Nürnberger Zeitung - 31.07.2019

(Greg DeLong) #1

Die SPD hängt in der Luft. Einen
Monat können sich Anwärter für
den SPD-Vorsitz noch melden.
Das Kandidatenrennen birgt auch
für die Koalition Sprengkraft.


BERLIN — Malu Dreyer strahlt. „Und
jetzt geht's los, Ihr lieben Leute,
macht mit, wir freuen uns!“, sagt die
kommissarische SPD-Vorsitzende
und rheinland-pfälzische Minister-
präsidentin in einer Werbebotschaft
für die Beteiligung der SPD-Mitglie-
der an der Auswahl des künftigen Par-
teivorsitzes. Doch einen Monat vor
dem Bewerbungsschluss am 1. Sep-
tember ist noch nicht absehbar, ob es
überhaupt genug Bewerber mit
Strahlkraft geben wird, um einen
Wettbewerb in Gang zu setzen.
Die SPD hängt in der Luft. Nach
starker Führung sieht es derzeit
nicht aus – trotz gleich drei kom-
missarischer Chefs. Wer die Sozialde-
mokraten in welche Zukunft führen
soll, zeichnet sich auch rund zwei
Monate nach dem Rücktritt von Par-
tei- und Fraktionschefin Andrea Nah-
les in keiner Weise ab.
Politische Schwergewichte haben
in dieser Lage bisher eher durch Absa-
gen und Zögern auf sich aufmerksam
gemacht. Der Mann, der wohl am häu-
figsten als mögliche künftige Num-
mer eins der SPD genannt wird, hat
bereits Routine im Abwinken. „Ich
habe in Niedersachsen eine wichtige
und schöne Aufgabe und keine Ambi-
tionen auf einen Wechsel nach Ber-
lin“, sagt Niedersachsens Minister-
präsident Stephan Weil. „Nur auf die


„Schließen Sie aus“-Fragen antworte
ich konsequent immer: nein.“ Ein
Medienbericht, wonach Weil verzich-
ten und den Weg für Lars Klingbeil
als Kandidaten freimachen will, wur-
de in Parteikreisen als Spekulation
eingestuft. Dem Generalsekretär wer-
den Ambitionen nachgesagt.
Andere haben deutlichere Worte
gefunden, um zu sagen, dass sie
nicht an die SPD-Spitze wollen, allen
voran die Interimchefs Dreyer, Meck-
lenburg-Vorpommerns Ministerprä-
sidentin Manuela Schwesig und Hes-
sens Landeschef Thorsten Schäfer-
Gümbel – aber auch Finanzminister
Olaf Scholz und Arbeitsminister
Hubertus Heil.
Klingbeil erwartet dennoch
„sicher“ weitere Kandidaten. „Ich
schließe nicht aus, dass es auch von
Ministerpräsidenten oder Ministern
Bewerbungen geben kann“, sagt er.
Familienministerin Franziska Giffey
gilt als heiße Anwärterin, hat aber
das Problem, dass derzeit noch eine
Prüfung ihrer Dissertationsschrift
läuft – Ausgang offen.
Eine Bewerbung nicht ausgeschlos-
sen hat die ehemalige Kandidatin für
das Amt der Bundespräsidentin, Gesi-
ne Schwan. Gehandelt wird auch der
Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert.
Auch Heil – trotz Absage – und
Außenminister Heiko Maas werden
bisweilen genannt.
Die Zeit von SPD-Ministerjobs im
Bund könnte bald gezählt sein.
Bereits derzeit wirkt die SPD manch-
mal wie im Oppositionsmodus. Da
war der Fall von Ursula von der

Leyen. Kurz nachdem die CDU-
Politikerin Anfang Juli als EU-Kom-
missionschefin nominiert war, leg-
ten sich die SPDler auf ein Nein fest –
und mussten sich als ewige Nörgler
verspotten lassen. Da half es wenig,
dass die SPD-Vorsitzenden schließ-
lich artig gratulierten.
Als der kommissarische Fraktions-
chef Rolf Mützenich die neue Vertei-
digungsministerin Annegret Kramp-
Karrenbauer (CDU) im Bundestag
direkt nach ihrer Vereidigung heftig
kritisierte, wurde dies zwar als star-
ker Auftritt wahrgenommen. Doch
nicht nur der FDP-Vorsitzende Chris-
tian Lindner fühlte sich an eine Oppo-

