Handelsblatt - 30.07.2019

(Nandana) #1
Für Großinvestoren wie Sie sieht die Lage aber an-
ders aus?
Versicherungen oder Pensionskassen müssen auf
ihre langfristigen Verbindlichkeiten achten und na-
türlich regulatorische Anforderungen erfüllen. In
Kombination mit anderen Investments kann so et-
was durchaus sinnvoll sein. Sollte etwa die Inflati-
on weiter unter den Erwartungen liegen, wie es in
den letzten zehn Jahren der Fall war, dann wären
auch Anleihen mit Minusrendite noch ein sinnvol-
les Geschäft. Sie würden vor Deflation schützen.
Deswegen ist die Nachfrage nach diesen Papieren
so hoch.

Nicht nur die EZB, auch die US-Notenbank wird vo-
raussichtlich eine lockerere Geldpolitik einschla-
gen. Bedeutet die Liquiditätsflut, dass für die Ak-
tienmärkte Krisen abgeschafft sind?
Das ist übertrieben. Weder wird eine gute Konjunk-
tur noch werden gute Börsen garantiert. Nur tiefe
Zinsen reichen nicht, um Einbrüche auszuschlie-
ßen.

Was könnte der Auslöser für eine Kurskorrektur
an den Aktienmärkten sein?
Börsen sind vielen Einflüssen ausgesetzt. Politik
spielt eine Rolle, nehmen sie nur die Stichworte
Handelskrieg und Protektionismus. Das kannten
wir früher in diesem Ausmaß nicht. Der alte Kon-
text für die Märkte ist verloren gegangen. Die neue
Weltordnung ist völlig unklar. Es wäre gefährlich zu
sagen, der Markt wird das ignorieren.

Irren sich denn die Anleger völlig, wenn sie anneh-
men, sie haben von Draghi einen Freifahrtschein
für Gewinne an den Aktienmärkten bekommen?
In dieser Annahme liegt ein Fünkchen Wahrheit.
Angenommen es gibt starke Börsenverwerfungen,
etwa durch geopolitische Krisen. Dann wird sich
das in Erinnerung an die Notenbanksignale schnell
beruhigen. Es gibt zwar keine Garantie auf weiter
steigende Kurse, aber einen Risikopuffer bei Bewe-
gungen nach unten.

Was ist mit den Nebenwirkungen einer noch lo-
ckereren Geldpolitik?
Durch tiefe Zinsen kann Kapital in falsche Bereiche
gelenkt werden – was wieder Krisen erzeugt. An
die letzten beiden Beispiele erinnern wir uns gut.
Das Immobiliendesaster in den USA löste die Fi-
nanzkrise aus. Die tiefen Zinsen stürzten die süd -
europäischen Länder in ein Schuldendebakel.

Die lockere Geldpolitik hat auch einen Umvertei-
lungsaspekt. Kapitalbesitzer werden reicher, Spa-
rer ohne großen Kapitalbesitz ärmer. Wie gefähr-
lich ist das?
Das sage ich seit zehn Jahren: Die lockere Geldpoli-
tik mit ihren Effekten ist mitverantwortlich für die
Verteilungsdebatte.

Aber Sie verteidigen doch die Politik der EZB ...
Wir müssen sehen, wie wir mit den Problemen
umgehen. Es gibt die Umverteilung von Arm zu
Reich. Hier muss der Staat wieder rückverteilen.
Auch dazu muss er Schulden machen.

Und wie bewerten Sie die Ära von Mario Draghi
insgesamt? Müssten ihm nicht vor allem die Aktio-
näre ein Denkmal errichten?
Ich bin überzeugter Europäer. Es gab vor einigen
Jahren ein großes Risiko, dass das europäische Pro-
jekt mit der Euro-Krise zerplatzt. Draghi hat das
maßgeblich mit verhindert. Ich würde keine Statue
errichten, aber ich würde ihn in die Riege der gro-
ßen europäischen Politiker einreihen.

Die Sparer als Leidtragende der Zinsabschaffung
würden Ihnen da sicher widersprechen.
Draghi hat in dieser für Europa entscheidenden Si-
tuation alles richtig gemacht.

Wollen Sie damit sagen, dass die Sparer selbst
schuld sind?

Nein. Die Politiker haben nur nicht rechtzeitig auf
die Umverteilungseffekte der Tiefzinspolitik rea-
giert. Wie schon erwähnt: Möglich gewesen wären
höhere Ausgaben in den Überschussländern oder
eine intelligentere Steuerpolitik.

