22 KULTUR DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,30.JULI2019
F
ür einige Zeit sind sie
zu dritt. Alexander
von Humboldt, Aimé
Bonpland und Caca-
jao, wie die Eingeborenen an
der venezolanischen Missions-
station das winzige Schwarz-
kopfäffchen nennen. Humboldt
kauft es ihnen ab, auf einen sei-
ner Zettel schreibt er: „Der
Kopf eines Kindes, aber die
Physiognomie eines alten Ne-
gers.“
VON MICHAEL PILZ
Cacajao turnt auf Hum-
boldts Haupt herum und zieht
den Forscher an den Haaren,
Tieren gegenüber ist der Affe
umso schreckhafter und ängst-
licher. Dann stirbt er auf dem
Orinoco. Humboldt trauert
und schreibt seinen Nachruf:
„Der Regen bei den Raudales,
die stechende Sonne in May-
puré, Stürze beim Spiel, die
Ungeschicklichkeit des Caca-
jao, eine von Papaya verursach-
te Magenverstimmung können
die Ursache seines Todes gewe-
sen sein. † im Mai 1800 in Cari-
chana.“ Dazu zeichnet er sei-
nen verstorbenen Freund mit
Bleistift, wie der magere Affe
skeptisch in die Welt schaut
und verzweifelt seine Ärmchen
hebt. Nach Humboldts Heim-
kehr wird die Skizze von einem
Berufstiermaler mit Feder und
Tinte abgepaust und koloriert,
der Kupferstich erscheint in
den „Beobachtungen aus der
Zoologie und vergleichenden
Anatomie“. Das Schwarzkopf-
äffchen wird zu Humboldts
zweitwichtigstem Kunstwerk,
wobei Biologen nie ganz glück-
lich damit wurden.
Biologen fürchten nichts so
sehr wie das Vermenschlichen
von Tieren. Sie befassen sich
mit der Natur als Wissenschaft,
Kultur ist nicht ihr Fach. Was
Humboldt, einer ihrer größten
Geister, ärgerlicherweise im-
mer anders sah: Bei seinen Vor-
lesungen in den 1820ern in der
Berliner Singakademie be-
schwor er die „Natur als Gan-
zes“. Er erklärte auch, wie sie
der Mensch als „Einheit“ sehen
lernte. Indem er die Welt berei-
ste, von den Feldzügen Alexan-
ders des Großen über die Er-
oberungskriege der Araber
nach Westeuropa und der Spa-
nier nach Amerika bis zu Bil-
dungsweltreisenden wie James
Cook. Er war einer von ihnen.
Humboldt reiste um die Welt
und zeichnete. Er war kein
Kriegs- und Kolonialherr mehr,
sondern ein Künstler der Er-
kenntnis.
Anlässlich seines 250. Ge-
burtstages im September veröf-
fentlicht die Wissenschaftliche
Buchgesellschaft in Kooperati-
on mit der Berliner Staatsbi-
bliothek „Das zeichnerische
Werk“ mit seinem anrührenden
Schwarzkopfäffchen auf dem
Titel. Noch berühmter wurde
sein „Naturgemälde der Tro-
pen“, Humboldts Zeichnung
der Vegetationszonen am
Chimborazo im heutigen Ecua-
gitalen Werkzeugen. Sie ist ge-
fährdet, seit die Wissen-
schaften sich entweder der Na-
tur oder dem Geist zuwenden
und der Geist die Kunst für sich
beansprucht. Als wäre die Wis-
senschaft nicht immer das Be-
mühen gewesen, die Natur im
Geiste abzubilden.
