Handelsblatt - 30.07.2019

(Nandana) #1

Votum


Aled Griffiths
ist Chefredakteur
beim Juve Verlag.

Schwerer


Stand


H


amburg war immer
ein schwieriges Pflas-
ter für Kanzleien, die
dort neu eröffneten. Dabei ha-
ben die Klischees über Ham-
burg in Wahrheit eine gemein-
same Grundlage: Die Wurzeln
der führenden Kanzleien rei-
chen bis ins 19. Jahrhundert
zurück. Die hanseatische Busi-
ness-Community ist somit eng
verwoben und schwer zu
durchbrechen. Eine von Fami-
lienunternehmen dominierte
Wirtschaft bietet nicht viele
Möglichkeiten für Mandate, in
denen neue Kanzleien zum Zu-
ge kommen.
Von den zehn führenden
Kanzleien in Hamburg sind es
nur DLA Piper und Allen &
Overy, die es geschafft haben,
sich über einen relativ langen
Zeitraum zu halten. Wenn also
eine Kanzlei wie Gleiss Lutz in
Hamburg in Schwierigkeiten
gerät, spotten hanseatische
Anwälte schnell, dass ihre Fes-
tung sicher sei. Gleiss eröffne-
te 2010 durch eine Fusion mit
einer lokalen Boutique, wurde
aber nie ausreichend in die
Kanzlei als Ganzes integriert,
und obendrein kehrten drei
Partner der Kanzlei im vergan-
genen Jahr den Rücken.
Für eine Sozietät wie Gleiss,
deren Stabilität fast mythische
Ausmaße angenommen hat,
waren die Entwicklungen an
der Elbe schwierig. Die Wett-
bewerber bezweifeln, dass die
Pläne für den Wiederaufbau so
einfach umzusetzen sein wer-
den. Und die Skepsis betrifft
ebenso die neueste Ankunft in
Hamburg: Linklaters. Es ist ein
offenes Geheimnis, dass die
britische Kanzlei vor allem
deswegen dort ein Büro eröff-
nete, um einen ihrer stärksten
Partner zu halten, der näher
an seiner Heimat sein wollte.
Aber diese Skeptiker unter-
schätzen, was eine so starke
Corporate-Praxis wie die von
Linklaters mit einer neuen Ba-
sis vor Ort erreichen kann.
Linklaters war eine der Schlüs-
selkanzleien der HSH Privati-
sierung. Auch Noerr wurde bei
der Eröffnung kritisch beäugt,
aber mit der Arbeit für JC Flo-
wers im selben HSH-Deal
schnell prominent. Da Kanzlei-
en wie Freshfields Bruckhaus
Deringer und Lathams & Wat-
kins das Wachstum in Ham-
burg scheinbar ad acta gelegt
haben, wird der dortige
Rechtsmarkt ab sofort von här-
teren Wettbewerbern geprägt.

Juve Verlag

Steuerthema


Neues Reisekostenrecht


D


as seit 2014 geltende steuer -
liche Reisekostenrecht, das
den Werbungskostenabzug
für Angestellte mit verschiedenen
Einsatzorten einschränkt, ist verfas-
sungsgemäß. Dies hat der Bundesfi-
nanzhof mehrfach klargestellt.
Steuerrechtlich sind beruflich ver-
anlasste Fahrtkosten von nichtselbst-
ständig Beschäftigten grundsätzlich
in Höhe des tatsächlichen Aufwands
als Werbungskosten abziehbar. Ab-
zugsbeschränkungen bestehen aller-
dings für den Weg zwischen der Woh-
nung und dem Arbeits- oder Dienst-
ort. Werbungskosten liegen hier nur

im Rahmen der sogenannten Pend-
lerpauschale in Höhe von 30 Cent je
Entfernungskilometer vor. Das heuti-
ge Recht bestimmt den Arbeits- oder
Dienstort als „erste Tätigkeitsstätte“
(früher: „regelmäßige Arbeitsstätte“).
Entscheidend ist, ob der Arbeitneh-
mer einer ersten Tätigkeitsstätte
durch arbeits- oder dienstrechtliche
Festlegungen sowie Absprachen und
Weisungen des Arbeitgebers dauer-
haft zugeordnet ist. Geklagt hatten
unter anderem ein Polizist und eine
Pilotin. Beide gingen davon aus, dass
bei ihnen keine erste Tätigkeitsstätte
vorliege, da sie ortsunabhängig arbei-

teten. Wie der Bundesfinanzhof ent-
schieden hat, haben beide Berufs-
gruppen eine erste Tätigkeitsstätte,
von der sie zu ihren Einsätzen star-
ten. Ausreichend ist, dass am Ort der
ersten Tätigkeitsstätte zumindest Tä-
tigkeiten in geringem Umfang er-
bracht werden. Verfassungsrechtliche
Bedenken gegen die Neuregelung hat
der Bundesfinanzhof nicht. Der Ge-
setzgeber habe sein Regelungsermes-
sen nicht überschritten, da sich Ar-
beitnehmer in unterschiedlicher Wei-
se auf die immer gleichen Wege
einstellen und so auf eine Minderung
der Wegekosten hinwirken könnten.

