Handelsblatt - 30.07.2019

(Nandana) #1

Dana Heide Berlin


K

aum ein Brüsseler Ge-
setzesvorhaben hat die
Gemüter in der Wirt-
schaft so erregt wie die
Europäische Daten-
schutz-Grundverordnung (DSGVO).
Sogar ein Kinofilm wurde gedreht da-
rüber, wie jahrelang um die europa-
weit einheitlichen Regeln zum Schutz
der Privatsphäre in Brüssel gerungen
wurde. Titel: „Im Rausch der Daten“.
Seit rund einem Jahr ist die DSGVO
nun in Kraft – und ruft bei Unterneh-
men weiter Ärger hervor.
Im Jahr 2020, so hatten es die Mit-
gliedstaaten verabredet, soll die EU-
Kommission das Regelwerk umfas-
send bewerten – und Vorschläge ma-
chen, was verändert werden soll.
Vergangene Woche hatte die Kom-
mission eine erste Bilanz gezogen.
Justizkommissarin Vera Jourova sah
zwar noch große Rechtsunsicherheit
bei den Unternehmen und stellte
neue Gelder für Aufklärungskampa-
gnen in Aussicht, insgesamt fiel das
Resümee aber positiv aus.
Die deutsche Wirtschaft sieht hin-
gegen größeren Nachbesserungs -
bedarf. Anhand einer Umfrage unter
seinen Mitgliedern hat der Deutsche
Industrie- und Handelskammertag
(DIHK) eine ganze Liste an Vorschlä-
gen aufgestellt, wo das Regelwerk
geändert werden sollte. Das sechs-
seitige Papier liegt dem Handelsblatt
vor.
„Die EU-Datenschutz-Grundver-
ordnung bringt den Unternehmen
bislang leider mehr Nachteile als Vor-
teile“, sagt DIHK-Präsident Eric
Schweitzer. Laut der Umfrage des
Verbands unter rund 4 500 Unter-

nehmen aller Branchen und Größen-
ordnungen klagen fast 90 Prozent
der Unternehmen über zu viel Büro-
kratie bei der Umsetzung der Daten-
schutzregeln. 70 Prozent sagen, dass
sie einen hohen bis sehr hohen finan-
ziellen Aufwand haben, und 60 Pro-
zent klagen über einen hohen bis
sehr hohen personellen Aufwand.
„Zwar ist es grundsätzlich sinnvoll,
das Datenschutzrecht im EU-Binnen-
markt anzugleichen“, erklärt
Schweitzer. In der Realität legten die
einzelnen Länder die Regeln aber oft
unterschiedlich aus, „und zwar in
Deutschland meist strenger als in an-
deren Ländern“. Die daraus entste-
hende Rechtszersplitterung verunsi-
chere viele Unternehmen und sorge
für Wettbewerbsnachteile, kritisiert
Schweitzer. Auch der Arbeitgeberver-
band BDA und der Bundesverband
der Deutschen Industrie klagen über
eine hohe Rechtsunsicherheit, die
durch die neuen Datenschutzregeln
entstanden ist.
Einige Unternehmen hätten in der
DIHK-Umfrage angegeben, so heißt
es in dem Papier, dass sie wegen der
neuen Anforderungen oder aus Angst
vor Abmahnungen ihr Geschäftsmo-
dell angepasst oder gar aufgegeben
haben.
Tatsächlich ist die Anzahl der ge-
meldeten Datenschutzverstöße seit
dem Start der DSGVO massiv gestie-
gen. Allein beim Bundesbeauftragten
für den Datenschutz sind laut eige-
nen Angaben zwischen Mai 2018 und
April 2019 rund 15 000 Beschwerden
und Meldungen von Datenschutzver-
stößen eingegangen – eine Verdreifa-
chung im Vergleich zum Vorjahr.

