Die Welt Kompakt - 30.07.2019

(avery) #1

18 REPORT DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,30.JULI


D

eutschland, oder
vielmehr hauptsäch-
lich die Grünen, dis-
kutieren über die
Verteuerung von Flugtickets
und die Einschränkung von In-
landsflügen aus ökologischen
Gründen – aber bisher gibt es
kaum Protest dagegen. Das ist
erstaunlich.
Haben die Deutschen ausge-
rechnet beim Thema Reisen ihr
Verhalten geändert? Bisher gab
es doch regelmäßig Unmut,
wenn Politiker ins Alltagsver-
halten der Bürger eingreifen
wollten. Die Aufregung um den
„Veggie Day“ hatte es im Wahl-
kampf 2013 eindrucksvoll ge-
zeigt. Wollen die Wähler heute
also wirklich des Klimas wegen
auf liebgewonnene Vorteile ver-
zichten?

VON TORSTEN KRAUEL

Nein, noch nicht. Nur 23 Pro-
zent wollen nach einer
Deutschlandtrend-Umfrage aus
Umweltgründen künftig weni-
ger fliegen. Angesichts der De-
batte über den Klimawandel
scheint das ein überraschend
niedriges Ergebnis zu sein – ist
es aber nicht. Denn auch bei
diesem Thema kommen die
Einflüsse zum Tragen, die Ver-
haltensänderungen steuern.
Erstens sagen 63 Prozent, sie
flögen selten bis gar nicht. Die
persönliche Betroffenheit
durch das Thema ist also offen-
bar gering. Zweitens sagen ge-
rade die Jüngeren unter den
Vielfliegern, sie würden künftig
wohl eher noch mehr fliegen.
Der Nutzen ist vorerst zu groß,
um sich vom Fliegen zu verab-
schieden.
Das Gefühl, der Staat mische
sich manchmal ungebührlich in
Dinge ein, die ihn nichts angin-
gen, ist aber jederzeit neu
weckbar. Die Grünen haben es
gemerkt, als ihr Zweitstimmen-
anteil von 28 Prozent bei einer
Forsa-Umfrage im Spätsommer
2011 auf 8,4 Prozent bei der
Bundestagswahl zwei Jahre
später abstürzte – nicht zuletzt
wegen der Debatte über den
„Veggie Day“ in Kantinen.
Er war nur eine Anregung, im
Parteiprogramm stand weder
eine Pflicht zum Vegetariertag
noch gar die Absicht, ihn zum
festen wöchentlichen Menü-
punkt zu machen. Aber viele
Menschen glaubten, das Gras
wachsen zu hören. Die Assozia-
tionen reichten vom regelmäßi-
gen „Eintopftag“ der Nazis bis
zu den geläufigen Mutmaßun-
gen, „die da oben“ machten ein-
fach, was sie wollen.
Fehlende Sinnhaftigkeit, zu
großer Nutzen des Status quo,
Mutmaßungen über so teure
wie sinnlose Symbolakte der
Politik – Verbote und Anord-
nungen werden als Eingriff
empfunden, solange ein Be-
wusstseinswandel nicht stattge-
funden hat – oder der Bewusst-
seinswandel ein Tabu berührt,
das erst durchbrochen werden
muss. Das sieht man im Großen
genauso wie im Kleinen.

Im Kleinen: Der Demonstra-
tivraucher Helmut Schmidt
wurde für seinen offenen Wi-
derstand gegen das Rauchver-
bot mehr gefeiert als kritisiert;
die Zigarette wurde nahezu
sein Erkennungszeichen. Ihm
deswegen entgegenzutreten
oder gar anzukündigen, ihn vor
Gericht zu zerren, trauten sich
nur wenige – und die wirkten
prompt eher wie Querulanten
oder Rechthaber statt wie Ver-
fechter der Gesetzestreue. Wa-
rum war das so? Weil Schmidt
in unsicheren Zeiten Orientie-
rung geboten hatte.
Die verklärte Erinnerung an
seine Rolle in den unsicheren
70er-Jahren galt mehr als die
Gesetzesübertretung. Das
Rauchverbot wiederum erfüllte
die Bedingung, nicht zum Mas-
senaufreger zu werden. Es be-
traf nur eine Minderheit der
Deutschen, die anfänglichen
Ängste der Gastwirte vor einem
Ertragseinbruch hatten sich
nicht bewahrheitet, und viele
Menschen waren über das Ver-
bot sehr erleichtert. Die Vo-
raussetzung, dass es überhaupt
kam, war wiederum ein Be-
wusstseinswandel auf der poli-
tischen Linken. Sie hatte in den
70er-Jahren das Rauchen libera-
lisiert, zum Beispiel in den
Schulen, nachdem erste Verbo-

te es in Kinos, Theatern und
Zügen eingeschränkt hatten.
Rauchen war für manche eben
ein Freiheitsgebot.
Vor der Bundestagswahl 2017
hatten die Union und die SPD
große Angst davor, die von der
Deutschen Umwelthilfe im Ge-
folge der Abgasmanipulationen
der Autokonzerne eingeklagten
Dieselfahrverbote könnten das
Wahlergebnis drastisch ver-
schlechtern. Die Fahrverbote
hatten das Zeug zum Aufreger.
Die Wähler fühlten sich nicht
schuldig. Die Konsequenz der
Urteile – strecken- und stadt-
viertelbezogene Fahrverbote
ohne ersichtlichen Sinn und
Verstand – erfüllten die Krite-
rien misslungener Reformen,
unsinniger Symbolakte und des
staatlichen Eingriffs in das Ei-
gentums- und Persönlichkeits-
recht. Die Klimaschutzdebatte
bleibt vorerst eine Diskussion
ohne unmittelbare politische
Konsequenz.
Es ist unabsehbar, aber vor-
stellbar, was geschähe, wenn
der Kanon ökologischer Not-
wendigkeiten tatsächlich in An-
griff genommen würde – weite-
re Fahrverbote, die Einschrän-
kung von Fleischkonsum, die
spürbare Verteuerung von Feri-
enflügen und dergleichen mehr.
Dann könnte die Abwägung

