Handelsblatt - 31.07.2019

(Steven Felgate) #1

Bayer


Vergleich


in Sicht


B


ayer-Chef Werner Baumann
hat im Rechtsfall Glyphosat
bisher eine harte Linie ge-

fahren. Er will in den USA durch die


gerichtlichen Instanzen gehen, um


zum gewünschten Urteil zu kom-


men: nämlich das von Glyphosat


keine Gesundheitsgefahr ausgeht.


Von einem außergerichtlichen Ver-


gleich mit den Klägern wollte Bau-


mann bisher zumindest in öffentli-


chen Reden nichts wissen.


Nun hat er am Dienstag gegen-


über Analysten erläutert, dass er


unter Umständen zu einem Ver-


gleich bereit sei. Hat es einen Sin-


neswandel gegeben? Nur bedingt.


Baumann würde einen Vergleich


nur dann in Betracht ziehen, wenn


zwei Bedingungen erfüllt sind: Er


müsse finanziell angemessen sein


und damit der gesamte Rechtsstreit


endgültig beigelegt werden.


Das aber ist Grundvoraussetzung


für jeden außergerichtlichen Ver-


gleich. Baumanns Worte dürfen da-


her nicht überinterpretiert werden.


Sie zeigen aber eines: Hinter den


Kulissen richtet sich der Konzern


auf das Szenario einer Einigung mit


den Glyphosat-Klägern ein. Zwei


Faktoren spielen dabei eine Rolle:


Zum einen der Druck von Investo-


ren wie des Hedgefonds Elliott, die


einen zügigen Vergleich sehen wol-


len. Zum anderen das mit Ken Fein-


berg als Schlichter prominent be-


setzte Schlichtungsverfahren. Der


allgemeinen Erwartung, dass am


Ende dieser Mediation ein Ver-


gleichsvorschlag stehen könnte,


kann sich Bayer nicht verschließen.


Doch der ist nicht einfach zu fin-


den. Bei Vergleichen erhalten alle


Kläger die gleiche Summe – egal,


wie alt und krank sie sind und ob


bei ihnen ein erkennbarer Zusam-


menhang zwischen Produkt und Er-


krankung besteht. Das ist bei den


Glyphosat-Fällen schwierig, weil sie


individuell sehr unterschiedlich


sind. Fraglich ist auch, ob mit ei-


nem Vergleich das Thema für alle


Zukunft beendet werden kann.


Dennoch wird es wahrscheinlich,


dass Bayer auf einen Vergleich zu-


steuert. Aber angesichts der Kom-


plexität und der im Raum stehen-


den Summen, ist kurzfristig nicht


mit einem Ergebnis zu rechnen.


CEO Baumann zeigt sich offen für
eine Einigung im Fall Glyphosat.
Doch die ist nicht einfach zu
finden, warnt Bert Fröndhoff.

„Wir werden weiter durch schwierige


Zeiten gehen und in Leute und Material


investieren müssen.“


Liang Hua, Verwaltungsratschef von Huawei


Worte des Tages


Der Autor ist Teamleiter Industrie


im Unternehmensressort.


Sie erreichen ihn unter:


[email protected]


E


rst steigen die Kurse, weil Anleger auf ei-
ne bessere Konjunktur setzen – danach
folgt die Realwirtschaft mit höherem
Wachstum. Hinter dieser Börsenweisheit
steckt die Vorstellung, dass Anleger
nicht auf die Gegenwart, sondern auf die Zukunft
spekulieren. Daran gemessen erwarten uns goldene
Zeiten: Auch wenn die Aktienkurse am Dienstag
deutlich nachgaben, so sind sie seit Jahresbeginn
weltweit um fast 20 Prozent gestiegen. Solch eine
fulminante Rally gab es zuletzt vor einem Jahrzehnt,
nach der Finanzkrise. Doch diesmal sind Zweifel an
der Prognosekraft der Börse angebracht, denn die
Finanzmärkte sind stark verzerrt.
Seit Monaten gewinnen vor allem Aktien von Un-
ternehmen, die wenig vom Konjunkturverlauf ab-
hängig sind – und deshalb üblicherweise in schlech-
ten Zeiten besser laufen als in guten. Dazu zählen
Versorger wie Entel in Italien und Iberdrola in Spa-
nien, Versicherer wie Allianz und Munich Re in
Deutschland sowie Konsumtitel wie Procter & Gam-
ble und McDonald’s in den USA. Hingegen verlieren
derzeit Aktien, die in einem Aufschwungsszenario ei-
gentlich gefragt sein müssten: BASF verlor binnen ei-
nes Jahres 25, Covestro 50 Prozent.
Noch mehr Zweifel am Aufschwungsszenario
weckt der Gleichlauf zwischen Aktien und Anleihen.
Investoren setzen unbeirrt auf Unternehmens- und
Staatsanleihen, trotz sehr niedriger Renditen. Seit Ja-
nuar hat sich das weltweite Volumen von Anleihen
mit negativer Rendite – Anleger bezahlen dafür, dass
sie ihrem Schuldner Geld leihen – von neun auf 13
Billionen Dollar erhöht. Solch eine große Flucht in
vermeintlich sichere Anlagen signalisiert viel Risiko-
scheu, so, wie sie in einem Abschwung üblich ist.
Dasselbe zeigt die hohe Nachfrage nach Gold. Erst-
mals seit 2013 ist der Preis für eine Feinunze des
Edelmetalls wieder auf über 1 400 Dollar gestiegen.
Zu den Käufern zählen Einzelanleger, vor allem aber
Zentralbanken – ganz besonders die russische –, die
ihre Abhängigkeit vom Papiergeld im Allgemeinen
und dem US-Dollar im Besonderen verringern wol-
len, um stattdessen Gold als Sicherheit für mögliche
(Devisen-)Turbulenzen vorzuhalten.
Auslöser des neuerlichen Börsenbooms ist also
keineswegs die Spekulation auf bessere Zeiten. Anle-
ger kaufen vor allem deshalb vermehrt Aktien, weil
die großen Notenbanken eine Kehrtwende in ihrer
Zinspolitik vollzogen haben. Anstatt die Leitzinsen
mittelfristig zu erhöhen, wie von den meisten Anle-
gern bis in den Spätherbst erwartet, haben die Zen-
tralbanker in den vergangenen Monaten alle Signale
in Richtung noch niedrigerer Zinsen gestellt. Damit