Auch der Datenschutzbeauftragte
Ulrich Kelber hatte gemahnt, dass die
Evaluation des Regelwerks durch die
EU-Kommission dazu genutzt werden
sollte, auch „unnötige Bürokratie“ zu
überprüfen.
Insbesondere kleine und mittel-
ständische Unternehmen sollten von
komplizierten Informations- und Do-
kumentationspflichten stärker befreit
werden, fordert der DIHK. Aufsichts-
behörden sollten Unternehmen mit
Checklisten, Leitlinien und Muster -
dokumenten unterstützen.
Die DSGVO hatte das Recht von
Bürgern gestärkt, zu erfahren, wel-
che Daten ein Unternehmen über sie
speichert. „Unternehmen sehen sich
bereits jetzt mit umfangreichen Aus-
kunftsansprüchen konfrontiert“,
heißt es in dem Positionspapier des
Verbands.
Die Wirtschaft fühlt sich gegenüber
den Bürgern, deren Datenrechte ge-
stärkt wurden, benachteiligt. „An-
wendungen wie Big Data oder auch
im Rahmen von Künstlicher Intelli-
genz bereiten insbesondere Unter-
nehmen, deren Geschäftsmodelle al-
lein in der Verarbeitung von Daten
bestehen, erhebliche Schwierigkei-
ten“, heißt es in dem Papier.
Erst Ende Juni hatte die Große Ko-
alition bei ihrem Zweiten Daten-
schutzanpassungsgesetz Erleichte-
rungen für die Wirtschaft erlassen.
Mit dem Gesetz wurde der Schwel-
lenwert angehoben, ab dem Betriebe
einen Datenschutzbeauftragten be-
stellen müssen. Im Mai hatte die Bun-
desregierung zudem ein Gesetz be-
schlossen, das Abmahnmissbrauch
verhindern soll.

DIHK-Erhebung


Kritik an Datenschutzregeln


Die deutsche Wirtschaft kritisiert die Europäische Datenschutzverordnung als


zu kompliziert und fordert zahlreiche Nachbesserungen.


Unternehmerin im
Kundengespräch:
Kleine Firmen sollten stär-
ker von Dokumentations-
pflichten befreit werden.

http://www.plainpicture.com

Die EU-


Datenschutz -


Grundverord -


nung bringt


Unternehmen


bislang mehr


Nachteile


als Vorteile.


Eric Schweitzer
DIHK-Präsident

Datenschutz


EuGH bremst


Facebooks


Sammelwut


Frank Specht Berlin


E


in Sieg für den Datenschutz
oder zusätzliche Bürokratie
für Webseitenbetreiber? Das

Urteil des Europäischen Gerichtshofs


(EuGH) zum „Like“-Button von Face-


book spaltet die Netzgemeinde.


Die Luxemburger Richter haben


am Montag entschieden, dass Inter-


netseiten, die den „Like“-Button ent-


halten, mitverantwortlich sind, wenn


Daten an das soziale Netzwerk über-


tragen werden. Im konkreten Fall


ging es um die Seite des Online-Mo-


dehändlers Fashion ID. Sie übermit-


telt über den Button die IP-Adresse,


die Webbrowser-Kennung sowie Da-


tum und Zeit des Aufrufs an Face-


book, selbst wenn der Nutzer den


Button gar nicht betätigt oder kein


Facebook-Konto hat. Die Verbrau-


cherzentrale Nordrhein-Westfalen


sieht darin einen Verstoß gegen Da-


tenschutzregeln und hatte geklagt.


Über das Oberlandesgericht Düssel-


dorf landete der Fall beim EuGH.


Der urteilte nun, dass Fashion ID


zwar nicht für die Verarbeitung der


Daten durch Facebook verantwort-


lich gemacht werden könne, wohl


aber für die Erhebung und Übermitt-


lung. Der „Gefällt mir“-Button habe


Fashion ID ermöglicht, Produktwer-


bung zu optimieren. Um in den Ge-


nuss dieses Vorteils zu kommen, ha-


be der Modehändler zumindest still-


schweigend in die Datenerhebung


und Übermittlung an Facebook ein-


gewilligt. Dies gehe aber nicht, ohne


die Besucher der Webseite über die


Weitergabe zu informieren, entschie-


den die Richter.


Der IT-Branchenverband Bitkom


kritisierte, der EuGH bürde Tausen-


den Webseitenbetreibern vom klei-


nen Reiseblog bis zum Online-Mega -


store zusätzliche Bürokratie auf,


wenn sie künftig ausführlich über


den „Like“-Button informieren müss-


ten. Zudem sei der Nutzen fraglich:


Schon jetzt nähmen Informationen


zu Cookies, die Datenschutzerklä-


rung und die Geschäftsbedingungen


großen Raum auf Webseiten ein,


würden aber von den allermeisten


Nutzern nur noch formal zur Kennt-


nis genommen.


Dagegen sprach die klagende Ver-


braucherzentrale NRW von einer


Stärkung des Datenschutzes „mit Sig-


nalwirkung“. Denn das Urteil betrifft


nicht nur den Facebook-Button, son-


dern auch ähnlich funktionierende


Plug-ins etwa von Twitter oder


Linked In. Der Fall geht nun zurück


zum Oberlandesgericht Düsseldorf,


das entscheiden wird, ob eine aus-


drückliche Einwilligung der betroffe-


nen Nutzer erforderlich war.


Facebook-Daumen: Der EuGH hat
das Netzwerk im Visier.


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Wirtschaft & Politik
DIENSTAG, 30. JULI 2019, NR. 144

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