Sixten Abeling
ist verantwortlicher
Redakteur
für Steuerrecht.
http://www.der-betrieb.de

Fabian Ritters Berlin


F

ür Ulrich Möllenhoff ist
die Sache klar: „Unser
Zollrecht kennt nur die
Waren, die man anfassen
kann“, sagt der Fachan-
walt für Steuerrecht aus Münster. Bei
der Behandlung von Software gebe
es deshalb eine „Regelungslücke“.
Und das hält Möllenhoff für proble-
matisch. Denn Software sei zuneh-
mend „das Herzstück der Qualität
von made in Germany oder made in
Europe“.
Möllenhoff vertritt BMW bei einem
kniffligen Fall vor dem Finanzgericht
München. Der Autobauer importiert
Steuergeräte mit aufgespielter Soft-
ware aus Asien. Die Frage ist, ob
BMW bei der Einfuhr dieser Geräte
für den Gesamtwert des Steuergeräts
Zoll zahlen muss – oder der Wert der
Software zollsenkend berücksichtigt
werden kann. Denn diese wurde in
der EU entwickelt. Die Frage ist sogar
so knifflig, dass jetzt der Europäische
Gerichtshof darüber entscheiden
muss (Az. 14 K 2609/18).

Umstrittener Grenzfall
Eigentlich wäre die Sache ganz ein-
fach gewesen. Zumindest, wenn
BMW die Software mit einem Bauteil
an die Zulieferer geschickt hätte, das
dann in das Steuergerät eingebaut
worden wäre. Grundsätzlich ist es
zwar so, dass sich der Zoll am Trans-
aktionswert einer Ware bemisst, also
am tatsächlich gezahlten Preis. Wer-
den aber nur Teile der Produktion im
Ausland vorgenommen, greift das
Verfahren der sogenannten passiven
Veredelung. Nur der ausländische
Mehrwert soll auch verzollt werden.
Wäre die Software mit einem Bau-
teil geliefert worden, hätte BMW da-
für beim Export eine Ausfuhranmel-
dung gehabt. Der Zoll hätte dann den
Wert des Bauteils bei der Einfuhr des
fertigen Steuergeräts herausrechnen
können. BMW stellte die Software
seinen Zulieferern aber über einen
Download zur Verfügung. Und da
Software im Zollrecht nicht erfasst
wird, kann eine Ausfuhr nicht be-
rücksichtigt werden. Entsprechend
höher fiel auch der Zollbescheid aus.
Das Hauptzollamt München argu-
mentierte, anders als beispielsweise

ein Patent oder ein Design sei ein im-
materieller Bestandteil wie eine Soft-
ware keine notwendige Vorausset-
zung für die Entstehung der Ware.
Da die Software nicht zur Herstel-
lung der Steuergeräte notwendig sei,
falle sie auch nicht unter eine Aus-
nahmeregelung des Unionszollkode-
xes. Somit müssten die Entwick-
lungskosten dem Zollwert zugeschla-
gen werden.
Das sah BMW anders und zog vor
Gericht. Denn der Zollwert des Steu-
ergeräts mit Software falle höher aus
als ohne aufgespielte Software.
Marc Bauer von der Industrie- und
Handelskammer (IHK) Region Stutt-
gart, einer anderen stark vom Auto-
mobilbau geprägten Region, beschäf-
tigt sich schon seit Jahren mit diesem
Grenzfall. Er sagt: „Um vom Zollwert
etwas abziehen zu können, braucht
man eine Warennummer. Und daran
fehlt es in solchen Fällen.“
Dieses Problem haben auch die
Richter in München erkannt. Im Vor-
lagebeschluss zum EuGH schreiben
sie: Das Gericht neige dazu, sich der

Meinung anzuschließen, die fragliche
Software wie Technik oder Entwick-
lung zu behandeln, „womit eine Hin-
zurechnung der Kosten zu unterblei-
ben hat, wenn diese in der EU erar-
beitet wurden“. Der Unionszollkodex
führt Software aber nicht explizit als
Ausnahmeregelung auf. Daher ist es
gängige Praxis, den Gesamtwert der
Ware mit Software zu verzollen.

Veraltete Regelung
Bauer sieht in dieser Praxis einen
Standortnachteil für die europäische
Industrie, weil hier entstandene Leis-
tungen verzollt werden würden. „Die-
se Regelung passt nicht mehr so wirk-
lich in die heutige Zeit. Es ist ja wider-
sinnig. Wenn die Software auf einem
Bauteil enthalten ist, lässt sich das im
Rahmen der passiven Veredelung ge-
genrechnen, beim Download nicht.“
Steueranwalt Möllenhoff sieht das
ähnlich: „Dass hier eine Änderung
gegenüber der bisherigen Zollpraxis
geschehen muss, ist für den europäi-
schen Wirtschaftsstandort unzwei-
felhaft.“

Handelsrecht


Nichts zu verzollen


Der Europäische Gerichtshof muss über Zölle auf Software entscheiden.


Diese


Regelung


passt nicht


mehr so


wirklich in die


heutige Zeit.


Marc Bauer
IHK Region Stuttgart

Motor von BMW:
Es gibt Streit über
Zoll auf Software in
Steuerelementen.

Krisztian Bocsi/Bloomberg

Recht & Steuern
DIENSTAG, 30. JULI 2019, NR. 144

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