Handelsblatt - 31.07.2019

(Steven Felgate) #1

Katrin Terpitz Schmallenberg


D


er Landgasthof Schütte
liegt tief im idyllischen
Sauerland. Das Fach-
werkhaus in Schmal-
lenberg-Oberkirchen
war 1870 der allererste Ausschank -
betrieb für Veltins-Bier. Doch statt
Pils lässt sich Michael Huber, Gene-
ralbevollmächtigter der Privatbraue-
rei, im Stübchen lieber Kaffee und
Kekse servieren.
Die Bierlaune des 69-Jährigen ist
nicht mehr ganz so euphorisch wie
2018 mit Fußball-WM und Dauergrill-
wetter. Da hatte die Brauerei C. & A.
Veltins erstmals in ihrer 195-jährigen
Geschichte die Drei-Millionen-Hekto-
liter-Schwelle erreicht. Damit festig-
ten die Sauerländer mit 655 Mitarbei-
tern und einem Umsatz von 352 Mil-
lionen Euro ihre Position als
drittgrößter Premiumbrauer hinter
Krombacher und Bitburger.
Im ersten Halbjahr sank der Bier-
ausstoß wie befürchtet wieder – zwei
Prozent verlor Veltins. „Ein Jahrhun-
dertsommer lässt sich eben nicht
abonnieren“, sagt Huber. Der Veltins-
Chef nimmt deshalb satte 422 Millio-
nen Euro in die Hand, um die Traditi-
onsbrauerei in Zeiten von sinkendem
Bierdurst und veränderten Geschmä-
ckern zukunftsfest zu machen.
Schließlich trinkt Huber selbst immer
öfter Radler oder alkoholfrei – die
wenigen Biersorten, die zulegen.

Der Chef ist ein DJ


Der vitale Brauereichef, der mit sei-
ner norddeutschen Art ein bisschen
an Käpt’n Blaubär erinnert, kam
durch Zufall zum Bier. „Eigentlich bin
ich gelernter DJ“, kokettiert er gerne.
Damit verdiente sich der BWL-Stu-
dent ein gutes Zubrot. Im Hörsaal
hielt es ihn nur wenige Wochen. Bei
den Schwartauer Werken fing er im
Vertrieb von Nüssen an. Bis ihn ein
Spediteur, der ihn als Kunden kann-
te, abwarb, um 1976 einen privaten
Paketdienst aufzubauen: „Als Ge-
schäftsführer beim Deutschen Paket-
dienst bekam ich ein tragbares Tele-
fon, ein Riesenteil damals – damit
fühlte ich mich in der Oberliga.“
Nach einem Streit mit dem Auf-
sichtsrat stieg Huber aus. Stattdessen
beteiligte er sich an einer Spedition.
Die Interspe in Unna baute er mit ei-
nem Partner zu einem Milliarden -
unternehmen auf. „Bis 2006 war ich
Vollblut-Logistiker“, sagt er. In dem
Jahr verkauften beide Interspe, denn
Huber traute dem Sohn des Partners
die Nachfolge nicht zu. Eine Fehlein-
schätzung, wie er heute bekennt.
Seine unternehmerische Expertise
brachte Huber 1995 in den Aufsichts-
rat von Veltins ein. In der Firma
machte er sich zunächst unbeliebt.
„Da kam ein Erbsenzähler aus der
Logistik in die heile Welt der Braue-
rei. Der wollte plötzlich wissen, wa-
rum jede Führungskraft einen Fahrer
hat und was eigentlich eine Flasche

Bier in der Produktion kostet“, erin-
nert er sich. „Brauer lebten damals
im Paradies und rechneten nicht da-
mit, dass sich Märkte verändern.“ Su-
sanne Veltins, Alleininhaberin der
Brauerei in fünfter Generation, gefiel
offenbar Hubers direkte und zupa-
ckende Art. Sie machte ihn im selben
Jahr zum Generalbevollmächtigen.
„Frau Veltins Auftrag an mich lau-
tete: Stabilisieren Sie die Marke, und
führen das Familienerbe sicher in die
nächste Generation. Sonst lässt sie
mir freie Hand“, so Huber. Bei sei-
nem Antritt gab es viel Unruhe und
Disharmonie in der Brauerei – bis zu
Morddrohungen. „Wenn man aus ei-
nem BMW-Dienstwagen eine A-Klasse
macht, gefällt das nicht jedem.“
Doch schnell erwarb sich Huber
Vertrauen. Mit dem jetzigen Füh-
rungsteam arbeitet er seit 21 Jahren.
„Unser Chef ist eine coole Socke“,
meint ein Mitarbeiter. Nur anlegen

