Handelsblatt - 31.07.2019

(Steven Felgate) #1

Förderung des privaten Wohneigentums zu ge-


fährlichen Kreditausfällen führte? Wie groß ist


die Gefahr, dass Nachhaltigkeit das Risikobewusst-


sein verwässert?


An die Erfahrungen, die wir in der Krise gemacht


haben, müssen wir natürlich immer denken. Das


gilt für alle Bereiche der Wirtschaft. Alle Invest-


ments müssen weiter bedacht ausgewählt werden.


Aber nachhaltiges Investieren ist fundamental für


unsere Zukunft, nicht einfach nur ein politischer


Gimmick.


Die EU-Vorgaben können dazu führen, dass In-


vestoren ihr Portfolio anpassen. Wenn man Ak-


tien einfach verkauft, dann verschwinden die Ri-


siken zwar aus den Portfolios – aber nicht aus der


Welt.


Die Unternehmen müssen jetzt umso mehr darauf


achten, dass sie die institutionellen Investoren


nicht verärgern. Denn für den Unternehmenserfolg


spielen diese eine tragende Rolle. Ein großes Indus-


trieunternehmen kann es sich nicht erlauben,


wenn ein, zwei, drei oder vier Großinvestoren ein-


fach abspringen. Vielmehr wird es sich dem anpas-


sen, was der Anleger für sein Portfolio fordert. Und


das ist immer häufiger eine Schonung des Klimas.


So ein Druck baut sich immer weiter auf: Talentier-


te junge Leute wollen nicht für ein Unternehmen


arbeiten, vor dem die Investoren zurückschrecken.


Genauso können Kunden oder Geschäftspartner


abspringen.


Entscheidend ist bei all diesen Fragen, wie man


Nachhaltigkeit definiert. Wie die EU-Kommission


das machen will, ist noch nicht klar. Sicher ist je-


doch, dass Firmen in „grün“ und „nicht grün“ ein-


geteilt werden. Was wäre für Sie ein grünes Unter-


nehmen?


Ein solches Unternehmen sollte einen genauen


Plan haben, wie es die eigenen Treibhausgasemis-


sionen auf null reduziert. Außerdem sollte ein grü-


nes Unternehmen die Methoden haben, um seinen


Ausstoß präzise zu messen. Dazu braucht es eine


umwelt- und ressourcenschonende Gesamtstrate-


gie. Und es ist wichtig, dass im Unternehmen alles
das auf allen Ebenen ankommt.

Also wäre der Hersteller von Panzern ein grünes
Unternehmen, wenn er energie- und ressourcen -
effizient produziert?
Jedes Fahrzeug kann natürlich nachhaltig in seiner
Produktion sein. Ein Panzer kann nach dieser De-
finition also nachhaltig sein. Aber die Frage der
Nachhaltigkeit endet ja nicht mit dem Abschluss
des Produktionsprozesses. Die Einsatzmöglichkei-
ten spielen auch eine Rolle. Deswegen ist es für In-
vestoren und auch für die Definition seitens der EU
wichtig, die Kriterien nicht nur auf einer einzelnen
Ebene zu definieren. Entscheidend und am drin-
gendsten ist natürlich die Frage nach dem Klima-
schutz. Aber es ist bei Weitem nicht die einzige Fra-
ge.

Wie nachhaltig leben Sie selbst?
Mein Haus hat eine Erdwärmepumpe, um Wasser
zu erhitzen und die Räume zu heizen. So eine
Pumpe braucht nur sehr wenig Elektrizität. Und
meinen Strom beziehe ich von Anbietern, die aus-
schließlich auf erneuerbare Energien setzen.

Und heute sind Sie mit dem Fahrrad aus Ihrer
Londoner Heimat hierher nach Frankfurt gekom-
men?
Nein, ich bin geflogen. Manchmal geht es nun mal
nicht anders. Was ich auf jeden Fall immer mache,
ist eine CO 2 -Kompensationszahlung. Die Frage
nach Klimaschäden durch Fliegen sollte übrigens
auch keine Frage von Verboten sein. Vielmehr geht
es auch hier wieder um Technologien, um klima-
schonende Antriebsmöglichkeiten für Flugzeuge zu
entwickeln. Das kann synthetisches Kerosin oder
künftig auch ein Elektroantrieb sein. Natürlich geht
es auch darum, weniger zu fliegen, aber eben auch
darum, wie wir es effizienter machen.

