Handelsblatt - 30.07.2019

(Nandana) #1

„Dass man in den nächsten Jahren eine


ICE-Strecke ins kleinste Dorf bauen


kann, das ist eher unwahrscheinlich.


Insofern brauchen diese Menschen auch


eine Perspektive. “


Markus Söder, Bayerns Ministerpräsident,
möchte bei gleichzeitigem Klimaschutz die
Pendlerpauschale für Autofahrer erhöhen.

Worte des Tages


Rassismus


Partei ohne


Rückgrat


S


elbst für Donald Trumps Ver-
hältnisse, der seine Wut an al-
len möglichen Personen aus-

lässt, sind die jüngsten Attacken un-


gewöhnlich. Seit Wochen geht er


Kongressabgeordnete mit dunkler


Hautfarbe aggressiv an. Zuerst rief


er vier Politikerinnen dazu auf, „in


ihre Verbrecherländer“ zurückzu-


kehren. Jetzt warf er dem afroame-


rikanischen Abgeordneten Elijah


Cummings vor, dessen Wahlkreis in


Baltimore sei ein „widerliches, von


Ratten befallenes Drecksloch“.


Das sind keine Ausrutscher,


Trumps Stimmenfang mit rassisti-


schen Ressentiments hat System –


und seine Partei lässt ihn gewähren.


Unter prominenten Republikanern


gibt es so gut wie keinen Wider-


stand. Einst beschworen sie einen


„neuen Konservatismus“, der ange-


sichts einer vielfältigen Bevölke-


rungsstruktur inklusiver werden


müsse. Die Tür dafür haben die Re-


publikaner durch ihr Schweigen zu-


geschlagen, sie wird über Jahrzehn-


te verschlossen bleiben.


Das kollektive Klappehalten liegt


mitnichten nur an der Sommerpau-


se in Washington. Im Jahr vor den


US-Präsidentschaftswahlen ist jedes


konzertierte Manöver der Spaltung


riskant und könnte die Demokra-


ten, die sich als weltoffene Gegen-


spieler inszenieren, einen und stär-


ken. Streng genommen haben die


Republikaner ihre Chance zur Re-


volte verspielt, seit sie Trump zum


Präsidentschaftskandidaten nomi-


nierten. Die Partei hat die Radikali-


sierung hingenommen, als Trump


den nationalen Notstand ausrief


und sich als Nationalist feiern ließ.


Die Republikaner haben sich oh-


ne Rückgrat auf den Trump-Kurs


eingelassen, der moderate Wähler


kaum noch mitnimmt und die Kern-


basis umso mehr anstachelt. Die


Partei hofft auf eine Fortsetzung


der Macht nach 2020 und auf


hauchdünne Siege in einer Hand-


voll Bundesstaaten. Dass Trumps


Stimmenfang zumindest teilweise


funktioniert, zeigen Umfragen, in


denen republikanische Anhänger


Trumps Aussagen befürworten.


Strategisch mag diese Haltung


nachvollziehbar sein. Moralisch in-


teger oder nachhaltig ist sie nicht.


Die Republikaner scheuen die
Konfrontation mit Trump – und
verraten ihre eigenen Prinzipien,
sagt Annett Meiritz.

Die Autorin ist Korrespondentin


in Washington.


Sie erreichen sie unter:


[email protected]


W

enn die Handelsschifffahrt be-
droht ist, kann das die Bundesre-
gierung nicht kaltlassen. Als Ex-
portnation ist Deutschland wirt-
schaftlich abhängig wie wenige
andere Staaten vom freien Warenverkehr auf den
Weltmeeren. Und wenn eine andere europäische Na-
tion um militärische Unterstützung zur Absicherung
von Handelswegen bittet, sollte Deutschland grund-
sätzlich als zuverlässiger Bündnispartner bereit sein,
notfalls Bundeswehrsoldaten zur Hilfe zu schicken.
Allerdings: Bevor Fregatten und Flugzeuge in
Marsch gesetzt werden, müssen sich die Verbünde-
ten erst einmal Klarheit verschaffen, was sie errei-
chen wollen und was sie mit einer Militärmission er-
reichen können. Im Fall des Konflikts zwischen dem
Iran und Großbritannien in der Straße von Hormus
ist die Lage jedoch ziemlich unklar: Eine offizielle
Anfrage der Briten an andere Europäer steht aus,
mehr als eine allgemeine Forderung des gerade ab-
gelösten britischen Außenministers gibt es seitens
der Briten nicht. Sogar die Franzosen, die sich tradi-
tionell leichter mit Militärmissionen tun als die Deut-
schen, warten ab, was die neue britische Regierung
will. Eine französische Fregatte am Persischen Golf
kreuzt zum Zwecke der Aufklärung dort seit Länge-
rem, eine Truppenaufstockung ist nicht geplant.
Der heftigen Debatte, die gerade zwischen Union
und SPD über einen Einsatz der Marine am Golf ent-
brannt ist, fehlt es daher an Substanz. Sie zeigt ein-
mal mehr, wie gespalten die schwarz-rote Koalition
und mit ihr die deutsche Gesellschaft ist, sobald es
um die Bundeswehr geht. Diese Spaltung droht sich
zu vertiefen: In der SPD gewinnen jene immer mehr
an Einfluss, die sich in ihrer grundsätzlichen Ableh-
nung von Bundeswehr-Auslandseinsätzen der Links-
partei annähern. Befeuert wird dieser unheilvolle
Trend in der gebeutelten SPD noch dadurch, dass
die CDU-Parteichefin nun Verteidigungsministerin
geworden ist, mit dem erklärten Ziel, die Bundes-
wehr stärker in die Mitte der Gesellschaft zu rücken.
Das Auseinanderdriften der traditionellen Volks-
parteien aber ist gefährlich: Es könnte den jahrzehn-
tealten Konsens der deutschen Außen- und Verteidi-
gungspolitik zerstören, dem zufolge die Bundesrepu-
blik fest zu ihren Bündnispartnern steht.
Beigetragen zu dieser sich vertiefenden Kluft hat
auch die Weigerung eines Großteils der Gesellschaft,
sich mit veränderten Konfliktlagen in der Welt zu be-
schäftigen. Dass die USA bereits seit Präsident Ba-
rack Obamas Zeiten ihrer Rolle als Weltpolizist über-
drüssig sind, dass Russlands Präsident Wladimir Pu-
tin jede Chance zur geografischen Ausdehnung