wollen sie die Inflationsraten nach oben treiben und
einem konjunkturellen Abschwung entgegenwirken.
Solange aber die Notenbanken an ihrer Nullzins -
politik festhalten, können Anleger nur mit Aktien auf
auskömmliche Renditen spekulieren. Deshalb sind
die Börsen 2019 bislang so stark gestiegen.
Doch risikofrei ist die Aktienanlage auch in Zeiten
der Nullzinspolitik nicht. Die größten Aktienkäufer
sind nämlich schon lange nicht mehr private Anle-
ger, Vermögensverwalter und milliardenschwere
Pensions- und Investmentfonds. Vielmehr sind die
Unternehmen selbst ihre größten Käufer. Im ersten
Quartal summierten sich die Rückkäufe allein bei
den 500 amerikanischen Unternehmen im S&P auf
über 200 Milliarden Dollar. Das ist Rekord. Größter
Käufer ist Apple mit einem noch laufenden Pro-
gramm von 100 Milliarden Dollar. In nur vier Jahren
hat der iPhone-Riese 20 Prozent seiner Aktien einge-
zogen. Vor allem Technologiekonzerne, darunter In-
tel und Cisco, Bankriesen wie Wells Fargo und Bank
of America sowie Pharmaproduzenten wie etwa Cel-
gene und Abbvie kaufen eigene Aktien zurück.
Das Angebot an Aktien verknappt sich zusätzlich,
weil immer mehr Unternehmen vom Markt ver-
schwinden: Seit 1996, als an der New Yorker Aktien-
börse und an der Technologiebörse Nasdaq insge-
samt 8 090 Unternehmen notierten, hat sich die Zahl
der gelisteten Gesellschaften um fast die Hälfte auf
4 397 verringert. Hinter dieser Entwicklung steht ei-
nerseits der Drang nach Größe, den die Unterneh-
men durch Fusionen und Übernahmen verwirkli-
chen. Andererseits ist es der bloße Wunsch, die Börse
zu verlassen, um so den aufwendigen Quartalsberich-
ten, den Forderungen aggressiver Investoren und
den üppigen Dividendenzahlungen zu entfliehen.
Setzen sich beide Trends ungebremst fort – Rück-
käufe und Rückzug –, dann können die Aktienkurse
weiter steigen. Börseneinbrüche drohen aber dann,
wenn die schwächere Konjunktur die Konzerngewin-
ne nachhaltig schmälert, sodass weniger Geld für
den Erwerb eigener Aktien bleibt.
Ein Beispiel für solch einen abrupten Trendwech-
sel liefert die jüngere Börsenhistorie: 2008 halbierte
sich in den USA innerhalb eines Jahres das Volumen
an Aktienrückkäufen. In der Folge halbierten sich
auch die Kurse an der Wall Street – und im Sog da-
von die Kurse in Europa, einschließlich Deutsch-
lands. So weit muss es diesmal nicht kommen. Anle-
ger sollten sich dieser Gefahr aber bewusst sein.

Leitartikel


Gefährliche


Aktienrückkäufe


Dank der
Nullzinspolitik
sind die Börsen
2019 kräftig
gestiegen. Der
Einbruch droht,
wenn die größte
Käufergruppe
ausfällt, mahnt
Ulf Sommer.

Seit 1996


hat sich die


Zahl der


Unternehmen


an der


Wall Street fast


halbiert.


Der Autor ist Redakteur im Ressort Unternehmen
& Märkte. Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Meinung

& Analyse

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MITTWOCH, 31. JULI 2019, NR. 145


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