Berliner Zeitung - 31.07.2019

(ff) #1

T a gesthema


2 * Berliner Zeitung·Nummer 175·Mittwoch, 31. Juli 2019 ·························································································································································································································································································


N


achdemTodeinesacht-
jährigenJungen,deram
Hauptbahnhof von
FrankfurtamMainam
Montag voneinem 40-jährigen
Mann voreinen einfahrenden ICE
gestoßenwurde,istbei Reisendenin
Berlin dasEntsetzen groß–aber
auchdieSorgevorsolchenAttacken.
Gleis14amBerlinerHauptbahn-
hof am Dienstagmittag:DerBahn-
steigist vollerReisendermitKoffern
undTaschen,mitMenschen,dieihre
LiebenzumZugbringen.EsistFeri-
enzeit, alsoReisezeit. DerICE nach
Interlakenistgeradeweg,der Regio-
nalexpress nachWittenberge wird
erwartet.
SophieundElgünGanbarlihaben
sich geradevonElgüns Schwester
verabschiedet, die mit demInterla-
ken-ICEnachGoslarwill.„Esistganz
schrecklich,was in Frankfurtpas-
siertist“, sagt die 21-jährige Sophie
Ganbarli. Siehabe beim Einfahren
des ICE ihrem Mann und ihrer
Schwägeringesagt,lieberetwaswei-
ter vonder Bahnsteigkanteentfernt
zu warten, bis der Zugzum Stehen
kommt.„Hier ist es immer voll hier
aufdemBahnsteig,undmanweißja
nie,werhintereinemsteht“,fügtSo-
phieGanbarlierklärendhinzu.


TochterweißnichtsvonVorfall

DieRolltreppe bringt unentwegt
neue Reisende auf den Bahnsteig.
Wenmanauchanspricht,allehaben
vondem schrecklichenVorfall am
Montaggehört.AllehabeneineMei-
nung dazu. Viele sagen, dass man
solcheAttackenaufeinemBahnsteig
wohl nicht verhindernkönne.Das
sieht auch Annica Bernhardt so.Sie
kommtmitihrerzehnjährigenToch-
terJohannageradeausdemUrlaub.
EinICE hat sie vonMünchen nach
Berlin gebracht. Nunsoll es nach
Hausegehen,nachSachsen-Anhalt.
Die39-jährige Mutter sagt über
dieFrankfurterAttacke:„Ichwarge-
schockt,alsichdieNachrichtgehört
habe.DieseTatisteinfachunbegreif-
lich.“ Siespricht leise,sodass ihre
TochterihreWortenichthörenkann.
Johanna wisse nichts vondemVor-
fall,sagtdieMutter.„MeinKindsoll
mit mir weiterhin unbeschwertZug
fahren können“, erklärtAnnica


Bernhardt nicht ohne Sorgeinder
Stimme.
NachdenEreignisseninFrankfurt
seisiebeiBahnfahrtenvielumsichti-
gerundwürdemitihrerTochternoch
einen Meter weiter vonder Bahn-
steigkanteentfernt stehen. Erst vor-
hin habe sie Johanna, die rechts von
ihr und damit näher an den Gleisen
gelaufensei, gebeten,an ihrelinke
Seitezukommen.„Dashätteichvor
zweiTagenwohlnochnichtgemacht.
Natürlich wirdman vorsichtigerals
Mutter“,sagtAnnicaBernhardt.
Immer wieder sind Service-Mit-
arbeiter und Sicherheitsleute der
DeutschenBahn unter denWarten-
den zu sehen. Es scheint,als wären
esmehralsananderenTagen.Obam

Dienstag wirklich verstärkt Personal
auf den Bahnsteigen der Berliner
Fernbahnhöfe eingesetzt wurde,
dazu will Bahnsprecher Burkhard
Ahlertauf Anfrage der Berliner Zei-
tungnichtssagen.Ererklärt,mansei
über den Toddes achtjährigen Kin-
des in FrankfurtamMain tief scho-
ckiertundinGedankenbeidenAn-
gehörigen.Zudemlässterauchwis-
sen,dassdieSondertelefonnummer
zur psychologischenBetreuung für
Zeugen desVorfalls auch weiterhin
geschaltetsei.
Zuvorhieß es bei der Deutschen
Bahn, eine hundertprozentige Si-
cherheitvorderartigenAttackenwie
inderMainmetropolegebeesnicht.
Mankönnenichtallesabsperren.

