Handelsblatt - 30.07.2019

(Nandana) #1
A

ndreas Utermann liebt es leger – mit
offenem Hemdkragen und schwarzer
Jeans wirkt der Manager ein bisschen
wie ein Cowboy. Als Investor und
Analyst hat ihn der angelsächsische
Pragmatismus geprägt. Sein Unternehmen, der
Vermögensverwalter des Versicherers Allianz, be-
treut rund 535 Milliarden Euro.

Herr Utermann, die Chefin des Internationalen
Währungsfonds, Christine Lagarde, wird Mario
Draghi als Chefin der Europäischen Zentralbank
ablösen, sind tiefe Zinsen dadurch zementiert?
Die Zinsen bleiben tief. Aber das hat nichts mit der
Nachfolgeregelung zu tun. Eine lockere globale
Geldpolitik gibt es schon lange. Die Inflation ist ein-
fach zu tief.

Bundesbank-Präsident Jens Weidmann als EZB-
Chef hätte man vielleicht eine restriktivere Politik
zugetraut.
Ein Irrtum, denn die Voraussetzungen wären für
ihn die gleichen gewesen. Wir brauchen Wachstum
und Beschäftigung. Und ohne Inflation kann kein
Notenbanker die Geldpolitik straffen.

Manche Experten erwarten noch tiefere Zinsen.
Könnte die Rendite der zehnjährigen Bundesan-
leihe dann 2020 sogar von minus 0,3 Prozent auf
minus ein Prozent fallen?
Schwer vorherzusagen, aber ich kann auch nichts
ausschließen. Das Beispiel Japan hat uns gezeigt,
dass Renditen sogar über Jahrzehnte immer tiefer
fallen können.

Was wird sich denn durch die Ernennung von
Frau Lagarde zur EZB-Präsidentin ändern?
Sie war beim IWF zumindest immer nahe am poli-
tischen Denken. Vielleicht wird sie dazu beitragen,
dass sich Geld- und Fiskalpolitik künftig mehr im
Tandem bewegen, gerade in Europa.

Wäre das ein Vorteil?
Auf jeden Fall. Bisher haben die Notenbanker und
Politiker nebeneinander gearbeitet, nicht miteinan-
der. Lockere Geldpolitik stand gegen restriktive
Staatshaushalte, gerade in Deutschland. Im Nach -
hinein wurde zu wenig Geld investiert. Mit einer
auf dem politischen Parkett erfahrenen Lagarde
bekommen wir da einen anderen Dialog. US-Öko-
nomen wie Paul Krugman fordern seit sehr langer
Zeit die Deutschen auf: Macht mehr Schulden! Wir
waren dagegen, weil wir die Prinzipien des ehrba-
ren Kaufmanns hochhalten. Ehrbarer Kaufmann
kann man bleiben. Aber ein Versteifen auf eine
„schwarze Null“ beim Staatshaushalt macht keinen
Sinn. Wir haben zu hohe Steuern und Sozialkosten,
gleichzeitig investieren wir immer weniger in Infra-
struktur. Das ist falsch.

Hat Krugman also recht?
Vielleicht war die These des mehr Schulden Ma-
chens vor einigen Jahren noch gewagter als heute.
Schließlich musste in der Euro-Zone Südeuropa ge-
rettet werden. Heute haben wir eine andere Lage.
Vielen Länder geht es wieder besser.

Deutschland sollte also mehr investieren?
Die Bundesanleihen rentieren negativ. Wenn ich
mich umsonst refinanzieren kann, muss ich das
doch in Erwägung ziehen. Dem Staat wird ja sogar
Geld geschenkt.

In diesem Jahr gab es auch Kursgewinne für Anlei-
hen mit Negativrendite. In Ihrer Branche heißt es
oft: Anleihen mit Minuszins sind unattraktiv. Ist
das nach den Kursgewinnen nicht als Mythos ent-
larvt?
Es kommt auf den Anleger an. Der Kauf einer Mi-
nus-Rendite-Anlage ist spekulativ. Ich halte das bei
Privatanlegern für schwierig. Wie bei Aktien sollte
man nur auf Sicht vieler Jahre kaufen, und die Ren-
dite sollte über der Inflation liegen.

„Mario Draghi

hat alles richtig

gemacht“

Der Chef von Allianz Global Investors spricht über die


Notwendigkeit der lockeren Geldpolitik, ihre negativen


Nebenwirkungen und über höhere Staatschulden in Deutschland.


Andreas Utermann


Andreas
Utermann:
„Die neue Welt-
ordnung ist völlig
unklar.“

Bert Bostelmann/laif

Finanzen


& Börsen


DIENSTAG, 30. JULI 2019, NR. 144


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