Neue Zürcher Zeitung - 04.08.2019

(Darren Dugan) #1
NZZamSonntag4. August 2019
Hintergrund 19

Wer bei derVereidigung eines Präsidenten
im Mittelpunktsteht, scheint klar. Aber
nicht in diesemFall. Unser Blickfällt zwar
zunächst auf den Mann, der seine Hand
erhoben hat. Doch dann betrachten wir die
Frau rechtsvon ihm. Jacqueline Kennedy
steht da, und sie istdoch nicht da. Sie wirkt
abwesend, das Gesicht erstarrt.
14 Uhr 38. Etwas mehr als zwei Stunden
sindvergangen, seit JohnF. Kennedy im
offenen Wagen erschossen wurde. Nun
wartet AirForce Onestartbereit auf dem
Rollfeld in Dallas. Der Sarg mit demtoten
Kennedy befindet sich anBord. SeinVize-
präsident Lyndon B. Johnson, der ebenfalls
in derPara de mitgefahrenwar, soll nun
möglichst schnellzurück nach Washington
gebrachtwerden. Dochvor dem Start muss
er nochvereidigtwerden. Und so wird der
Akt in derBoeing747 durchgeführt. Sarah
T. Hughes,Bundesrichterin aus Texas, ist
herbeigeeilt, um denEid abzunehmen.
27 Menschen drängen sich in dem Raum
zusammen. Einer davon ist Cecil Stoughton.
Als offiziellerFotograf des Weissen Hauses
hat er etwa8000 Aufnahmen der Kennedys
gemacht, aberdiese wird die berühmteste,
vielleicht auch deshalb,weil sie etwasver-
birgt: die Blutspritzer auf dem Rockvon
Jacqueline Kennedy. Sie hatte sich dagegen
gewehrt, ihre Kleidungzu wechseln. «Ich
will, dass man sieht, was sie Jack angetan
haben», sagte sie. An diesen Satz erinnern
sich vieleLeute. Und sie denken bei diesem
Bild an das Blut, das man nicht sieht.(dme.)

DashistorischeBildDallas,22.November19 63


Annemarie


Huber-Hotz, 70


D


a ihr Amtviel Spielraum bot,wurde
auch sie oftgefragt,wie sie es aus-
lege.Für AnnemarieHuber-Hotz
war es klar: «Das Kanzleramt ist
kein politisches Amt.» Sie war FDP-Mitglied,
achteteaber stets aufÜberparteilichkeit. Es
seiwichtig, dass sie sich als Bundeskanzlerin
aus den politischenGeschäften heraushalte.
Und manchmal fügte sie an, sie sei nicht der
achte Bundesrat. Das bedeutete aberkeines-
wegs, dass sie ihren Einflussgeringschätzte.
In ihrerAufgabe sehe sie mehr, als «nur die
Traktandenliste zu führen», sagteHuber-
Hotz bei ihrerWahl 1999. Sie war die erste
Frau in diesem Amt. Bis zumRücktritt 2007
nahm sie an 350 Bundesratssitzungen teil.
Aufgewachsen mit fünfGeschwistern im
zugerischenBaar, lebte AnnemarieHuber-
Hotz vieleJahre ausserhalb ihrerHeimat. Sie
studierteSoziologie und Ethnologie in
Schweden sowie Politologie inGenf, dann
liess sie sich an der ETH Zürich zur Raum-
planerin ausbilden. Das Interesse anPolitik
führte sie nachBern. Ab 197 8 warHuber-
Hotz stets für die Bundesverwaltung tätig,
zunächst als Mitarbeiterin desGeneralsekre-
tärs des Parlaments, später leitetesie den
wissenschaftlichen Parlamentsdienst.
Huber-Hotzverstarb am 1.August auf
einerWanderung anHerzversagen.(dme.)

Marcel Berlins, 77


S


ein Interesse an derWelt desRechts
erwachte, als er OrsonWelles in der
Rolle des bekannten Anwalts Clarence
Darrowsah, der in denUSA einst zwei
junge Mörder vor derTodesstrafe bewahrt
hatte. Gebanntverfolgte erWelles’ Plädoyer.
«Der Richter hat über dasLeben entschieden.
Ich warfasziniert: Darumgeht es also,wenn
man Anwalt ist», erzählte MarcelBerlins
einmal. Anwaltwurde er zwar nicht, aber er
befasste sich alsAutor stets mit demRecht.
Geborenwurde er1941 in Marseille, nach
dem Krieg wanderte er nach Südafrika aus,
woer Englisch lernte – unter anderem mit
Büchernvon Agatha Christie – und studierte.
Später zog Berlins nachLondon,woer beim
«Guardian» zumKolumnisten für juristische
Themenwurde. Zudemrezensierte er
Krimis.Für die BBC präsentierte er ab 1988
die Radiosendung «Lawin Action». Marcel
Berlins ist am Mittwochgestorben.(dme.)

