Halbleiter
Abhängiges
Fahren
A
m Donnerstag vergangener
Woche hat der chinesische
Internetkonzern Alibaba sei-
nen ersten selbst entwickelten Chip
vorgestellt. Einen Tag später wurde
bekannt, dass China einen auf die
Chipfertigung ausgerichteten Ven -
ture-Capital-Fonds über 29 Milliar-
den Dollar aufgelegt hat. Das sind
zwei Nachrichten mit Folgen. Sie
zeigen, dass die Volksrepublik mit
aller Macht in die wichtige Halblei-
terindustrie drängt.
Bislang spielt China bei Chips
kaum eine Rolle. Das Land ist der
weltgrößte Verbraucher der Bauele-
mente, besitzt aber keine nennens-
werte Halbleiterindustrie. Dass das
unmöglich so bleiben kann, hat den
Chinesen jüngst Donald Trump vor
Augen geführt. Der US-Präsident
untersagte US-Firmen, chinesische
Kunden zu beliefern. Vor allem für
den Smartphone-Produzenten Hua-
wei ist das eine Katastrophe.
Die Chinesen fürchten so etwas
schon lange und versuchen daher
seit Jahren, sich aus der Abhängig-
keit von der dominierenden US-
Chipindustrie zu befreien. Die An-
kündigung von Alibaba zeigt, dass
die Unternehmen auf einem guten
Weg sind. Europa dagegen hätte ei-
nem solchen Boykott nicht viel ent-
gegenzusetzen. Hier haben zwar
drei der renommiertesten Chipher-
steller der Welt ihre Heimat: Infine-
on, ST Microelectronics und NXP.
Das sind Firmen mit viel Know-how,
aber sie sind vergleichsweise klein
und müssen sich auf ausgewählte
Bereiche konzentrieren.
Chinesische Konzerne wie Aliba-
ba oder Huawei verfügen über un-
gleich größere Ressourcen, die sie
jetzt in Chips für Wachstumsfelder
wie Künstliche Intelligenz stecken.
Auch bislang nicht bei Halbleitern
tätige IT-Konzerne wie Google,
Amazon oder Microsoft investieren
auf diesem Gebiet ganz gewaltig.
Europa darf nicht am Rande ste-
hen. Es könnten wesentliche Bau-
teile etwa fürs autonome Fahren
fehlen, wenn Amerikaner oder Chi-
nesen beschließen, nicht mehr zu
liefern. Politik und Konzerne sind
gefordert: Es gilt, über Grenzen und
Firmen hinweg zusammenzuarbei-
ten, den Wettbewerb aufzunehmen.
Amerika besitzt eine gewaltige
Chipindustrie, China baut eine auf.
Deutschland und die EU sind
gefordert, meint Joachim Hofer.
„Es ist, als ob man sein Haus mit
Sandsäcken auf eine Flut vorbereitet.
Ihre Küche wird dennoch unter Wasser
gesetzt, aber vielleicht können wir die
Schlafzimmer darüber retten.“
Nicole Sykes, Managerin des britischen Industrieverbandes CBI,
warnt vor einem ungeregelten Brexit.
Worte des Tages
Der Autor ist Korrespondent in
München.
Sie erreichen ihn unter:
D
er Begriff gehört zum festen Wort-
schatz von Carsten Spohr: Modernisie-
rung. Der Lufthansa-Chef benutzt ihn
regelmäßig. Und er hat den Worten
Taten folgen lassen. Die Flotte wird
mit großem Aufwand und hohen Investitionen auf
neue und effizientere Flugzeuge umgestellt. Selbst
das Erscheinungsbild hat der oberste Lufthanseat
neu gestalten lassen. Das berühmte Spiegelei am
Leitwerk verschwindet sukzessive vom Himmel.
Vor einem Bereich hat diese Modernisierung aller-
dings bisher haltgemacht: der Struktur des Kon-
zerns. Spohr hat zwar auch in der Organisation den
einen oder anderen Schritt unternommen. So hat er
vor einiger Zeit eine ganze Führungsebene heraus -
geschnitten – statt auf vier setzt der Konzern mittler-
weile auf drei. Dennoch gilt: An der grundlegenden
Organisationsform von Europas größter Fluggesell-
schaft wurde nicht gerüttelt.
Das soll sich nun ändern. Die interne Diskussion
über eine Holdingstruktur für die Lufthansa läuft.
Und das ist gut so, denn es ist für die Airline-Gruppe
eine große Chance. Dem Konzern tut eine offene De-
batte über die richtige Struktur gut. Denn die aktuel-
le ist nicht mehr zeitgemäß.
Kristallisationspunkt der Gruppe war und ist die
Kernmarke Lufthansa mit dem seit Jahrzehnten
hochgehaltenen Premiumanspruch. Per se ist das
auch nicht zu kritisieren. Eine Airline-Gruppe wie
Lufthansa braucht eine starke Premiummarke. Wenn
man zudem noch wie die „Hansa“ gleich mehrere
europäische Heimatmärkte hat, ist sogar noch Platz
für weitere wie etwa Swiss oder AUA.
