Handelsblatt - 30.07.2019

(Nandana) #1

„Wir müssen im Vertrieb


bissiger werden.“


Bernd Montag, Konzernchef Siemens
Healthineers, zu den Problemen
bei der Markteinführung des neuen
Laborsystems Atellica

„Es ist nicht übertrieben, davon zu


reden, dass wir einen Tsunami an


Krebserkrankungen


vor uns haben.“


Michael Baumann, Vorstandschef des Deutschen
Krebsforschungszentrums

I


n der hiesigen Wirtschaft regieren zu viele alte
deutsche Männer. Diese Klage wurde schon vor
über zehn Jahren angestimmt vom damaligen Sie-

mens-Chef Peter Löscher, der mit der Kritik auch sei-


nen eigenen Konzern nicht verschonte. Siemens ist nun


mal ein Gebilde aus dem 19. Jahrhundert, gegründet


und zu großen Erfolgen geführt von Legionen deut-


scher Ingenieure (die zu ihrer Zeit übrigens noch sehr


jung waren). Läuft doch, oder?


Nein, läuft nicht mehr. Global operierende Konzerne


brauchen global und möglichst facettenreich denkende


Teams auf allen Ebenen. Kuschelig-gestrige Homogeni-


tät zu durchbrechen war daher eines der Ziele von Jani-


na Kugel, als sie vor vier Jahren in den Siemens-Vor-


stand einzog. Als oberste Personalchefin war sie dort


mit zuständig für das, was neudeutsch „Diversity“ ge-


nannt wird. Für Vielfalt stand sie selbst: Kugel ist Frau,


nicht weiß und unter 50. Auch das machte sie bald zum


Star ihres Konzerns, womit jetzt wohl Schluss ist: Ihr


Vertrag wird nicht verlängert. So etwas passiert in den


besten Chefetagen.


Aber im Fall Kugel formieren sich nun reflexhaft zwei
Fronten, wie man sie ganz ähnlich erst jüngst bei der
Schlammschlacht um die Abberufung von Valerie Hols-
boer in der Bundesagentur für Arbeit erlebte: Das Ku-
gel-Lager wirft den alten, weißen Siemens-Männern vor,
mit allzu viel weiblicher Dynamik nicht klarzukommen.
Die Kugel-Gegner, die unter anderem im Aufsichtsrat
sitzen, mahnten, man müsse ja auch noch über anderes
sprechen als immer nur Diversity, was Janina Kugel
durchaus unterschreiben würde.
Einerseits hat sie zuletzt vor allem damit zu tun ge-
habt, personalpolitisch die Scherben ihres Vorstands-
chefs Joe Kaeser zusammenzukehren, der Siemens der-
zeit in brachialem Tempo umbaut. Andererseits hat sie
die alten weißen Männer immer verteidigt: Diversity be-
deute nicht, dass man die Platzhirsche in Rente schickt.
Man solle ihre Erfahrung nur in möglichst bunte Teams
integrieren. In der Siemens-Spitze fand offenbar eine
Art gegenseitige Entfremdung statt, die viele Gründe
hatte. Das wird man noch öfter erleben. Und das ist gut
so. Die neue Generation junger Managerinnen will und
muss alte Strukturen aufbrechen. Das kann gelegentlich
wehtun. Und manchmal muss dann eben einer oder ei-
ne gehen, wenn’s nicht geht.
Kugel wird schnell einen anderen Top-Job finden. Ein
fatales Zeichen wäre es nur, wenn der achtköpfige Vor-
stand des größten deutschen Industriekonzerns bald
wieder rein männlich besetzt wäre. Denn auch die Tage
von Kugels Vorstandskollegin Lisa Davis scheinen ge-
zählt. Also meine Herren: Je bunter Ihr Vorstand, umso
besser für das Unternehmen!

Siemens


Je bunter, desto besser


Ist der Konzern auf dem Weg
zurück zu einem Altherren-Klub?
Das wäre ein fatales Zeichen für
die ganze deutsche Industrie,
findet Thomas Tuma.

Der Autor ist stellvertretender Chefredakteur.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Die neue


Generation


junger


Manage -


rinnen


will und


muss alte


Strukturen


aufbrechen.


CBI, dpa, Philip Benjamin/NCT Dresden

Banken


Vorsicht,


Überlastung


D


ie Klage ist der Gruß der
Kaufleute.“ Das phönizische
Sprichwort galt in den ver-
gangenen Jahren auch und vor al-
lem für Bankkaufleute. Allerdings
interessierte sich kaum jemand für
dieses Jammern. Schließlich waren
es die Banker, die uns die Finanz-
krise eingebrockt hatten. Da war es
nur folgerichtig, dass man die Bran-
che mit einer Flut an schärferen Re-
geln überzog. Für die Bankenkriti-
ker quer durch das gesamte politi-
sche Spektrum waren auch die Mi-
nuszinsen der Europäischen Zen-
tralbank (EZB) eine Art Spätfolge
der Finanzkrise und damit eine ge-
rechte Strafe für die Institute.
Inzwischen haben wir allerdings
eine Situation erreicht, in der Euro-
pa darüber nachdenken muss, wie
es seine Banken wieder stärken
kann. Vor allem aus zwei Gründen
sollten Politik und Aufseher die Oh-
ren für die Klagen öffnen. Da ist
zum einen das unter dem Stichwort
Basel IV bekannte Regulierungs -
paket, für das Europas Banken
noch einmal 135 Milliarden Euro Ka-
pital brauchen. Für viele Institute
dürfte das schmerzlich werden.
Zum anderen fällt die erhoffte geld-
politische Wende aus. Statt ihre Zin-
sen wie erhofft anzuheben, wird die
EZB die Geldpolitik weiter lockern.
Für die Banken bedeutet das noch
höhere Strafzinsen, wenn sie Geld
bei der Notenbank parken.
Für Europas Banken ist das ein
echtes Problem, denn die Ertrags -
lage vieler Institute ist auch zehn
Jahren nach der Finanzkrise ziem-
lich mau. Bei einem konjunkturel-
len Abschwung droht deshalb eine
noch stärkere Einschränkung der
Kreditvergabe als sonst in solchen
Phasen üblich. Deshalb ist es rich-
tig, dass die EZB über Erleichterun-
gen für die Banken nachdenkt.
Chefnotenbanker Mario Draghi hat
einen sogenannten Staffelzins ins
Gespräch gebracht. Dahinter ver-
bergen sich Freibeträge, für die die
Institute keine Minuszinsen bezah-
len müssten. Diese Idee sollte die
EZB in die Tat umsetzen. Andere
Notenbanken, die eine Negativzins-
politik verfolgen, wie die Schweizer
oder die Dänische Zentralbank, ha-
ben es längst vorgemacht.

Die Bankenbranche hat noch
immer einen schlechten Ruf. Aber
es wird Zeit, auf die Beschwerden
zu hören, meint Michael Maisch.

Der Autor ist stellvertretender
Ressortleiter.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Unternehmen & Märkte


DIENSTAG, 30. JULI 2019, NR. 144


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