Wollen nach Hause: Matthias Heermann
mit den TöchternJulia, Luise und Johanna.

DieBundespolizeiistamDiens-
tagverstärktaufBahnhöfenunter-
wegs.ManinformierteetwaamOst-
bahnhofReisendeübersicheresVer-
haltenaufBahnsteigen,heißtes.So
wollemandieFahrgästesensibilisie-
ren,nichtzudichtanderBahnsteig-
kante zu stehen. Durchfahrende
Züge passierten dieBahnhöfe mit
Geschwindigkeitenvonbis zu 160
Stundenkilometern.DerLuftsog,der
dadurchentstehe,seienor mundda-
mitgefährlich.DasGehörnehmeei-
nensolchschnellenZugzus pätwar,
umüberhauptreagierenzukönnen.
„Die eigeneVorsicht ist der beste
Unfallschutz“, sagt einBeamter der
Bundespolizei. Angesprochen auf
dieSicherhe itvormöglichenhinter-
rücks ausgeführteAttacken fügt er
hinzu: „Wenn es geht, sollte man
beim Warten auf den Zugmit dem
RückenanSäulenoderWändenste-
hen, sodass sich niemandhinter ei-
nemaufhaltenkann.“

MitdenKinderngesprochen
Matthias Heermann und seine drei
Töchter,die17-jährigeLuiseunddie
13-jährigenZwillinge Julia undJo-
hanna,habendreiKofferunddiver-
ses Handgepäck dabei. So vollge-
packt stehen sie aufGleis 14 des
Hauptbahnhofsvor der Glaswand
des Fahrstuhls. DieHeermanns
kommen aus demUrlaub und wol-
len nachHauseins brandenburgi-
scheDallgow-Döberitz.
Der48-jährigeFamilienvater er-
zählt, dass sie auch schonvordem
FrankfurterEreignis vorsichtig ge-
wesenseien.Soetwasseija–leider–
nichtzumerstenMalgeschehen.In
Berlin etwa habevoreinigen Jahren
einMann eine jungeFrau voreine
einfahrende U-Bahn geschubst.Die
Frau sei überrollt und getötet wor-
den. Schon das sei damals in aller
Mundegewesen.
„Der TodeinesKindesmachtaber
besonders fassungslos“, sagtHeer-
mann. Er hatnach eigenenWorten
mitseinenKindernüberdenFrank-
furter Vorfall gesprochen und auch
darüber,wie man sich auf einem
Bahnsteig sicher bewegen könne.
„Man weiß schließlich nie,was für
ein Verrückter hinter einem steht“,
erklär tHeermann.

Sophie und Elgün Ganbarli haben eineVer-
wandte zum Zug gebracht. VOLKMAR OTTO (2)

DPA/DANIEL REINHARDT

BERLIN UND BRANDENBURG WETTERLAGEREISEWETTER

Nacheinem unruhigen
und wenigerholsamenSchlaf
gehenWetterfühlige mit geringem
Elan durchden Alltag. Sie können
sich nurschwer auf ihreAufgaben
konzentrieren.


Biowetter: Heute istesüberwie-
gend wechselnd bewölkt. Ab undzu
gibt esRegenschauer,und dieTem-
peraturenkletternamTage auf
21 bis27Grad.Nachts sinken die
Wertedannauf 16 bis11Grad. Der
Wind weht schwach aus östlichen
Richtungen. Morgen betragen die
Höchsttemperaturen 22 bis28Grad.
Dazu kommtzwarzuweilen die
Sonneheraus,doch örtlich treten
Schauer auf.Der Wind wehtnur
schwach aus westlichen Richtungen.