sollte man sich mit ihm möglichst
nicht. Huber, der keinen Computer
besitzt, lässt sich täglich nur fünf
wichtige Mails aufs Handy leiten.
Morgens um sieben und mittags um
zwölf Uhr bekommt er alle aktuellen
Daten bis zum Deckungsbeitrag. „Bei
Zahlen kann mir keiner was vorma-
chen.“ Das Operative überlässt er der
Geschäftsführung.
Seit 2006 ist Huber auch General-
bevollmächtigter beim Leuchtenher-
steller Trilux in Arnsberg mit rund
715 Millionen Umsatz und 5 000 Mit-
arbeitern. Für Huber kein Problem:
„Es ist völlig egal, ob Sie Bier, Leuch-
ten oder Dienstleistungen verkaufen.
Die Führung eines Mittelständlers
läuft immer nach denselben Spielre-
geln“, betont er. „Bevor man sich
ums Produkt kümmert, muss man
sich um die Menschen kümmern.
Wer etwas bewegen will, braucht
Menschen, die bewegen.“

„Auf Betriebsversammlungen wirkt
Michael Huber sehr locker und nah-
bar, duzt die Belegschaft“, beobach-
tet Isabell Mura von der Gewerk-
schaft NGG Südwestfalen. Veltins sei
ein wichtiger Arbeitgeber in der Regi-
on, die Arbeitsbedingungen seien
sehr ordentlich. „Die Brauerei inves-
tiert nicht nur in Maschinen, sondern
auch in Menschen.“
Zwar hat Huber den Bierausstoß
von Veltins in den letzten zehn Jah-
ren um 550 000 Hektoliter steigern
können. „Doch der Markt ist schwie-
rig und überall rückläufig“, weiß Hu-
ber. Im Jahr 2000 trank jeder Deut-
sche im Schnitt noch 120 Liter Bier
im Jahr, nun sind es laut Deutschem
Brauerbund nur noch 102 Liter. „Zu-
dem konkurrieren wir als Mittel-
ständler mit internationalen Konzer-
nen“, sagt Huber. Trotzdem fühlt er
sich nicht als Gejagter: „Schließlich
sind wir innovativ.“
Das Biermixgetränk V+ kam 2001
auf den Markt. „Da musste Frau Vel-
tins anfangs ganz schön schlucken.“
Nach Fassbrause kam 2014 Greven-
steiner hinzu. Das erfolgreiche Land-
bier entstand eher zufällig, als der
Braumeister ein altes Rezept zum
Dorfjubiläum wiederbelebte. Doch
nicht alle Neuheiten zündeten. Das
Weinmischgetränk Bayao brachte
nicht genug Umsatz, die Marke wur-
de verkauft.

Ein Start-up hält jung
Besser läuft es mit Dienstleistungen
für Gastronomie, Logistik und Ge-
tränkegroßhandel. Damit macht die
Veltins-Gruppe noch mehr Umsatz
als mit Getränken: 2018 waren es 494
Millionen Euro. Mit dem Rivalen Ra-
deberger formiert Veltins nun ein
Joint Venture für Getränkelogistik mit
1,4 Milliarden Euro Umsatz. „Bei der
Flaschen- und Kistensortierung müs-
sen Wettbewerber endlich kooperie-
ren, gerade wenn bei Hitze Mehrweg-
flaschen knapp werden“, so Huber.
Bei einer Eigenkapitalquote von 78
Prozent und ohne Schulden kann
sich Huber bequem zurücklehnen.
Sorgen bereiten ihm jedoch die dro-
henden Reglementierungen für die
Branche: von Pfanderhöhungen bis
Vertriebsverbot an Tankstellen. „Als
Minister Trittin 2003 das Dosenpfand
einführte, haben wir 330 000 Hekto-
liter verloren. Das einzige Verlustjahr,
das ich bei Veltins hatte.“ Ans Aufhö-
ren denkt Huber nicht. Vertriebsge-
schäftsführer Volker Kuhl, 56, der als
Nachfolger auserkoren ist, muss noch
ein bisschen warten.
Arbeit ist sein Lebenselixier – auch
während einer Krebserkrankung, die
er kürzlich überstand: „2020 sind es
bei mir 30 Jahre Logistik, 25 Jahre
Bier, 15 Jahre Elektronik – und drei
Jahre war ich Nussverkäufer. Macht
73 Jahre Berufserfahrung bei 70 Le-
bensjahren.“ Damit ihm im Ruhe-
stand nicht langweilig wird, hat der
Wahl-Sylter sich privat am Start-up
Gastrohero beteiligt. „Das hält jung.“

Michael Huber


Immer noch in Bierlaune


In einem schrumpfenden Gesamtmarkt investiert der Chef von Veltins fast


eine halbe Milliarde Euro, um den Konzern fit für die Zukunft zu machen.


Michael Huber:
Die Arbeit ist sein
Lebenselixier.

Veltins/Volker Wiciok

Die Brauerei


investiert


nicht nur in


Maschinen,


sondern auch


in Menschen.


Isabell Mura
Gewerkschaft NGG

Familienunternehmen


des Tages
1

MITTWOCH, 31. JULI 2019, NR. 145


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