Die Welt Kompakt - 30.07.2019

(avery) #1

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,30.JULI2019 REISE 25


lässt das Boot zu Wasser, irgend-
wo am Ufer der Ache in der Nähe
des Örtchens Kössen. Hier fließt
der Fluss im breiten Bett dahin,
perfekt, um Stefans Kommandos
zu üben und rechts oder links die
Paddel ins Wasser zu tauchen
und kräftig durchzuziehen.
Kaum klappt das, sorgen passend
die ersten Wasserwirbel und
Felsabsätze für Dynamik.
Die Ache wird nun schmaler
und schmaler und gräbt sich im-
mer tiefer ins Gelände hinein. Zu
beiden Seiten wachsen Wände in
die Höhe, teils bewaldet, teils aus
nacktem Fels. Selbst wenn heute
die Sonne schiene, fände sie
kaum den Weg in diese Riesen-
felsspalte, an deren Grund ein-
sam die Schlauchboote in mitun-
ter wildem Zickzack das schäu-
mende Wasser kreuzen.
Zwei Kurven weiter beruhigen
sich die Fluten, das Schlauchboot
gleitet plötzlich ruhig dahin, über

die grüne Grenze weiter nach
Deutschland. Der abgedroschene
Begriff „unberührte Natur“
drängt sich hier auf: Bis auf das
Plätschern des Wassers herrscht
Stille, die Kulisse erinnert an ei-
nen Fantasyfilm, vor allem mit
den langsam aufsteigenden Ne-
belschwaden über dem Wasser.
Am Nachmittag hat sich wie-
der die Sonne durchgesetzt. Die
Landschaft präsentiert sich spek-
takulär, der Fluss ist wieder for-
dernd angeschwollen. Auf dem
Programm steht eine Badepause,
die angesichts des wirbelnden
Wassers aber nicht alle aus der
Gruppe nutzen.
Weiter flussabwärts, im Natur-
schutzgebiet Tiroler Achendelta,
wirkt das wilde Gebirgsgewässer
eher wie eine Versammlung still
ruhender Seen. Zwischen
den Chiemsee-Orten
Übersee und Gra-
benstätt schüttet
er sein gesam-
meltes Ge-
schiebe – von
Kälte ge-
sprengtes
Felswerk aus
den Kalkalpen,
Kies und feines
Sediment – in
den Chiemsee. Da-
durch entsteht neues
Land, auf dem sich Auwäl-
der aus Weiden, Eschen, Erlen
und Eichen ansiedeln, wo Biber,
Wasserfledermaus und Eisvogel
wohnen. Rund 310.000 Kubikme-
ter Fracht bringt der Fluss jähr-
lich ein und schafft damit auf
dem See die Fläche von 1,5 Fuß-
ballfeldern Neuland. Anders ge-
sagt: Von Jahr zu Jahr wird der
Chiemsee kleiner.
„Noch vor 100 Jahren versuch-
te man, dem Chiemsee Land ab-
zutrotzen für den Ackerbau.
Heute jammert man darüber,
dass er verlandet“, sagt Stefan
Kattari, der Macher einer
Sonderausstellung zur Ache im
örtlichen Museum in Grassau.
Denn die Ache sei „nur auf den
ersten Blick ein ganz normaler
Gebirgsfluss, der im Frühjahr
manchmal bedrohliches Hoch-
wasser hat, aber dafür im Som-
mer zum Baden und Grillen ein-
lädt“. Auf den zweiten Blick sieht
man, dass der Fluss dynamischer
ist als die meisten in Mittel-
europa. Die Dynamik blieb weit-
gehend erhalten, weil niemand
ein Stauwerk baute oder versuch-
te, den Fluss für Bootsverkehr
oder Siedlungspläne zu regulie-
ren oder zu kanalisieren. So gibt
es hier noch die in Europa selten
gewordenen Kiesbänke, die bei-
spielsweise dem Flussregenpfei-
fer passende Laichplätze bieten.
Pläne, Hand an den Fluss zu le-
gen, gab es durchaus. Doch die
Idee für ein Wasserkraftwerk
blieb dann doch stecken in
Grenzstreitigkeiten zwischen
Österreich und Bayern – ein
Streitfall, der zum Glücksfall für
die Natur wurde.
Deshalb kann die Ache tun,
was ein naturbelassener Fluss so
tut: Im Frühjahr mit dem
Schmelzwasser aus den Bergen
das Achendelta am Chiemsee