persönlicher Alltagsnachteile
gegenüber einem verordneten
Gemeinwohl die Stimmung ge-
gen eine Individualisierung des
Klimaproblems beleben, beson-
ders in einer Rezession.
Ein Bewusstseinswandel
braucht praktische, klar sicht-
bare Erfolge im Alltag. Als 1950
der Koreakrieg ausbrach, der
Kalte Krieg auch in Deutsch-
land heiß zu werden drohte und
dies alles mit den anfänglichen
Preissteigerungen und den
Streiks bei der Einführung der
sozialen Marktwirtschaft zu-
sammenfiel – da war alles ande-
re als gewiss, dass die Bundes-
republik akzeptiert werden
würde. 1951 hatten nach einer
Allensbach-Umfrage nur 14 Pro-
zent von Ludwig Erhard eine
gute Meinung, 49 Prozent
nicht. Der materielle Erfolg der
Reformen änderte das sehr
schnell. Aber wenn er ausge-
blieben wäre?
Der Klimawandel gilt als wis-
senschaftlich gesichert. Aber
wissenschaftliche Gewisshei-
ten, die heute unumstößlich
und mit Namen wie Darwin,
Freud, Einstein verbunden
sind, mussten in wirtschaftli-
chen und politischen Krisenzei-
ten schwer erkämpft werden.
Ihre Akzeptanz war kein Selbst-
läufer, auch bei Einstein nicht.

Physiker und Agitatoren glei-
chermaßen traten gegen seine
Relativitätstheorie auf, Ein-
steins Nähe zu linken, auch
kommunistischen Gruppen
verschleierte für nicht wenige
den Blick auf seine Leistung.
Die unsichere Weimarer Repu-
blik bot viele Foren für Ver-
schwörungstheorien. Einstein
bekam es zu spüren.
Seit bald 60 Jahren sind Um-
weltrisiken ein Thema. Die Ex-
pedition Thor Heyerdahls mit
dem Auslegerbootnachbau
„Kon-Tiki“ 1947, der Erfolg der
Tierfilme von Bernhard Grzi-
mek oder Jacques Cousteau,
Bücher wie „Der stumme Früh-
ling“ der Amerikanerin Rachel
Carson von 1962 über das Vo-
gelsterben durch Pflanzen-
schutzmittel waren allesamt
Vorboten einer Neubesinnung
auf Natur und Einfachheit mit-
ten im Wirtschaftswunder.
Willy Brandt (SPD) sagte im
Bundestagswahlkampf im April
1961: „Erschreckende Untersu-
chungsergebnisse zeigen, dass
im Zusammenhang mit der Ver-
schlechterung von Luft und
Wasser eine Zunahme von Leu-
kämie, Krebs, Rachitis und
Blutbildveränderungen sogar
schon bei Kindern festzustellen
ist. Es ist bestürzend, dass eine
Gemeinschaftsaufgabe, bei der
es um die Gesundheit von Mil-
lionen Menschen geht, bisher
fast völlig vernachlässigt wur-
de. Der Himmel über der Ruhr
muss wieder blau werden.“
Es dauerte trotzdem Jahr-
zehnte, bis sich jetzt vielleicht
eine ökologische Mehrheits-
meinung herausbildet. Forsa-
Chef Manfred Güllner schrieb
1983 über die Grünen: „Da ihre
eigene Werthaltung wirtschaft-
liche Güter gering einschätzt,
brauchen sie bei ihren Aktionen
auch keine Rücksicht auf solche
Werte zu nehmen: Verkehrsbe-
hinderungen, Sachzerstörun-
gen, Gefährdung von Arbeits-
plätzen sind logische Folgen
dieses Wertesystems.“ Das war
lange Zeit die Mehrheitsmei-
nung über diese Partei.
Wird sie es noch einmal, und
nicht auf die Grünen be-
schränkt, falls die Politik einen
Katalog von Zwangsmaßnah-
men und Verboten entwickelt
und sich die Annahme als irrig
herausstellt, jetzt seien die
Menschen reif dafür? Ausge-
schlossen ist das nicht. Nur we-
nige wollen sich von der Politik
umerziehen lassen, wenn nichts
Besseres an die Stelle tritt oder
die Folgekosten zu hoch sind.
Das gilt ja sogar für manche
Grüne, die den Widerstand ge-
gen die von ihrer eigenen Partei
vor 20 Jahren popularisierten
Windparks anführen.
Mit Verboten die Welt ret-
ten? Ein unmittelbarer Zuge-
winn praktischen Nutzens im
Alltag muss klar erkennbar die
Folge sein. Sonst gibt es, Klima
hin oder her, keine Mehrheiten
dafür – nach dem Motto: Sollen
doch die Amerikaner oder Chi-
nesen erst mal bei sich anfan-
gen.

WELT INFOGRAFIK

Wann die Deutschen


reif sind für Verbote


Grüne und Klimaaktivisten wollen Inlandsflüge überflüssig


machen – von Verteuerungen und Flugscham ist die Rede.


Wie groß kann die Bereitschaft werden, da mitzumachen?


Ein Blick auf vergangene Verbotsdebatten gibt Aufschluss


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