Handelsblatt - 30.07.2019

(Nandana) #1

„Natürlich kann man den


Klimaschutz auch im


Grundgesetz stärken,


aber das darf nicht zur


Ersatzhandlung für wirksame


Maßnahmen werden. “


Svenja Schulze,
Bundesumweltministerin

„Eine funktionierende


Handelsschifffahrt ist


für die Exportnation


und das Industrieland


Deutschland von


herausragender Bedeutung.“


Dieter Kempf, Präsident des BDI,
befürwortet eine EU-Schutzmissionen
im Persischen Golf.

Stimmen weltweit


Die Schweizer „Neue Zürcher Zeitung“
erwartet nach den Protesten in Moskau vom
Wochenende, dass der Kreml am Ende die
Oberhand behalten wird:

B


ürgermeister Sobjanin und seiner Entou-
rage, die sich seit Jahren der Veredelung
der Hauptstadt und der – tatsächlich spür-
baren – Verbesserung der Lebensqualität wid-
men, dürften fassungslos auf die undankbaren
Untertanen geblickt haben. Deren politische Apa-
thie hatten sie nach Kräften gefördert. Diese aber
machten gerade mit ihrem Protest deutlich, dass
sie als mündige Bürger behandelt werden wollen.
(...) Die Opposition will den Unmut ausnutzen
und am nächsten Samstag eine weitere Kundge-
bung durchführen. Darüber allerdings, wer in die-
sem Seilziehen zwischen ermüdeter, aber schlag-
kräftiger Staatsmacht und erwachtem Bürgerpro-
test die Oberhand gewinnt, gibt es wenig Illusio-
nen. Die Kreml-Propagandisten stellen die De-
monstrationen als Unruhen dar, die dank der Poli-
zeipräsenz im Rahmen geblieben seien. Manchen
scheint dadurch sogar Sobjanin gestärkt; die Jagd
auf die Opposition könnte erst recht losgehen.

Die spanische „El Pais“ kommentiert zu den
Spannungen in der Straße von Hormus, die USA
und der Iran marschierten entschlossen in den
Abgrund:

D


ie Tatsache, dass ausgerechnet John Bol-
ton, einer der Architekten der katastro-
phalen Invasion des Iraks im Jahr 2003,
einer der Hauptberater von Trump ist, sorgt im
Konflikt für zusätzliche Beunruhigung und Unge-
wissheit. Der Gedanke, ein Regime wie das des
Irans könne durch Sanktionen und militärischen
Druck gestürzt werden, ist sehr gefährlich. Und
hat sich bei zahlreichen anderen Gelegenheiten,
etwa im Fall von Kuba, als falsch erwiesen. Nur
die Rückkehr zum Abkommen von 2015, das
Trump offenbar verschmäht, weil es von seinem
Vorgänger Barack Obama unterzeichnet wurde,
sowie die sofortige Einstellung aller Provokatio-
nen können die Hauptakteure des Konflikts wie-
der von dem Abgrund entfernen, in den sie zur-
imago images/Peter Kolb, imago images/Christian Thiel, dpazeit entschlossen marschieren.

Die Londoner Tageszeitung „The Times“
kommentiert in Hinblick auf die Moskauer
Demonstrationen, dass Unterdrückung noch
lange kein Garant für Stabilität sei:

A


ls Reaktion auf das, was Moskaus Bürger-
meister Sergej Sobjanin eine „Gefährdung
der Sicherheit“ nannte, haben Polizisten
in Kampfausrüstung die nicht genehmigte Kund-
gebung gewaltsam aufgelöst – ähnlich wie die li-
zenzierten Schläger, die in Hongkong auf De-
monstranten eingedroschen haben. Die Botschaft
ist in beiden Städten dieselbe: Wer sich auf die
Straße wagt, um sich für die Demokratie einzuset-
zen, wird aus Furcht, dass dieses mutige Beispiel
Schule machen könnte, hart angefasst. (...) Der
Kreml hat Angst, dass der Protest sich ausweitet,
wenn man nicht hart durchgreift. (...) Es wird nur
noch wenige genehmigte Kundgebungen geben.
Unterdrückung ist jedoch keine Garantie für poli-
tische Stabilität, wie die meisten Russen wissen.
Nur der Kreml denkt, dass sich damit Schwierig-
keiten auf unbestimmte Zeit abwenden lassen.
Hongkong beweist das Gegenteil.

