millionen-Besu-
cher-Blockbuster wie „Fack Ju Göhte 3“,
der2017 an allen US-Produktionen vorbei-
gezogen ist, überhaupt Filmförderung?
Bund und Länder haben den Film mit
2,6 Millionen Euro subventioniert. Wenn
es nicht mal die erfolgreichsten Produzen-
ten alleine schaffen – ist dann nicht etwas
faul?
Filmproduktion ist ein sehr bewegliches
Geschäft. Die Produzenten sind in ihrer
Standortwahl völlig frei. Alle Standorte,
die Studios und Fachkräfte haben, neh-
men wir als Beispiel nur mal Prag, versu-
chen, erfolgversprechende Filmproduktio-
nen anzulocken. Diese Standorte werben
auch mit staatlichen Subventionen, weil
sie wissen, dass eine solche Standortförde-
rung im Filmbereich ein relevanter wirt-
schaftlicher Faktor ist, der Folgeinvestitio-
nen im eigenen Land nach sich zieht. Zu-
dem trägt er dazu bei, dass die einheimi-
sche Produktionsinfrastruktur und die Be-
schäftigten im Filmbereich ausgelastet
sind und Know-how im Inland gebunden
wird. Und weil auch die deutsche Filmför-
derung neben dem kulturellen auch den
wirtschaftlichen Erfolg im Blick hat,
macht es durchaus Sinn, selbst die kom-
merziell erfolgreichen Filme mit Steuergel-
dern zu fördern, oder im Fall von „Fack Ju
Göhte 3“, deren Produktion im eigenen
Land zu behalten.


Der Bund betreibt diese filmwirtschaftli-
che Standortförderung äußerst konse-
quent. Wer bestimmte Kriterien erfüllt,
bekommt das Geld über den Deutschen
Filmförderfonds (DFFF) automatisch,
und die abrufbaren Summen wurden
2018, gerade auch für Großproduktionen
aus dem Ausland, noch mal deutlich er-
höht: von 50 auf 125 Millionen Euro.
Ja, weil das für den Filmstandort Deutsch-
land schon rein wirtschaftlich sinnvoll ist.
Jeder Euro in der Filmförderung zieht das
Sechsfache an Folgeinvestitionen hier
nach sich. Das hat, nachdem ich oft mit
ihm gesprochen habe, der damalige Fi-
nanzminister Wolfgang Schäuble eingese-
hen. Im Ergebnis hat dann auch der Deut-
sche Bundestag 2017 schließlich diese ein-
drucksvolle Erhöhung genehmigt.


Im vergangenen Jahr ist allerdings etwas
Seltsames passiert: Von den 75 Millionen,
die Sie im DFFF-II-Fonds speziell für inter-
nationale Großproduktionen bereitge-
stellt hatten, wurden etwa 70 Millionen
gar nicht abgerufen. Eine Fehlplanung?


Im Gegenteil. Finanzierungsinstrumente
solcher Größenordnung brauchen immer
einen gewissen Vorlauf, weil die internatio-
nalen Produzenten auch längerfristig pla-
nen, gerade in den USA. Und man muss die-
se Angebote bekannt machen. Ich war gera-
de mit meinen Filmexperten in Los Ange-
les, wir hatten hochrangige Gespräche mit
Warner Brothers und Sony. Das ist immer
spannend zu hören, wie man dort die För-
derlandschaften beurteilt. Wir haben für
unseren attraktiven Filmstandort Deutsch-
land noch einmal geworben. Die Mittel für
den DFFF II sind ja nicht verfallen, und
dass sie im Anlaufjahr noch nicht voll aus-
geschöpft werden konnten, hatten wir er-
wartet.


Sie bleiben also auf dem ganzen schönen
Steuergeld nicht sitzen?
Nein, für das laufende Jahr sieht die Auslas-
tung gut aus. Es gibt zudem noch einen
Fonds speziell für die Förderung von High-
End-Produktionen, auch Serien, den Ger-
man Motion Picture Fund (GMPF). In die-
sem Jahr sind dort eigentlich 15 Millionen
drin, aber im aktuellen Serienboom ist we-
sentlich mehr gefragt. Also haben wir die
Spielräume genutzt und Fördersummen
umgelenkt. Kurz gesagt: Das Geld wird
sinnvoll genutzt.


