Berliner Zeitung - 31.07.2019

(ff) #1

B e rlin


12 * Berliner Zeitung·Nummer 175·Mittwoch, 31. Juli 2019 ·························································································································································································································································································


MeisterderBohnen


BesondersinGroßstädtenboomenkleineRöstereien–fürsieistKaffeeeinGetränksokomplexwieWein


VonMatthiasArnold

S


eit fünf Uhrist Philipp Rei-
chel an diesemMorgen auf
denBeinen,dochMüdigkeit
zeigt der 33-Jährige keine.
Dasmag an seinemBerufliegen:
Mittenim Kaffee9,einemSzenecafé
inKreuzberg,betreibtderUnterneh-
mer eine eigene Rösterei.Seit meh-
rere nStunden dreht sich dortunter
seiner Aufsicht die schwereRöst-
trommel,inderdieweißlich-grünen
Kaffeebohnen getrocknet und er-
hitzt werden. Bisder in denKirsch-
kernenenthalteneZuckerkaramelli-
siertund den Bohnen ihretypisch
brauneFärbungverleiht.
Reichelwartetaufdensogenann-
ten Crack, denMoment, in dem die
Bohneaufbrichtundauchderletzte
Anteil Feuchtigkeit aus ihr ent-
weicht.„WiebeimPopcorn“,sagter,
undtatsächlichhörtmanesim Inne-
render Maschine nach einigerZeit
leise knallen und ploppen.Aufei-
nem Bildschirmprüft Reichel die
Temperatur,reguliertbei Bedarf
nach.„S ostellenwirsicher,dassjede
RöstungamEndegleichschmeckt.“
Mehr als 800 Aromen steckten po-
tenziellinjederKaffeebohne,sagter.
UmReichelherumherrschtreger
Betrieb: Junge Eltern, Geschäfts-
leute,Hipster sitzen an den hohen
Holztischen desKaffee 9, lesenZei-
tungoderarbeitenanihrenLaptops.
DasCafé hat Reichel einst selbst
geleitet.Inzwischenisterausgestie-

Philipp Reichelkontrolliertdie Qualität der im Kaffee9gerösteten Kaffeebohnen. DPA/BRITTA PEDERSEN

gen und nutzt die Räumlichkeiten
für den Betrieb seiner Rösterei.Ge-
meinsam mit nur einerMitarbeite-
rinlieferterimMonatbiszu1,5Ton-
nengerösteteBohnenanzahlreiche
Hauptstadt-Kunden und organisiert
nebenher Schulungen undWork-
shopsrundum Kaffee.
Kleinunternehmer wie Reichel,
diemit wenigenMitarbeiternvoral-
lemdielokaleNachfragenachhoch-
wertigem Kaffee –sogenanntem

Spezialitäten-Kaffee–bedienen,mi-
schenderzeitvorallemin Ballungs-
gebietenden Marktauf. „DasSeg-
ment wächst“, sagtHolger Prei-
bisch, Hauptgeschäftsführer des
Deutschen Kaffeeverbands in
Hamburg.„WirsehendieZahlklei-
ner Röstereien bundesweit inzwi-
schen beirund 650.“Ihre Anzahl
habe sich seit 2010 etwaverdop-
pelt. Siesetzen auf hochwertigen
Anbau, auf lokale Verarbeitung,
Handarbeit und auf Leidenschaft.
Daskommtan,vorallembeimhip-
pen Großstadtpublikum.Kein Ge-

tränk trinken dieVerbraucher in
Deutschland so gerne wieKaffee:
Rund 164 Liter konsumierte jeder
vonihnen imverg angenenJahr
durchschnittlich, hat Preibischs
Verbandjüngstermittelt.BeimBier
warenes102Liter.
Undtrotzdem verbinden viele
mit gutem Kaffee nach wievor
schwarzen, kochend heißen und
bitterenWachmacher.Die kleinen
Röster wollen das ändern. Für sie

„Die kleinen Röstereien sind für das


GesamtproduktKaffee ein Traum.“


Holger Preibisch,
Hauptgeschäftsführer des Deutschen Kaffeeverbands

ist Kaffee mindestens so komplex
wie Wein. SiesprechenvonJahr-
gängen, Anbaugebieten, Verkos-
tungen und Aromen.Undobwohl
sie mit einemMarktanteil vonle-
diglich fünfProz ent nur eineNi-
sche bilden, treiben sie dabei die
Großenvorsichher .Spezialitäten-
Kaffee vonTchibo,Jacobs,Dall-
mayroder vomDiscounterAldi,mit
Kirsch-, Schoko- oderKaramellnote
steht inzwischen in jedemSuper-
marktregal.
Dabei betonen dieGroßen nicht
nurQualität,sondernauchNachhal-

