Neue Zürcher Zeitung - 04.08.2019

(Darren Dugan) #1

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NZZamSonntag4. August 2019
HintergrundUSA

WieTrump


nochmals


gewinnt


15 Monatevor der Wahl sitztder amerikanische


Präsident sicher imSattel. DieTrump-Bewegung iststärker


dennje – auchinGebieten, die ervor vierJahrennur


knappgewonnen hat.VonAndreasMink(Text)und


Tobias Everke(Fotos),Wilkes -Barre


J


edenMorgen wache ich glücklich auf
und dankeGott, dassDonald Trump
unserPräsident ist», sagtLynette Vil-
lano und hebt den Blickvon ihrer
Speisekarte.Wir haben unswieder
bei «Rodano’s» getroffen, in einem
hallenartigen, dunklenRestaurant direkt am
Public Square, dem Zentrumvon Wilkes-Bar-
re. Seit demJuli 2016komme ich jedenSom-
mer hierher in den Nordostenvon Pennsylva-
nia und treffe ein halbes Dutzend Anhänger
von Donald Trump. Sie sindWeisse undvon
Haus ausDemokraten oderRepublikaner. Al-
le haben sich schonfrüh vor vier Jahren
Trump angeschlossen, der damals nicht mehr
war als einPräsidentschaftskandidat, den nie-
mand ernst nahm.
40000 Einwohner zähltWilkes-Barre, der
Hauptortvon Luzerne County, eine alteHoch-
burg derDemokraten. Doch im November
2016 hatDonald Trump hier 26000 Stimmen
mehrgeholt als dieDemokratin Hillary Clin-
ton. Sie halfen ihm massgeblich dabei, den
Gliedstaat Pennsylvania und damit dasWeis-
se Haus zu erobern.Bereits imFrühjahr 2016
warenTausendevon Demokraten zu den
Republikanerngewechselt, um Trump wäh-
len zukönnen.Wilkes-Barre ist einSeismo-
graf für den Umbruch in der amerikanischen
Politik, der Trump ins Amt hob.
Ich will jetzt, einJahr vor den nächstenPrä-
sidentschaftswahlen,wissen, ob seine Anhän-
ger weit er zu ihm halten – undwenn ja,wes-
halb. Um esvorwegzunehmen:Auf die erste
Frage gibt es eine klare Antwort: Sie stehen
geschlossener hinter Trump denn je. Ihre
Zweifel an ihm haben dieLeute inWilkes-Bar-
re weitgehend abgelegt. Sie haben in seiner
Bewegung eine neueHeimatgefunden und
teilen eine Bindung zu ihremPräsidenten.
DassMedien und politischeGegner sie als
ignorant und rassistisch abtun, stärkt ihre
Loyalität.Lynette erzählt mir, dass der Partei-
wechselweisserDemokraten hin zu den
Republikanern anhält.Was auch immer in
WashingtonSchlagzeilen macht: In Luzerne
Countyrollt die Trump-Bewegungweit er.
Aberwieso?
Bei «Rodano’s» hatLynette Villano,73 Jahre
alt, an diesemMontagnachmittag keinen
grossen Appetit. Im letztenHerbst wurde ihr
Brustkrebs diagnostiziert. Die Operation bei
lief gut. Die Chemotherapie sei zwar anstren-
gend. Trotzdemwirkt die ehemalige Kreisvor-
sitzende derRepublikanergelöst.Schliesslich
sieht sie Amerika jetzt in guten Händen: «Der
Präsident schützt unsvor diesem Ansturm

von Migranten aus Mittelamerika. Und die
Wirtschaft brummt. DasWachstum ist endlich
auch imWyoming Valley angekommen.»
Leerstehende, zerfallene Gebäude und
Schlaglöcher auf den Strassenzeigen zwar,
dass dieRegion inPennsylvania immer noch
den boomendenMetropolen Philadelphia und
Pittsburg hinterherhinkt.Doch die Arbeits-
losigkeit sei auf5,1 Prozent gefallen, sagtLy-
nette. Beim Amtsantritt von Donald Trump
seien es noch 7Prozent gew esen.

