Neue Zürcher Zeitung - 04.08.2019

(Darren Dugan) #1
NZZamSonntag4. August 2019
Wirtschaft 27

Politik und
Verfassung
lassen si ch
ändern,
sobald sich
schlagkräftige
Koalitionen
gege n den
unbefriedigen-
den Stat us quo
formiert
haben.

Personenund


Unternehmen


Telekom.Die Zahl verkaufter Smart-
phoneswird 2019 weltweit um 2,5%
sinken. Das prognostiziert dasResearch-
und Beratungsunternehmen Gartner. Die
Kundenwürden ihreTelefone länger
behalten. Die Gartner-Analysten erwarten
jedoch, dass dieVerkaufszahlen imJahr
2020 wieder steigen,weil dannviele
5G-Modelleverfügbar seinwerd en.(stä.)

SIX.An derSchweizerBörse SIX ist man
sehr zufrieden mit dem diesjährigenJuli.
Der Handel sei im erstenMonat ohne die
Börsenanerkennung der EU gutgelaufen,
sagt SIX-SprecherJulian Changege nüber
SRF: «DieZahlen liegen imVergleich zum
Vormonatrund 20% höher.» Diese für
einenSommermonat sehr unübliche Stei-
gerung liegt an denSchutzmassnahmen
des Bundesrates, die er als Antwort auf
die Nichtverlängerung der Börsenaner-
kennung eingeführt hat:Seit dem 1.Juli
müssenSchweizer Aktien amHeimmarkt
Schweiz gehandeltwerd en.(stä.)

Elon Musk.Mit einemTweet hat der
Tesla-GründerMusk an gekündigt, dass
sein Tunnelbauunternehmen «TheBoring
Company» einen chinesischen Ableger
bekommen soll.
Musk propagiertPer-
sonentransporte im
Untergrund als
probates Mi ttel gege n
Verkehrsstaus. Die
offizielleLancierung
soll anlässlich des
Besuches einer
Konferenz inSchang-
hai EndeAugust
erfolgen.(est.)

JAE C. HONG

/ AP

DieMachtderGrossgrundbesitzer er klärtdie


Stagnation Argentiniens,nichtdaskolonialeErbe


N


och vor kurzem galt seine
erneute Kandidatur als aus-
sichtslos, doch nun scheint der
argentinischePräsident Mauri-
cio Macri plötzlichwieder
ernsthafte Chancen zu haben,
im Oktober dieWahl zugewinnen.Falls er
triumphiert, käme dies einer kleinen politi-
schenSensation gleich.Denn Macri ist nicht
Mitglied der peronistischen Partei, die seit
Jahrzehnten die argentinischePolitik domi-
niert und sichvor allem durch eine opportu-
nistischeVetternwirtschaft zugunsten ihrer
Wählerbasis hervorgetan hat.Benannt ist die
Partei nach dem langjährigen Staatspräsi-
denten Juan Perón, einemfrüherenBerufs-
offizier, der den modernen argentinischen
Populismusrecht eigentlich begründet hat.
Die Bedeutung der argentinischenPräsi-
dentschaftswahlgeht jedochweit über diese
innenpolitische Dimension hinaus. Noch
wichtiger ist dieFrage, ob es einem typi-
schenSchwellenland,wie Ar gentinien eines
ist, endlichgelingen wird, langjährige Ent-
wicklungsblockaden zu überwinden.Verliert
Macri dieWahlen, ist klar, dass eineRück-
kehr der alten Garde jeglicheHoffnung auf
eine Erneuerung beerdigenwürde. Macris
Gegenspieler sind nämlich AlbertoFernán-
dez und CristinaFernández de Kirchner, die
beide der peronistischen Partei angehören.
Kirchner amtiertevon 2007 bis 2015 als
Staatspräsidentin und fiel durch eine beson-
ders schlechte Wirtschaftspolitik auf. Am
Schluss plünderte sie gar dieDevisenreser-
ven der Zentralbank, um den Staatsbankrott
abzuwenden. Die Inflation lief aus dem
Ruder. 2015verlor siegege n Macri.Falls
Macri dieWahlen im Oktobergewinnen

