Handelsblatt - 31.07.2019

(Steven Felgate) #1
beschränkt kontrollierten Institution wie der EZB
gegen das Demokratieprinzip verstoßen könnte“.
Mit der Bankenunion wollten Europas Politiker die
Währungsunion gegen eine neue Finanzkrise
wappnen. Deshalb werden seit Herbst 2014 die gro-
ßen Banken im Währungsraum von der EZB kon-
trolliert. In Deutschland sind es 21 sogenannte sys-
temrelevante Kreditinstitute, darunter die Deut-
sche Bank und die Commerzbank. Für die rund
1 400 kleineren deutschen Institute bleiben die hei-
mische Finanzaufsicht Bafin und die Bundesbank
zuständig.
Zweite Säule der Bankenunion ist ein gemeinsa-
mer Fonds, der in Schieflage geratene europäische
Geldhäuser notfalls zügig abwickeln soll, ohne den
Steuerzahler zu belasten. Der Krisenfonds wird
vom „Single Resolution Board“ unter der Leitung
der Deutschen Elke König verwaltet. Gefüllt wird
der Fonds von den Banken. Derzeit summieren
sich die Mittel auf 33 Milliarden Euro, bis 2024 sol-
len schätzungsweise 55 Milliarden Euro zusam-
menkommen.

Rechtsrahmen ausgeschöpft
Die Kläger, zu denen auch in diesem Fall der Fi-
nanzwissenschaftler Kerber gehört, halten beide
Säulen der Bankenunion für verfassungswidrig.
Deutschland übernehme unkontrollierbare Haf-
tungsrisiken für den Bundeshaushalt, habe aber
potenziell nichts mehr zu sagen. Für die Übertra-
gung derart weitreichender Kompetenzen gebe es
keine rechtliche Grundlage, argumentiert Kerber.
Das sehen die Verfassungsrichter anders – auch
wenn sie sehr genau hingeschaut haben. Für die
Entscheidung pro Bankenunion seien „ebenso
komplexe wie grundsätzliche Überlegungen zur eu-
ropäischen Kompetenzordnung“ verantwortlich,
betonte Voßkuhle. „Nach eingehender Prüfung“ sei
ausschlaggebend gewesen, dass die Aufsicht über
die Kreditinstitute in der Euro-Zone nicht vollstän-
dig auf die EZB übertragen worden sei. Gegen die
umfassenden Kompetenzen des Single Resolution

Boards hegen die Karlsruher Richter zwar Beden-
ken, sie sehen aber keine grundsätzliche Kompe-
tenzüberschreitung, sofern die Regelungen strikt
beachtet würden.
Die Bundesregierung äußerte sich positiv zur
Karlsruher Entscheidung: „Das Urteil bestätigt die
Rechtsauffassung der Bundesregierung“, betonte
Finanzstaatssekretär Jörg Kukies (SPD). Bei der letz-
ten Finanzkrise hätten die deutschen Steuerzahler
60 Milliarden Euro gezahlt, weil es kein einheitli-
ches Abwicklungsregime gegeben habe. Das habe
sich mit der Bankenunion geändert. „Durch die
einheitliche Beaufsichtigung ist das jetzt wesentlich
besser.“ Ähnlich beurteilt die finanzpolitische Spre-
cherin von CDU/CSU im Bundestag, Antje Till-
mann, die Situation. Bei ihrer Zustimmung zu bei-
den Elementen der Bankenunion hätten Bundes -
regierung und Bundestag im Rahmen ihrer
Kompetenzen gehandelt. „Insbesondere stellt das
Gericht fest, dass die Haushaltsverantwortung des
Deutschen Bundestags nicht unzulässig einge-
schränkt wurde“, betont Tillmann.
Auch der für Bankenaufsicht zuständige Bundes-
bank-Vorstand Joachim Wuermeling begrüßte das
Urteil: „Wir sehen es positiv, dass der europäi-
sche Fortschritt in Form der einheitlichen
Bankenaufsicht in Deutschland verfassungs-
rechtlich abgesichert ist“, sagte Wuermeling
dem Handelsblatt. Sehr wichtig ist ihm aber
auch der Verweis der Verfassungsrichter auf
die umfassenden Kompetenzen, die bei den
nationalen Behörden bleiben. „Auch wir le-
gen großen Wert darauf, dass die
Hauptverantwortung für die Be-
aufsichtigung der kleinen und
mittelgroßen Banken bei den
nationalen Behörden, also in
Deutschland bei der Bafin und
der Bundesbank, verbleibt“,
betonte Wuermeling.


