Nürnberger Zeitung - 31.07.2019

(Greg DeLong) #1

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ie Kreisliga ist eine Beleidigung.
Findet zumindest Dietmar
Hopp, der einst der TSG Hoffenheim
ein immerhin begeisterter Amateur-
fußballspieler war. Mit 25 Jahren
beendete Hopp seine Karriere, das
Studium war zu einem schönen Ende
gebracht. Jetzt wollte Hopp Geld ver-
dienen, da störte der Fußball nur.
EineguteIdeewar das,Hoppverdien-
te als Mitbegründer des IT-Unterneh-
mens SAP so verrückt viel Geld, dass
er sich später entschloss, es unter
anderem im Fußball anzulegen.
Hopp erinnerte sich an seine TSG,
die war gerade mal wieder in die
Kreisliga abgestiegen. 1989 war das,
derRestist bekannt.DieTSG,dieneu-
erdings gerne 1899 genannt werden
würde, ist längst weit weg von der
schrecklichen Kreisliga. Hopp ist in
der Champions League angekom-
men, auch wenn das im Fußballland
nicht jeder gut findet.
Vielleicht ist das aber auch ein
Denkfehler, dass man sich über
Hopps TSG in der Bundesliga ärgert.
Vielleicht ist es im Gegenteil ein
Segen, dass er sich dort mit Red Bull
undVolkswagenumimmer nochteu-
rere Spieler streiten muss, die dann
zu immer noch absurderen Anstoß-
zeiten gegeneinander Fußball spie-
len – und weiterziehen, wenn sich
irgendwo einer findet, der noch
mehr Geld zur Verfügung hat.
Die Kreisliga ist nämlich ganz
sicher eine Schönheit, auch ohne
einen wie Hopp. Zumal die Kreisliga
Nürnberg, die in der am Wochenen-
de beginnenden Saison diesen
Namen sehr zu Recht trägt. Zwölf der
17 Mannschaften kommen aus der

Stadt. Die SpVgg Mögeldorf, die SG
Viktoria 1883, der FC Stein, Der Post-
SV, die beiden DJKs aus Eibach und
vonFalke, dieBakis,diezweiteMann-
schaft des TSV Buch, Vatanspor, Tus-
po, Hajduk und die Reserve des Fusi-
onsvereins Türkspor/Cagrispor.
„Das wird die coolste Saison in
den letzten Jahren“ sagte jetzt gerade
Adrian Mesek, Trainer bei Hajduk,
mit Blick auf die neue Saison. Dem
schließen wir uns an und begleiten
dieKreisliga durchihreSaison.Natür-
lich weil wir auf kuriose, spannende,
rührende Geschichten hoffen. Vor
allem aber auch, weil uns diese Liga
interessiertund die, denensie in die-

ser Saison eine Heimat ist. Und weil
wir ahnen, dass auch die Kreisliga
nicht immer das ist, was man sich
vorstellt, wenn man an sie denkt.
Bier und Bratwurst? Immer häufiger
bleiben die Grills kalt auf den Sport-
plätzen dieser Stadt. Vielleicht, weil
die Zuschauer dann doch eher das
Hochglanzprodukt Fußball von der
Wohnzimmercouch aus im Fernse-
hen konsumieren. Vielleicht ist es
aber auch andersherum, dass die
Menschen keine Lust mehr haben
auf Fußball auf mitunter überschau-
barem Niveau, wenn man sich nicht
während der 90 Minuten wenigstens
mit einer Wurst vom Grill trösten

kann. Deshalb an dieser Stelle ein für
allemal und aus ureigenem Interes-
se: Wer in der Kreisliga auf die Brat-
wurst verzichtet, sollte mit dem
Abstieg bestraft werden.
Dass es ganz ohne Geld zugeht in
derKreisliga? Auchdas – so absurdes
klingt – ist ein Märchen. Gerade ist
der SC Germania nach fünf manch-
mal turbulenten Jahren abgestiegen.
Woran es lag, ahnt Serdar Dinc, der
Trainer: „Es ist ein Kampf, überhaupt
elf,zwölfkreisligatauglicheSpieler
zusammentrommeln. Und irgend-
wann reicht es eben nicht mehr.“