tigkeit–einThema,beidemdieklei-
nen Röstereien häufigNachholbe-
darfhaben. „Die Lieferketten bei
Kaffee si nd extrem komplex“, sagt
ClaudiaBrück vomVorstand des
VereinsTransfair,derdasbekannte
Fairtrade-Siegel verg ibt. „Für
kleine Röstereien ist es sehr
schwierig, diese komplett selbst
unterKontrollezuhalten.“Umdas
Risiko zu minimieren, kauften ihr
bekannte Röster gezielt bei Fair-
trade-Kooperativen. Anderebezö-
genihrenRohkaffeebeiPlantagen,
deren Bewirtschaftung als nach-
haltiggilt.Undesg ebesolche,„die
auf der Welle mitschwimmen, bei
denen man nicht genauweiß, wo-
herkommtderKaffee“.
DerKreuzberger RösterReichel
bezieht seinenKaffee sowohlvon
großen Anbauernaus Brasilien,
aber auch vonKleinbauernaus
Guatemala oder Äthiopien.Er will
sich mit seinemBetrieb derInitia-
tiveTransparentTrade Coffee an-
schließen.Dasistein Verbundvon
kleinen Kaffeerösternauf der gan-
zenWelt, die ihreLieferketten und
Kostenoffenlegen,umtransparent
zumachen,welchesGeldam Ende
wo landet.Vereine wie dasForum
Fairer Handel begrüßen solcheIn-
itiativen.Reichel sieht dieVerant-
wortung aber auch bei denVer-
brauchern.„Jeöfter die Menschen
fragen, woher derKaffee kommt,
umsomehrrücktdasThemainden
Mittelpunkt.“ (dpa)

MalwiederAusnahmezustand


WegenTiefVincentmusstedieFeuerwehramMontagabendknapphundertmalausrücken


VonLutz Schnedelbach

D


as Tief Vincent hat derFeuer-
wehr bis zum Montagabend
97wetterbedingte Einsätzebe-
schert. Darunter warenvollgelau-
feneKeller,umgestürzteBäumeund
abgebrocheneÄste:SchonamMon-
tagnachmittag, als es noch nicht
stürmte ,hattedieLeitstelledenAus-
nahmezustand ausgerufen. Der
Grund: Zumeinen waren hundert
Beamte imReinickendorfer Ortsteil
Lübars stundenlang damit beschäf-
tigt, mehrereLagerhallen fürFutter
aufeinemPferdehofzulöschen.
UndzumanderenwarimFracht-
bereich desFlughafens inTegel ein
Behälter für Gefahrgut beschädigt
worden.SpezialkräftederFeuerwehr
sicherten das Frachtstück. Auch
während dieses Einsatzes waren
mehr als 50Feuerwehrleute invol-
viert. Unddann kamVincent und
brachte vorallem über denNorden
der Stadt Regen, Hagel undSturm.

Diemeisten Notrufe für dieFeuer-
wehr kamen ausReinickendorfund
Wedding. Verletzt wurde niemand.
Dennoch sei dieZahl der Einsätze
eineHerausforderung,sodieFeuer-
wehr.

sind. Dann werden die Freiwilligen
Feuerwehren alarmiertund beset-
zendieWachen.AnersterStelleste-
hen dieEinsätze, bei denenMen-
schenzurettensind.MitdemAusru-
fen des Ausnahmezustandes sichert
sich die Feuerwehr auch gegen Kla-
gen vonBürger nab, denen nicht
rechtzeitiggeholfenwurde.
DerAusnahmezustand wegen
desWetterswurdeamAbendwieder
aufgehoben.Auch die Polizei selbst
warvondenstarkenRegenfällenbe-
troffen. IndenAbschnitten35und
liefdas Wasserin Diensträume.Zwi-
schendurch musstenwegen Über-
flutungenStraßen gesperrtwerden
wie etwa dieWollankstraße.Ind er
Gerichtstraße wurde einPappdach
durch Böen abgedeckt.Im Gleim-
tunnel stand dasWasser teilweise
hüfthoch und PassagiereinTegel
musstendamitrechnen,nasseFüße
zu bekommen.Durchein kaputtes
Dachlief RegenwasserindasAbferti-
gungsgebäude.