Deutschland:

Donnerstag


Wittenberge

Cottbus

17°/26°

BERLIN
18°/27° Frankfurt(Oder)

Prenzlau
16°/24°

16°/26°

17°/25°

Heute bringen QuellwolkenverbreitetRegenschaueroder Gewitter. Die
Temperaturen erreichen 24 bis 27Grad, undder Wind wehtschwachaus
Ost.In derNacht versteckensich die Sterne immerwiederhinterWolken,
die lokalauch Regenschauer bringen. Dabei betragendieTiefstwerte
16 bis 14Grad.


Freitag

17°/26°17°/27°16°/25°


Sonnabend

Mondphasen: 01.08. 07.08. 15.08. 23.08. Sonnenaufgang: Sonnenuntergang: Mondaufgang: Monduntergang:


Rügen
Rostock16°/21°
17°/21°

Hamburg
17°/25°

Sylt
18°/24°

Dresden
18°/26°

Köln
16°/24°

Hannover
17°/25° Magdebu18°/26°rg
Erfurt
15°/25°

Frankfurt/Main
Saarbrücken 18°/27°
13°/24° Nürnberg15°/23°

Stuttgart
18°/23°
München
15°/22°

Konstanz
18°/22°

LasPalmas
26°

Oslo
14°
Dublin

Reykjavik

20°
London
24°

Kopenhagen
20°

Stockholm
18°

St. Petersburg
17°

Moskau
14°

21°

Berlin
27°
Paris
23°
Bordeaux
25°

Lissabon
28°

Madrid
35°

Nizza
27°

Palma
31°

Mailand
33°

Rom
33°

Palermo
Algier 29°
39°

Tunis
35°

Athen
35°
Iraklio
30°

Antalya
33°

Ankara
33°

Istanbul
33°

Varna
33°
Dubrovnik
30°

Warschau
22°
Wien
30° Budapest
30°

Odessa
32°

Wilna
19°
Kiew
23°

Archangelsk
11°
Oulu
16°

Kiruna
19°

Trondheim
21°

Acapulco 34° Gewitter
Bali33° sonnig
Bangkok 29 °bedeckt
Barbados29° wolkig
Buenos Aires 19° wolkig
Casablanca 24 °sonnig
Chicago 26 °sonnig
Dakar 29°bewölkt
Dubai40° heiter
Hongkong 31° Gewitter
Jerusalem 37 °sonnig
Johannesburg22° sonnig
Kairo38° sonnig
Kapstadt 16 °Schauer
Los Angeles 23° heiter
Manila 32° Gewitter
Miami34° wolkig
Nairobi 25° Schauer
Neu Delhi36° bewölkt
NewYork 30° Gewitter
Peking 40°sonnig
Perth 22° sonnig
Phuket 33° wolkig
Rio deJaneiro 25°sonnig
San Francisco21° wolkig
SantoDomingo33° heiter
Seychellen 26° heiter
Singapur 32° Gewitter
Sydney 16° wolkig
Tokio 34°heiter
Toronto 27° heiter

Brandenburg
17°/25°
Luckenwalde
17°/27°

05:24 Uhr

GefühlteTemperatur:maximal27Grad.


Wind:leichter Wind aus Ost.


Regenschauer Regenschauer Regenschauer


Min./Max.
des 24h-Tages

DasTief WolfgangüberdenBritischen Inselnlenktzunehmend feuchte undge-
mäßigtwarmeMeeresluftnach Mitteleuropa. Das bringt Schaueroder verein-
zelte Gewitter. KühlereLuft fließt derweil nach Skandinavien und Nordosteuropa
ein.Sommerhitzeherrscht dagegen von der südlichenIberischen Halbinsel bis
zum östlichenMittelmeer.

21:00 Uhr 04:07 Uhr20:52 Uhr

Die Konzentrationvon
Gänsefuß-,Brennnessel- undSpitz-
wegerichpollenistmäßig. Dazu flie-
gen örtlichPollenvonLinden,
Sauerampfer,Beifuß und Gräsern.