Neue Jobs...
Woher daskommt,zeigt mirLorri Vander-
mark.Ich treffe sie im «NorthPoint Industrial
Park» südlichvon Wilkes-Barre,wo giganti-
scheVertriebszentrenvon Weltkonzernenwie
Adidas, Amazon oder DHL aus demBoden
schiessen. «Hierwerden Tausende neuerJobs
geschaffen», sagt sie. Die 54-jährigeLorri
arbeitet bei den städtischenVerkehrsbetrie-
ben, die neue Buslinien für die Arbeitskräfte
einrichten.
Inzwischen sei derWettbewerb umPerso-
nal so stark, sagt sie, dass Unternehmen Stun-
denlöhne auf17 oder 18 Dollar erhöhen, die
Krankenkasse zahlen und Kindergärten für
Arbeiter einrichten: «Es gibt zwar immer noch
Miesmacher, die über diese ‹Lager-Jobs› mau-
len. Aber so finden hiergerade junge Leute
ohne gute Bildung endlich einen Einstieg ins

Berufsleben.» – Als ichLorri Vandermark 2016
zum ersten Malgetroffen habe, hatte sich ihr
Manngerade dasLeben genommen,wie so
viele Militär-Veteranen in Amerika.Heute ist
die Republikanerin glücklich neuverheiratet
und sprühtvor Optimismus über daswieder-
erstarkte Amerika unter «unseremPräsiden-
ten». Mit negativen Leuten und «Trump-Has-
sern» magLorri nichts mehr zu tun haben.
Auch Lynette, die im letztenJahr nochvon
Streitere ien in den sozialen Netzwerken er-
zählte,will inzwischen dieGegner nicht mehr
überzeugen. Siekonzentriert sich lieber auf
den nächstenWahlkampf: «Diesmal sindwir
nochviel besser aufgestellt. Unsere Partei hier
und inWashington zieht an einem Strang mit
der Kampagnevon Donald Trump.»Der hat
die Republikanische Partei inzwischen gänz-
lich zu seiner eigenen Parteigemacht.
Für denFotote rmin zum Abschluss meines
Besuchs hat sichLynette mit Trump-Requisi-
ten eingedeckt. Sie lacht darüber. AberLy-
nette ist tatsächlich einGesicht der Trump-
Bewegunggeworden. Luzerne County hat als
Modell für die neuen politischenVerhältnis-
sen in Amerika derartigeBedeutung erlangt,
dass etliche meinerGesprächspartner auch in
Büchern und anderenMedienweltweit auf-
tauchen. Mitten imWald über dem Fluss Sus-
quehanna ist bei Eileen und RichardSorokas
sogar einFernsehteam ausJapan erschienen
und hat ein Kästchen mit hübschen Essstäb-
chen alsSouvenir hinterlassen.

...aber dieNotistimmernochda
Als lebenslange Demokraten sind Eileen und
Richard besonders spannend für mich. Sie
sindweit er in der Partei aktiv, haben abervor
vier Jahren Trumpgewählt. Und sie sind auch
jetzt nicht einverstanden mit dem politischen
Kurs derDemokraten undvor allem mit ihren
Präsidentschaftsbewerbern. Die fordern
Amnestie undWohlfahrt für «Illegale» und
massive «Reparationen» für die Nachkommen
versklavter Afrikaner.
Eileen und Richard, beide74 Jahre alt,kön-
nen das nichtfassen:Schliesslich hatten ihre
Vorfahren als arme Immigranten ausOst-
europa auch schwer zu kämpfen. Im letzten
Sommer haben die erbärmlichen Zustände in
Internierungslagern an der Grenze zuMexiko
das Paar noch angerührt. Nun ist Eileen erbost
über «verantwortungsloseMütter, die ihre
Kinder diesen Gefahren aussetzen». Am
schlimmsten ist aber das radikale «Quartett»
farbigerDemokratinnen imKongress, die
Trump absetzen und BillionenDollar an sozia-

«DiewollenillegalEing ewandertemitG eschenkenüberschütten»:Trump-WählerJoeNovackowskiüberdieDemokr

Pittsburgh

PENNSYLVANIA

WEST
VIRGINIA

OHIO

Erie-See

Ontario-See

VIRGINIA

NORTHCAROLINA

NEW YORK

KANADA

Harrisburg

New York

Philadelphia
Washington D. C.