kräftig fluten und damit Chan-
cen für einen Auwald und dessen
WWWachstum zu schaffen. Der offi-achstum zu schaffen. Der offi-
zielle Name der Ache lautet –
auch in Deutschland – Tiroler
Achen, weil sie den Großteil ih-
rer 79 Kilometer zwischen Ur-
sprung im Salzburger Land und
Mündung im Chiemsee durch
Tirol fließt.
Am Chiemsee begleitet Natur-
führer Peter Nentwig Gruppen
durch den grünen Mix aus
Eschen, Weiden, Erlen, Pappeln
und Eichen. „Nadelbäume kön-
nen keine nassen Füße ab, Bu-
chen auch nicht“, erklärt er de-
ren Fehlen. Das Achendelta gilt
als eines der letzten funktionie-
renden Binnendeltas in Mitteleu-
ropa und steht seit 1954 unter
Naturschutz. Hier siedeln sich
auch allerlei tieri-
sche Flüchtlin-
ge an, deren
Lebensraum
bedroht ist:
Wasserfleder-
maus, Schnel-
lente oder
Haubentau-
cher. Dazu ge-
deihen Sibiri-
sche Schwertlili-
en und eine über
100 Jahre alte fünf-
armige Pappel. Nur die
Malermuschel, die einst die
Chiemsee-Künstler verwende-
ten, um Farbe zu mischen, ist fast
verschwunden. Die aus dem
Schwarzen Meer eingeschleppte,
ziemlich dominante Zebramu-
schel machte ihr den Garaus.
AAAls der Chiemsee-Gletscherls der Chiemsee-Gletscher
den See vor etwa 12.000 Jahren
aushobelte und dieser sich sodann
mit Gebirgswasser füllte, maß die
tiefste Stelle im See 240 Meter.
„Heute ist er nur noch so tief wie
der Kirchturm in Übersee – 73 Me-
ter“, sagt Nentwig. Damit ist etwa
Halbzeit auf dem Lebensweg des
Chiemsees. „In etwa 8000 Jahren
wird die Ache in die Alz – heute
der Abfluss des Chiemsees, auf
dem man klasse Kajak fahren kann


  • fließen. Nur um die Inseln Her-
    renchiemsee und Frauenchiemsee
    wird noch eine kleine Wasserflä-
    che übrig bleiben“, prophezeit
    Stefan Kattari.
    Ein bisschen schade ist die
    Vorstellung schon, dass vom
    Chiemsee irgendwann nur noch
    ein größerer Tümpel übrig sein
    soll. Zu schön ist doch die Aus-
    sicht auf das erfrischende Was-
    ser, auf die vielen Schwimmer,
    die vom Ufer und von Holzste-
    gen in das Nass hüpfen, auf die
    Stand-up-Paddler und die
    Segelbootparade in der Mitte des
    Sees, auf die Feldwieser Strand-
    bar mit Liegestühlen und
    Schirmchendrinks. Aber wirklich
    grämen muss sich heute nie-
    mand: Ungefähr bis zum Jahr
    10.019 wird man den Chiemsee ja
    noch genießen können.


TDie Teilnahme an der Reise
wurde unterstützt von Chiem-
gau Tourismus. Unsere Stan-
dards der Transparenz und jour-
nalistischen Unabhängigkeit
finden Sie unter http://www.axelsprin-
ger.de/unabhaengigkeit

KKKaum einer der Badenden ahnt, aum einer der Badenden ahnt,
dass der Chiemsee immer kleiner wird,
weil die Ache unentwegt Gestein und
Geröll in den See schiebt

PICTURE ALLIANCE / PAUL MAYALL

Anreise Mit dem Auto über
die A8 München–Salzburg.
Mit dem Zug via München
nach Prien oder Bernau am
Chiemsee.

UnterkunftNeu im ländli-
chen Stil ist das „Alpenhotel
Dahoam“ in Schleching, DZ/F
ab 98 Euro, http://www.alpenhotel-
dahoam.de. Direkt am See
liegt der „Chiemgauhof“ in
Übersee, DZ/F ab 130 Euro,
http://www.chiemgauhof.com.

Wasser erleben Rafting-
touren bietet Sport Lukas in
Schleching, http://www.sportlukas-
.de. Stand-up-Paddling hat
Chiemsee-Kaufmann im
Programm, http://www.chiemsee-

kaufmann.de. Kajakfahrt auf
der Alz ab Seebruck,
http://www.kajakverleih-chiem-
see.de. Naturführungen ver-
mittelt die Chiemsee-Agen-
da, http://www.naturerlebnis-
chiemsee.de.

AuskunftChiemgau Touris-
mus, http://www.chiemsee-chiem-
gau.info

Tipps und Informationen

Muendungsdelta der Tiroler
Ache in den Chiemsee

GETTY IMAGES/STOCK4B-RF

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DEUTSCHLANDDEUTSCHLAND
BAYERNBAYERN

ÖSTERREICHÖSTERREICH

Augsburg

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RosenheimRosenheimRosenheim

MünchenMünchenMünchen

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sich die Fluten, das Schlauchboot

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