Aristoteles soll unentwegt
gezeichnet haben – was im Mit-
telalter mit seinen schemati-
schen und heilsgeschichtlichen
Menschen- und Tierdarstellun-
gen in Vergessenheit geriet. Die
Renaissance brachte wieder de-
tailgetreue Bestiarien hervor,
Leonardos Zeichnungen und
Dürers Feldhasen, Gräser und
Blauracken. Über die Denkbil-
der von Leibnitz und die
Schmetterlinge von Maria Si-
bylla Merian kommt man zu
Humboldt und von Humboldt
wiederum zu Darwin, der über
die Diagramme seiner Stamm-
bäume den alten Spruch setzte:
„Ich denke!“ Der Imperativ der
Aufklärung als Abbitte für alles,
was die Abspaltung von Leib
und Seele, von Natur und Geist
(oder Kultur) im Denken ange-
richtet hat. In seinem „Kos-
mos“ schreibt Humboldt zur
Landschaftsmalerei: „Der Be-
griff eines Naturganzen, das
Gefühl der Einheit und des har-
monischen Einklanges im Kos-
mos werden umso lebendiger
unter den Menschen, als sich
die Mittel vervielfältigten, die
Gesamtheit der Naturerschei-
nungen zu anschaulichen Bil-
dern zu gestalten.“
Wie er es nach Kräften tat:
Nicht nur weil es in Südamerika
zu warm war und der Weg zu
weit, um unbekannte Vögel und
Amphibien, Reptilien und Säu-
getiere (viele wären auch zu
groß gewesen) für naturkundli-
che Sammlungen der Alten
Welt zu präparieren und zu
konservieren – auch weil er es
konnte und die Schöpfung da-
durch besser sah, skizzierte
Humboldt unablässig seine
Umwelt. Kletterwelse, Faultie-
re und Seekühe, die anatomi-
schen Sensationen von Amei-
senbären, Lamas und Graupa-
pageien. Später wurden seine
Zitteraale, deren Stromstöße er
an sich selbst testete, und die
Piranhas in dekorative Tafeln
übertragen und in Lehrbücher
gedruckt – wie der später nach
ihm benannte Pinguin.
Er selbst benutzte im mobi-
len Einsatz weichere und härte-
re Grafitstifte und stationär Fe-
der und Tusche. Pflanzen
tauchte er in Tinte und presste
sie zu geheimnisvollen Druc-
ken. Auffallend sparsam ging er
mit seinen Papiervorräten um,
er zeichnete und kritzelte die
letzten leeren Ecken voll und
klebte ungenutzte Schnipsel
aneinander. Offenbar war ihm
sein Nachruhm weniger wichtig
als das Zeichnen. Es ging weni-
ger um ihn als um die Wissen-
schaft, er war der große Gegen-
Goethe seiner Zeit.
Die grafisch ausgeführten
Bilder sind konkret bis ins De-
tail jeder Piranhaschuppe. Als
wäre das nicht genug, steht,
weil es fast zu schön wirkt, als
Beleg häufig ad. nat.darunter,
soll heißen: ad naturam. Jedes
Bild nach der Natur ist aber
auch immer die Abstraktion je-
ner Natur. Bereits auf dem At-
lantik, auf der Reise nach Ame-
rika mit der „Pizarro“, zeichnet
Humboldt eine Karte der Kana-
ren mit ihren Vulkanen, geolo-
gischen Profilen und Tempera-
turen. Gleiche Temperatur-
punkte verbinden sich in seinen
topografischen Entwürfen zu
gestauchten Kreisen und amö-
benartigen Ovalen über seinen
Landschaftsumrissen, zu Iso-
thermen. Humboldt stellt die
ersten Klimadiagramme auf,
ein früher Klimaforscher. Alles
hängt bei ihm zusammen: die
ornamentalen Zellulosezellen
der Agaven, die verschiedenen
Schnabelformen der unzähli-
gen Vogelarten, die Vulkanbö-
den, das Wetter und der
Mensch. Die Demut, die sich
einstellt, wenn der künstleri-
sche Wert der Schöpfung auf
seinem Papier erscheint, macht
Humboldt zu einem der ersten
Ökologen und Naturschützer.