Trotz allem Sehnsuchtsort


Trotzdembleibt die Kreisliga einer
unserer sportlichen Sehnsuchtsorte.
Einer, wo die Geschichten geschrie-
ben werden, wie wir sie lieben. In
Poppenreuth, wo mit dem SV eine
der Mannschaften jenseits der Stadt-
grenze beheimatet ist, haben sie zum
Beispiel gerade zwei Transfers ver-
kündet, wie sie sein müssen in einer
wunderbaren Fußball-Welt: „Marc
Schäfer und Robert Gröschke sind in
die Nähe des Sportplatzes gezogen
und schlossen sich dem Verein an.“
Über solche Vereinswechsel wol-
len wir berichten, über bierbäuchige
Mittelstürmerund schiefeSeitenlini-
en. Und über die Freude an dieser
Liga, die Steve Reinwand vielleicht
am schönsten formuliert hat. Rein-
wand ist im Sommer mit Tuspo in
der Kreisliga angekommen, gestartet
waren sie zwei Jahre zuvor in der
A-Klasse. Wie das ist? „Mit meinem
Kindheitsverein, mit all meinen
Freundenaufzusteigen,dasistnatür-
lich überragend.“

D


er erste Ernstfall der neuen Sai-
son kommt den Fußballerinnen
des 1. FC Nürnberg am kommenden
Sonntag gerade recht. Gastgeber in
der ersten Pokalhauptrunde ist der
SV Holzbach-Simmern,Absteiger aus
der Regionalliga Südwest in die
Rheinlandliga. Ob nur Generalprobe
für Pokalrunde zwei oder schon ers-
terHärtetest fürdieLiga –amZielder
Club-Frauen ändert das nichts. Nach
sieben Spielzeiten in der Regional-
liga, geprägt von ebenso geduldiger
wie intensiver Entwicklungsarbeit,
genießtderAufstiegindie2.Bundes-
liga jetzt oberste Priorität.
„Dummerweise kann ich mich
nicht gegen diese hohe Einschätzung
von uns wehren, die auch von fast
allen Konkurrenten geteilt wird“,
gibt selbst Osman Cankaya, als sport-
licher Leiter des 1. FCN und Chef des
Trainerteams maßgeblich am Auf-
schwung mitbeteiligt, seine übliche
Zurückhaltung auf – verweist aller-
dings auf eine lange Saison, „in der
viel Unvorhersehbares passieren
kann“. Druck also vom ersten Spiel-
tag an, der beim SV Alberweiler am


  1. August gleich mit einer Aufgabe
    beginnt, die mit „undankbar“ noch
    harmlos formuliert und zweifellos
    eine Standortbestimmung ist.
    Für die Zuversicht sprechen sport-
    liche Entwicklung, durchaus Zweitli-
    ga-taugliche Umfeld-Strukturen und
    geordnetewirtschaftlicheVerhältnis-
    se. Laut Anne Cirener, als Managerin
    auch für die Finanzen zuständig,
    decken die 35000 Euro, die der DFB
    imAufstiegsfallzuschießt,diezusätz-
    lichenFahrt-undÜbernachtungskos-


ten gegenüber der Regionalliga. Ein
Mehr an Einnahmen wäre allerdings
erfreulich, „um auch etwas in die
Spielerinnen zu investieren“, wird
deren zeitlicher Aufwand in der bei
vielen kritisch gesehenen eingleisi-
gen 2. Liga doch deutlich größer; da
sei der Verein mit gerade einmal 220
überwiegend aktiven Mitgliedern
gegenüber den stärksten Konkurren-
ten wie Eintracht Frankfurt und
Zweitliga-Absteiger Hessen Wetzlar
im Hintertreffen.

Mit Vize-Europameisterin


FürseinenOptimismushatCanka-
ya vor allem einen Grund: „Wir
haben im personellen Bereich an den
richtigenStellschrauben gedreht,um
die Kader-Qualität weiter zu erhö-
hen.“Dabeisinddreider„Stellschrau-
ben“ Rückkehrerinnen – mit Lisa
Ebert (19) an der Spitze, die nach drei
Jahren beim 1. FFC Frankfurt „ihre
Erfahrungen auf höchstem Niveau“
(Cankaya) einbringen soll: 29 Spiele
in Liga zwei und elf in der Bundes-
liga, nicht zu unterschätzen auch 20
Länderspiele in der U19 und ihr
Stammplatz in der Auswahl des DFB
bei den EM-Vizetiteln 2018 und
jüngst 2019 in Schottland. Geebnet
hat den Weg zurück ein berufliches
Praktikum, hat Lisa Ebert doch er-
kannt, dass es angesichts des großen
finanziellen Gefälles im Frauenfuß-
ball auf Dauer ohne zweites Stand-
bein nicht geht.
Dass sie erst kurz vor Saisonstart
ins Training mit der Mannschaft ein-
steigt, noch dazu zum großen Ver-
druss aller beim Club trotz der lan-

