Neue Zürcher Zeitung - 04.08.2019

(Darren Dugan) #1

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Besser wäre es, die


Opern-Titelfigur


nicht na ch der Haut- ,


sondern nach der


Stimmfarbe


auszusuchen.


THOMA

S AURI

N / SALZBURGER FE

STSPIELE

Achtung,mythische
Figur: Medée
(Elena Stikhina)
wird gleich mitsamt
den zwei Kindern
zur Höllefahren.

MARCO BORELLI

/ SF

Diva assoluta: Die kristallbehangene Anna Netrebko als Adriana Lecouvreur.

3000


Mitarbeiter und
Künstlerzählen
die Festspiele im
Sommer.Während
des Jahres sind es
rund 210.

8


Tage bleibenFest-
spielgäste im Durch-
schnitt und geben
pro Tag 320 Euro
aus, Festspielkarten
(zwischen5und
440 Euro) nicht ein-
gerechnet.

35 000


Menschen sehenbis
am 31.August Hugo
von Hofmannsthals
«Jedermann» auf
dem Domplatz.

Salz burger
Festspiele

«Rekord», tuschelt man, offenbarwird das
Ergebnis von 2018 –97 Prozent Auslastung
und 30 Millionen Euro Einnahmen – mit den
237614 auf gelegten Karten übertroffen.
Keiner zweifelt, dass die 100.Festspiele im
Jahr 2020 noch gigantischerwerd en. Und
doch ist es erstaunlich,wie viel bei allem
Pomp hier im Kleinen passiert,wie still diese
Festspielewerd en, wenn imLandestheater
Valery Tscheplanowa achtzig Minuten lang
russischeTexte liest und Anatol Ugorski fein-
sinnig Klaviertöne beimischt.
Am gesuchtesten waren Karten für die
Premierevon Mozarts «Idomeneo»:Der ame-
rikanischeRegie-PunkPeter Sellars und Diri-
gentenguruTeodor Currentzis warenwie
2017 erneutvereint – und enttäuschten.
Es war jeneAufführung,von der auch
unser Pater sprach,wo der römischeMeeres-
gott Neptun dasLeben desKönigs durchein-
anderbringt,verlangt er doch nichtsweniger
als einMenschenopfer.Doch Sellars und sein
Bühnenbildner thematisieren mit riesenhaf-
ten Plastikbakterien lieber krampfhaft die
Klimaveränderung statt einesVater-Sohn-
Konfliktes. Dasgeht gründlich schief.


Mozart, der Buddhist


Gut, hat derFranziskaner-Pater da von nur
gehört und nicht auch noch dasProgramm-
buchgelesen,wo Ungeheuerlichesgeschrie-
ben steht: «Mozart hat in seinem Quartett die
buddhistischeLehre derVier edlenWahrhei-
ten über dasLeiden inMusik gesetzt.»Der
katholischeAufklärer Mozart und sein
römisch-katholischer Librettist Giambattista
Varesco – zwei Buddhisten? Traurig,wenn
durch Dramaturgengeschwätz dieWurzeln
abendländischerKultur vernebelt und kathe-
dralengrosseWerke durch die Brille eines
nichtigen Globalismus uminterpretiert
werd en. Und traurig auch,wie Dirigent
Teodor Currentzis um des Effekteswillen in
Salzburg mitMozart umspringen darf: da
drei, vier Ariengestrichen, da eine ergänzt,
da etwas aus einer anderen Oper hinzu-
gefügt. Besser wäre auch, die Titelfigur nicht
nach der Haut-(schwarz), sondern nach der
Stimmfarbe auszusuchen.
Wenn Sellars dann imBallettfinale über
fünfzehn Minuten einen Pas de deux aus
Samoa tanzen lässt, beginntrundum das


