Neue Zürcher Zeitung - 04.08.2019

(Darren Dugan) #1

NZZamSonntag4. August 2019


Meinungen 13


Der Konsumentgeniesst in der EUfast mütterlichen


Schutz. Man kannvom Beschützerdrang halten, was


man will, aberSchweizer Konsumenten dürfen auf die


Nachbarn schon etwas neidisch sein.Wie wenig bei uns


das Recht der kleinenKunden gilt,zeigt sichexempla-


risch bei den Entschädigungen für Flugpassagiere. Die


Schweiz hat 2006 eine EU-Verordnung übernommen,


die festlegt, unter welchen Umständen – bei Annullie-


rungen, Verspätungen, Überbuchungen – der Fluggast


Anrecht auf eine finanzielle Abgeltung durch die Airline


hat. Über dieJahre hat der EU-Gerichtshof denGel-


tungsbereich für die eigenen Bürger er weit ert. Schwei-


zer Zi vilrichter haben diesenAusbau bei ihren Urteilen


nicht berücksichtigt.Vor allem heimische Airlineswie


die Swiss nutzen inzwischen dasRechtssystem so


geschickt aus, dass es hierzulandekeine Weiterentwick-


lung bei den Passagierentschädigungen gibt. Stattdes-


sen widersprechen sichJustiz und Luftfahrtaufsichts-


behörde bei derAuslegung dergeltendenRechte. Die


meisten Passagiere sind angesichts derwirren Lage


überfordert. Nur dieZähen undSchlauenkommen auf


Umwege n zu einer Entschädigung.Über 50 Millionen


Passagiere proJahr nutzenSchweizer Flughäfen.Wie


die Justiz und die Airlines ihnenRechtssicherheitvor-


enthalten, ist einwenig beachtete r Skandal.BirgitVoigt


Airline sund Gerichtebremsen


Passagiere aus


Konsumentenschutz


Bundesanwalt MichaelLauber hat sich erfolgreich


dagegengewe hrt, dass eineexterne Fachperson im


Auftrag derAufsichtsbehörde eine Disziplinaruntersu-


chunggege n ihn führt. Das Bundesverwaltungsgericht


sieht dieBehörde selber in der Pflicht und gibtLauber


recht. Abgesehen davon ist es bedenklich,wenn der


Bundesanwalt mit einem der besten Strafverteidiger an


seinerSeite gege n die eigeneAufsichtsbehörde ans


Gericht gelangt, um eineverfahrenstechnischeFrage zu


klären. In derSache geht es vor allem darum,wer


Lauber zu den umstrittenen Treffen mit dem Fifa-Präsi-


denten befragt. Dabei dürfte der Bundesanwalt kaum


von seiner Darstellung abrücken, erkönne sich an das


eine Gespräch nicht mehr erinnern.Lauber ist es zwar


wie jedem anderen unbenommen, sich mit allen juristi-


schen Mitteln zuverteidigen. In diesem Streitgeht es


aber weniger umRecht alsvielmehr um Glaubwürdig-


keit und Vertrauen. DiesverkenntLauber mit seinem


Vorgehen, das seinerPosition unwürdig ist.Der Bundes-


anwalt kämpft nur um Amt und Macht und fügt so dem


Ansehen der InstitutionenSchaden zu.Vor Gericht hat


er einenPyrrhussieg errungen. Dieser Kleinkrieg bringt


nur Verlierer hervor.Andreas Schmid


Laubertreibteinunwürdiges


SpielaufdieSpitze


Bundesanwaltschaft


Die chinesische Armee hat dieseWoche einVideo publi-


ziert, in dem siezeigt, wie sie in einerÜbung mitSchlag-


stöcken undWasserwerfern, aber auch mit Panzern und


Sturmgewe hren aufAufständische losgeht. Chinawill


damit dieHongkonger einschüchtern, die dafür kämp-


fen, dass bis 2047 gilt, wasversprochenwurde: ein


Land, zweiSysteme.Doch China schlägt den Kampf um


Demokratie immer brutaler nieder. Nun erhält esSchüt-


zenhilfevom US-Präsidenten. DieProteste seienAuf-


stände, sagteDonald Trump. Er benutzte dieWortwahl


der Chinesen. Es sei eineSache zwischenPeking und


Hongkong. Der Leader of thefree world hat andere


Prioritä ten. Das sindkeine guten Zeiten, weder für


Hongkongnoch für dieDemokratie.Gordana Mijuk


Hongkongistallein


Demonstrationen


D


as Urteil des Bundesgerichts zur
Auslieferungvon 40000 Steuer-
daten der UBS anFrankreich im
Rahmen der Amtshilfe ist in der
vergangenen Woche auf ein heftiges politi-
schesEcho gestossen. Allerdings scheint
nichtrestlos klar zu sein, ob sich die Kritik
auf rechtlicherEbene bewegt, also ob dem
Bundesgericht vorgeworfen wird, es habe
von seinemBeurteilungsspielraum bei der
Auslegung der massgebendenBestimmun-
gen einenfehlerhaftenGebrauchgemacht,
oder aber ob man sich nichtvielmehr am
unerwünschten finanzpolitischen Ergebnis
stört.Beide Aspektekönnen zusammenhän-
gen. Denn mit derVerrechtlichungvieler –
auch wirtschaftspolitischer – Materien einer-
seits und dem ausgebautenRechtsschutz
anderseitswird das Bundesgericht zuneh-
mend mit Streitfragen betraut, die einen
grossen Entscheidungsspielraum eröffnen
und deren politischeAuswirkungen
beträchtlich seinkönnen.
Fest steht hingege n, dass ein eklatanter