Ihrer eigenen Branche geht es nicht so gut, wie die
lange Börsenhausse erwarten ließe. Vor allem
Großinvestoren drücken die Gebühren der Vermö-
gensverwalter und damit ihre Margen. Wie reagie-
ren Sie darauf?
Wir spüren bei unseren Großkunden, dass sie nicht
einfach ein Produkt kaufen wollen. Sie suchen eine
Gesamtsteuerung ihrer Anlagen mit Blick auf Ver-
bindlichkeiten, Risiken, unter Einbindung auch be-
stimmter Anlagethemen und alternativer Invest-
ments. So definieren wir aktives Management neu
und umfassender, als es früher der Fall war. Es geht
eben um mehr als nur die Abweichung von vorge-
gebenen Indizes bei den Investments. Es geht auch
um zusätzliche Serviceleistungen.

Und die Gesamtbranche? Welche Wirkung hat der
Trend zu sogenannten passiven Investments, die
einfach nur einen Index nachbilden?
Trotz des Gebührendrucks konnten aktive Vermö-
gensverwalter über die Jahre recht konstant 90 Pro-
zent der Branchengewinne für sich verbuchen,
trotz der massiven Nachfrage für die billigen Index-
produkte und der massiven Geldabflüsse in diese
Richtung. Warum? Die Kunden erkennen den
Mehrwert aktiven Managements, von Unterneh-
men wie uns.

Doch für Sie müssten die billigen Indexfonds der
größte Feind sein ...
Nein. Beide Bereiche ergänzen sich. Aktive Depots
können durchaus passive Bausteine enthalten. Und
Indexfonds haben den Preis für den Marktzugang
stark gesenkt. Das ist wünschenswert und im Sinne
der Kunden. Vorher hatten Kunden keine Wahl,
und heute können sie genau das bekommen, was
sie sich wirklich wünschen.

Im vergangenen Jahr sanken die Gewinne der eu-
ropäischen und deutschen Asset-Manager – zum
ersten Mal seit langer Zeit. Ist die goldene Ära der
Vermögensverwalter vorbei?
Das ist sie schon seit über zehn Jahren. Allerdings
haben die guten Börsen die schlechte Lage vieler
Asset-Manager überdeckt. Steigende Kapitalmärkte
und fallende Zinsen brachten praktisch automa-
tisch Kursgewinne bei Rentenpapieren.

Gute Börsen haben also die strukturelle Krise
übertüncht?
So kann man es sagen. Deswegen sehen wir seit
fünf Jahren eine zunehmende Konsolidierung, und
die wird weitergehen. Seit zwei Jahrzehnten rech-
nen wir mit Fusionen und Aufkäufen, aber lange ist
nichts passiert – aus dem geschilderten Grund.

Sind Sie als Allianz Global Investors mit unter ei-
ner Billion Euro Kapital im internationalen Maß-
stab nicht auch zu klein?
Das verwaltete Kapital ist eine viel zu grobe Messlat-
te. Entscheidend sind Geschäftsmodell und Gewin-
ne. Wir wollen bei akzeptablen Kosten profitabel
sein. Die Kosten liegen bei etwa 70 Prozent der Ein-
nahmen. Die Gewinnmarge erreicht rund 30 Pro-
zent. Bei den Kosten wollen wir herunter bis auf ei-
ne hohe 60er-Quote. Bei der Gewinnmarge haben
wir als aktiver Manager einige Vorteile. Geldmarkt-
fonds mit ihren geringen Margen spielen bei uns
kaum eine Rolle, Indexfonds mit tiefen Gebühren
haben wir gar nicht.

Wie schlägt sich diese Strategie in der Gewinnent-
wicklung nieder?
Unsere Gewinne steigen seit vielen Jahren. Das gilt
auch für 2018, als es für die Gesamtbranche ab-
wärts ging.

Dann lautet die logische Frage: Warum?


Unter anderem, weil wir in den vergangenen sie-
ben Jahren unser Geschäft mit alternativen Anla-
gen aufgebaut haben. Das reicht von Infrastruk-
tur bis zu Krediten. Da sind jetzt 70 Milliarden
Euro investiert. Solche Anlagen haben Bindun-
gen von bis zu 30 Jahren. Das ist auch im Sinne
langfristig denkender Großanleger.

Ihre Mutter Allianz hat vor langer Zeit den gro-
ßen US-Verwalter Pimco gekauft. Wie ist das Ver-
hältnis zur Schwestergesellschaft?
Wir arbeiten unabhängig voneinander, und wir
sind Mitbewerber am Markt. Das gilt auch für die
Gelder unseres Mutterkonzerns. Etwa ein Drittel
unseres Kapitals stammt von der Versicherung.

