Neue Zürcher Zeitung - 04.08.2019

(Darren Dugan) #1

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NZZ am Sonntag4. August 2019
Wirtschaft

ANDREAS RENTZ/ GETTY IMAGES

Nochkann es hierknapp passieren:Frachtschiff mit halber Ladung bei Sankt Goarshausen am Mittelrhein.(13. November2018)


Pirmin Schilliger


Der ChemiekonzernBASF in Lud-
wigshafen, der 40% seiner Güter
auf dem Rhein transportiert,
musste 2018 dieProduktion dros-
seln.Über Monate konnte er seine
Frachtschiffe nur noch zu maxi-
mal zwei Dritteln beladen. Das
Unternehmen erlebte in seiner
153-jährigenGeschichte den tiefs-
ten Wasserstand überhaupt und
erlitt deshalb Millionenverluste.
Im Laufe diesesJahres hat sich
die Situation auf dem Rhein nicht
wirklich entspannt, auchwenn
zurzeit nochviel Schmelzwasser
fliesst.Doch derPegel an den
wichtigsten deutschenMessstel-
len hat sichgerade einmal auf
zwei Dritteln des langjährigen
Durchschnitts ein gependelt.
In Kaub etwa, dem eigent-
lichen Nadelöhr des Rheinkorri-
dors, sank er Mitte Juli bereits
wieder auf die kritische Marke
von weniger als zweiMetern. Die
Experten der deutschen Bundes-
anstalt fürGewässerkunde be-
fürchten, dass sich die Situation
auf dem Rheinwieder ähnlich zu-
spitzenkönnte wie imvergange-
nen Spätherbst.


Pläne fürNiedrigwasser


Die von BASF geordertenFracht-
schiffe sind schon seit April nur
mit reduzierterLast unterwegs.
Konzernchef Martin Brudermül-
ler überlegt sich deshalb, dieLa-
ger- undTankkapazitäten auszu-
bauen, zusätzlichePipelines zu
erstellen und eine eigene Flotte
aus Flachbodenschiffen anzu-
schaffen. Darüber hinaus müsse
diskutiertwerden, wie die Rhein-
schifffahrt besservor künftigen
Niedrigwasserngeschütztwer-
den könne, etwa mittels Schleu-
sen und Stauwerken.Genau in


Auf dem Trockenen


diese Richtung zielt der Aktions-
plan «Niedrigwasser Rhein», den
der deutscheVerkehrsminister
AndreasScheuer Mitte Juli vorge-
stellt hat. Erfordert bessereWas-
serstandprognosen, den schnel-
lerenAusbauvon Fahrrinnen für
Güterschiffe und eine bessere
Vorbereitung auf Notsituationen.
Mittelfristig empfiehlt er den
Unternehmen nämlich, ihre
Transport-,Verlade- undLage-
rungskonzepte zu optimieren,
was BASF schon erwägt.
Bei den langfristigen Massnah-
men sprichtScheuer ganz im poli-
tischenJargon von den «wasser-
bau- und wasserwirtschaftlichen
Optionen zur Sicherstellung zu-
verlässig kalkulierbarer Trans-

portbedingungen am Rhein», also
Stau- und Speicherlösungen.
Der Aktionsplan, mit dem
Deutschland den Rhein alsWas-
serstrasse in die Zukunftretten
möchte, in tere ssiert natürlich
auch die Logistiker in der
Schweiz. Auch wenn die schiff-
bare Transportroute nach 900 km
am Landeseingang bei den Rhein-
häfen in und umBasel bereits en-
det, so ist der Strom für dieVer-
sorgung des Binnenlandesvon
strategischer Bedeutung. Die
Schweiz wickelt über den Rhein
mengenmässigrund zehn Pro-
zent ihresAussenhandels ab.
Die Situation direkt am Drei-
ländereck ist derzeit zwar deut-
lich entspannter als weit er fluss-
abwärts.Der Pegelstand liegt laut
AndréAuderset,Geschäftsführer
der SchweizerischenVereinigung
für Schifffahrt und Hafenwirt-
schaft(SVS), noch «im grünen
Bereich». Im Containerverkehr
mit Birsfelden und bei denfesten
Güternwie Schrott undBaustof-
fen imVerkehr mit den basel-
landschaftlichen Häfen sei die
Abladetiefe zwar leichtreduziert,
räumtAuderset ein.
Bei den Mineralölprodukten,
der volumenmässigwichtigsten
Fracht auf dem Rhein,werde aber
zurzeit ganz normalgefahren.
Doch Auderset befürchtet, dass
«im September sich die Situation
wieder zuspitzenkönnte». Auch
Phasenwie im November und
Dezember 2018, den beiden dra-
matischsten Monaten einer
rekordlangen Niedrigwasserperi-
ode im letztenJahr, könnten sich
jederzeitwiederholen.
Die Trockenheit im zweiten
Halbjahr 2018 hatte zurFolge,
dass dergewichtsmässige Güter-
umschlag in den schweizerischen
Rheinhäfen übers ganzeJahr um

Niedrigwasser bedroht dieSchifffahrt auf dem Rhein.Wirt schaft undBehördenschlagenAlarm


fast einenFünftel auf 4,7 Millio-
nen Tonnen sank.Bei Treib- und
Brennstoffen, deren Anteil am
Importvia Rhein über die Hälfte
ausmacht, betrug das Minus gar
30%.Auch Chemikalien, Eisen,
Stahl undGetreidewurden weni-
ger um geschlagen(sieheTabelle).

