Neue Zürcher Zeitung - 04.08.2019

(Darren Dugan) #1
NZZamSonntag4. August 2019
WirtschaftGasversorgung 25

EineGeiselRusslands?


Die PipelineNord Stream 2soll Ende Jahr fertig sein. Deutschland mache damit einen «Riesenfehler», sagt


US-PräsidentTrump.Und droht mitSanktionengegen in volvierte Firmen.VonSusanneZiegert, Berlin


M


it 500MeternLänge wirkt das
Bauschiff «Pioneering Spirit»wie
eine schwimmende Insel.Ausge-
stattet ist diese mit einerFabrik, in
der die Mitarbeiter Pipeline-Segmente inein-
anderfügen, und einer kranartigenVorrich-
tung für dieVerlegung derRohre in derOst-
see. Um etwa drei Kilometer wächst die um-
strittenePipeline Nord Stream 2 proTag. «70
ProzentderLeitung, insgesamt1700 Kilo-
meter, sindverlegt», erklärtJensD.Müller,
Sprecher der Nord Stream 2AGmit Sitz in Zug.
Insgesamt soll diePipeline aus zwei Strängen
von jeweils 1230 KilometerLänge bestehen.
DieRouteverläuft parallel zur bereits be-
stehendenPipeline Nord Stream und soll zu-
sätzlich 55 Mrd. Kubikmeter Erdgas aus der
russischen Narwa-Bucht ins ostdeutsche Lub-
min (Mecklenburg-Vorpommern) pumpen.
Von dort soll das Erdgas auf dem europäi-
schen Marktverteiltwerden. Finanziertwird
das 10 Mrd. €teureVorhaben zur Hälftevon
der russischen Betreibergesellschaft Gaz-
prom, den anderenTeil übernehmen die
InvestorenWintershallDea, Uniper, Engie,
Shell und OMV.
Doch dasProjekt stösst auf heftigenGegen-
wind,vor allem aus denUSA.Präsident
Donald Trump sprach sich bei einemBesuch
in Polen erneut fürSanktionen imFall einer
Vollendung derPipeline aus. «Das ist etwas,
waswir uns anschauen undworüber ich nach-
denke.» Er kritisierte:«Wir schützenDeutsch-
landvor Russland, undRussland bekommt
Abermilliardenvon Deutschland.»Deutsch-
land mache einen «riesigenFehler» undwerde
zur «GeiselRusslands».
EinewichtigeRolle dürften die Export-
pläne für amerikanisches Flüssiggas LNG
spielen.Der amerikanische Energieminister
RickPerry unterzeichnete in Brüssel Export-
verträge, die eineVerdoppelung derSchiffs-
lieferungen bis 2020vorsehen. 75 Jahre nach
derBefreiung Europasvon der nationalsozia-
listischenBesetzungDeutschlands «liefern
dieVereinigten Staaten dem europäischen
Kontinentwieder eineForm derFreiheit», er-
klärte der Minister.Vor allem dieOsteuropäer
sind bereit, einenAufpreis für das Gas aus den
USA zu bezahlen.

Abhängigkeitals Kritikpunkt
Den an derrussischenPipeline beteiligten
Unternehmen drohen die Amerikaner unver-
hohlen mit harten Strafen. 2017 hatte derUS-
Kongress mit Zustimmung desPräsidenten
Sanktionengegen russische Energie-Infra-
struktur imCaatsa-Gesetzverankert. Nach
denAusführungsbestimmungen sollenSank-
tionen nach Abstimmung mitVerbündeten
verhängtwerden, sofern diese nicht die euro-
päische Energieversorgung beeinträchtigen.
Der amerikanischeBotschafter inDeutsch-
land, Richard Grenell, drohte den Investoren
derPipeline. «Firmen, die sich imrussischen
Energieexport-Sektor engagieren, beteiligen
sich an etwas, was mit einem erheblichen
Sanktionsrisikoverbunden ist.»
EinweitererGesetzentwurf imUS-Senat
zielt auf dieBetreiber der Spezialschiffe und
ihreVersicherungen. DieseWoche hat sich der
AuswärtigeAusschuss desUS-Senats mit 20
zu 2 Stimmen für den Entwurf ausgespro-
chen. DieSanktionenkönnen dasProjektver-
teuern undverzögern, aber nichtverhindern.
Deutschland verbietet sich die Ein-
mischung, doch auch die engstenVerbünde-
ten sehen dasRohrsystem nachRussland