Wilkes-Barre

200 km

Wilkes-Barre im GliedstaatPennsylvania

Indikator für politische Trends


Wilkes-Barre liegt im
Zentrum des Wyoming
Valley entlang desSus-
quehannaRiver. Die
Gegend wurde nach
1870 durch hochwer-
tigeKohlevorkommen
reich, ein Motor der
Industrialisierung in
den USA und Magnet
für europäische Ein-
wanderer. Das Aufkom-
men anderer Energie-
quellen und Gruben-
unglücke brachten um
1960 die Schliessung
der Minen. Darunter
leidet die Region bis
heute. JüngereBürger
wandern ab.

listische Träumenwie ein staatlichesGesund-
heitswesenverschwendenwollen. Richard,
der Demokrat, ahnt: «Kommen dieDemokra-
ten an die Macht,verwandeln sie Amerika in
einenSchuldenstaatwie Griechenland.»
Eileen fährt dazwischen: «Und bezahlen
sollen immer dieReichen. Aber dieseFrauen
kapieren nicht, dass UnternehmerJobs schaf-
fen und nicht endlos zumMelken da sind.»
Dann legt sie nach: «Immer hacken sie auf
Trump und Amerika herum.Wenn ihnen das
nicht passt, sollten siewirklich zurück in ihre
Heimatländergehen. Da hat Trumpvöllig
recht!» Dann bringt Richard ein Thema auf,
von dem ich immerwieder höre: «EinSchul-
bezirk hier ist dermassen pleite, dass Steuern
erhöhtwerden sollen und Arme für dieSchul-
mahlzeiten zahlen sollen. Ein Bürokratwill
Eltern die Kinderwegnehmen und in Pflege-
heime stecken,wenn sie sich das nicht leisten
können.»
Die Geschichte hat sich tatsächlich ereig-
net. Jetzt wird mir klar: Hier, amOstrand des
«Rostgürtels» im Nordosten derUSA, herrscht
immer noch Not. Und dieVorstellung, dass die
Demokraten in Washington nur für Migranten
oder Minderheiten sorgen wollen, istweitver-
brei tet. Trump, so denken alle, die ich hier
treffe, istkein Rassist, sondern spricht unan-
genehmeWahrheiten aus – und dafürwerde
er mit dem Rassismusvorwurf abgestraft.
Auf diesem Nährboden ist es Trumpgelun-
gen, seineBewegungweit er zu stärken und
sogarDemokraten wie Eileen und Richard
Sorokas mitzureissen. «Ich stimme fürJoe
Biden», sagt Eileen. «Er ist der einzigeMode-
rate. Aber nur bei denVorwahlen. Im Novem-
ber 2020 wähle ichwieder Trump.» Richard
ist Mitglied in einem Klubvon Jägern und
Fischern:«Wir sindfast alleDemokraten.»
Dass er Trump unterstützt, stört die anderen
kaum:«Wir sind alle OldSchool. UnserRecht
auf Waffenbesitz ist unantastbar.» Und im
Klub haben auch andere für Trumpgestimmt.
Parteien waren hier, dasverstehe ich all-
mählich, in erster Linie Netzwerke für Macht,
Jobs und Budgets.Wer im öffentlichen Dienst

«ImNovember 2020
wähle ichwie der
Trump»,sagtEileen
Sorkas,dieihrLeben
lang demokratisch
gewählthat.

derStimmenholte
Trump2016in
LuzerneCounty.Der
Bezirkhattevier
Jahre zuvornoch
mehrheitlichBarack
Obamagewählt.
DieMehrheithier
halfTrumpzu
einemknappen
SiegimGliedstaat
Pennsylvania.

58,3%


Wahlen

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