Handelsblatt - 30.07.2019

(Nandana) #1

Immobilien


Warnung vor Überhitzung in Europa


Ein Expertengremium


fürchtet, dass die


Immobilienmärkte zum


Risiko für das Finanzsystem


werden.


Matthias Streit Erfurt


D


er Name des Gremiums
klingt ziemlich sperrig und
bürokratisch: Europäischer

Ausschuss für Systemrisiken. Dahin-


ter verbirgt sich eine Art Frühwarn-


system für die Kapitalmärkte, einge-


richtet vor zehn Jahren, um eine Wie-


derholung der Finanzkrise zu verhin-


dern. Geführt wird der ESRB von kei-


nem Geringeren als dem Präsidenten


der Europäischen Zentralbank, Ma-


rio Draghi. In seinem Vorwort zum


Jahresbericht des Ausschusses warnt


Draghi jetzt vor einer gefährlichen


Übertreibung am europäischen Im-


mobilienmarkt.


Anhaltende Preisanstiege sowohl


bei Wohn- als auch Gewerbeimmobi-


lien deuteten in einigen Märkten auf


Überbewertungen hin, schreibt Drag-


hi. Die Niedrigzinsen in der Europäi-


schen Union und die gute wirtschaft-


liche Lage hätten in einigen Ländern


zudem zu einem Anstieg der Haus-


haltsverschuldung geführt. Der Im-


mobilienmarkt sei daher anfälliger,


wenn sich die wirtschaftlichen Rah-


menbedingungen ändern sollten. Für


die Banken und andere Immobilien -


finanzierer könnte dies Verluste be-


deuten, wenn der Markt einen „be-


deutenden Abschwung“ durchlebt,


warnt der Ausschuss.


Länder, auf die diese Analyse be-


sonders stark zutrifft, werden in dem


Bericht nicht genannt. Aktuelle Ana-


lysen des Immobilienfinanzierungs-


vermittlers Dr. Klein zufolge nehmen


Deutsche für einen Hauskauf immer


höhere Darlehen auf. Allein zwi-


schen Juni 2018 und Juni 2019 stieg


die durchschnittliche Darlehenssum-


me von 218 000 auf 252 000 Euro.
Der über Darlehen finanzierte Anteil
des Kaufpreises kletterte dabei auf 84
Prozent. Viele Jahre lag er unter 80
Prozent.
Laut dem deutschen Ausschuss für
Finanzstabilität bestehen für das Fi-
nanzsystem trotz der weiter steigen-
den Preise aber noch keine Stabili-
tätsrisiken aus dem Neugeschäft mit
Wohnimmobilienfinanzierungen. Ge-
fahren könnten sich allerdings aus
dem Kreditbestand ergeben, sollte
sich die Konjunktur unerwartet stark
abkühlen.
Der ESRB erkennt auch bei den
Preisen für Gewerbeimmobilien eine
Überhitzungsgefahr. Allerdings hat
sich die Darlehensvergabe in diesem
Bereich des Marktes nur verhalten
entwickelt, nicht zuletzt, weil den In-
vestoren eine Vielzahl von Finanzie-
rungsquellen zur Verfügung stünden,
heißt es in dem Bericht. Am stärksten
ist die Kreditvergabe demnach 2017

für Gewerbeimmobilien in Österreich
gestiegen, mit einem Wert von knapp
60 Prozent über dem Vorjahr, gefolgt
von Frankreich mit über 50 Prozent.
In Ländern wie Deutschland, Italien
und Spanien sank die Kreditvergabe
für Gewerbeimmobilien dagegen.

Spitzenreiter München


Bereits im vergangenen Jahr veröf-
fentlichte die Schweizer Großbank
UBS einen globalen „Blasen-Index“
für die Immobilienmärkte. Darin
analysieren die Experten des Geld-
hauses die Situation in 20 Metropo-
len rund um die Welt. In München,
dem unangefochtenen Spitzenreiter
der deutschen Immobilienpreise, er-
kannte die UBS schon im Herbst 2018
eine erhöhte Blasengefahr. Nur in
Hongkong sei die Gefahr noch grö-
ßer. Auch in Toronto, Vancouver,
Amsterdam und London sahen die
UBS-Analysten markante Preisüber-
treibungen.

In München haben sich nach Be-
rechnungen der Schweizer Bank die
realen Wohnungspreise – also abzüg-
lich der Inflation – in den vergange-
nen zehn Jahren verdoppelt und be-
fänden sich auf einer „explosiven
Kurve“. Neben München findet sich
auch Frankfurt auf der Liste der UBS.
In keiner anderen Metropole des Ver-
gleichs haben die Kaufpreise so stark
angezogen wie in der Stadt am Main.
Als größtes Risiko für die Finanz-
märkte sieht der ESRB trotz der aktu-
ellen Warnung vor der Überhitzung

der Immobilienmärkte aber eine an-
dere Bedrohung: eine Neubewertung
von Risikoprämien an den globalen
Finanzmärkten – also einen Einbruch
der Kurse auf breiter Front. Dazu
komme die Bilanzschwäche vieler
Banken und die Gefahr einer zu ho-
hen Verschuldung von Ländern, Fir-
men und Haushalten.
Ein viertes Hauptrisiko seien die
von Schattenbanken ausgehenden
Gefahren. Dazu zählen Hedge- und
Geldmarktfonds, alternative Invest-
mentfonds und spezielle Börsen-
händler, die im Unterschied zu klas-
sischen Banken nur wenig reguliert
sind.

Blick auf München:
Extrem hohe
Immobilienpreise.

Unsplash

60


PROZENT



  • so stark ist die Vergabe
    von Krediten für Gewerbe-
    immobilien allein 2017 in Öster-
    reich gestiegen. Es war das größte
    Wachstum in Europa.


Quelle: ESRB


Anhaltende


Preisanstiege


deuten auf


Übertrei -


bungen in


manchen


Märkten hin.


Mario Draghi
EZB-Präsident

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Finanzen & Börsen
DIENSTAG, 30. JULI 2019, NR. 144


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