Pflichtlager aufgestockt
Gegen Endevergangenen Jahres
stufte das Bundesamt fürwirt-
schaftliche Landesversorgung
(BWL) dieLage als so besorgnis-
erregend ein, dass esverschie-
dene Pflichtlagerbestände, etwa
für Speiseöl,Futt ermittel, Ben-
zin, Flugpetrol und Dünger, frei-
gab. Insgesamt bunkern die in der
Genossenschaft Réservesuisse
vereinigtenLagerhalterVorräte
von gut700000 t, darunter Mehl
für 270 Mio. Brote. DieTanklager
in derRegionBasel sind zudem
mit 1,25 Mio.m3 Brenn- und
Treibstoffengefüllt.
Längst nicht alleLogistiker in
den schweizerischen Rheinhäfen
(SRH) sindwieder zum normalen

Alltag zurückgekehrt. Die auf den
Containerverkehr zwischen den
See- und Binnenhäfen speziali-
sierte Contargo hat nach dem pre-
kärenHerbst 2018 einenTeil der
Fracht auf dieSchieneverlagert.
Seit Januar fährt sie zweimal
wöchentlich Direktzüge zwischen
Antwerpen undBasel. «Umwei-
tere Niedrigwasserperioden bes-
ser abzufedern», erklärt Ge-
schäftsführer Daniel Kaufmann.
Die SRH haben alsSofortmass-
nahme im ersten Halbjahr 2019
die Schifffahrtsrinnen inBasel
ausbaggern und um 30cm vertie-
fen lassen.Derweil diskutieren
hinter den Kulissen Réserve-
suisse undBWL darüber, ob die
Pflichtlager grundsätzlich aufge-
stocktwerden sollten.
Der Rheinpegel ist auch Thema
im jüngstenBericht des Bundes-
rats zum Klimawandel:Perioden,
in denen die Rheinschifffahrt
wegen Niedrigwasser einge-
schränktwird oder gar denBe-
trieb ganz einstellen muss, dürf-
ten sich häufen, heisst es da.

Wasserseitiger Umschlag amBasler Rheinhafen

Einbruchwegen Trockensommer 2018


Quelle:SchweizerischeRheinhäfen

Erdö l,Mineralölerzeugnisse 1801973 –31,2
Steine,ErdenundBaustoffe 970113 +9,7
Nahrungs-undFuttermittel 723252 –7,8
ChemischeErzeugnisse,Düngemittel 374713 –20,2
Erze,MetalleundStahl 334511 –26,2
Fahrzeuge,Maschinenusw. 229610 –13,4
FestemineralischeBrennstoffe 795 –97,9
ÜbrigeGüter 263014 –5,3
Total 4697981 –18,9

Menge 2018
in Tonnen

Veränderung
ggü. 2017

Beim Nadelöhr des
Rheinkorridors
sank der Pegel
bereits auf die
kritische Marke.

Die Rheinstrecke zwischenBasel
und Rotterdam ist derzentrale
Transportweg für die Wirt-
schafts- und Industriegebiete
im Einzugsgebiet und ein wich-
tiger Zubringer für die über
60 Mio. Anrainer. Allen Progno-
senzu Klima und Wasserstand
zum Trotz soll der Warenver-
kehr ab den Häfen Rotterdam
und Antwerpen in Zukunft
stärker über dieBinnenschiff-
fahrt erfolgen.
In Basel wirdvor allem der
Containerumschlag, der 2018
119000 Einheiten (TEU) betrug,
kräftigwachsen. Um denkünfti-
gen Güterverkehrzu bewälti-
gen, sind am Rheinknie die

Ausbaudes Rheinhafens Basel


Ein Grossprojekt und


wichtige Hausaufgaben


Umschlagkapazitäten mindes-
tens zu verdoppeln. Schon
länger geplant ist dafür das
neue Hafenbecken 3 mitsamt
dem trimodalen Container-
terminal Gateway Basel Nord.
Im Moment allerdings ist das
Projekt noch politisch und
durch Einsprachen blockiert.
Die drei nördlichen Anrainer-
staaten müssen ihrerseits die
Hausaufgabenzur Rettung der
Wasserstrasse zügig in Angriff
nehmen.Festgelegt ist dies in der
sogenannten «Mannheimer Akte»
von 1686, die der Schweiz seither
und bis heute einen ungehinder-
ten Schiffverkehr via Rheinzum
Meervertraglich garantiert.(scl.)
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