Neue Zürcher Zeitung - 04.08.2019

(Darren Dugan) #1

47


NZZamSonntag4. August 2019

MARCO

BORELLI

/ SF

Salzburger Festspiele Alles in Zürichdeutsch


ViktorSchobingerist


Exper tefürdieMundart,


auchinKrimis 50


Mythen,Klimawandel,


Diven-Duelleundgrosse


Diskussione n 48


© WILLIAM KENTRIDG


E, COURTESY MARIAN G


OODMAN


GALLERY


ErfindetBilder zur südafrikanischen Geschichte undzu uns erem Umgang mit Geschichten: William Kentridge und seineVideoinstallation «More Sweetly Play the Dance» inBasel.

Viele Arbeiten mit
gesellschaftskritischem
Impetusbleiben im
öffentlichen Diskurs
stehen, präsentieren ihn,
statt ihnzu reflektieren.

Mehr als Symbolefürs

schlechteGewissen?

Kunst kann heute fast nicht anders, als gesellschaftskritis ch zu sein.


Einige zeitgenössische Werke zeigenaber, dass esnicht genügt, heisse


Themennur aufz ugreifen,schreibt Gerhard Mack


U


mwelt, Migration, Minder-
heiten, Rechtsextremismus,
Trump, die EU, der Brexit,
vermutlich gibt es noch eine
ganzeReihevon weiteren
Themen, dieKünstler der-
zeit gerne aufgreifen. DieWelt ist seit ein
paarJahren noch mehr als zuvor ein
schwieriger Ort. DaraufreagierenKünstler.
Siewollen sich einbringen, Kunst soll sich
engagieren, eingreifen, statt abseits zu
stehen.Doch ist auch gut, was gutgemeint
ist? Entstehen da mehr alsSymbole fürs
schlechte Gewissen, undwirkt überhaupt,
was angesellschaftskritischerKunstgerade
Markt undMuseen befeuert?Gegenwärtig
stellen ein paarWerke dieseFragen mit
Nachdruck.Prototypisch lässt sich dabei
der Biennale-Beitrag Christoph Büchels der
Ausstellungvon WilliamKentridge im
KunstmuseumBaselgegenüberstellen.
Der SchweizerKünstler liess die «Barca
Nostra»von Lampedusa nachVenedig brin-
gen. Dort soll das havarierteSchiffZwi-
schenstation machen auf einergeplanten
Reise nach Brüssel und diejenigen, die es

sehen, mit der Flüchtlingstragödie im Mittel-
meerkonfrontieren. 2015 starben auf dem
Rostkutter Hundertevon Menschen, die im
Rumpf eingeschlossen waren. Er steht sym-
bolisch für ihrenTod und denjenigenTau-
sender anderer Migranten, für die das Mittel-
meer zum Massengrabwurde.
Ein dringliches Anliegen also, aber warum
stösst Büchels «Barca» dennoch beivielen
auf Ablehnung? DasWrack erinnert ja an
eine Tragödie, die sehr erinnerungswürdig
ist, sie setzt ihrgewissermassen einDenk-
mal. Kaum jemandwürde das bestreiten.
Zugleich aberwirkt es obszön, dasTodes-
schiff aus seinem lebensweltlichen Zusam-
menhang zu lösen und zu einem Objekt der
Kunst zu erklären, es also zumindestkon-
zeptuell aus demBereich derrealen Interes-
sen undKonflikte in den der interessenfreien
Betrachtung zu übertragen und uns auch zu
Voyeuren zu machen. Büchelwill unsvor
denKopf stossen, damitwir diewidrige
Lebenswelt anschauen. Und es ist ihm egal,
ob wir dasKunst nennen.
Dabeigeht etwasverloren, was die Stärke
von Kunst ausmacht: Die Arbeit an derForm,

die Entwicklung einer eigenen Sprache, die
demGegenstand angemessen ist und über
das hinausgeht, waswir im Alltags-Diskurs
erfahren.Kunst hatviele Dimensionen.
Genau das machtWilliamKentridge.Der
1955 geborene Südafrikaner setzt sich
multimedial mit derLebenswelt Südafrikas
auseinander, die immer nochvon der
Erfahrung der Apartheidgeprägt ist. Aber
er tut dasweder als Historiker, noch als
Anklagender. Er stammt aus einerweissen
Anwaltsfamilie, die sich überGenerationen
für Unterdrückte eingesetzt hat, und er
weiss, dass er sichfremdenLeids auch in
derKunst nicht bemächtigen darf.

W


as seinWerk so überzeugend
macht, ist der Umgang mit
dieserGeschichte. Er zeigt auf,
wasbisher nicht aufgezeichnet
wurde. Ergeht in dieSchattenzonen und
kämpftgegen dasVergessen: desSchicksals
von Minenarbeitern,von afrikanischenSol-
daten, die im ErstenWeltkriegvon den

FortsetzungSeite48

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