Schwierig wird es aber, wenn die Entscheidungen
im Konzern zu sehr dieser Premiummarke unter -
geordnet werden. Bei Lufthansa ist das bisher häufig
der Fall. Bei fast allen wichtigen strategischen Ent-
scheidungen stand der Schutz von Lufthansa Classic
im Vordergrund. Besonders gut lässt sich das am
Beispiel Billigflugsegment dokumentieren.
Um in diesem Markt mitzumischen, wurde Ger-
manwings gegründet. Doch in der Sorge, der Able-
ger könnte der Kernmarke zu sehr ins Gehege kom-
men, wurde dieser kleingehalten. Germanwings
durfte nicht so wachsen, wie es möglich und nötig
war. Ein strategischer Fehler, der sich rächte. Die
kleine Billigairline scheiterte an dem Korsett, das
man ihr überstülpte. Dann kam Eurowings. Wieder
wurde zu viel Rücksicht auf den Kern Lufthansa ge-
nommen. Die großen Drehkreuze waren tabu, sie
waren für Lufthansa, Swiss und AUA reserviert.
Das Kalkül der Konzernspitze ging zunächst auf.
Doch mittlerweile hat sich der Luftfahrtmarkt radi-
kal verändert. Der Vormarsch der lupenreinen Billig -
anbieter wie Ryanair und Easyjet hat an einer Ge-
schwindigkeit gewonnen, mit der kaum jemand ge-
rechnet hatte. Beschleunigt wurde das Ganze durch
Insolvenzen wie der von Air Berlin. Easyjet zum Bei-
spiel schnappte sich die Berliner Aktivitäten der
einst zweitgrößten deutschen Fluggesellschaft und
macht Lufthansa seitdem auch in München und
Frankfurt Konkurrenz. Also schickte die Lufthansa-
Spitze eilig Eurowings nach München und Frankfurt.
Gleichzeitig findet ein Umbruch in der Touristik
statt. Thomas Cook stellte seine Airline-Gruppe zum
Verkauf, darunter Condor. Die Veräußerung pausiert
zurzeit, aber es ist klar, dass Lufthansa aus Wettbe-
werbsgründen kaum den Zuschlag bekommen wird.
Deshalb hat der Konzern die Verteidigung seiner Fe-
rienziele gestartet. Wieder ist Eurowings gefragt und
wird auf die Langstrecke geschickt.
Doch die bisherige Strategie funktioniert nicht,
denn sie hat einen viel zu hohen Preis. Der spiegelt
sich in den massiven Verlusten wider, die Eurowings
im ersten Quartal eingeflogen hat und wohl auch
noch in den folgenden einfliegen wird.
Will Spohr aus dem „Marken-Reich“ das heraus -
holen, was möglich ist, müssen zwei Dinge gesche-
hen: Die Interessen der Kernmarke Lufthansa dürfen
nicht mehr wie bisher so dominant sein. Und die
einzelnen Marken brauchen mehr Freiheit, um ihr
Potenzial voll auszuschöpfen. Eine Holdingstruktur
würde die Probleme der „Hansa“ nicht allein lösen,
aber sie wäre ein geeigneter Organisationsrahmen,
um die notwendigen Schritte umzusetzen.
Die Frage ist, warum Lufthansa erst jetzt über ei-
nen solchen Umbau nachdenkt. Dafür gibt es Grün-
de. Mit seinem Amtsantritt im Mai 2014 hatte Spohr
zahlreiche Baustellen übernommen. Zunächst galt
es, den Konzern an der Tariffront zukunftsfest zu
machen. Dann musste der Absturz einer German-
wings-Maschine verarbeitet werden. Ein parallel
stattfindender Konzernumbau hätte die Belegschaft
sicherlich schlicht überfordert.
Erschwerend dürfte hinzukommen, dass Spohr
selbst Lufthanseat durch und durch ist. Sein Herz
hängt an der Marke. Sie ins normale Glied einzu -
reihen dürfte ihm schwerfallen. Doch die nun be -
gonnene Debatte zeigt, dass die Führung von Euro-
pas größter Airline erkannt hat: Es muss sich etwas
grundsätzlich ändern. Zu spät ist es dafür nicht, aber
die Chance sollte nun genutzt werden.
Leitartikel
Neues Leben für
den Kranich
Die Lufthansa
muss ihren
Marken mehr
Freiheit geben
und die Orga -
nisation ändern.
Die Chance dazu
sollte das
Management jetzt
nutzen, rät
Jens Koenen.
Die Kernmarke
Lufthansa
darf nicht mehr
so dominant
sein wie bisher.
Der Autor leitet das Büro Unternehmen & Märkte
in Frankfurt. Sie erreichen ihn unter:
[email protected]
Meinung
& Analyse
DIENSTAG, 30. JULI 2019, NR. 144
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