sitionsrede erinnert. Mützenich
erteilte auch einer Verlängerung des
Mandats für den Bundeswehreinsatz
gegen den IS in Syrien und im Irak
eine Absage. Und das, obwohl Außen-
minister Maas den Einsatz im Juni
als „zurzeit noch absolut unabding-
bar“ bezeichnet hatte.
Möglich, dass das Rennen um den
Parteivorsitz die Absetzbewegungen
der SPD aus der Koalition beschleu-
nigt. Neben dem Europa-Staatsminis-
ter Michael Roth und der ehemaligen
NRW-Familienministerin Christina
Kampmann haben bisher die Bundes-
tagsabgeordneten Karl Lauterbach
und Nina Scheer ihre Kandidatur
angekündigt. Und sie machen kei-
nen Hehl daraus, dass sie die Regie-
rungsbeteiligung der SPD in vielen
Bereichen quasi für gescheitert
halten.
20 bis 30 Regionalkonferenzen
will die SPD für den Wettkampf ihrer
Bewerber ausrichten, bis Ende Okto-
ber soll die Basis abstimmen. Es
könnte also sein, dass beim Schaulau-
fen der Kandidaten heftig Stimmung
gegen die Groko gemacht wird – wäh-
rend die Koalition in Berlin weiter
um gemeinsame Politik ringt. „Jeder,
der kandidiert, muss sich natürlich
auch der Frage zur Zukunft der Regie-
rung stellen“, meint Klingbeil. Doch
er mahnt: „Wir machen uns aber als
SPD klein, wenn wir diese Frage allei-
ne in den Mittelpunkt rücken.“ Viel-
mehr erwarte er eine spannende
Debatte „über die großen Ideen der
Sozialdemokratie und die Zukunft
des Landes“. Basil Wegener, dpa

Bisher hat die Bundesregierung
sich in der Diskussion über einen
Militäreinsatz in der Straße von
Hormus zurückgehalten. Jetzt gibt
es aber eine konkrete Bitte zur
Beteiligung – die wohl nicht erfüllt
werden wird.


BERLIN — Die USA erhöhen den
Druck auf Deutschland, sich an der
Sicherung des Handelsverkehrs
durch die Straße von Hormus zu
beteiligen. „Wir haben Deutschland
förmlich gefragt, zusammen mit
Frankreich und Großbritannien bei
der Sicherung der Straße von Hor-
mus mitzuhelfen und iranische
Aggression zu bekämpfen“, teilte
eine Sprecherin der US-Botschaft
mit. „Mitglieder der Bundesregie-
rung haben klar gesagt, dass die Frei-
heit der Seefahrt geschützt werden
sollte. Unsere Frage ist, von wem?“,
erklärte sie.
Laut Hintergrund-Informationen
wurde die US-Anfrage an Deutsch-
land und andere Verbündete bereits
vor mehreren Tagen schriftlich über-
mittelt. Es wurden auch konkrete
militärische Fähigkeiten abgefragt.
Eine formelle Antwort Deutsch-
lands gibt es bisher zwar nicht. Das
Auswärtige Amt machte am Dienstag
aber klar, dass kein deutscher Beitrag
zu der geplanten US-Mission mit
dem Namen „Sentinel“ (Wache) zu
erwarten ist. „Zu einer US-geführten
Schutzmission in der Straße von Hor-
mus hat die Bundesregierung bisher
keinen Beitrag in Aussicht gestellt“,
hieß es aus dem Ministerium.
Nach der Festsetzung eines briti-
schen Tankers durch den Iran in der
Straße von Hormus hatte der damali-
ge britische Außenminister Jeremy
Hunt vor gut einer Woche einen rein
europäischen Militäreinsatz als
Ergänzung zu der US-Mission vorge-
schlagen. Das war aber noch vor dem
Amtsantritt des neuen Premierminis-
ters Boris Johnson. Die neu formierte
britische Regierung – mit dem neuen
Außenminister Dominic Raab –
strebt nun einen europäisch geführ-


ten Ansatz unterstützt von den USA
an. „Ich glaube, wir wollen einen
europäisch geführten Ansatz, aber
das scheint mir nicht ohne amerika-
nische Unterstützung machbar zu
sein“, wird Raab zitiert.
Dieser Kurs könnte die Allianz der
Europäer in der Iran-Frage gefähr-
den. Deutschland, Frankreich und
Großbritannien versuchen gemein-
sam, das Atomabkommen mit Teher-
an trotz des Ausstiegs der USA zu ret-
ten. Dementsprechend gibt es gegen
die vorgeschlagene Lösung in der Ber-
liner Regierungskoalition starke Vor-
behalte – vor allem bei der SPD.
Deutschland will sich von US-Präsi-
dent Donald Trumps Politik des
„maximalen Drucks“ auf den Iran
abgrenzen. Ein Marineeinsatz
gemeinsam mit den USA gilt deshalb

als kaum denkbar. Es gibt Befürchtun-
gen, in einen bewaffneten Konflikt
der USA mit dem Iran gezogen zu wer-
den. „Deutschland wird sich nicht an
einer US-Mission beteiligen. Da ist
man plötzlich auf Seiten der Amerika-
ner in einem Krieg mit dem Iran“, sag-
te der außenpolitische Sprecher der
SPD, Nils Schmid.