PAUL LANGR

OCK

Technikerreinigen
ein Rohr anBorddes
Verlegeschiffes.

kritisch.Vor allem die Ukraine fürchtet, dass
die neueLeitung die dortigePipeline über-
flüssig macht; demLandwürden Durch-
leitungsgebühren in Milliardenhöhe ent-
gehen. EU-Staaten wie Polen undFrankreich
warnenvor einer zu starken Abhängigkeitvon
Russland als Energielieferanten. EineMehr-
heit der EU-Staaten stimmte füreine neue EU-
Gasrichtlinie, die eine Trennung zwischen
Leitungsbesitzern und Erdgasproduzenten
vorschreibt. Daswürde dasgeplanteGe-
schäftsmodellvon Nord Stream 2 infrage
stellen. Die Richtlinie lässt zahlreicheAusnah-
men für andereLeitungen zu. Die Nord-
Stream-2-Betreiber fühlen sich dadurch
benachteiligt und haben eine Nichtigkeits-
klagewegen Diskriminierung eingeleitet.
BlockiertwirddiePipeline auch in Däne-
mark. In den dortigenHoheitsgewässernfehlt
ein 120 Kilometer langer Abschnitt, der nicht
genehmigtwurde. ImKopenhagener Parla-
mentwurdengeopolitischeAuswirkungen
undKonsequenzen für die Ukraine debattiert.
Mittlerweile haben dieProjektentwickler
ihren ersten Antrag zurückgezogen und eine
Alternativroute eingereicht, die nordwestlich
der InselBornholmverläuft und sich nicht in
denHoheitsgewässern befindet. Daher ist
keineGenehmigung durch dasAussenminis-
terium notwendig, sondern lediglich die Zu-
stimmung durch dieFachbehörde.
Dänemarkforderte eine dritte Route, die
südöstlichverläuft und für die im April 2019
der entsprechende Antrag erfolgte. «Es sind
alleVoraussetzungen geschaffen, um kurz-

fristig dieGenehmigung zu erhalten. Damit
könnenwir denFertigstellungstermin Ende
2019 halten», erklärt SprecherJensD. Müller.
Prognosengehenvon einem wachsenden
Erdgasbedarf in Europa aus, da dieRessour-
cen in den Niederlanden und in Grossbritan-
nien in denkommendenJahren zur Neige
gehen und inDeutschland derAtomausstieg
bevorsteht. Erdgas setzt als Energieträger
etwa einViertelweniger CO2frei als Erdöl.

Sinkende Prei seerwartet
Die neueLeitung dürfte nach einer Studie des
Kölner Analysebüros EWI EnergyResearch &
Szenarios diePreise in Europa drücken.Ver-
braucherwürden durch einen stärkerenWett-
bewerb auf dem Energiemarkt 2020 insge-
samt7,9 Mrd. €weniger für Gas bezahlen.
«Durch das höhere AngebotwirdderGross-
handelspreis für Gas 2020 bei 1,6€proMega-
wattstunde liegen, das sind8Prozent weniger
als bei einem Szenario ohne Nord Stream 2»,
so die Untersuchung, die imAuftragvon Nord
Stream 2 durchgeführtwurde. Bei einer stei-
genden Nachfrage aus Asienkönnte derEffekt
sogar noch höher liegen.
Von dem Preiseffekt würde auch die
Schweiz profitieren, die ihrenBedarf durch
Importe deckt. Dabeigehtesum 3,5 Mrd.
Kubikmeter und damit umweniger als1Pro-
zent der Gasnachfrage in Europa – über lang-
fristigeVerträge mitDeutschland und ande-
ren Nachbarstaaten sind die Lieferungen ab-
gesichert.Der Rohstoffkommt ausRussland,
Norwegen und Algerien. «Ein zunehmender

