Handelsblatt - 30.07.2019

(Nandana) #1

Kommunikatorin Magdalena Rogl von Microsoft,


die die Siemens-Managerin am Samstag auf dem


Christopher Street Day traf.


Hanna Drabon, die bei der Digitalagentur Com-


space das Talentenetzwerk Talee gegründet hat,


sagte dem Handelsblatt: „Janina Kugel hat mich auf


vielen Veranstaltungen beeindruckt.“ Sie spreche


nicht nur klar von moderner Personalpolitik, son-


dern sei gleichzeitig Beweis dafür, dass diese auch


bei Siemens gelebt werde. „Mit ihrem Weggang ver-


liert Siemens ein strahlendes Vorbild, das über das


Unternehmen hinaus gewirkt hat.“


„Authentische und gewinnende Art“


Thomas Sattelberger, früherer Personalvorstand


der Deutschen Telekom und heute für die FDP im


Bundestag, schrieb auf Twitter, Kugel habe Sie-


mens durch „ihre authentische und gewinnende


Art mehr Talentmagnetismus weltweit verschafft


als millionenschwere Employer-Branding-Kampa-


gnen könnten“.


Nach Einschätzung von Michael Stuber, Gründer


der Diversity-Strategieberatung „Ungleich besser“,


wäre es „für Siemens ein großer Verlust, wenn der


Vorstand die Bereicherung, die Frau Kugel fachlich


und persönlich darstellt, nicht weiter nutzen könn-


te“. Es sei aber eine bedauerliche Schieflage, dass


bei der Trennung von Managerinnen „häufig nach


anderen Gründen gesucht und das Geschlecht the-


matisiert wird“. Das Interesse am Thema Frauen in


Führungspositionen komme immer in Wellen und


meist als Aufregerthema – dabei müsse Diversität


als strategisches Thema nachhaltig angegangen


werden.


Bei Siemens bemühten sich nach dem Pauken-


schlag vom Wochenende alle um Ruhe. Offiziell


oder auf den internen Kommunikationsplattfor-


men äußerte sich niemand zu der Personalie Ku-


gel. „Niemand hat ein Interesse an einer Schlamm-


schlacht“, sagte ein Insider. Kugel habe Verdienste


erworben und suche tatsächlich nach einer neuen


Herausforderung. Das Verhältnis zu Kaeser gilt
zwar als angespannt, doch gab es aktuell keinen
großen Krach. Allerdings gab es im Aufsichtsrat
auch fachliche Kritik an Kugel.
Kaeser hatte Managerinnen wie Kugel und von
Schumann gefördert und an die Schaltstellen der
Macht gebracht. In der zweiten und dritten Reihe
gibt es bei Siemens weiterhin viele Managerinnen.
So ist zum Beispiel in den USA das Board weiblich,
die Bahntechniksparte wird von der Französin Sa-
brina Soussan geführt. Der Siemens-Vorstand hat
sich zum Ziel gesetzt, dass bis 2022 mindestens 20
Prozent der beiden Führungsebenen unterm Vor-
stand von Frauen besetzt sind. Siemens hat nicht
bekanntgegeben, wo der Konzern derzeit steht.
Manche Arbeitnehmervertreter wurden von der
Personalie Kugel überrascht. Die Managerin galt
bei IG Metall und Betriebsrat als harte, aber zumin-
dest verlässliche Verhandlungspartnerin. Vor der
Aufsichtsratssitzung am Mittwoch wollten sich Ar-
beitnehmervertreter nicht offiziell äußern. Klar ist,
dass sie bei der Neubesetzung des Arbeitsdirektors
ein entscheidendes Wörtchen mitzureden haben.
Das Personalressort hat bei Siemens mit seinen
regelmäßigen Stellenstreichungen und mit den
starken Arbeitnehmervertretungen seit jeher eine
besondere Bedeutung. Die Österreicherin Brigitte
Ederer musste nach einem verlorenen Macht-
kampf mit der IG Metall im Zuge des Wechsels von
Vorstandschef Peter Löscher zu Joe Kaeser das Per-
sonalressort sogar abgeben.