Denken Sie über Übernahmen nach?
Wir orientieren unser Angebot seit Jahren an den
Bedürfnissen unserer Kunden. Sie brauchen An-
gebote für alternative Investments von uns. Zu-
sätzlich haben wir in den letzten Jahren unser ak-
tives Angebot mit dem Zukauf spezialisierter
Teams komplettiert.

Was fehlt Ihnen noch?
Immobilien könnten interessant sein. Unsere
Kunden sprechen uns immer wieder darauf an.
Aus der regionalen Brille könnten wir uns in Süd-
amerika, Südostasien, Nordeuropa oder Afrika
stärker aufstellen. Das Feld ist groß, aber der
richtige Zeitpunkt ist entscheidend.

Würden Sie die Deutsche-Bank-Fondssparte
DWS kaufen?
Die Frage stellt sich nicht.

Ihre Kunden sind vor allem Großinvestoren.
Doch das Privatkundengeschäft hat im Schnitt
viermal so hohe Margen. Dort könnten Sie akti-
ver werden.
Das kann man nicht pauschalisieren. Wir haben
dank guter Produkte unseren Platz auf vielen Ver-
triebs-Plattformen und bei Banken. Eine exklusi-
ve Partnerschaft mit einer Adresse beispielsweise
würde bestehende Beziehungen belasten.

Und wenn Sie als aktiver Manager einen Index-
fondsanbieter zukaufen? Für den weltgrößten
Geldverwalter Blackrock scheint die Verbin-
dung beider Konzepte ein Erfolgsmodell zu sein.
Das kommt für uns gar nicht infrage. Meiner Mei-
nung nach wird es langfristig keiner schaffen, alle
drei wichtigen Treiber von Geschäftsmodellen
unter einen Hut zu bringen. Die drei sind: Tech-
nologie, Vertrieb und Investmentstrategien. Alle
haben eine eigene Kultur und Anforderungen an
die eigene Unternehmensstruktur. Deshalb glau-
be ich: Langfristig wird es wegen der unter-
schiedlichen Anforderungen keinen Anbieter ge-
ben, der alles macht.

Nachhaltigkeit ist auch in der Investmentwelt ei-
nes der ganz großen Themen. Ist das ein dauer-
hafter Trend?
Es gibt ein Umdenken in der Gesellschaft, das alle
Bereiche betrifft. Die Politik spielt eine entschei-
dende Rolle. Sie kann auch Kapitalströme in
nachhaltige Investments lenken. Damit läuft alles
in die gleiche Richtung: Wir haben eine starke öf-
fentliche Diskussion, die in den regulatorischen
Vorgaben für die Finanzbranche immer stärker
berücksichtigt wird, und auch den Investoren ist
das wichtig.

Werden die Investoren vielleicht auch durch die
eigenen Kinder gefordert, wegen der Fridays-
for-Future-Bewegung?
Ganz sicher. Und langfristiges Denken ist ja auch
bei der Geldanlage erfolgreicher.

Herr Utermann, vielen Dank für das Interview.


Die Fragen stellten Ingo Narat und Frank
Wiebe.

Die Person Andreas
Utermann ist 53 Jahre
alt, verheiratet und
hat drei Kinder. Als
Kind deutscher Eltern
ist er in Belgien groß
geworden und hat
neben der deutschen
seit 1991 auch die bri-
tische Staatsbürger-
schaft. Er arbeitet seit
2002 im Allianz-Kon-
zern. Im März 2016
wurde Utermann Chef
von Allianz Global
Investors.

Das Unternehmen
Allianz GIobal Inves-
tors (AGI) verwaltet
535 Milliarden Euro an
Kapital, rund ein Drit-
tel davon sind Gelder
des Allianz-Konzerns.
Die Gesellschaft ver-
steht sich als aktiver
Investor. Daneben
gibt es, unabhängig
von AGI, im Konzern
noch den Vermögens-
verwalter Pimco in
den USA.

Vita Andreas
Utermann

Ein Versteifen


auf eine


schwarze


Null beim


Staatshaus -


halt macht


keinen Sinn.


Andreas Utermann
Vorstandschef Allianz
Global Investors

mauritius images / Stefan Obermeier / imageBROKER


Finanzen & Börsen


DIENSTAG, 30. JULI 2019, NR. 144


31

Free download pdf