gen Sommerhitze auf einem zusätz-
lich aufgeheizten und schlechten
Kunstrasenplatz absolviert, ist für
Cankaya kein großes Problem, „denn
sie dürfte durch die EM gut vorberei-
tet sein“. Interessanter ist schon ihre
taktische Rolle in der Mannschaft. In
der DFB-Auswahl wurde die Stürme-
rinindenvergangenenJahrendurch-
aus erfolgreich zur Innenverteidige-
rinumgeschult,beim Club allerdings
ist ihr Einsatz wieder an vorderster
Frontgeplant. „Um unsererEffektivi-
tät einen Schub zu geben“, wie der
Trainer hofft.
EinJahrlängerundwesentlichwei-
ter weg war Kim Urbanek (22), denn
die Offensivspielerin wechselte nach

dem Abitur und zwei Spielzeiten in
der U17-Bundesliga für vier Jahre
zum Studium an die Universität von
Connecticut/USA. Sie spielte im Col-
legeteam der „UConn Women’s Hus-
kies“ und sammelte so im Land des
Weltmeisters eine Menge Erfahrun-
gen, die ihr und dem FCN nach dem
Abschluss des Studiums und der
RückkehrinsFränkischezugutekom-
men sollen.
Am weitesten weg, nämlich in
Minnesota/USA,abernurfürein Aus-
landsjahr als Schülerin, war Hannah
Johann (16), eine aus Sicht der Club-
Trainer „starke Konstante im Tor“,
die ebenso wie die beiden Abwehr-
spielerinnen Sara Schramm (16/

Wacker München) und Judith Gruber
(FC Passau) noch in der U17 spielen
können, aber an die „Erste“ herange-
führt werden sollen. Ein Jahr älter
und damit einen Schritt weiter ist
Mittelfeldspielerin Eva Bahm (17),
die beim VfL Sindelfingen schon ein
Jahr in bei den Frauen in der Regio-
nalliga gespielt hat. Trotz etlicher
Angebote auch von Zweitliga-Verei-
nen hat sie sich für den Wechsel
nach Nürnberg entschieden, wo sie
trotz ihrer Jugend als „unmittelbare
Verstärkung“ eingeschätzt wird.
Trotz aller Kraft voraus in Rich-
tung 2. Bundesliga gerät der Jugend-
stil also keineswegs aufs Abstellgleis


  • eine gute Perspektive.


Freunde auf dem Weg in die Kreisliga: Die Mannschaft von Tuspo während des ent-
scheidenden Elfmeterschießens in der Relegation.

Foto: Oliver Gold

/Zink

Foto: Thomas Hahn/Zink

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ie Saure-Gurken-Zeit hat
sogar einen eigenen Ein-
trag bei Wikipedia. Dort erfährt
man zum Beispiel, dass man
das Wort auch ohne Bindestri-
che, also „Sauregurkenzeit“,
schreiben darf. Oder dass es im
Englischen „season of the very
smallest potatoes“ („Jahreszeit
der kleinsten Kartoffeln“)
heißt. Und natürlich darf der
Hinweis nicht fehlen, dass in
dieser Zeit „die Seiten der Zei-

tungen häufiger als sonst mit
nebensächlichen und kuriosen
Meldungen gefüllt werden“.
Bislang kam sie immer zuver-
lässig, egal, wie gut man auch
geplant hatte, irgendwann war
es einfach so weit. In diesem
Jahr aber ist von kleinen Kartof-
feln und sauren Gurken bis-
lang wenig zu spüren. Es gibt
sogar mehr Themen als Platz
auf dieser einen Seite, die wir
dem Lokalsport in der Stadt
widmen. Es gibt erfolgreiche
Sportler, über deren Erfolge
wir noch nicht angemessen
berichtet haben. Und es gibt
Ideen, so viele, dass eine Seite
gar nicht ausreichen würde,
um sie alle umzusetzen. Das
aber ist ein anderes Thema.
Vielleicht für die nächste Saure-
Gurken-Zeit. Irgendwann.

Aufstieg als


großes Ziel


Nach sieben Jahren in der Regionalliga wollen die


CLUB-FUSSBALLERINNEN in die 2. Bundesliga. VON WIELAND PETER


Jubeln wollen die Fußballerinnen des 1. FC Nürnberg in der bald beginnenden Spielzeit noch öfter als zuletzt. Im besten Fall soll
am Ende der Saison der Aufstieg in die 2. Bundesliga stehen.

Bier, Wurst und gute Freunde


Eine Saison lang begleitet die SPORTREDAKTION die Menschen, Vereine und das sportliche Geschehen in der Kreisliga. VON FADI KEBLAWI


Von wegen


saure Gurken


DIE KABINENPREDIGT
VON MICHAEL FISCHER

STADTANZEIGER SPORT NORD / Mittwoch, 31. Juli 2019 29

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