Berliner Zeitung - 31.07.2019

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Berliner Zeitung·Nummer 175·Mittwoch, 31. Juli 2019–Seite 18*
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S p ort


H


äufig werden Ideen an
den unspektakulärsten
OrtenzukonkretenPro-
jekten. Manche entste-
hen auf derToilette,anderebeim
Joggenoderwiebei„DieFinals–Ber-
lin2019“inderS-BahnaufdemWeg
zum Berliner Olympiastadion. Dort
saß vorigen Sommer ARD-Sport-
koordinator AxelBalkausky,erw ar
gerade vonden European Champi-
onshipsinGlasgowgekommenund
aufdem WegzurEMderLeichtathle-
ten.InderS-BahnhörteerJugendli-
che darüberreden, dass „wir“, also
die Deutschen, gerade eineBahn-
radmedaillegewonnenhätten.
Balkausky hat dieseEpisode er-
zählt, um zuverdeutlichen, was die
Finals,eine Ballung vonzehn Deut-
schen Meisterschaften in zehn
SportartenaneinemWochenendein
Berlin, bewirken sollen: dass eine
Randsportartwie das Bahnradfah-
ren,dieanderKantezur Unsichtbar-
keit balanciert, im Bündel mit öf-
fentlichkeitswirksamen Sportarten
wie der Leichtathletik anGewicht,
an Reichweite zulegt und in der S-
BahnoderanderswoGesprächsstoff
wird. Mankönnte dasGanzealso
eine Meisterschaft derQuersubven-
tionierungnennen.Dennessoll,wie
vorigen Sommer bei denEuropean
ChampionshipsinGlasgowundBer-


lin, eine ArtolympischesBand ent-
stehen, wenn am Wochenende
Leichtathleten, Schwimmer,Boxer,
Triathleten,Turner,Kanuten,Bogen-
schützen, Fünfkämpfer,Bahnrad-
sowie Trialfahrer ihrenationalen
Meisterermitteln.

Familiensportfestfüralle
Zudem feiertder Landessportbund
aufdemOlympiageländeseinFami-
lienfestmitSportzumProbieren,die
Triathleten starten amWannsee ein
Jedermann-Rennen,Kinder können
das Turnabzeichen ablegen. „Wir
versuchen,überdasZusammenbin-
denvonSportarten mehrentstehen
zu lassen als vieleEinzelveranstal-
tungenaneinemOrt:eineVeranstal-
tung die auch alsGesamtheit wahr-
genommen und wertgeschätzt
wird“, hat Balkausky dem Portal
Leichtathletik.degesagt.
In der Berliner Senatsverwaltung
für Inneres undSportstieß die Idee
vonARD und ZDF aufGegenliebe:
„Die Finals sind ein Leuchtturm-
EventfürdieHauptstadt.ZehnMeis-
terschaften an einemWochenende
mit 3300 Athletinnen undAthleten
zu veranstalten, ist in dieserVielfalt
nur in der SportmetropoleBerlin
möglich“,sagtGabriele Freytag,Pro-
jektleiterinderFinalsundinderSe-
natsverwaltung unter anderem für

Sportstandortmarketing zuständig.
„WirwollenmitderVeranstaltungan
die erfolgreiche Konzeption der
Wintersport-Wochenenden an-
knüpfen“, erläutertZDF-Sportchef
ThomasFuhrmann. „Damitzeigen
wirauch,wiewichtigunsdieUnter-
stützungfürvieleolympischeSport-

arten inDeutschland ist.“ 20Stun-
den senden ARD und ZDF liveaus
Berlin, es soll acht Livestreams ge-
ben, vonden Kanu- undTriathlon-
Wettbewerben liefernKamera-
DrohnenBilderausderBerlinerLuft.
Undnatürlichsparensichdieöffent-
lich-rechtlichen Sender mit dem
konzertierten Multisport-Wochen-
ende enorme Produktionskosten.
DasLandBerlininvestiert3,3Millio-

nen Euro in die Unterstützung der
Fachverbände.
Außerdem werden Berlins Sport-
stättenbeturnt,beschwommen,be-
fahren. DasversprichtPrestige,Auf-
merksamkeit, schöneFernsehbilder
mit denWahrzeichen derStadt im
Hintergrund.Um sichals Sportmet-

ropoleundvorallemim Hinblickauf
einekünftigeOlympiabewerbungzu
positionieren, ist so einMultisport-
Eventideal–wenn esgelingt.Wenn
dieZuschaueranderSpree, inOlym-
piaparkund -stadion, der Schme-
linghalle,derSSE,inVelodromoder
JahnsportparkfürStimmungsorgen.
DieFrage ist allerdings:Wieviel
ernsthafterSportsteckt in denFi-
nals? Undwie viel ist bloßesEvent?

ZEHNKAMPF MIT ZUGPFERD

Winter:Im Winter funktioniert es: Biathlon,
Skispringen, Rodeln und Co. locken Millionen
Sportfansvor die TV-Geräte. Die Quotenstim-
men. Dieses medialeErfolgsrezept wandeln
ARDund ZDF nun bei denFinals um.