Verstossgege n die richterliche Unabhängig-
keit vorliegt, denn statt das UBS-Urteil als
solches zu kritisieren, nimmt man hier die
beteiligten Richter und Richterinnen ins
Visier. Bei diesemFall spekuliertengewisse
Medien sogar schonvor der Urteilsfindung
darüber,wie das Ergebnis anhand der partei-
politischenBesetzung des Spruchkörpers
herauskommenkönnte. Somit wurde – zuge-
spitztformuliert – suggeriert, die Richter und
Richterinnen seien primär Parteisoldaten,
die nicht nach demGesetz, sondern nach
dem Parteibüchlein oder dochvorwiegend
nach ideologischerGesinnung entscheiden
würden. In dieses Bild passt, dass die Richter
und Richterinnen in bürgerliche und nicht-
bürgerliche aufgeteiltwurden, wie wenn ein
Gesetz vom Gericht bürgerlich oder nicht-
bürgerlich auszulegen wäre.Gewi ss, alle
Richter und Richterinnen bringen im
Rahmen derRechts gewinnung auch ihre
Gesinnung und Grundhaltung in die Ent-
scheidungsfindung ein, aber stets innerhalb

der Grenzen desRechts. Denn einGericht ist
dem Recht und nur demRecht verpflichtet.
Der Eidgenössischen Steuerverwaltung
hingege n stand ein Ermessen zu, ob sie
Beschwerd e erhebenwollte gege n das Urteil
des Bundesverwaltungsgerichts, dasgege n
die Datenlieferung entschieden hatte. Die
Steuerverwaltung hätte daraufverzichten
und damit das Urteil des Bundesgerichts
vermeidenkönnen,womit das erste Urteil
rechtskräftiggeworden wäre. Es ist aberver-
ständlich, dass in der zu beurteilenden heik-
len Frage eine höchstrichterliche Klärung der
Rechtslage angestrebtwurde. Dennoch
wurde Departementvorsteher Ueli Maurer
kritisiert,weil er dieBeschwerd e nicht
gestoppt habe. Ob errechtlich befugt wäre,
der Steuerverwaltung einen solchenSchritt
zu untersagen oder auch ihn anzuordnen,
wäre allerdings noch zu klären.
In die gleiche problematische Richtung
bewegt man sich,wenn Medien die Haltung
einzelner Richter mit der Parteizugehörigkeit

in Beziehung setzen oderwenn sich Partei-
politiker darüber beklagen, dass der Bundes-
richter Yves Donzallaz, Mitglied derSVP,
andersvotiert habe, als es die Partei erwartet
habe.Seit wann haben Parteienvon den
Richtern und Richterinnen, die sie der Bun-
desversammlung zurWahl vorgeschlagen
haben, eine bestimmte Haltung in einem
Prozess zu erwarten? Undwenn diese Partei
gar in Erwägung zieht, einen Richter auf-
grund einer der Partei nichtgenehmen Hal-
tung nichtwiederzuwählen, missachtet sie
die Gewaltenteilung fundamental.
Müssen Richter künftig imZweifel partei-
konform statt rechtskonform entscheiden?
Der nächsteSchritt könnte dann darin
bestehen, dass die Parteien Einfluss auf die
Zusammensetzung der Abteilungen zu
nehmenversuchen,wie dies indirekt im
vergangenen Juni bei der letztenWahl einer
Bundesrichterin schongeschehen ist.
Kritik an richterlichen Entscheiden ist
legitim.Seriös kommentieren kann man
jedoch einGerichtsurteil immer erst,wenn
die schriftlicheBegründungvorliegt – was
hier noch nicht derFall ist. Insbesondere
wird zu überprüfen sein, obin casuausrei-
chendeVerdachtsmomente vorlagen,welche
die Auslieferung alsgerechtfertigt erschei-
nen liessen. Nicht zu beanstanden wäre,
wenn derGesetzgeber inKenntnis des
Gerichtsurteils dasGesetz ändernwürde, um
die Rechtsanwendung für die Zukunft zu
korrigieren undvoraussehbarer zugestalten.
So oder so ist jedoch dieTendenz, die
Parteizugehörigkeit der Richter und Richte-
rinnen bei deren Amtsausübung in den
Vordergrund zurücken,verhängnisvoll. Die
verfassungsrechtlichverankerte richterliche
Unabhängigkeit schützt auch diefreie und
unabhängige Urteilsfindung, losgelöst von
politischen Einfluss- und Druckversuchen.
Andernfalls nähernwir uns einer Amerikani-
sierung derJustiz. Und alle, die sonst eine
Politisierung derJustiz beklagen, müssten
nun anvordersterFront gege n dieseTen-
denz Stellung beziehen.

DerexterneStandpunkt


DieKritik am UBS-Urteil irritiertzutief st. EinePartei, die inErwägung


zieht,einen Richter wegen seinerabweichenden Haltung nicht


wiederzuwählen, missachtet dieGewaltenteilung,meint René Rhinow


RichtersindkeinerParteiverpflichtet,


sonderndemRecht


RenéRhinow


René Rhinow, 76, war von 1982 bis2006 Pro-
fessor für Staats- undVerwaltungsrecht an der
Universität Base l. Davor arbeitete er als Präsi-
dent desVerwaltungsgerichts des Kantons
Base l-Landschaft.In Publikationen beschäf-
tigte er sich unter anderem mitDemokratie
und Föderalismus. Rhinow ist FDP-Mitglied
und sass von 19 87 bis 1999 im Ständerat.

ChappatteimSommer

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