Weiß der bayerische Ministerpräsident
Markus Söder eigentlich von diesen Sum-
men? Neulich forderte er im Interview mit
der SZ eine „nationale Film GmbH“, die al-
le Töpfe aus Bund und Ländern vereint,
um endlich die nötige finanzielle Schlag-
kraft zu haben. Was sagen Sie dazu?
Föderaler Wettbewerb hat uns immer gut-
getan. Im besten Fall sorgt er für mehr Viel-
falt. Der Wettbewerb stimuliert, wenn die
Hamburger auf die Münchner gucken und
die Münchner auf die Berliner usw. Diese
regionalen Angebote sorgen dafür, dass
Deutschland flächendeckend eben doch


das reichhaltigste Kulturangebot hat –
auch im Vergleich zu zentralistischen Sys-
temen wie in Frankreich. Insofern gibt es
kein Interesse daran, Fördermechanismen
in ihrer Gesamtheit zusammenzuführen.
Über die Bündelung einzelner Förderberei-
che und eine noch weitergehende Harmo-
nisierung sollten wir allerdings auch mit
den Ländern weiter nachdenken. Das hat
auch der intensive Austausch mit der Bran-
che gezeigt.

Wäre es denn überhaupt machbar?
Wenn Ministerpräsident Söder bei dieser
Harmonisierung vorangehen will, müsste
er als Erstes seinen eigenen Fördergrund-
satz ändern, dass bayerisches Geld unbe-
dingt in Bayern ausgegeben werden muss.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass er mit
dieser Idee Erfolg hätte.

Wenn man über Millionenbudgets und
Produktionsstandorte spricht, bekommt
die große Mehrheit der deutschen Film-
schaffenden allerdings Hassgefühle. Weil
sie sich als Filmkünstler verstehen und
das Gefühl haben, dass sie um jeden Cent
Filmförderung erbittert kämpfen müs-
sen.
Hass erlebe ich nicht, sondern eher Kon-
kurrenz und Wettbewerb – und das finde
ich nicht falsch.

Aber es schimpft doch jeder!
Das ist sicher auch mal der Fall, aber derar-
tige Debatten stimulieren doch im Übrigen
auch. Richtig ist aber, dass man Position be-
ziehen muss, und das tue ich sehr ener-
gisch. Gerade haben wir von der wirtschaft-
lichen Filmförderung gesprochen. Was
mir aber persönlich mindestens ebenso
wichtig ist, ist die Förderung des Films als
Kulturgut. Eine meiner ersten Amtshand-
lungen für den Film war es, die dezidiert
kulturelle Filmförderung des BKM um 15
Millionen auf insgesamt 28 Millionen zu er-
höhen. Diese Förderung gibt es nicht auto-
matisch, sie wird kuratiert. Damit fördern
wir Experimente, Dokumentarfilme, Kurz-
filme, aber auch anspruchsvolle Arthouse-
Filme. Also Filmformate, die unbedingt nö-
tig sind, um das gesamte Filmschaffen
wach zu halten, innovativ zu bleiben, um
Dinge zu tun, von denen Künstler über-
zeugt sind, sie unbedingt machen müssen.
Diese Filme müssen nicht jedem gefallen,
sie dürfen eine Zumutung sein, anstren-
gend, sperrig. Denn nur so entsteht Fort-
schritt, nur so, mit kritischen Positionen,
halten wir unsere Demokratie wach.