Sommer:Quoten sollen im Sommerzehn
DeutscheMeisterschaften bringen. Die Leicht-
athletik gilt dabei als Zugpferd.DerDOSB
bleibtaußen vor. ARD undZDF kooperierenmit
dem Land Berlin und denFachverbänden.

Oderistesganzeinfachso,dassder
moderne Leistungssportauf natio-
nalerEbeneohneEventisierungoh-
nehinniemandenmehrinteressiert?
DieSchwimmer etwa haben ih-
renJahreshöhepunktmitderWMge-
rade hinter sich.DieBoxer tragen
ihreMeisterschaft sonst imWinter
aus.Die Kanuten paddeln entlang
derEast SideGalleryimd irekten Du-
ell auf zweiBahnen, nicht auf neun
wie sonst.Statt 200 Meter sind die
Sprints nur 160 Meter lang.Und
wenn OlympiasiegerRonald Rauhe
sagt:„FüreinenBerlinerJung’istdas
natürlich eine tolle Locationvorei-
nerschönenKulisse“,verschweigter
die sportlicheIrrelevanz des frei er-
fundenenFernsehwettbewerbs.Zu-
mal es auchStimmen imKanuver-
bandgibt,diesagen,mandürfesich
vomFernsehen nichtverbiegen las-
senundseinenSportverraten.

Kritik vonHartingundReh
Etliche Akteuredes Leichtathletik-
verbandes habenMagengrummeln,
weil sie ihreMeisterschaften auf
Wunsch der Fernsehanstalten im
Olympiastadionauszutragenhaben.
Dasist mit seinemFassungsvermö-
genvon70000Zuschauernreichlich
groß für einProdukt, dasvorigen
Sommer die Nürnberger Fußball-
arena mit 50000Plätzen nicht mal

zur Hälfte füllte.Langstreckenläufe-
rinAlinaRehfürch tetfehlendeNähe
zuden FansimvielzugroßenRund,
dasohnehinnurdenUnterrangöff-
net. Diskus -Olympia sieger Chris-
toph Harting sagt: „Ich hätte auch
lieber imJahnsportparkgeworfen.
Ichwar schon mal beiDeutsc hen
MeisterschaftenimOlympiastadion.
In derJugend,dahabenwirvor
Zuschauerngeworfen,vielleichtwa-
renes2 000. Ichhabe das Olympia-
stadion noch nievoll erlebt –außer
beimHelene-Fischer-Konzert.“
Im Jahnsportparktummeln sich
die Trialfahrer ,die für dieWasser-
springer eingesprungen sind.Die
waren alszehnte Sporta rt gepl ant.
Für sie beginnt allerdings amMon-
tagdieEM,beideresumolympische
Quoten plätzegeht.„Mankannnicht
auf allenHochzeiten tanzen“, sagt
BundestrainerLutz Buschkow, der
seinen Springernsonst ger ndie
Chance geboten hätte,imR ampen-
licht aufzutauchen. JörgBrokamp,
Geschäftsführer des Deutsc hen
Schützenbundes,nennt dieFinals
„eine massenattraktivePlattform,
diefürdiemeistenVerbändeausei-
generKraftunerreichbarwäre“.
Sportumdes Sports Willen
scheint nicht mehr gefragt zu sein.
OffenbarmüssenandereIdeengrei-
fen.Egal,wosieentstandensind.

MitdenArgumenteneinesWolfs


HamsatShadalovgehörtzudengrößtenTalentenamBerlinerBundesstützpunktderolympischenBoxer.Erf reutsichaufseineDuelleimKuppelsaaldesOlympiaparks


VonKarin Bühler

E


sist stickig in derTrainingshalle
an der Berliner Paul-Heyse-
Straße.Hamsat Shadalovtraktiert
den Sandsack im Rhythmus,den
Trainer Ralf Dickertvorgibt. Pfiff
durch dieFinger:Pause,Boxhand-
schuhhände baumeln lassen. Pfiff
durch dieFinger:Körperspannung,
Armehoch,weiterschlagen.DieKol-
legen vordem Wandspiegel boxen
mitHantelnindieschwülheißeLuft,
stoßenlaute,kehligeTöneaus.„Ges-
ternhatteichauchsoeinhartesTrai-
ning. Da musste ich auch laut sein
undhabefastHalswehbekommen“,
sagtHamsatShadalov.
Der20J ahrealte Boxer aus Mar-
zahn gehörtzud en größtenTalen-
ten, dieTrainer Dickertmomentan
am Bundesstützpunkt inBerlin be-
treut.„E risttechnischundkoordina-
tiv sehr stabil, hat guteReflexe,ein
gutes Auge,kann Gegenangriff bo-