Die Bilder hauen einen noch
200 Jahre später um. Die welt-
berühmten aus den Büchern
wie die kaum bekannten aus
seinen „Kollektaneen“ zum
„Kosmos“, seinem rätselhafter-
weise bilderlosen Buch des gro-
ßen Ganzen: „Selbst wenn man
die besten Beschreibungen der
Andenkordillere, der Schweizer
Alpen, des Kaukasus und der
versunkenen Trapp-Kette der
Südsee liest, so wird diese Lek-
türe doch niemals die Ideen
hervorbringen, die der Anblick
geognostischer Karten ge-
währt“, schreibt Humboldt in
seinem „Essay der Pasigrafie“,
der Sprache der Symbole. Ge-
ognosis ist nichts anderes als
der Glaube an die Göttlichkeit
der Erde, der Natur. Es ist der
Anfang der agnostischen Mo-
derne. Die Kultur hat er natür-
lich auch gezeichnet. Sonnen-
steine, Pyramiden, Menschen
in ihrer natürlichen Umgebung.
Nie gezeichnet hätte Hum-
boldt die ihm zugeschriebenen
Reisebilder wie das „Affenmahl
vom Orinoco“, das ein Grafiker
nach seinen Skizzen inszeniert
und angefertigt hat. Mit weißen
Männern, Humboldt und Bonp-
land, die würdevoll zivilisiert
mit Anzug und Zylinder zuse-
hen, wie die Barbaren in den
Kolonien ihre Äffchen grillen
und darüber den aufrechten
Gang verlernen und wieder zu
Affen werden. Humboldt war,
wie hätte es auch anders sein
können als kultivierter Kenner
der Natur, ein überzeugter
Menschenfreund. Ein Gut-
mensch, wie man heute sagen
würde, ein Ästhet. Den Satz aus
seinem „Kosmos“ kann man für
die Ewigkeit so stehen lassen:
„Das Auge ist das Organ der
Weltanschauung.“
Nach ihm sind nicht nur
Gymnasien, ein neues Stadt-
schloss und ein Pinguin be-
nannt. Sein letztes Kunstwerk
stammt von 1858: Ein Botaniker
schenkt ihm zum 89. Geburts-
tag eine einzellige Alge mit dem
Namen Staurocystis humboldtii.
Er zeichnet sie, um sie sich zu
vergegenwärtigen. Vielleicht
aber auch einfach so, weil er
nicht anders kann.
TAlexander von Humboldt:
Das zeichnerische Werk.
Herausgegeben von Dominik
Erdmann und Oliver Lubrich.
wbg Edition, 432 S., 100 €.
ALEXANDER VON HUMBOLDT: DAS GRAPHISCHE GESAMTWERK. HERAUSGEGEBEN VON OLIVER LUBRICH./DARMSTADT/ LAMBERT SCHNEIDER 2014. (2)
Bildereiner Aufklärung
Er übersetzt die Phänomene der Natur in eine Zeichensprache
der Kultur: Zum 250. Geburtstag Alexander von Humboldts
versammelt ein Bildband alle seine Zeichnungen und Grafiken
Humboldts berühmtestes
Bild: „Naturgemälde der
TTTropen“ (o.), eine Infografikropen“ (o.), eine Infografik
der Andenvegetation, sowie
schwimmende Wesen
dor. Wer es genau betrachtet
und botanisch heute mehr
weiß, als der Künstler damals
wissen konnte, sieht die Fehler,
Gräser stehen an der falschen
Stelle, aber sein Tableau ist
auch schon mehr als nur ein Ab-
bild der Natur. Es ist eine der
ersten Infografiken. Ein Bild
der Welt. Der Künstler über-
setzt die Phänomene der Natur
in eine Zeichensprache der Kul-
tur wie ein Schamane.
Schon der kleine Alexander
zeichnete die Landkarten von
Ptolemäus ab, kopierte alte
Meister mit Radiernadel und
Rötelstift und wurde an der
Bergakademie in Freiberg nicht
nur in der Mineralienanalyse
unterwiesen, sondern auch im
detaillierten Abbilden der Din-
ge, die er sah. Schon seine frü-
hen Studien der in den Stollen
der sächsischen Berge unterir-
disch wachsenden Pflanzen ste-
hen in der Tradition der illu-
strierten Wissenschaftslitera-
tur, die damals gerade erst be-
gründet wurde. Kinder zeich-
nen, es ist die natürliche und
kulturelle Aneignung der Welt,
noch vor dem Schreiben.
Die Kulturtechnik ver-
schwindet nicht erst mit den di-
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