Handelsblatt - 30.07.2019

(Nandana) #1
Roman Tyborski
Düsseldorf, Berlin, Hannover

D

er Blick auf den Bild-
schirm ist starr und an-
gestrengt. Straßen sind
zu sehen, Autos, Rol-
lerfahrer, Radfahrer,
Fußgänger, Häuser, Bäume, Ampeln
und Verkehrsschilder. Per Computer-
maus werden die Objekte mit einem
Umriss versehen und benannt –
„gelabelt“. Es ist das Profil eines Kno-
chenjobs, den Hunderte Millionen
Menschen weltweit machen – jeden
Tag zehn bis zwölf Stunden lang. Sie
sitzen vor ihren Computern in In-
dien, auf den Philippinen, in Vene-
zuela, Brasilien, Malaysia, Kenia und
vielen anderen Ländern.
Diese Digitalarbeiter heißen Click-
worker. Ihre Aufgabe: die digitale Mo-
dellierung unserer Umwelt – im Fach-
jargon semantische Segmentierung
genannt. Das Ziel: Künstliche Intelli-
genz (KI) trainieren. Das Prinzip lässt
sich vorstellen wie bei einem Kind,
das die Welt erkundet. Anfangs muss
es mühsam beigebracht bekommen,
was ein Spielzeug ist, was ein Mensch
ist, was essbar und was giftig ist.
Ähnlich läuft es auch bei den KI-
Systemen. Viele Aufnahmen stam-
men etwa von Autokonzernen, Zulie-
ferern und IT-Unternehmen, die da-
mit Systeme für selbstfahrende Autos
trainieren wollen. Ungelernte Syste-
me können mit Rohaufnahmen
nichts anfangen. Der Künstlichen In-
telligenz, die in den Fahrzeugen zum
Einsatz kommen soll, muss erst ein-
mal beigebracht werden, beispiels-
weise ein spielendes Kind von einem
Verkehrsschild zu unterscheiden.
Am Ende sollen die Systeme den
Menschen übertreffen und schneller
Gefahrensituationen erkennen kön-
nen – wenn sie denn ausreichend
und mit guten Daten vorbereitet
wurden.
Dazu werden gewaltige Datenmen-
gen aufbereitet – mithilfe von Men-
schen, die fast ausschließlich in Ent-
wicklungsländern leben und für
wenige Dollar im Akkord Videoauf-
nahmen labeln. Prekäre Arbeitsver-
hältnisse sind die Regel, Festeinstel-
lungen selten, Clickworker-Gewerk-
schaften nicht vorhanden. Die
Freelancer hangeln sich von einem
Kleinauftrag zum nächsten und kom-
men mit ihrem Lohn kaum über die
Runden. Sie sind sozusagen die un-
sichtbare Werkbank der Autoindus-
trie, die Fließbandarbeiter der Ge-
genwart – für die die Unternehmen
noch nicht einmal mehr eine Fabrik
aufstellen müssen.
Und sie sind der Schlüssel zum Bil-
lionenmarkt autonomes Fahren. Her-
steller wie VW, BMW und Daimler,
Zulieferer wie Continental, Bosch und
Hella und vor allem die IT-Konzerne
Google, Amazon und Apple pumpen
Milliarden in die Entwicklung, um
das erste völlig autonom fahrende Au-
to auf die Straße zu bringen. Der
Markt verspricht ein gigantisches
Potenzial. Analysten der Schweizer
Investmentbank UBS schätzen es auf
eine Billion Dollar bis 2030.
Doch die Vorarbeit bis dahin ist
gigantisch. Das weiß Marc Mengler,
Chef des Berliner Start-ups Under-
stand.ai, das sich auf das Labeln von
Videodaten für die Autoindustrie
spezialisiert hat, bestens. „Ohne ma-
nuelle Nachbearbeitung sind die bes-
ten Algorithmen nicht gut genug“,
sagt Mengler. Kunden von Under-
stand.ai, zu denen namhafte Auto-
hersteller zählen, wie ein Blick auf
die Home page des Start-ups verrät,
schicken Mengler die Video-Rohda-
ten, die anschließend Bild für Bild

mithilfe eines speziellen Programms
gelabelt werden. „Das heißt: Jedes
Objekt, das für das autonome Fah-
ren relevant ist, muss markiert wer-
den – und zwar zum Teil pixelge-
nau“, erklärt Mengler. Ansonsten
würde die KI nicht wissen, was auf
den Videoaufnahmen zu sehen ist.
Oder anders gesagt: Die KI wäre
blind.
Eine Rechnung lässt den unvor-
stellbaren Arbeitsaufwand erahnen:
Ein einstündiges Video, gedreht mit
30 Bildern pro Sekunde, setzt sich
aus 108 000 Bildern zusammen.
Nimmt ein Autokonzern hunderttau-
send Stunden Videomaterial auf, was

nicht unüblich im Bereich des auto-
nomen Fahrens ist, ergeben sich da-
raus fast elf Milliarden Bilder. Das La-
beln komplexer Verkehrssituationen
kann pro Bild bis zu drei Stunden in
Anspruch nehmen. Würde ein einzi-
ger Mensch diese Arbeit durchfüh-
ren, bräuchte er dafür über 32 Milli-
arden Stunden oder fast 3,7 Millio-
nen Jahre.
„Geisterarbeit“ nennen Mary L.
Gray und Siddharth Suri diese Art
der Arbeit in ihrem gleichnamigen
Buch („Ghostwork“). Die Clickworker
sind den beiden Autoren zufolge das
neue digitale Proletariat, die wie mo-
derne Wanderarbeiter je nach Bedarf

Autonomes Fahren


Arbeiten am


digitalen


Fließband


In Handarbeit bereiten Arbeiter Daten auf,


mit denen etwa Systeme für autonome


Fahrzeuge trainiert werden. Viele


sogenannte Clickworker arbeiten unter


harten Bedingungen.


IT-Angestellter
in Bangalore:
Die zunehmende
Digitalisierung
schafft enorme
Datenmengen.

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DIENSTAG, 30. JULI 2019, NR. 144

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