Kommentar Seite 29



Verfassungs -
richter: Über die
umstrittenen An-
leihekäufe der
EZB entscheiden
sie erst in ein
paar Wochen.

dpa

Markus Kerber:
Fürchtet eine
unkontrollierte
EZB.

ddp images/Berthold Stadler


EU


Die Inflation


steigt


D


er größte Feind der Euro-
päischen Zentralbank (EZB)
ist im Moment die notorisch
niedrige Inflation. Insofern dürfte es
EZB-Präsident Mario Draghi gerne
hören, dass sich der Preisauftrieb in
Deutschland im Juli nach vorläufi-
gen Daten leicht beschleunigt hat.
Die Verbraucherpreise für Waren
und Dienstleistungen lagen im
Schnitt 1,7 Prozent über dem Niveau
vor einem Jahr. Von Reuters befrag-
te Ökonomen hatten mit 1,5 Prozent
gerechnet. Der für den europäi-
schen Vergleich berechnete Harmo-
nisierte Verbraucherpreisindex, der
auch für die EZB maßgeblich ist,
sank allerdings auf 1,1 Prozent von

1,5 Prozent im Juni. Den großen Un-
terschied zum regulären Verbrau-
cherpreisindex begründete das Amt
mit einem statistischen Effekt.
Die Europäische Zentralbank
strebt für die Euro-Zone mittelfris-
tig eine Inflationsrate von knapp
zwei Prozent an. Dieser Wert gilt als
ideal für die Konjunktur. Allerdings
sind die Notenbanker weit von ih-
rem Ziel entfernt. Die neuen Daten
für die Inflation in der Euro-Zone
im Juli werden erst am Mittwoch
veröffentlicht. Im Juni lag die Teue-
rung in der Währungsunion bei le-
diglich 1,3 Prozent. In der Nähe des
EZB-Ziels lag der Preisauftrieb zu-
letzt im November 2018 mit einem
Wert von 1,9 Prozent.
Deshalb und weil die Inflationser-
wartungen zuletzt auf Rekordtief-
stände gefallen sind, zieht die EZB
eine zusätzliche Lockerung ihrer be-
reits sehr expansiven Geldpolitik in
Erwägung. Außerdem denken die
Notenbanker inzwischen darüber
nach, ob das Inflationsziel nicht
überarbeitet werden muss. Bei der
jüngsten Zinssitzung der EZB be-
nutzte Draghi ein neues Schlüssel-
wort: Symmetrie. Ökonomen inter-
pretieren das als eine Art Paradig-
menwechsel: Die EZB will eine aus
ihrer Sicht zu tiefe Inflation genauso
entschlossen bekämpfen wie eine zu
hohe Teuerung. Die Notenbank sei
bereit, „alle ihre Instrumente“ gege-
benenfalls anzupassen, um das Ziel
zu erreichen, betonte Draghi. Für
viele Volkswirte ein Hinweis auf eine
Zinssenkung im September und wo-
möglich neue Anleihekäufe. mm

1,7


PROZENT


beträgt die vorläufige
Inflationsrate in Deutschland im
Monat Juli. Das ist mehr, als viele
Experten erwartet hatten, aber
weniger, als der EZB lieb wäre.

Quelle: Statistisches Bundesamt


Finanzen & Börsen
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MITTWOCH, 31. JULI 2019, NR. 145


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