xenundAngriff“,sagtDickert.„Daer
im Männerboxen nochrelativ jung
ist, fehlt es ihm noch anStabilität,
seineLiniedurchzuhalten.“
NationalhatShadalovdenÜber-
gang vonder Jugend zu den Män-
nerngeschafft, zuletzt wurde er
zweimalDeutscherMeisterderElite
in der Klasse bis 60Kilogramm.In-
ternational holt er beimWeltcup in
KölnkürzlichdieSilbermedaille.Zu-
vorwarer DritterbeiderJugend-EM
undFünfterbeiderJugend-WM.
Jetzt freut er sich auf dieDuelle,
die ihn bei den nationalenTitel-
kämpfenvonMittwoch an inBerlin
erwarten, auf die Atmosphäreim
KuppelsaaldesOlympiaparks,woin
der Decke 3400 Prismengläser fun-
keln. Seine Familie wirdkommen
und Salach, seinSpielplatzfreund,
derihnmitachtJahrenzumTraining
beiEintracht Marzahnmitnahm.
Normalerweise findenDeutsche
Meisterschaften bei denBoxernim

nagementvonOlympia 2020 sus-
pendierthat. DieQualifikation für
dieSpielein TokiofindetunterIOC-
Hoheit statt.Shadalovs Gewichts-
klasse wurde gestrichen.Er muss
eine Kategorie tiefer (bis 57 kg) an-

Dezember statt.Aber diesesJahr ist
alles durcheinander–trainingsme-
thodisch und überhaupt–seit das
InternationaleOlympischeKomitee
(IOC) denBox-Weltverband (Aiba)
wegen Manipulation undMissma-

tretenundsichnationalimDeze m-
berbeieinemRound-Robin-Turnier
durchsetzen. Im Januar beginnen
die Qualifikationsturniere. Sein Ziel
ist Olympia inTokio.Die Meister-
schafteninBerlin dürften keinStol-
persteinwerden.Seit2014istShada-
lovnational ungeschlagen. „Durch
ARD und ZDF erwarten wir große
medialePräsenz. Da ist es wichtig,
dass wir unserebesten Talente zei-
gen. Vonder Qualität des olympi-
schen Boxens können sich einige
Profiveranstaltungen eine Scheibe
abschneiden“,meintDickert.
Shadalov, dessen Familie aus
Grosny nach Berlin flüchtete,als
Hamsat dreiJahrealt war ,hat sich
PR-mäßigallerdingslängstamProfi-
boxen orientiert.Im sozialen Netz-
werk nenntersich„Chechenboorz“,
tschetschenischerWolf,„weilerfolg-
reicheBoxeralleeinenKampfnamen
haben“.DerWolfistdasWappentier
dertschetschenischenFlagge.„Esist

dasTier,dasichliebe“,sagtShadalov.
Wölfe gelten als kraftvoll, bedroh-
lich,schlau.„IchbinschlauimRing“,
findet der junge Mann, der das
Schul- und Leistungssportzentrum
in Hohenschönhausen besucht hat
und dorteine Ausbildung zum
Sport-undFitnesskaufmannmacht.
Aufeinem Instag ram-Foto trägt
ernacheinemSiegfürdieStaffelvon
Hertha BSC eineweiße Papacha im
Ring,einekaukasischeMilitärmütze.
Einanderes Foto zeigt ihn in einem
Shirt, auf dem steht: „Defend
Grozny“. Es wirkt fast martialisch.
Wegendes AufdrucksgabesDiskus-
sion enmitseinenLehrern.Shadalov
sagteihnen:„EsgibtT-Shirts ,aufde-
nensteht:DefendParis.Dagegenhat
niemand etwas.InGrosnypassiert
auchvieles,wasnichtpassierendarf.
Ichstehezu Grosny,wieichzu Berlin
stehe.“ Eine so kämpferische wie
schlaue Argumentation des tsche-
tschenischenWolfs.

Gerade zumKopf: Hamsat Shadalov(l.) greift vor heimischerKulisse an. IMAGO IMAGES/JOHN

BeidenFinalsinBerlintragenindieserWochezehnSportartenihrenationalenTitelkämpfeaus.


DabeigehtesvorallemumschöneBilderundTV-Quoten


FernsehshowzumMitmachen


VonKarin Bühler

Olympiapark/
OlympischerPlatz

Moderner
Fünfkampf


  1. bis 4.August
    Bogensport

  2. bis 4.August
    Triathlon

  3. bis 4.August


Olympiapark
Familiensport-
fest des LSB


  1. bis 4.August


Kuppelsaal

Boxen


  1. Juli bis

  2. August


Europasportpark
Schwimmen


  1. bis 4.August


City-Spree
Kanu


  1. bis

  2. August


Olympiastadion
Leichtathletik


  1. bis 4.August


StrandbadWannsee
Triathlon


  1. bis 4.August


Friedrich-Ludwig-
Jahn-Sportpark

Trial


  1. bis 4.August


Velodrom

Bahnrad
31.Julibis


  1. August


Max-Schmeling-
Halle

Turnen


  1. bis 4.August


BLZ/GALANTY;QUELLE: FINALS2019.BERLIN.DE
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