Energiesparte aus den USA geführt
Auf der Aufsichtsratssitzung wird es nicht nur um
Janina Kugel gehen. Es gilt als wahrscheinlich, dass
der Vertrag von Cedrik Neike verlängert wird. Der
Manager war im April 2017 von Cisco zu Siemens
zurückgekehrt und gilt als Digitalexperte. Sein Ver-
trag läuft bis Ende Mai 2020. Er führt derzeit das
„operative Unternehmen“ Intelligente Infrastruktu-
ren, das neben den Digitalen Industrien das künfti-
ge Kerngeschäft in der neuen Struktur bildet.
Schwieriger ist die Entscheidung, wer den neuen
Energiekonzern führen soll, der intern als „Power-
house“ firmiert. Siemens will 40 Prozent seines Ge-
schäfts abspalten und an die Börse bringen. Erste
Kandidatin für den CEO-Posten wäre eigentlich Li-
sa Davis. Sie ist momentan neben Kugel die zweite
Frau im achtköpfigen Siemens-Vorstand. Die Ame-
rikanerin verantwortet das Kraftwerksgeschäft im
Vorstand. Allerdings läuft ihr Vertrag nur bis Okto-
ber 2020 mit einer Option für ein weiteres Jahr,
wenn beide Seiten das wollen. Davis führt die Ener-
giesparte aus Houston heraus.
In Aufsichtsratskreisen wird betont, Davis müsse
zunächst selbst erklären, wie sie sich ihre Zukunft
vorstellt. Für einen nur kurzen Zeitraum könne sie
die Führung des Powerhouse nicht übernehmen.
Doch selbst wenn Davis Interesse bekunden sollte,
womit nur wenige rechnen, gilt es als höchst un-
wahrscheinlich, dass die 55-Jährige den Job be-
kommt. Die Arbeitnehmer werden darauf drängen,
dass das neue Unternehmen aus Deutschland he-
raus geführt wird. Zudem muss der Chef den Kapi-
talmärkten die Story gut erklären können. Davis,
deren Führungsstil manche kritisieren, gilt da nicht
als ideale Kandidatin.
Eher schon Vorstand Michael Sen, der die Bran-
che als früherer Finanzvorstand von Eon aus Kun-
densicht kennt. Der ehrgeizige Manager dürfte sich
aber auch Hoffnungen auf die Nachfolge Kaesers
als Vorstandschef machen. Sollte er nicht das Po-
werhouse übernehmen, wäre er einer der Kandi-
daten für das Personalressort, wenn Kugel geht.
Das Ziel, ein Viertel der Vorstandsposten mit Frau-
en zu besetzen, wäre dann erst einmal unerfüllt.
Experte Stuber warnt aber davor, das Thema Di-
versität an einzelnen Personen festzumachen. „Es
geht nicht primär darum, Zahlen und Quoten zu
verbessern, sondern Kulturen zu verändern.“
Theoretisch könne das Thema Diversity mit einer
sauberen strategischen Analyse genauso gut von ei-
nem männlichen Vorstand glaubwürdig vertreten
werden. „Von der Person Kugel darf die Zukunft
von Diversity bei Siemens nicht abhängen.“


Kommentar Seite 29



imago/China Foto Press, Daniel Delang für Handelsblatt, Bloomberg/Getty Images

Von der


Person Kugel


darf die


Zukunft von


Diversity bei


Siemens


nicht


abhängen.


Michael Stuber
Gründer Ungleich
Besser

Healthineers


Die Probleme


mit Atellica


A


ls die Siemens-Medizintechnik vor knapp
anderthalb Jahren unter dem Namen He-
althineers an die Börse ging, war es ein
zentraler Teil des Wachstumsversprechens: Die
teuer zusammengekaufte, aber lange Jahre
schwächelnde Diagnostiksparte sollte mithilfe
der neuen Analyse-Plattform Atellica durchstar-
ten. Healthineers will viele Tausend Systeme ver-
kaufen – und dann das Geld vor allem mit dem
Verkauf von Reagenzien verdienen. Das ist so
ähnlich wie das Geschäft mit den Rasierern und
den Rasierklingen.
Doch die Einführung der neuen Plattform ge-
staltet sich schwierig. Im laufenden Geschäftsjahr
werde Healthineers wohl nur 1 800 Systeme aus-
liefern statt ursprünglich geplanter 2 200 bis
2 500, sagte nun Vorstandschef Bernd Montag.
Auch das Ziel von 7 000 Installierungen bis 2020
wird wohl nicht zu halten sein. Wegen der An-
laufschwierigkeiten, gerade bei Großkunden ist
die Installation aufwendig, stehen die Margen im
Konzern unter Druck. Der zuständige Vorstand
Michael Reitermann muss gehen.
Die Siemens-Tochter profitiert noch davon,
dass es in den anderen Sparten besser läuft. In
der Bildgebung ist Healthineers seit Jahrzehnten
an der Weltspitze. Auch in der Sparte Advanced
Therapies lief es zuletzt gut. In der Summe stieg
der Konzernumsatz im dritten Quartal des Ge-
schäftsjahres 2018/19 (30. September) so um ver-
gleichbar 5,8 Prozent auf 3,6 Milliarden Euro. Die
Prognosen für das Gesamtjahr konnte Montag
bestätigen.
Doch sind die Probleme in der Diagnostikspar-
te gravierend. Der Umsatz legte im dritten Quar-
tal nur um vergleichbar ein Prozent zu, das Er-
gebnis brach um 28 Prozent auf 76 Millionen Eu-
ro ein. Das belastet die Profitabilität des
Gesamtunternehmens. Die operative Umsatzren-
dite von Healthineers sank im Quartal von 16 auf
15,2 Prozent. Im Gesamtjahr wird aber weiterhin
eine bereinigte Ergebnismarge von 17,5 bis 18,
Prozent erwartet.
Montag sagte: „Ich glaube fest an Atellica.“ Man
habe das Potenzial, mit der Plattform „mit dem
Markt und über dem Markt zu wachsen“. Der
Vorstandschef übernimmt nun selbst die Verant-
wortung für die Diagnostiksparte – und steht da-
mit persönlich unter Druck, rasch Erfolge zu zei-
gen. „Er muss das jetzt in den Griff bekommen“,
hieß es in Aufsichtsratskreisen.
Bei Siemens sei man fest davon überzeugt,
dass Atellica als Plattform technologisch alles
mitbringe, um sich am Markt durchzusetzen. Al-
lerdings habe sich Montag womöglich selbst un-
nötig unter Druck gesetzt, indem er beim Börsen-
gang Auslieferungsziele für Atellica kommuni-
ziert habe. Axel Höpner

Siemens Healthineers
Aktienkurs in Euro

37,62 €


HANDELSBLATT

16.3.2018 29.7.


Quelle: Bloomberg

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Lisa Davis: Die Ameri-
kanerin bekam Ende
2018 einen neuen
Vertrag bis Herbst
2020 – mit Option auf
ein weiteres Jahr.

Unternehmen & Märkte


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DIENSTAG, 30. JULI 2019, NR. 144


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