Lord Stern, vielen Dank für das Interview.


Die Fragen stellte Julian Olk.


Bulle & Bär


Das Krypto-


Murmeltier


grüßt


E


in und denselben Tag immer und
immer wieder erleben zu müssen,
ohne Aussicht, aus dem Rad auszu-
brechen, ist eine schreckliche Vorstellung.
Ihre filmische Umsetzung erhielt sie 1993.
In „Und täglich grüßt das Murmeltier“ ist
Bill Murray als misanthropischer Wetter-
moderator zu diesem Schicksal ver-
dammt, bis er sich – wir sind in Holly-
wood – endlich zu einem guten Menschen
wandelt. Kryptoanleger kennen das Pro-
blem: Seit zehn Jahren hoffen sie auf den
Durchbruch von Bitcoin und anderen
Münzen – um nach jedem Höhenflug auf
dem Boden der Tatsachen zu landen.
Das Murmeltier der Kryptowelt ist der
ICO, der virtuelle Börsengang. Start-ups
verkaufen hier neue Coins, versprechen
im Gegenzug fantastische Gewinnbeteili-
gungen. 2018 war der Markt explodiert,
Anleger investierten laut Branchenseite
Coinschedule 21,6 Milliarden Dollar. 2019
folgte der Absturz auf rund ein Zehntel
der Summe, die meisten Projekte erwie-
sen sich als Betrugs- oder Totalausfall.
Doch im Schutz der erneuten, jüngsten
Bitcoin-Kursrally verspüren viele Murmel-
tiere offenbar Morgenluft, wie der Fall
„Rise“ zeigt.
Das deutsche Start-up versprach 2018:
„Investieren wie ein Milliardär“. In Werbe-
spots behaupteten die Macher, Stadtstrei-
cher per KI-basierter Geldanlage zu Millio-
nären zu machen – Lamborghini inklusi-
ve. Tatsächlich schrieben „Rise“-Firmen
rote Zahlen, sorgten personelle Über-
schneidungen mit dem Skandal-ICO Envi-
on für Unruhe. Als „Rise“ dann noch mit
675 Prozent Rendite warb, wurde es der
Bafin offenbar zu bunt: Die Aufsicht zog
Ende 2018 den Stecker, stoppte den ICO.
Seit Juli will „Rise“ nun erneut an 120
Millionen Dollar an Anlegergeld kommen.
Das Mindestinvestment liegt bei 100 000
Euro, weswegen kein Prospekt und keine
Bafin-Erlaubnis nötig ist. „Das Rise-STO ist
eine einmalige Chance für Investoren, von
den grundlegenden Umwälzungen in ei-
nem Billionen-USD-Markt zu profitieren“,
verspricht CEO Stefan Tittel. Erzielt wer-
den soll eine Rückzahlung von bis zu acht
Prozent pro Jahr, zusätzlich „eine Beteili-
gung an Unternehmensgewinnen und an
einem möglichen Exit“. In einer zweiten
Phase sollen auch Kleinanleger einsteigen.
Die Murmeltierfänger der Bafin, sie dürf-
ten schon bald neue Arbeit bekommen.

Der tägliche Kommentar
des Handelsblatts analysiert
die Entwicklung
an den Finanzmärkten.
Von Felix Holtermann

mauritius images / Per-Andre Hoffmann

Der Ökonom Stern
war von 1994 bis 1999
Chefökonom der
Europäischen Bank
für Wiederaufbau und
Entwicklung und von
2000 bis 2003 Chef-
ökonom der Welt-
bank. Heute ist Stern
Professor an der Lon-
don School of Econo-
mics und berät die
britische Regierung in
Wirtschaftsfragen.

Der Klimaforscher
Der 73-Jährige stu-
dierte Mathematik und
Volkswirtschaftslehre.
Schon früh setzte er
sich mit den Verände-
rungen des Klimas
auseinander. Stern for-
dert eine Verdoppe-
lung der Ausgaben für
Forschung an Techno-
logien zur Verringe-
rung des Treibhaus-
gasausstoßes.

Vita Lord Nicholas Stern


Klimaforscher
Lord Nicholas
Stern: „Die Zu-
kunft liegt auch
in der Hand der
Investoren.“

ddp/intertopics/eyevine/Sarah Lee

Private Geldanlage


1


MITTWOCH, 31. JULI 2019, NR. 145


35

Free download pdf