AusnahmezustandbeiderFeuer-
wehrbedeutet,dassEinsätzejen ach
Wichtigkeit bearbeitetwerden und
nichtnachderZeitdeseingehenden
Notrufes .Das geschieht,wenn
80Proz entder Fahrzeugeim Einsatz

Im Gleimtunnel lief dasWasser nur ganz langsam ab. RUBYIMAGES/F. BOILLOT

POLIZEIREPORT


Mann niedergestochen.
Einschwer verletzterMannhatsich
amMontagnachmittaginWeißensee
selbstineinKrankenhauseingelie-
fert.ÄrztebemerktendortzweiEin-
sticheimRücken.DieKrankenhaus-
mitarbeiteralarmiertendiePolizei,
weilsiedavonausgingen,dassder
MannOpfereinerGewalttatgewor-
denwar .DieBeamtenerfuhren,dass
sichder42-JährigeinderOranien-
burger Straßein Wittenaumiteinem
ihmnichtnäherbekanntenMann
gestrittenhatte.Dabeisollesum
Drogengeschäftegegangensein.


Radfahrer fährtgegenTransporter.
AmDienstagmorgenisteinRadfah-
rerinJohannisthalschwerverletzt
worden.NachPolizeiangabenereig-
netesichderUnfallgegen6.15Uhr
aufdemSterndamm.Der39-Jährige
warmitseinemFahrradinRichtung
Stubenrauchstraßeunterwegs,alser
anderBushaltestelleKircheJohan-
nisthalgegendieHeckklappeeines
dorthaltendenVWCaddyprallte.
NachAngabenderPolizeiräumte
derMannein,dasserdurchdieBe-
nutzungseinesMobiltelefonsabge-
lenktgewesensei.DasAutowurde
beschädigt.DerRadfahrerkammit
schwerenVerletzungenamKopfund
anArmenineinKrankenhaus.


MannerleidetStromschlag.
AufdemU-BahnhofSchönhauser
AlleeistinderNachtzumDienstag
einManninsGleisbettgesprungen.
ZunächsthatteeraufdemBahnsteig
randaliert.Erweigertesichtrotzder
AufforderungvonBVG-Mitarbei-
tern,denBahnsteigzuverlassen.Als
sieihnüberwältigenwollten,sprang
eraufdieGleiseunderlittdabeiei-
nenStromschlag.DieBVG-Mitarbei-
teralarmiertendieFeuerwehr,die
ihnineinKrankenhausbrachte.Bei
derDurchsuchungseinerKleidung
wurdenDrogensichergestellt.


Kneipeüberfallen.
EinUnbekannterhatamspäten
MontagabenddasLokal„ZumRoh-
reck“inSiemensstadtüberfallen.
DermaskierteMannbetratnachAn-
gabenderPolizeigegen22.45Uhr
dieKneipeamJungfernsteig.Erbe-
drohtedie42-jährigeWirtinmitei-
nemPfeffersprayundverlangte
Geld.DieFrauübergabihreBörse.
DerRäuberflüchtetemitderBeute.


Mann von Bus erfasst.
BeieinemUnfallinSchönebergist
amMontagmittageinFußgänger
schweramKopfverletztworden.Der
21-JährigewollteamHildegard-
Knef-PlatzdenFußgängerübergang
zwischeneinzelnenWartestellenfür
Bussenutzen.Dabeiwurdeervonei-
nemBVG-Buserfasst.Derjunge
MannerlittnachPolizeiangabenbei
demUnfalleinenSchädelbruchund
derBusfahrereinenSchock.DiePo-
lizeigehtdavonaus,dassder21-Jäh-
rigekur zvordem Unfallmitseinem
Handytelefonierthatteunddeshalb
abgelenktwar.


Sprayer erwischt.
Bundespolizistenhabeninder
Nachtzum DienstagamS-Bahnhof
ZehlendorfzweiSprayererwischt.
KurznachMitternachtbeobachte-
tennachPolizeiangabenBahnmitar-
beiterdasDuobeimBesprühenei-
nerabgestelltenS-Bahnaufeiner
Flächevon25Q uadratmetern,sie
verständigtendiePolizei. DieTäter
imAlter von19u nd21 Jahrenwur-
denfestgenommen.DieBeamten
leitetenErmittlungsverfahrenwegen
Sachbeschädigunggegendiebeiden
HeranwachsendenausBerlinein
undstelltenSpraydosensicher.


Polizisten beleidigt.
Alsdie Wasserschutz-Polizeiam
Montaggegen22.30Uhrane inem
Strandin GrunewaldeinenMann
kontrollierte,derdor ttrotzhoher
WaldbrandgefahreinFeuerschürte,
beleidigtedieserdiePolizistenmit
volksverhetzendenWorten.Der
63-JährigelöschtedasFeuernurun-
terProtest.Erwirdsichnun wegen
HerbeiführeneinerBrandgefahr,
VolksverhetzungundBeleidigung
verantwortenmüssen. (ls.)