sollte:Wird er in seiner zweiten Amtszeit
eine Trendwende herbeiführenkönnen?
Die Pessimisten argumentieren, dass dies
unmöglich sei. Argentinien sei einRohstoff-
land, dasvon denUSA immer in Abhängig-
keit ge haltenwurde, um eine industrielle
Entwicklung zuverhindern.Ausserdem habe
die Kolonialzeit irreparablenSchaden ange-
richtet. Schon immer habe sich eine privile-
gierte Oberschicht, zu der auch Macrigehöre,
auf Kosten der Armen an den Exporterlösen
bereichert und dasAufkommen einer Mittel-
schichtverhindert. Es sei unmöglich, das
Land zurefo rmieren.
Die Ungleichheit ist tatsächlich hoch, und
es ist offensichtlich, dass die Mittelschichten
schwach und dieAufstiegschancengering
sind. Zurzeit lebt etwa ein Drittel derBevöl-
kerung in Armut, mit steigenderTendenz.
Dass jedoch die einseitige Abhängigkeitvon
den Rohstoffexporten, dieDominanz der
USA und diekolonialeVergangenheit die
wahren Gründe für die Ungleichheit sind,
lässt sich mit guten Argumenten bezweifeln.
Kanada zumBeispiel ist einLand, das
traditionellvon Rohstoffexportengelebt hat
und stets imSchatten derUSA gestanden ist,
aber derLebensstandard der kanadischen
Bevölkerung hat sich trotzdemkont inuier-
lich verbessert. Dasselbe gilt fürAustralien
und Neuseeland.
Auch derVerweis auf denKolonialismus
greift zu kurz. Argentinien war bis ins
19.Jahrhundert nur dünn besiedelt und
besass nur schwachekoloniale Strukturen,
ganz im Unterschied zuBolivien undPeru,
wo die spanischen Eroberer neue Städte
bauten, die einheimischeBevölkerung zur
Zwangsarbeitverpflichtete n und einenkolo-

nialenKontrollapparat aufbauten, um die
Silberminen auszubeuten. In Argentinien
fehlten staatliche Strukturen, was nach der
Unabhängigkeitvon 1816 Grossgrundbesit-
zern und bewaffnetenBanden erlaubte, die
Kontrolle über dasLand und Buenos Aires zu
erlangen. Erst in den1860er Jahren etablierte
sic h eine übergeordnete staatlicheAutorität,
aber bis heute dominieren dieProvinzen.
Dies zeigt sich darin, dass der Bundesstaat
nach wie vor nicht in derLage ist, die erfor-
derlichen Steuern einzutreiben.Auch poli-
tisch dominieren immer noch die Gross-
grundbesitzer. Dievier Provinzen Buenos
Aires,Santa Fe, Córdoba undMendoza, die
fast 80% der Industrieproduktion und70%
der Bevölkerung beherbergen, kont rollieren
nur 8von 48 Sitzen imSenat.
Wenn es stimmt, dass die grösstenPro-
bleme Argentiniens politischer undverfas-
sungsrechtlicher Natur sind, besteht durch-
aus Grund zurHoffnung.Denn Politik und
Verfassung lassen sich ändern, sobald sich
schlagkräftigeKoalitionengege n den unbe-
friedigenden Status quoformiert haben.
Auch in Europa entstanden die liberalen
und demokratischen Errungenschaften, die
den heutigenWohlstand ermöglichten, nicht
automatisch. Es brauchte mehrereVorstösse,
Revolten undRevolutionen, bis das Ancien
Régime seine Blockademachtverlor und die
für die moderneWirtschaft entscheidenden
freiheitlichen und stabilen Rahmenbedin-
gungen dauerhaftverankert waren. Die
Geschichte ist inArgentinien nochkeines-
wegs zu Ende.

Geld&Geist


TobiasStraumann istWirtschaftshistoriker
an der UniversitätZüri ch.

TobiasStraumann


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