ergreift, dass China seine wirtschaftliche Stärke zu-
nehmend geostrategisch ausweitet: Es kümmert
hierzulande zu wenige. Und zu viele machen es sich
bequem in der Ablehnung alles Militärischen, die sie
mit Friedfertigkeit verwechseln. Diese Haltung konn-
te sich Deutschland nur leisten, solange der Schutz-
schild der USA allumfassend war.
Vor nunmehr neun Jahren glaubte der damalige
Bundespräsident Horst Köhler, zurücktreten zu müs-
sen, nachdem seine Aussage, notfalls müssten Han-
delswege auch militärisch gesichert werden, auf har-
sche Kritik gestoßen war. Er hatte damals recht –
und heute angesichts neuer Konflikte umso mehr.
Der Anti-Piraterie-Einsatz der Bundeswehr am Horn
von Afrika war der erste Einsatz zur Absicherung der
Handelsschifffahrt, und er war erfolgreich.
Der Konflikt in der Straße von Hormus hat aller-
dings eine völlig andere Dimension. Es fängt damit
an, dass die Straße von Hormus durch iranisches
Seegebiet führt: Der Iran kann zu Recht geltend ma-
chen, dass er die Entsendung einer europäischen
Golf-Schutzflotte als feindliches Signal wertet. Zu-
grunde liegt dem Konflikt um die Schiffspassage die
einseitige Aufkündigung des internationalen Atom-
abkommens durch US-Präsident Donald Trump, in
deren Folge es den Europäern bislang nicht gelingt,
Wege für den Handel mit dem Iran an den US-Sank-
tionen vorbei zu organisieren. Inzwischen verletzt
der Iran seinerseits das Abkommen und kündigt die
Wiederaufnahme seines Atomwaffenprogramms an.
Dass die Briten einen iranischen Öltanker in Gi-
braltar festhalten und der Iran ein britisches Schiff,
ist vor dem Hintergrund dieses Großkonflikts bisher
ein kleines Scharmützel. Die Bundesregierung setzt
deshalb völlig zu Recht auf Deeskalation.
Grundsätzliche militärische Hilfsbereitschaft sollte
die Bundesregierung gemeinsam mit Frankreich ge-
genüber den Briten zeigen. Noch ist aber völlig un-
klar, ob die neue britische Regierung den Konflikt
mit dem Iran gemeinsam mit Trump weiter eskalie-
ren oder mit den Europäern deeskalieren will. Im
letzteren Fall sollte die Bundesregierung zur Lage-
aufklärung notfalls auch Soldaten in eine europäi-
sche Mission senden – wenn das Briten und Franzo-
sen nutzt. Im ersteren Fall wäre die Entsendung der
Marine jedoch ein gefährliches Abenteuer an der
Seite Trumps, vergleichbar mit dem US-Krieg Bushs
gegen den Irak: Daran hatte sich Deutschland aus gu-
ten Gründen nicht beteiligt.

Leitartikel


Handelsschiffe


wirksam schützen


Deutschland
muss in Europa
militärisch ein
zuverlässiger
Partner sein –
aber nur für
sinnvolle
Missionen, meint
Donata Riedel.

Noch ist un-


klar, ob die


neue britische


Regierung


mit Trump den


Konflikt mit


dem Iran weiter


eskalieren


oder mit den


Europäern


deeskalieren


will.


Die Autorin ist Hauptstadtkorrespondentin in
Berlin. Sie erreichen sie unter:
[email protected]

Meinung


& Analyse


DIENSTAG, 30. JULI 2019, NR. 144


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