Kammerweist


Einspruchvon


Alstomab


Folgenfürden
U-Bahn-Großauftragunklar

VonPeter Neumann

I


mStreitumdengrößtenU-Bahn-
AuftraginderGeschichtederBer-
linerVerkehrsbetriebe (BVG)gibt es
eine ersteEntscheidung. Allerdings
ist noch ungewiss,wie es danach
weitergeht.Kann die BVGdie U-
Bahn-Wagennunbestellenundden
vonvielen Fahrgästen kritisierten
Fahrzeugmangelbeim wichtigsten
Verkehrsmitte der Stadt lindern?
OderfolgteinGerichtsverfahren,das
dieAuftragsvergabeweiterverzögert
odersogareinneuesVergabeverfah-
renerforderlichmachenkönnte?
NachInformationenderBerliner
ZeitunghatdieVergabekammerBer-
lin,diebeiderSenatsverwaltungfür
Wirtschaftangesiedeltist,denNach-
prüfungsantrag des Schienenfahr-
zeugherstellers Alstom zurückge-
wiesen.Alstomhattegerügt,dassdie
BVGden Drei-Milliarden-Euro-Auf-
trag an das Berliner Unternehmen
Stadler Pankowvergeben wollte.
DemVernehmennachgabesinder
vergangenen Woche eine weitere
mündliche Verhandlung, danach
fasstedieVergabekammerihrenBe-
schluss.

KritikamVorgehenderBVG
Svenja Fritz, Sprecherin der Wirt-
schaftssenatorin Ramona Pop
(Grüne), bestätigte am Dienstag-
abend, dass die Vergabekammerzu
einer Entscheidunggekommensei.
ZumInhaltteiltesienichtsmit.Das
wärezum jetzigenZeitpunkt noch
nicht möglich,sagte sie.„DieEnt-
scheidungwirdandieVerfahrensbe-
teiligtenmitderPostförmlichzuge-
stellt“,erläuterteFritzdasVerfahren.
Ob der Deutschland-Ableger des
französischen Schienenfahrzeug-
herstellernnun Klage einreicht, war
am Dienstagabendnicht in Erfah-
rungzubringen.Auchnicht,warum
AlstomdieVergabeentscheidungder
BVGeigentlichgerügthatte.Hießes
anfangs,dassessichumeinenrouti-
nemäßigen Einspruch handelt,
mehrten sich dann die Hinweise,
dass Alstom substanzielleKritik am
Vergabeverfahrengeäußerthat.
Wieberichtet,hattesichauchSie-
mens,der dritteBewe rber,kritisch
geäußert.Weil der Konzer ndie Be-
denkenseinemAngebothinzufügte,
was nach lautBVGnicht zulässig
war,katapultierte er sich damit be-
wusstselbstausdemVerfahren. Dass
Siemens dies trotzdem tat,zeigte,
wie ernst es dasUnternehmen mit
seinerKritikanderBVGmeinte.

DrohendeVerzögerung
DemVernehmennachkritisierteSie-
mens,dassdieBVGimmerwieder
Bedingungen geänderthabe.So
wurdedieZahlderU-Bahn-Fahr-
zeuge,diebestelltwerdensollten,
von1 050 auf 1500 aufgestockt.
AuchdieFrequenz,inderdieZüge
geliefertwerdensollten,wurdeer-
höht.Hinzukamenimmerschärfere
Gewährleistungs- und andereAn-
sprüche,dieden Konzer nüberJahr-
zehntemitRisikenbelastethätten.
Mitte 2021, so hofftenSenat und
BVGursprünglich, sollen die ersten
24 U-Bahn-Wagen geliefertwerden.
Im darauffolgendenJahr sollen 76
Wagengeliefertwerden, von2023an
138Wagenpr oJahr.FallsAlstomnun
gegen dieEntscheidung derVerga-
bekammer Beschwerde vordem
Kammergerichteinlegt,wirdsichdie
BestellungderU-Bahnenweiterver-
zögern. DemVernehmennachwäre
eine mündlicheVerhandlung erst
2020 möglich.Beobachter halten es
zudemfürmöglich,dassdiezustän-
digeKammerzunächsteinMediati-
onsverfahrenanregenwird.
KämedasGerichtdannzueinem
UrteilzugunstenvonAlstom,könnte
diesbedeuten,dassdieBVGdasVer-
gabeverfahren oder zumindestTeile
davon wiederholen müsste.Mögli-
cherZeitverlust:zweibisdreiJahre.
Free download pdf