Gähnen. DieTänzer stammenvon einer
Insel, die ob des steigendenMeeresspiegels
untergeht. «DasBallett verorte ich in der
pazifischenKosmologie dort,wo wir die
Wiederkehrvon Moana feiern, der Ahnin,
der Lebensspenderin – oder den Raum zwi-
schen Erde und Himmel schliessen,
damit...», so das nochweit er gehende Blabla
des Choreografen.
Gewi ss: Danachwird diskutiert, was Oper
eigentlich kann, obKunst gesellschaftlichen
Wandel ermöglicht. Und sicher ist es hübsch,
wenn Salzburgs Intendant Markus Hinter-
häuser salbungsvoll sagt, dassKunst zur
Erziehung desHerzens beitrage. Aber zuerst
muss sie zumHerzen sprechen. Zuerst käme
die Arbeit amDetail, zuerst muss die Oper
bewegen – und nicht durch Erklärungen,
sondern direktvon der Bühne. Danach kann
immer noch derDeus ex Machina helfen.
Wasser predigen undWein trinken: Nicht
nur der Pater und dieRegisseurekennen es,
auch dieFestspielleiter. Trotz Klimaappell
werd en Künstler, ja ganze Orchester täglich
ein- und ausgefl ogen.Der Musikgott ist
Materialist. Abgas-Skandal-Audi ist Haupt-
sponsor («Die sindvor allem mit Elektro-
autos hier», so dieFestspielpräsidentin),
Globalisierungsriese Nestlé alsProjektspon-
sor auch dabei. DieFestspiele machen 183
Millionen Euro Umsatz, 129 Millionengeben
die Besucher aus.
Auch über die dritte Opernproduktion
hätte unser Pater vorerst gewettert – und
dann, nach einigemAugenzudrücken ob so
viel nackter Haut,vielleicht leiseFreude
gehabt: daran,wie sie scheiterte.
Brav dem Thema «Mythen» folgend, setzte
Intendant Markus Hinterhäuser neben
«Orpheus in der Unterwelt», «Idomeneo» und
«Oedipe» auch Luigi Cherubinis «Médée»von
1797 an: griechischerMythos,fremdeGötter!
Doch der in derSchweiz geboreneAustralier
Simon Stone trieb dem Stück mit seiner
hyperrealistischen Aktualisierung das letzte
Staubkorn Antike aus – und liess die sagen-
hafte Riesinnengestalt Medea zu einem billi-
gen B-Movie-Püppchenwerd en.
Nicht das kleinsteDetail einesHotels oder
eines Strip-Klubs ist in seinerRegie ausgelas-
sen. Und sogenau jedeRegung der Figuren
gezeigt wird, so leer und seelenloswirken
diese.Jeder Moment derReflex ion wird mit
Videos zerstört, dieMusik damitgeradezu
vergessen gemacht. Erstaunlich, dass da
weder der erfahrene Dirigent noch derFesti-
valintendant denRegisseur auf dieSeite
nehmenkonnte, um ihm zuzuraunen: «Mein
Lieber, lass mal gut sein.» DieRegisseure
sind die neuenGötter.
Mit einer Whatsapp-Nachricht beginnt das
Rachespiel («Schatz, wäre es schlimm,wenn

ich nicht insKonzertkomme?»), mit einem
halbwegs brennendenAuto an derTankstelle
endet es.Für die hübsch singende russische
Titelheldin Elena Stikhinawird der Abend
zum Triumph. Die beherzt spielenden
Wiener Philharmoniker unter der Leitung
von ThomasHengelbrockgehen in der Bil-
derflut unter. Schade um denAufwand.

Kein magischer Spiegel
Erstaunlich, dass dieBeschäftigung mit den
Mythen dazu führt, dass den Stücken jeg-
liche Erinnerung an einenGott oder seine
Vorläufer in der Antike ausgetriebenwird.
Einen «magischen Spiegel» sollFestspiel-
gründerHofmannsthal in denMythen
gesehen haben.Doch heuer ist da nur eine
flimmerndeLeinwand.
Zwischen «Idomeneo» und «Médée» sass
die Festspielgemeinde im GrossenFestspiel-
haus und erlebte ein denkwürdiges Diven-
Duell:Russlandgege n Georgien, Anna
Netrebkogege n Anita Rachvelishvili – oder
AdrianaLecouvreurgege n diePrinzessin di
Bouillon.Punktgleichheit zwischen Stalin-
orgel und Tiflisquelle, nach hartem Kampf,
fauchendenForti, zartsüssenPiani und gur-
gelndenMezz o-Strömen! Ein unbedeutender
Tenor kam dabei blutig unter die Räder.
Nur konzertantwurde Francesco Cileas
Oper «AdrianaLecouvreur»gege ben, aber
dieseProduktion war dreimal so dramatisch
wie «Idomeneo». Und funkelnd. An der
Netrebko glänzten imLaufe des Abends
141288 Swarovski-Steine – ein Sponsoring,

das keinemwehtut. Und doch: Als derEdel-
steinhersteller danach in die prächtigenSäle
der AltenResidenz lud, musste dasBesteck
der Diva raschweggeräumtwerd en, hatte sie
doch den Empfangvon Siemensvorgezogen.
Bis zur SparteSchauspiel sind dieMythen
vorerst nichtvorgedrun gen. Oder haben sie
das Theater bereits überwunden? Dasver-
sprach zumindest dasProgramm: «Gorkis
Sommergäste lassen sich als Antithese zur
mythologischen Erzählung lesen.» Aller-
dings lässt derRegisseur Evgeny Titov die
Charaktere schonungslos ihreSeelen auf die
Bühne schleudern: In Blut,Schweiss und
Speichelvereinen sich die Gäste zu einer
dröhnendenLawi ne fratzenhafter Figuren:
Saufen,Fressen, Ficken, so lautet ihr Credo.
Ob dieLebensträumerinWarwara von der
Lawi ne überrolltwird, bleibt offen.
Nichts für unserenFranziskanerpater, aber
in seinerPredigt hätte er durchaus erwähnen
können, dass sie «dortvorne» in einer hoch-
ästhetischen undfeinsinnigenRegiearbeit von
ThomasOstermeier auch Ödönvon Horvaths
«Jugend ohneGott» spielen.Der Pa ter wusste,
dass die einstigeSchullektüre äusserst aktuell
ist und trotz des Titels sehrwohl von Gott
erzählt. EinLehrer versucht um1935 gege n
ein totalitäresRegime anzureden und seine
ihn denunzierende Schulklasse in den Griff zu
bekommen.Ostermeier erzählt denRoman
ohne Aktualitätsbezüge.Jeder aber hört sie.
Und wasgeschieht im Stück am letztenTag?
Gott kommt. Zeit- und salzburggemäss
sprach derRegisseurvon einem Anti-Gott.
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