Von der Gegenseite gibt es ein böses Argu-
ment gegen die kulturelle Filmförderung.
Sehr häufig erfolgt sie in Form von Darle-
hen, die von derLogik her irgendwann zu-
rückgezahlt werden sollen. Die Rückzahl-
quote liegt aber je nach Jahrgang bei zwei
bis fünf Prozent. Was dann für das totale
Versagen des Systems spräche...
Wer so etwas sagt, stößt bei mir auf ent-
schiedenen Widerspruch! Wir müssen uns
lösen von der Idee, dass nur Filme „erfolg-
reich“ sind, die viele Besucher an der Kasse
generieren. Filme sind auch erfolgreich,
wenn sie einfach erstklassig gut sind und
auf internationale Festivals eingeladen
werden, oder wenn sie schwierige Themen
auf ergreifende Weise behandeln, wie zum
Beispiel „Systemsprenger“ von Nora Fing-
scheidt, den wir mit unserer kulturellen
Filmförderung ermöglicht haben. Der lief

im Februar im Berlinale-Wettbewerb und
hat einen Silbernen Bären gewonnen, ein
Erstlingswerk! Logischerweise zielt ein sol-
cher Film nicht auf ein Millionenpubli-
kum, aber wenn die kulturelle Förderung
gelegentlich derartige Filme ermöglicht,
hat sie ihren Sinn voll und ganz erfüllt. Es
darf hier nicht nur um Rückzahlquoten ge-
hen!

Aber sollte man diesen Darlehensgedan-
ken dann nicht einfach abschaffen? Und
sagen: Ein Großteil des kulturellen Film-
schaffens ist nicht wirtschaftlich gedacht,
es wird sich auch nicht refinanzieren,
aber wir wollen es trotzdem.
Da haben Sie recht! Und bei der kulturellen
Filmförderung meines Ministeriums gibt
es ja auch keine Darlehen, sondern nicht
rückzahlbare Zuschüsse. Wir haben sogar
eine Bestimmung, dass wir Filme bis zu
achtzig, in Ausnahmefällen sogar mal bis
hundert Prozent finanzieren können, da-
mit die Filmemacher im Fall der Fälle bei
künstlerisch besonders herausragenden
Projekten vom Fördertourismus befreit
sind, oder vom Einfluss der Fernsehanstal-
ten, die ja auch inhaltlich mitreden wollen.
All diese Hindernisse wollen wir ausklam-
mern. Denn nur so wird der Film zum Inno-
vativmotor, zum kritischen Korrektiv,
noch dazu auf besonders sinnliche Art. Das
hat eine gesamtgesellschaftliche Bedeu-
tung, die wir höher einstufen als ein Wirt-
schaftsprodukt.

Jetzt gibt es aber auch Köpfe wie den
Münchner Regisseur Klaus Lemke, der
nie Filmförderungen annimmt und die

ganze Idee als „Papas Staatskino“ ver-
höhnt. Man müsse nur die Subventionen
streichen, sagt er – und in wenigen Jahren
wäre der deutsche Film auch künstlerisch
Weltspitze. Was sagen Sie dazu?
...dass ich kühne Denker wie Klaus Lemke
klasse finde. Nein, im Ernst! Also ich finde
das Selbstbewusstsein solcher Künstler
und ihren unbedingten Willen, ihre Sicht
auf die Welt zu verbreiten, gut.

Netflix und andere Streamingdienste ma-
chen dem Kino immer stärker Konkur-
renz. Sehen Sie da Gefahren?
Ja, ich sehe die Gefahren, aber ich glaube
auch, dass wir ihnen im Moment ganz gut
begegnen. Kinobetreiber waren in meinen
Gesprächen natürlich auch dabei, und es
wurde deutlich, dass insbesondere jenseits
der Ballungsräume eine gewisse Not
herrscht. Diese Einladung, sich zu Hause ei-
nen brandneuen Film auf dem Sofa anzu-
gucken, ist ja auch verführerisch. Wahr-
scheinlich macht das jeder gelegentlich.
Aber wir haben auch die Erfahrung ge-
macht, dass diese Streamingangebote den
Appetit auf das große Kinoerlebnis eher
noch stimulieren. Das muss sich also nicht
ausschließen.