Pollenflug:


Ostsee:
Nordsee:
Mittelmeer:
Ost-Atlantik:

20°-21°
19°-21°
23°-32°
16°-21°

Meerestemperaturen:

„MeistenssindespsychischkrankeMenschen,diesichwahlloseinOpfergreifen“


Herr Bliesener,was bringt jemanden
dazu, einKind voreinen einfahren-
denZugzus toßen?

In diesem Fall können wir es
nochnichtsagen.Abervondensel-
tenenFällen,indeneneinTäterje-
mandenaufdieGleiseschubst,ha-
ben wirrecht vielMaterial. Größ-
tenteils handelt es sich bei denTä-
ternumpsychisch kranke
Menschen, die sich imWahn wahl-
los ein Opfer greifen,weil sie bei-
spielsweiseStimmengehörthaben.
In anderen bekannten Fällen han-
delte es sich umBeziehungstaten.
Es ist auch vorg ekommen, dass
Raubdelikte ungeplant verlaufen
sind und jemand, der sichwehrte,
insGleisbettgeschubstwurde.


InFrankfurtwarendie Opferein Kind,
eineMutterundeine78-jährigeFrau.
Suchen sich Täter intuitiv jemanden,
derihnenkörperlichunterlegenist?
DieTäter sind in derRegel Män-
ner,aber bei denOpfernkann man
esnichteinengen.EsgibtauchFälle,
in denen körperlich starke Männer
Opfer wurden.Beieinem überra-
schenden Angriff nutzt körperliche
Überlegenheitnichts.

Diemeisten haben eine natürliche
Hemmschwelle,einemanderensoet-
was anzutun.Wasmuss passieren,
dassdieseüberschrittenwird?
DieTäter sind in einem anderen
Modus.Das kennen wir auch bei
Körperverletzungen, in denenWaf-

Tätermotiv


fen involviertsind. Dienatürlichen
Hemmungen sind außer Kraft ge-
setzt, der Täter ist in einem psychi-

schen Ausnahmezustand.Er kann
sichmassivbedrohtfühlenunddes-
halb agieren oder dieTatgeschieht

affektiv,etwa durch einenStreit mit
dem Partner oder durch andereBe-
lastungen. Es müssen bestimmte
Mechanismen auftreten.Daskann
aucheineGruppendynamiksein.

WieverhaltensichTätervorderTat?
DieVideos,die wir haben, geben
diesbezüglich nichts her.Meist ste-
hendieTätererstimHintergrund,in
einemFallstandderMann45 Minu-
tenam Gleis,eheeraktivwurde.Die
Täter sind häufig in sichversunken,
aberdasistansichnichtauffällig,das
sindvieleMenschenamBahnhof.Es
gibtbisherkeinenbekanntenFall,in
dem ein Täter,der ei nenM enschen
voreinenZuggesto ßenhat,dieseTat
vorherangekündigthat.

WirdesNachahmergeben?
Leider ja,Nachahmungen erle-
ben wir immer wieder bei neuen
Formen vonschwerenGewalttaten.
Nachahmungstäter haben die
Wahnvorstellungenoftschonlänger,
suchen aber noch nach einem An-
stoß, wie sie es machen können. Es
ist zumGlück zu selten, umvon
Häufung zu sprechen, auchwenn
wirnunzweiFälleinnerhalbweniger
Tagehaben.Eskannpassieren,dass
wirdasjetztnochein-,zweimalerle-
beninnächsterZeit.AusderVergan-
genheit wissen wir aber,dass sich
derDrangdannauchlöst.

DasGesprächführte
MiriamKeilbach.

ZUR PERSON

Thomas Bliesenerstudierte Psychologie, Mathematik und Soziologie in Bielefeld und wurde
1988 in Psychologie promoviert. Seit April 2015 ist er der Leiter des Kriminologischen For-
schungsinstituts Niedersachsen.

Gewalt


NachdemTodeinesAchtjährigenamFrankfurterHauptbahnhofsind


Reisendevorsichtigergeworden.EinPsychologewarntvorNachahmern


DieSorgeamGleis


VonKatrin Bischoff und Lutz Schnedelbach
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