Deeskalation
hat oberste Priorität

Das Auswärtige Amt erklärte, dass
ein eng koordiniertes Vorgehen der
Europäer und Deeskalation der Span-
nungen für die Bundesregierung die
oberste Priorität blieben. „Die briti-
sche Entscheidung scheint mehr
praktischen Fragen der schnellen
Umsetzbarkeit geschuldet. Wir

sehen hier keine Absage an ein
gemeinsamesVorgehen.“
Der stellvertretende CDU/CSU-
Fraktionschef Johann David Wade-
phul forderte die britische Regierung
auf, Klarheit über ihre Pläne zu schaf-
fen. „Großbritannien muss klar Farbe
bekennen, ob es eine europäische
Mission anstrebt“, sagte er. „Wir emp-
fangen auch Signale, dass London
sich unter dem neuen Premier John-
son eher in Richtung einer Beteili-
gung an einer US-Mission bewegt.“
Wadephul betonte aber auch, dass
Deutschland grundsätzlich dazu
bereit sein müsse, sich an der Siche-
rung der freien Seefahrt weltweit zu
beteiligen. „Die Wahrung der Frei-
heit der Seefahrt ist für ein global so
vernetztes und wirtschaftlich starkes
Land wie Deutschland lebenswich-

tig“, sagte er. „In der Vergangenheit
wurde das bei uns viel zu wenig dis-
kutiert und es wurden auch nur
bedingt die notwendigen sicherheits-
politischen Schlüsse gezogen.“
Großbritannien hatte am 4. Juli in
Gibraltar den Tanker „Grace1“ mit
der Begründung festgesetzt, er habe
iranisches Erdöl für Syrien an Bord
und damit gegen EU-Sanktionen ver-
stoßen. Der Iran bestreitet das. Am


  1. Juli stoppten die iranischen Revo-
    lutionsgarden dann in der Straße von
    Hormus den britischen Öltanker „Ste-
    na Impero“. Zur Begründung hieß es,
    das Schiff habe internationale Regeln
    der Seefahrt nicht eingehalten, sein
    GPS-System ausgeschaltet und
    umweltschädigende Materialien an
    Bord. Beide Seiten warfen sich gegen-
    seitig „Piraterie“ vor. dpa


Der britische Öltanker „Stena Impero“ wird in der Straße von Hormus von Schnellbooten der iranischen Revolutionsgarden umkreist.

Foto: Patrick Seeger, dpa

Familiennachzug: 9000
Visa seit Neuregelung erteilt
BERLIN — Seit der Neuregelung des
Familiennachzugs vor einem Jahr
haben etwa 9000 Angehörige von
Flüchtlingen mit eingeschränktem
Schutzstatus Visa für Deutschland
bekommen. Von August 2018 bis
Ende Juni wurden 8758 Einreiseer-
laubnisse erteilt, so das Auswärtige
Amt. Im August 2018 trat eine Neu-
regelung in Kraft, wonach „subsidiär
Schutzberechtigte“ – in der Regel
Bürgerkriegsflüchtlinge – wieder
Angehörige zu sich nach Deutsch-
land holen dürfen. Allerdings gibt es
eine monatliche Obergrenze von
1000 positiven Entscheidungen
beim Bundesverwaltungsamt.

Protest gegen Lucke-
Rückkehr an Uni Hamburg
HAMBURG — Nach dem Scheitern
seiner Wiederwahl ins Europaparla-
ment kehrt der AfD-Gründer und
Wirtschaftswissenschaftler Bernd
Lucke an die Universität Hamburg
zurück. Der 56-Jährige werde zum
Wintersemester wieder im Lehrbe-
trieb arbeiten, sagte eine Spreche-
rin. Bei den Studierenden stößt die
Rückkehr des Professors auf Kritik.
Lucke habe mit „seiner bürgerlichen
Fassade den Weg der AfD zur men-
schenverachtenden und rassisti-
schen Partei geebnet“, sagte der Vor-
sitzende des Allgemeinen Studieren-
denausschusses (AStA), Karim
Kuropka. „So ein Mensch gehört an
keine Universität.“

Foto: Morteza Akhoundi, d

pa

Die SPD ist auf der Suche nach
einer neuen Parteiführung.

kurz


yotiert


Die SPD sucht händeringend Anwärter auf den Partei-Vorsitz


Routine stellt sich bislang nur im Abwinken ein


Geplante Hormus-Mission könnte über Umwege Atomabkommen mit Iran gefährden


Die USA erhöhen den Druck auf Deutschland


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Mittwoch, 31. Juli 2019
Politik
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