Aber was muss dafür passieren?
Es setzt voraus, dass die Kinos als Ort at-
traktiv bleiben, also auch in der Technik,
im Ambiente. Und deshalb versuchen wir,
am Kulturort Kino anzusetzen mit einem
Soforthilfeprogramm in diesem Jahr, das
neue Elemente im Visier hat: Marketing, di-
gitale Kundenbindung, Begleitprogramm
usw. Es ist mit fünf Millionen Euro dotiert.

Und im nächsten Jahr gibt es ein noch viel
größeres Angebot, nämlich bis zu 17 Millio-
nen vom Bund. Aus anderen Quellen, zum
Beispiel von den Ländern, soll noch mal
dasselbe kommen. Das würde am Ende
mehr als 30 Millionen Euro für Kinos in
Deutschland bedeuten, die zur Verfügung
stehen, um diese kulturellen Orte, an de-
nen wichtige gesellschaftliche Themen ver-
handelt werden, zu erhalten und attraktiv
zu machen. Und damit ist mehr als nur ein
neuer Anstrich der Fassade gemeint. Das
ist natürlich eine, wie ich zugebe, ziemlich
plakative Reaktion auf das Thema Strea-
ming. Das andere Feld, auf dem wir reagie-
ren sollten, ist die Förderstruktur.

In welcher Form?
Was wir in diesem Sommer geschafft ha-
ben: Wir konnten Netflix und andere Video-
on-Demand-Anbieter endlich dazu brin-
gen, dass sie ihrer seit Jahren statuierten
gesetzlichen Pflicht nachkommen, die
Filmabgabe zu bezahlen, die dann wieder
in die Filmförderung fließt. Die Filmabga-
be nach dem FFG müssen alle entrichten,
die vom deutschen Kinofilm profitieren
wollen. Das war ein großer Erfolg, es war
harte Arbeit, und es hat ja auch mehrere
Jahre gedauert.

Sind Sie immer noch der Meinung, dass
Netflix-Filme nicht im Wettbewerb der
Berlinale laufen dürfen, wenn sie nicht
auch ins Kino kommen?
Ja, das ist eine laufende Debatte, die vor
zwei Jahren in Cannes losgetreten wurde.
Im Februar hat sie sich auch hier auf der
Berlinale abgespielt, weil der Film „Elisa &
Marcela“ im Wettbewerb lief. Er sollte für
ein paar Wochen im spanischen Kino ver-
wertet werden und brachte deshalb die for-
male Voraussetzung mit, um im Berlinale-
Wettbewerb gezeigt zu werden. Am Ende,
das ist inzwischen bekannt geworden, hat
das gar nicht gestimmt, er lief nicht in den
spanischen Kinos. Ich persönlich meine da-
her, dass der Berlinale-Wettbewerb Fil-
men vorbehalten sein muss, die im Kino
ausgewertet werden, bevor sie im Strea-
ming gezeigt werden, bei allem Respekt da-
für, was Netflix auch für eine künstlerische
Klasse entwickelt hat. Ich will den neuen
Berlinale-Chefs, Mariette Rissenbeek und
Carlo Chatrian, das aber nicht vorschrei-
ben. Sie haben natürlich alle Freiheiten für
ihr Programm.

Bisher zeigt sich Netflix nicht sehr kom-
promissbereit.
Das stimmt leider und gilt insbesondere
mit Blick auf die im deutschen Filmförder-
system geltenden Sperrfristen. Wir haben
auch, um mal ein Beispiel zu nennen, mit
dem Regisseur Duncan Jones, dem Sohn
von David Bowie, lange verhandelt. Der
wollte seine Netflix-Produktion „Mute“ in
Babelsberg drehen, weil das ja auch nahe-
liegend war, sich auf den Spuren seines Va-
ters von Berlin inspirieren zu lassen. Wir
sind Netflix weit entgegengekommen, was
die Kinoauswertung anging, die nun ein-
mal eine maßgebliche Grundlage unserer
Filmförderlogik ist. Am Ende hat sich Net-
flix leider nicht auf diese Bedingungen ein-
gelassen.