Anteil des importierten Erdgaseswirdam
Spotmarkt eingekauft, umvon kurzfristigen
Preisbewegungen zu profitieren», so das Bun-
desamt für Energie.
Der USA-Experte derDeutschenGesell-
schaft fürAuswärtigePolitik,Josef Braml, er-
wartet ausgeostrategischen Gründen eine
«Lockerung» der amerikanischenSanktionen
gegen Russland. «Die angeschlageneWelt-
machtUSA wird dieRegionalmachtRussland
benötigen, um die andere, aufsteigende
Grossmacht China einzudämmen.»
DeutscheRegierungspolitikerversuchten,
ihre Washingtoner Amtskollegen mittels
Diplomatie zum Einlenken zu bewegen. Zu-
letzt warb BundeswirtschaftsministerPeter
Altmaier (CDU) inWashington für das Infra-
strukturprojekt – und erneuerte Zusagen für
LNG-Importe aus denUSA.«Wir werden in
den nächstenJahren einen deutlich steigen-
den Gasbedarf haben.Aus demselben Grund
bauenwir auch Flüssiggas-Terminals für
amerikanisches Gas. Mit demAusstieg aus
Kohle- undAtomstromwerdenwir für eine
Übergangszeit auf mehr Gaskraftwerke an-
gewiesen sein», erklärte Altmaier in einem
Interview.
Auf einer deutsch-amerikanischenKonfe-
renz im Wirtschaftsministerium wurden
Planungen für zwei Terminals in Nord-
deutschland präsentiert, die amerikanisches
Erdgas aufnehmenkönnen.Der Preis ist
allerdings höher als der des russischen
Pipelinegases, das mehr als 40Prozentdes
europäischenBedarfes deckt.

10 Mrd.


Die Kosten von
Nord Stream 2
belaufen sich auf
10 Mrd. €. Die
Hälfte davonzahlt
Gazprom.

3,5Mrd.


Die Schweiz ver-
braucht 3,5 Mrd.
Kubikmeter Erdgas
pro Jahr,weniger
als 1 Prozent der
europäischen Ge-
samtnachfrage.

In Zahlen


Während die Nord-Stream-
Leitungen das nördliche Europa
versorgen, hatte Gazprom
ursprünglich noch eine Gas-
Pipeline ins südliche Europa
geplant.Vor fünf Jahren wurde
das Projekt für gescheitert
erklärt. Doch nach einem
Bericht des «Handelsblatts»
könnten die Pläne wieder
aktuellwerden.
Darauf deutet eine Ausschrei-
bung des Energiekonzerns Gaz-
prom hin für ein wichtiges Teil-
stück von der Wolga-Regionzur
russischen Stadt Anapa am
Schwarzen Meer. DieseVerbin-

DieSüdroute


Gazproms


neuer


Versuch


dungwar für dieBelieferung
von South Stream geplant und
wurdezeitgleich mit der eigent-
lichen Pipeline auf Eis gelegt.
Bulgarien hatte das Projekt
2014 wegen drohender Sanktio-
nen durch die EU gestoppt.
Geplant istoffenbar,
bestehende Pipelines überBul-
garien, Serbien und Ungarn bis
nach Österreichzu verlängern.
Auch Abzweigungen nach
Italien oder Griechenland sind
in der Diskuss ion. LautExperten
setzt Russland auf einestei-
gende Gasnachfrage in Europa.
Derweil steht ein Konkurrenz-

projekt, das ohne Einfluss Russ-
lands Gas aus aserbaidschani-
schenFeldern über Griechen-
land, Albanien und die Adria
nach Italien bringen wird,vor
dem Abschluss. Die Trans-
Adria-Pipeline TAP wurdevon
einer Tochterfirma der Schwei-
zer Axpo initiiert. Sie sollhelfen,
die Abhängigkeit Europasvon
russischem Erdgaszu reduzie-
ren. Deutschlandsteigt aus der
Atom- und der Kohleenergie
aus; vorerst wird Gas eine Alter-
native sein. Die Gasfelder der EU
in der Nordsee geben immer
weniger her.(suz./mju.)

Dänemark

Schweiz

Ukraine

Weiss-
russland
Polen
Deutsch-
land

Russland

Norwegen
Schweden

Finnland

Estland

Lettland

Litauen

Finnland

Route der im Bau stehenden Gas-Pipeli ne NordStream 2

Direkte Linie nachRussland

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