K


aum ein Tag vergeht, an dem nicht ein namhaf-
ter Konzern Stellenstreichungen verkündet –
und doch war die Entlassungsquote seit der

Wiedervereinigung noch nie so niedrig. Zeitarbeiter


verlieren ihren Job, der Informationsbedarf zur Kurz -


arbeit steigt – und Handwerker müssen Aufträge ableh-


nen, weil sie keine Leute finden. Es sind überaus wider-


sprüchliche Signale, die der deutsche Arbeitsmarkt der-


zeit aussendet. Und es steht zu erwarten, dass sich die-


se Situation künftig noch verschärft. Die Gleichzeitigkeit


von Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel wird die Ar-


beitswelt von morgen prägen.


Es sind vier Trends, die diese Entwicklung befeuern:


der drohende konjunkturelle Abschwung, der bisher


vor allem die exportorientierte Industrie erfasst hat.


Der technologische Strukturwandel durch Digitalisie-


rung und Elektromobilität, der Jobs in der Finanzbran-


che oder im Motorenbau kostet. Der ungebrochene Run


der Schulabgänger auf die Hochschulen, der dazu


führt, dass viele Handwerksbetriebe ohne Berufsnach-


wuchs dastehen. Und der demografische Wandel, der


den Personalbedarf in den Sozialberufen deutlich an-
wachsen lässt.
Auch wenn – im positiven Fall – statt einer längeren
Rezession nur eine konjunkturelle Delle drohen sollte,
werden viele Tausend Arbeitsplätze wegfallen. Auf der
anderen Seite entstehen wahrscheinlich mindestens
ebenso viele neu. Das Problem ist die fehlende Schnitt-
menge: Die Menschen, die ihren Job verlieren, haben in
den seltensten Fällen die Qualifikationen, die in ande-
ren Branchen oder Berufen gebraucht werden.
Doch es muss nicht zwangsläufig zu einer wachsen-
den Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern auf dem
Arbeitsmarkt kommen. Vorausschauende Personal -
planung und Entwicklung darf nicht nur ein Schlagwort
aus Personalerhandbüchern sein, sondern sollte geleb-
ter Alltag in jedem Unternehmen werden. Von den Be-
schäftigten wird verlangt, sich künftig unter Umständen
mehrfach in ihrem Berufsleben neu zu erfinden und
auch im fortgeschrittenen Alter noch einmal etwas ganz
Neues zu wagen. Der Staat kann entsprechende Um-
schulungen oder Qualifizierungen unterstützen, sofern
sie dem Bedarf am Arbeitsmarkt dienen.
Wie schon heute, werden aber auch künftig Arbeits -
lose und offene Stellen nicht immer eine Schnittmenge
bilden. Wichtig ist deshalb, alle, die erst ins Berufsleben
starten, von vornherein in eine Erfolg versprechende
Richtung zu lenken. Dazu gehört zunächst eine solide
Schulbildung und dann eine gute Berufsorientierung,
die Jugendliche nicht einseitig für das Studium begeis-
tert. Denn Handwerker oder Pflegekräfte werden auch
in der digitalisierten Arbeitswelt noch gebraucht.

Arbeitsmarkt


Existenzfrage Qualifizierung


Die Gleichzeitigkeit von
Arbeitslosigkeit und
Fachkräftemangel wird die
Arbeitswelt von morgen prägen,
glaubt Frank Specht.

Der Autor ist Korrespondent in Berlin.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Wirtschaft & Politik


DIENSTAG, 30. JULI 2019, NR. 144


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