Heißt das, die Filmförderung muss flexib-
ler werden, was Vorschriften für die Aus-
wertung betrifft? Also in Bezug auf das
Sechs-Monats-Fenster, in dem ein Film

den Kinos bisher exklusiv gehört?
Das ist ein ganz heißes Eisen, und das wis-
sen wir auch. Wir wollen ja das Kino als ex-
klusiven Auswertungsort stärken und un-
terstützen. Das ist ein Leitgedanke der
deutschen Filmförderung. Andererseits
wissen wir, dass hochwertige Serien, und
das, was in Streamingdiensten angeboten
wird, auf jeden Fall grundsätzlich förder-
würdig ist. Das sind schließlich künstle-
risch oft sehr anspruchsvolle Werke. Und
man darf nicht vergessen, dass die Künst-
ler, die daran beteiligt sind, also deutsche
Regisseure und Schauspieler, damit ein
Millionenpublikum erreichen. Das wird
oft unterschätzt. Wir zählen immer nur die
Tickets an der Kinokasse. Aber die millio-
nenfache Verbreitung im Streaming-Be-
reich hat ja auch gerade für Schauspieler,
die ihr Gesicht und ihr Können vermarkten
müssen, einen sehr hohen Wert. Die Pro-
duktionen sind häufig gut. Außerdem än-
dert sich das Zuschauerverhalten. Kurz ge-
sagt, wir müssen in der Fördersystematik
flexibler werden. Das ist ein Top-Thema.

In Bayern hat Ministerpräsident Markus
Söder angekündigt, er wolle das Münch-
ner Filmfest zur ernsthaften Konkurrenz
für die Berlinale machen, es sogar auf Au-
genhöhe mit Venedig oder Cannes heben.
Die Berlinale ist das Filmfestival des Bun-
des, also Ihr Ding. Lachen Sie ihn aus?
Nein, ich finde es erst einmal sehr gut,
wenn die Bayern ehrgeizig sind und ihr Fes-
tival so stark ausbauen wollen. Das tut uns
Deutschen gut, das verträgt München
auch. Das Filmfest München ist ja mit Si-
cherheit das sichtbarste nach der Berlina-
le. Allerdings, das wissen Sie auch, spielt
die Berlinale in einer völlig anderen Liga.
Unter den sogenannten A-Festivals ist die
Berlinale weltweit das größte Publikums-
festival, und sie wird diesen Charakter na-
türlich verteidigen. Das muss der Bund un-
terstützen, und tut das auch. Wir haben
das Berlinale-Budget in den vergangenen
Jahren mehrfach erhöht, insgesamt um
mehr als eine Million Euro.

Söder fordert aber auch, dass der Bund –
also Sie – sich beim Münchner Filmfest
endlich finanziell engagieren müssten.
Viele Länder wollen immer wieder, dass
der Bund ihnen hilft. Aber mit der Berlina-
le haben wir ein national bedeutsames, in-
ternationales Filmfestival, das wir folge-
richtig finanzieren. Darüber hinaus enga-
giert sich der Bund aus gutem Grunde nur
bei ganz wenigen anderen, national rele-
vanten deutschen Festivals. Alle anderen
Filmfeste fallen in die Kulturhoheit der
Länder. Und da können und werden wir si-
cher nicht noch in andere Festivals einstei-
gen, auch nicht in München.

In den vergangenen Wochen haben Sie
Filmschaffende in Ihr Ministerium einge-
laden, mit der Frage, was man anders ma-
chen könnte. Was kam dabei heraus?

Es gab drei große Gesprächsrunden mit
Vertretern aus allen Bereichen der Film-
branche, jeweils rund zwanzig Fachleute
für jeweils mehrere Stunden. Da sind eini-
ge Wünsche, Ideen, Probleme und Kritik-
punkte zusammengekommen. Die Rück-
meldungen sind dabei genauso vielfältig
und so differenziert wie das Filmschaffen
selbst.

