Neue Zürcher Zeitung - 04.08.2019

(Darren Dugan) #1

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Mensch &Medi zin


Kornkreise


imHaar


Diagnose


AndreaSix


E


in leichtes Jucken am Hinterkopf,
so ha tte es angefangen. Dem
9-Jährigen wäre es nichtweit er
aufgefallen. DieMutter aberwird
«Läuse!»gedacht haben und dem Kind
suchend durchs Haargefahren sein.
Nichts. Erst nachMonaten erscheint der
9-Jährige beim Kinderarzt,weil ausser
dem Juckreiz auch einrote r Ausschlag auf
seiner Haut am Nacken aufgetaucht ist.
Der Kinderarzt betrachtet die leicht
aufgewölbtenRötungen undverordnet
eine Kortisonsalbe, die das Immunsystem
bremsen soll.Vermutlich, meint der Arzt,
handle es sich um ein Ekzem, das durch
eine Allergie oder eine andere Abwehr-
reaktion desKörpers entstanden sei.
Den Juckreiz lindert das Mittel bald.
Die Muster auf der Haut bleiben jedoch,
und sieverändern sich.Mysteriöse Zei-
chen blühen auf, die sich alskonzentri-
sche Kreise undKurven über Hinterkopf
und Nacken ausbreiten. Sofort stoppt der
Mediziner dieBehandlung mit derKorti-
sonsalbe. Stattdessengeht er einem ande-
ren Verdacht nach: Er entnimmt eine
Biopsie aus einer der betroffenen Haut-
stellen und schickt sie an einLabor.
Ausserdem fährt er mit einer soge-
nannten Wood-Lampe über die Haut. Das
bereits1903 ent wickelteGerät strahlt
Schwarzlicht ab undwird in derRechts-
medizin eingesetzt, um beispielsweise
feinste Blutspritzer an einemTatort sicht-
bar zu machen. In derDermatologie dient
die Wood-Lampe zum Nachweis von
bestimmten Hautpilzen, diefluoreszie-
rende Herd e auf der Haut hervorrufen.
Allerdingsreagieren diemysteriösen
Muster des Patienten nicht auf das ultra-
violette Licht. Was nicht ausschliesst,
dass ervon einer nicht-leuchtendenPilz-
art befallen ist.
Klarheit liefert dasLaborergebnis. Ein
Fadenpilz, angefeuert von derKortison-
salbe, hat die Linien in die Hautgezeich-
net. Der 9- Jährigewird über mehrere
Wochen einPilzmittel schlucken und auf
die Muster auftragen, bis die Hautpilze
abgetötet sind.

Quelle: «Kinder- und Jugendarzt», 2019,
Bd. 4, S.181.

Isst ein Kindkeine tierischen Produkte, kann es ihm anVitamin B12 mangeln.

Veganernährte Kinder


brauchenZusätze


Einerein pflanzliche Ernährungkann beiKindern riskant sein. Eltern sollten si ch


gut informieren undfehlendeNährstoffe ergänzen.VonFelicitasWitte


S


chadet es Kindern,wenn man sie
vegan ernährt? Ist es gar unmora-
lisch,weil man ihnen damit seine
Lebenseinstellung aufzwingt?
Oder hat einevegane Ernährung
Vorteile,weil sie tierfreundlich
und nachhaltig ist?
Nachdem imvergangenen Jahr in
Deutschland zweivegane Kindertagesstätten
eröffnet haben,wird das Thema auch hierzu-
lande mehr und mehr diskutiert. Raoul
Furlano,Leitender Arzt und Experte für
Kinderernährung im Universitäts-Kinder-
spital beiderBasel, behandelt jedesJahr eine
Handvollvegan ernährter Kinder, die mit
schweren Mangelerscheinungen stationär
aufgenommenwerd en mussten. Dasgeht
von Blutarmut überSchilddrüsenvergrösse-
rungen bis zu schweren Nervenschäden mit
zurückbleibendergeistiger undkörperlicher
Entwicklung. «Eine ungeplante vegane
Ernährung kann bei Kindern zufatalen
Folgen führen», warnt der Kinderarzt. Immer
öfterfragen ihn Eltern in der letzten Zeit, was
er von einerveganen Ernährungvon Kindern
halte.Seine Antwort: «Ganz einfach: nichts.»
Die Experten scheinen sich jedoch uneins
zu sein.Während die deutsche und die
SchweizerGesellschaft für Ernährung und
das Bundesamt fürLebensmittelsicherheit
und Veterinärwesen (BLV) ebenfalls davon
abraten, hält die amerikanische Ernährungs-
gesellschaftA. N. D. eine vegane Ernährung
bei Kindern für angemessen, ebensoFach-
gesellschaften inAustralien oder in Kanada.
«Der Teufel steckt aber imDetail», sagt Raoul
Furlano. «In diesen Empfehlungen ist
explizit erwähnt, dass die Ernährung gut
geplant sein muss.»