Nachruf


MehralsHochhä user


César Pelli, Architekt aus Argentinien,dessen Wolkenkratzerrund um dieWelt


die Skylinesder Metropolen prägen, ist92-jähriggestorben.Von Urs Tremp


S


echsJahre langkonnte er für sich
beanspruchen, das höchsteGebäude
derWelt geschaffen zu haben.Doch
2004 wurden die 452Meter hohen
PetronasTwin Towers des Architekten César
Pelli abgelöst –vom Taipei 101 inTaipeh.
Immerhingehören seinePetronas-Türme in
Kuala Lumpur, Malaysia, auch als Nicht-
mehr-Rekordhalter zu den bekanntesten
Gebäuden derWelt. Sie sind einWahrzeichen
für dievon der Globalisierunggeschaffenen
Megacitys des 21.Jahrhunderts.Rund um
den Erdball bestimmen heute Bürotürme aus
Glas die Skylines. CésarPelli hat an dieser
Entwicklungwesentlich mitgearbeitet. Aller-
dings sind seineWolkenkratzer mehr als nur
Hochhäuser. Die gläsernenAussenseiten –
«die Haut»,wie er sagte – machen die Türme
zu Skulpturen, die Lichtreflektieren, bre-
chen und spiegeln.Pelli war eswichtig, dass
seineBauten nicht nur eine Skyline prägen,
sondern auch aus der NäheWirkung entfal-
ten. Gerne erzählte er,wie er einmal in New
York plötzlich ingoldenem Lichtgestanden
sei und dann bemerkt habe, dass dieses Licht
von seinemCarnegie HallTower kam.
Pelli wird 1926 alsSohn einesBeamten
und einerLehrerin in Argentiniengeboren.
Die Eltern sind kunstaffin. Das überträgt sich
auf denSohn. Er studiert Architektur und
entwickelt danach imAuftrag des argentini-
schen Staates sozialeWohnbauten. Eher aus
einerLaune heraus –wie er später sagenwird


  • bewirbt er sich Anfang der fünfzigerJahre
    für ein Masterstudium in denUSA. Er
    bekommt ein Stipendium, und zusammen
    mit seinerFrau, einerLandschaftsarchitek-
    tin, zieht er in dieUSA. Nicht in eineMetro-
    pole, sondern ins beschauliche Champaign
    in Illinois. Ein Glücksfall,wie er sagt:«Wenn
    ich in Chicago oder NewYork gelandet wäre,
    weiss ich nicht, obwir überlebt hätten.»
    Allerdings spieltPelli schon kurz nach
    dem Studium in der oberstenWeltliga der
    Architektur mit. Erwird Mitarbeiter im Büro
    von Eero Saarinen, der mit seinenfreitragen-
    den Dachkonstruktionen ein stilbildender
    Baukünstler seiner Zeit ist.Pelli arbeitet zu


Beginn der sechzigerJahre am TWA-Termi-
nal des nachmaligen JFK International Air-
port in NewYork.Der Stahlbetonbauwird


  • obgleichwenig praxistauglich – zu einem
    Symbol des Düsenjetzeitalters.
    ImJahr 1967gewinntPelli denWettbe-
    werb für dasVienna International Centre
    (Uno-City). Dass seinProjekt zurückgesetzt
    und derviertplatzierte österreichische Archi-
    tekt mit derAusführung beauftragtwird,
    führt zuProtesten. InÖsterreich erwirkt die
    Opposition einen Untersuchungsausschuss.
    Am Entscheidfreilich ändert sich nichts.
    Pellis Entwurf bleibt Makulatur.
    Zusammen mit NormaMerrick Sklarek,
    der ersten zugelassenen afroamerikanischen
    Architektin derUSA, entwirft er später die
    amerikanischeBotschaft inTokio. Es ist das
    letzte grosseProjekt, bevor er 197 7 ein eige-
    nes Büro eröffnet.Pelli wird zu dieser Zeit
    Dekan derYale School of Architecture.
    Zum erstenAuftrag in eigenerVerantwor-
    tungwerden die Erweiterung der Galerie
    und der 52-stöckigeWohnturm imMuseum
    of Modern Art (MoMA) in NewYork. Damit
    setzt er sich heftigenKontroversen aus.
    Die einen loben den sensiblen Umgang mit
    der heiklenAufgabe, andere kritisieren,
    dasHochhaus beeinträchtige auf ungebühr-
    liche Art den berühmten Skulpturengarten
    desMuseums.
    Pelli ist nun über die Architekturwelt
    hinaus ein bekannter Baumeister. Und er
    wird zumgefragten Spezialisten fürWolken-
    kratzer. Er trägt das bislang uramerikanische
    Bild derWolkenkratzer-Skyline in dieWelt
    hinaus.Seine Glastürme sind Ikonen der
    neuen, dynamischen, postindustriellen und
    weltumspannendenWirtschaft: OneCanada
    Square inLondon, NipponTelegraph and
    Telephone (NTT) inTokio,Residencial del
    Bosque inMexiko, CheungKongCenter in
    Hongkong, GranTorreSantiago inSantiago
    de Chile,Torre de Cristal in Madrid, The
    Landmark in Abu Dhabi und soweiter.
    Alle seine Türme haben einen eigenen
    Charakter. «Ich glaube, es ist einFehler,
    einen Stil zu haben», sagtPelli.«Wir Archi-


tekten arbeiten heute an zuvielenverschie-
denen Orten, zuvielenverschiedenenVer-
wendungszwecken.Wir müssen besser auf
dasreagieren, waswir tun.Wir müssen die
Qualität eines Ortes stärken.Wenn Sie das
eigene Ding machen, schwächen Sie die Qua-
lität des Ortes, an dem Sie bauen.»
Pelli ist zwar bekannt für seineWolken-
kratzer. Aber er entwirft auch anderes. Mit
denTerminals B und C desRonaldReagan
Washington National Airport, eröffnet im
Jahr 1997, verneigt er sichvor den Kathe-
dralenerbauern des Mittelalters und erweist
jenemBau dieReverenz, mit dem die Glas-
architektur angefangen hat: dem Kristall-
palastvon Joseph Paxton für dieWeltaus-
stellung1851 inLondon.
Einervon Pellis zweiSöhnen ist gleichfalls
Architekt. Er führt das Büro desVaters
weiter. CésarPelli ist an seinemWohnort in
New Haven im Gliedstaat Connecticut
gestorben.

CésarPelli auf der
Baustelle seiner
Segerstrom Concert
Hall in Costa Mesa,
Kalifornien.
(25. Juli2006)

IMAGO

CECIL STOUG

HTO

N /

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