Das kennt man ja bei diesem Thema. Alle
sind unzufrieden, alle beklagen sich, und
wenn es zur Sache geht, verheddert man
sich hoffnungslos in den Details.
Ganz so habe ich das nicht empfunden. Es
gibt aber jedenfalls nicht den einen Aus-
weg aus dieser tatsächlichen oder ver-
meintlichen Krise. Aber es gibt schon die
Wahrnehmung, dass sich auch in den be-
währten Strukturen etwas ändern sollte.

Zum Beispiel? Dass sehr viel Geld schon
da ist, sagen Sie ja selbst.
Produzenten verfolgen oftmals nicht nur
ein Projekt, sondern entwickeln ständig
neue Ideen. Hierfür brauchen sie auch fi-
nanzielle und gestalterische Freiräume,
weil so eine Entwicklungsphase über zwei,
drei, vier Jahre läuft. Wir werden prüfen,
welche Maßnahmen hier sinnvoll sein
könnten. Etwas anderes wurde auch noch
klar: Im Kino-Marketing und in der digita-
len Kundenbindung gibt es einen Mangel
an kompetenten Kräften. Wir wollen Ins-
trumente schaffen, um diese Bereiche zu
stärken, zum Teil schon in der Ausbildung
an den Filmhochschulen.

Monika Grütters, die Beauftragte der Bun-
desregierungfür Kultur und Medien (BKM),
hat es aktuell zusammenzählen lassen:
445 Millionen Eurogibt der Staat pro Jahr an
Filmförderung aus, davon322 Millionen Eu-
ro Produktionsförderung. Diese Summen
verteilen sich auf etliche Institutionen bei
Bund und Ländern. Den größten Topf mit
125 Millionen Euro Bundesgeldern verwaltet
der Deutsche Filmförderfonds (DFFF), der
durch automatische Zuschüsse, auch für
Hollywood-Großproduktionen, den Studio-
standort Deutschland stärken soll. Ebenfalls
zum Bund gehört dieFilmförderungsanstalt
(FFA)mit einem Volumen von 73 Millionen

Euro, die von Kino-, Video-, Streaming- und
Fernsehveranstaltern die sogenannte Film-
abgabe eintreibt und diese dann wieder ver-
teilt, vor allem als „Referenzförderung“ für
Nachfolgeprojekte nach einem Kinoerfolg.
Grütters’ BKM verteilt in derKulturellen Film-
förderungjährlich 28 Millionen, die nicht an
wirtschaftlichen Erfolg geknüpft sind. Die
größten Förderer bei den Ländern sind nach
Zahlen von 2018 dasMedienboard Berlin-
Brandenburg(38 Millionen), derFilmfernseh-
fonds Bayern(36 Millionen), und dieFilm-
und Medienstiftung NRW(35 Millionen). Hier
sind wirtschaftliche Standort- und kulturelle
Filmförderung vermischt. KNI

„Diese Filme müssen nicht
jedem gefallen,sie dürfen
eine Zumutung sein,
anstrengend, sperrig.“

Millionen für den Film


„Im Kino-Marketing und in
der digitalenKundenbindung
gibt es einen Mangel
an kompetenten Kräften.“

DEFGH Nr. 175, Mittwoch, 31. Juli 2019 HF2 9


Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU). FOTO: REGINA SCHMEKEN

Stolz der Ministerin: Der Film „Systemsprenger“ (im Bild Helena Zengel) gewann, unterstützt von der Förderung des Bundes, einen Silbernen Bären. FOTO: VERLEIH

Feuilleton
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Wie Jugendliche in Timbuktu die
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Literatur
Die schöne neue Arbeitswelt
von Berit Glanz’ Debütroman
„Pixeltänzer“ 12

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EinOhr am Vulkan: Mit einer
überraschenden Methode blicken
Forscher in den Untergrund 14

www.sz.de/kultur

„Das Geld wird sinnvoll genutzt“


445 Millionen Euro Förderung, aber die Besucherzahlen im deutschen Kino sinken:


Wie Kulturstaatsministerin Monika Grütters die Filmkunst befreien, den Produktionsstandort


Deutschland stärken und den Kulturort Kino gegen Netflix verteidigen möchte


FEUILLETON


HEUTE

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