Erstaunlich weniguntersucht
Abgesehen davon lasse sich die Situation
nicht ohneweit eres auf Europa übertragen,
sagt BertholdKoletzko, Leiter der Abteilung
für Stoffwechsel und Ernährung am Dr.von
Haunerschen Kinderspital inMünchen. «In
den USA und in Kanada sindviele Lebens-
mittel mitVitaminen und anderen Nährstof-
fen an gereichert, so dass es dort beivegan
ernährten Kindernviel seltener zu schweren

Schädenkommt,wie wir sie leiderregel-
mässig sehen.»
Vegan ernährte Kinder haben ein höheres
Risiko, nichtgenügendProteine, Amino-
säuren, Omega-3-Fettsäuren,VitaminD, B2
und B12, Kalzium, Eisen,Jod, Zink undSelen
zu bekommen.Besonders problematisch ist
Vitamin B12,weil es in pflanzlichenLebens-
mitteln nichtvorkommt.«Wer sein Kind
unbedingtvegan ernährenwill, sollte sich
von Kinderarzt und Ernährungsfachkraft
beraten lassen», sagtKoletzko. «Auf jeden
Fall braucht das KindVitamin-B12-Tabletten
und am besten noch andere Nährstoffe.»
Gefährlich sei, dass dieSymptome eines
Vitamin-B12-Mangels am Anfang kaum auf-
fielen, sagt StefanEber, Kinderarzt inMün-
chen.«Schreit einBaby sehr viel und lässt
sich nicht gut füttern, denkt man kaum an
einenVitamin-B12-Mangel.»
Ob einevegane Ernährung Kindern scha-
det, ist erstaunlichwenig untersucht. Zudem
sind die meisten Daten alt, und die Studien-
qualität lässt zuwünschen übrig. Oft zitiert
werd en die dreiFolgestudien ausLondon
von 1981 bis 1992 mit rund zwei Dutzend
Kindern. Die meistenwuchsen normal,ten-
dier ten aber dazu, etwas kleiner und leichter
zu sein als andere Kinder.Auch in einer ame-
rikanischen Studievon 1989 mit 288vegan
ernährten Kindern waren die Kinder kleiner
als normal ernährte Altersgenossen.
Neuere valide Daten gibt es erst mit der
VeChi-Studie ausDeutschland, die im April
veröffentlichtwurde. Elternvon 430 Klein-
kindern – davon 139vegan, 127vegetarisch
und 164 normal ernährt –wogen und proto-
kollierten an drei ausgewähltenTagen all
das, was die Kindergege ssen undgetrunken
hatten. Die meistenvegan ernährten Kinder

waren ähnlich gross und schwer wie ihre
Altersgenossen, aber achtvon ihnen ent-
wickelten sich nicht altersentsprechend. «Es
ist zwar schön, dass die meistenvegan
ernährten Kinder gutwuchsen», sagt Kinder-
arzt Eber. «Wir wissen aber nicht,wie es
ihnen sonstgeht, weil dieLaborwerte nicht
gemessenwurden.»
In seinerPraxis hat er seit 2015 bei 294
Kindern im Blut einen Eisenmangel und bei
151 einenVitamin-B12-Mangel gemessen. In
fast allenFällen erzählten ihm dann die
Eltern, ihre Kinder hätten kein oder kaum
Fleischgege ssen. «Es ist nicht so, dass ich
Eltern nicht zutraue, ihre Kindervegan zu
ernähren», sagt er. «Aber offenbar ist es im
Alltag schwierig umzusetzen.»

Vegetarischisteinfacher
Es reiche zumBeispiel nicht, einfach die
tierischenLebensmittel durchvegane Alter-
nati ven zu ersetzen, sagt NathalieRochat,
Biologin beim BLV. «Die veganen Alternati-
ven sehen zwar oft ähnlich aus und schme-
cken oft auch sowie Fleisch, abervom
Nährwert her sind sie mit den ‹Originalen›
nichtvergleichbar.»
Eine vegetarische Ernährung mit Eiern
und Milch dagegen sehen die Expertenweni-
ger kritisch. In den meistenvon 16 Studien
warenvegetarisch ernährte Kinder ähnlich
gross und schwer wie normal ernährte
Altersgenossen. Es gab sogar Hinweise, dass
die vegetarischen Kindergesünder waren:
Sie hatten nämlich niedrigere Triglyzeride
und Cholesterin im Blut, was für eingeringe-
res Herz-Kreislauf-Risiko spricht. Trotzdem
muss man auch hier aufVitamin B12 und
Eisen achten und diese allenfalls ersetzen.
Ob eskeine wichtigerenProblemegebe,
als über dievegane Ernährungvon Kindern
zu diskutieren,frage sich RaoulFurlano
öfter. «Ein Erwachsener kanngerne in einer
trendigen Diätform seine Erfüllung finden.
Als Kinderarzt undVater kann ich aber nicht
verstehen, warum Eltern ihr Kind dem Risiko
einer Mangelernährung aussetzen undGeld
für Ernährungsberatung ausgeben. Mit einer
ausgewogenen Mischkostkönnte man all das
ganz einfachvermeiden.»

VeganeAlternativen
schmeckenzwaroftwie
Flei sch. Abervom
Nährwerthersindsie
mit dem«Original»nicht
vergleichbar.

4 μg


Pro Tag benötigen
Kinder zwischen
1,5 und 4 Mikro-
grammVitamin B12.
Es dient u. a. der
Produktionroter
Blutkörperchen.

15 mg


Für Kinderwerden
pro Tag 8 bis 15
Milligramm Eisen
empfohlen.Bei
Eisenmangel
drohteine Anämie
(Blutarmut).

Kritische
Nährstof fe

News


VitaminA vermin dertdas
Risikofürweissen Hautkrebs

Wer sichgege n dieAusbildungvon weissem
Hautkrebs schützenwill, tut gut daran,viel
Früchte und Gemüse zu essen. Zu diesem
Schluss sindForschergekommen, die unter-
sucht haben,welchen Einfluss dieAufnahme
von Vitamin A auf dieAusbildung des Plat-
tenepithelkarzinoms der Haut hat.Demnach
reduziert derKonsumvon Lebensmitteln,
die viel Vitamin A enthalten, das Risiko, den
zweithäufigsten aller Hautkrebsarten zu
entwickeln, um17 Prozent («Journal of the
AmericanMedical AssociationDermato-
logy»). Untersuchtwurden 170000 US-Bür-
ger zwischen1984 und 2012.(pim.)
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